Was getan werden kann, muss endlich unterstützt
werden:
Gegenmaßnahmen zum Antisemitismus im Internet
[SoundFile
(English) - Session 4 / David Gall]
[ENGLISH]
[FRENCH]
Rede gehalten im Rahmen der IV. Sitzung der
OSCE-Conference zum Anti-Semitismus in Berlin:
Information and Awareness Raising - The Role of the Media in
Conveying and Countering Prejudice
Wir sollten das Internet nicht in erster Linie
als Bedrohung, sondern viel mehr als eine Chance für Dialog und
Verständigung in einer vielfältigen und globalen Gesellschaft
begreifen.
Natürlich ist es wahr, dass der Antisemitismus im
Internet eine immer dominantere und aggressivere Stellung einnimmt
und dass das World Wide Web zum effektivsten Werkzeug zur
Artikulation und Verbreitung von Ressentiment, Vorurteil und Hass
gegen Juden geworden ist. Es erreicht nämlich nicht nur jene, die
Hetzartikel und Propagandamaterialien suchen, sondern auch jene, die
an themenbezogen neutraler Information interessiert sind.
Die Tatsache, dass die meisten Menschen, zumindest
in Deutschland, sowenig über jüdisches Leben und Judentum wissen,
macht es den Antisemiten so einfach, ihre Botschaft des Hasses zu
verbreiten.
Antisemitismus ist das kennzeichnende Merkmal
fundamentalistisch-nationalistischer Ideologie und als solches
gemeinsamer Nenner so unterschiedlicher Bewegungen wie Pamjat in
Russland und dem Ku-Klux-Klan in Amerika, Christlich-Arischer
Allianzen und Islamistischer Fundamentalisten.
Es hat ungefähr zehn Jahre gedauert, bis diese
Tatsachen zu einer breiteren Öffentlichkeit durchgedrungen sind, und
wir sind sehr froh darüber, dass sich konsequenterweise eine
OSZE-Konferenz in Paris schon im nächsten Monat speziell mit dem
Thema "Antisemitismus im Internet" auseinandersetzen möchte.
Es ist nun sehr
zu hoffen, dass diese Erkenntnisse auch zu den Entscheidungsträgern
durchdringen werden, und es nicht noch einmal zehn Jahre dauern
wird, bis geeignete Gegenstrategien nicht nur erkannt, sondern auch
endlich unterstützt werden.
Es ist verständlich, dass Forderungen nach einem
weltweit verbindlichen Wertekonsens immer wieder erhoben werden.
Vielleicht sind solche Forderungen sogar lobenswert, realistisch
sind sie auf keinen Fall.
Sie gehen davon aus, dass festgelegt werden
könnte, was über Juden und den Staat Israel verbreitungswert sei,
und dies nicht nur am Bodensee, sondern auch in Malaysia, in Durban,
in Riad oder Teheran.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir reden
hier über das hartnäckigste und mörderischste Vorurteil der
menschlichen Geschichte. Im Hinblick auf ein internationales,
dynamisches, dezentralisiertes und offenes Medium sind Strategien,
die sich in erster Linie oder gar ausschließlich auf
obrigkeitsstaatliche Kontrollmechanismen stützen nicht nur
illusorisch, sondern geradezu fahrlässig und gefährlich.
Die Diskussion sollte endlich einmal darüber
hinauskommen, was wünschenswert wäre und sich stattdessen darauf
konzentrieren, was getan werden kann, bzw. schon längst getan wird
und mit entsprechender Unterstützung noch viel besser getan werden
könnte.
Seit 1995 haben wir ein recht einfaches Modell
immer weiter entwickelt, so dass es heute vielfältig und in
unterschiedlichen Ländern einsetzbar ist.
Vielleicht ist es gerade deshalb so erfolgreich,
weil wir es nicht gegen, sondern für etwas aufgebaut
haben. Wir haben sozusagen weniger gegen die Lüge, als
vielmehr für die Wahrheit gearbeitet.
Unsere Hauptstrategie ist die Schaffung eines
massiven Gegengewichts durch eine Vielfalt aufklärender Information.
Die ständige Aktualisierung und Verbesserung unseres Angebots unter
einer Adresse führt zu immer besseren Positionierung in den
Suchmaschinen. Wenn es uns gelingt 100 unserer Seiten beispielsweise
zum jüdischen Feiertag "Purim" zu veröffentlichen, so stehen die
Chancen, dass ein Schüler auf der Suche nach Informationen zu diesem
Thema bei uns landet, hundert mal größer als dass er beim NPD-Anwalt
Horst Mahler landet, der diesem Thema aus ganz anderen Gründen
ebenfalls einen Artikel widmet.
Unser zweiter Ansatz nutzt die kommunikativen
Möglichkeiten eines aktiven und lebendigen Onlinedienstes, denn die
beste Vorraussetzung für Verständigung sind Begegnung und
authentische Information.
Wir wissen längst, dass Antisemitismus gerade dort am meisten
verbreitet ist, wo die wenigsten Juden leben. Für Jugendliche in
Brandenburg ist haGalil onLine oft die erste und einzige
Möglichkeit, mit Juden Kontakt aufzunehmen.
Aus einer Menge von monatlich 220.000 Besuchern,
erhalten wir täglich Dutzende von Anrufen und e-Mails mit Anfragen
von Journalisten, Schülern und Lehrern. Unsere Foren und Chats
bieten weitere Möglichkeiten zur Kommunikation. So überraschte es
uns nicht, dass eine Nazi-Aussteigerin die Vorsitzende einer
jüdischen Gemeinde in Bayern kennenlernte und die beiden eine
gemeinsame Reihe von Vorträgen an Schulen und Jugendzentren ins
Leben riefen. Von vielen werden wir als Anlaufstelle für den Kampf
gegen Rechts wahrgenommen und unsere Ausdauer ist für viele ein
ermutigendes Zeichen in dieser Auseinandersetzung.
Wenn wir auch nicht in erster Linie auf
legislative Maßnahmen bauen, nutzt unser dritter Ansatz dennoch
juristische Mittel als ein weiteres effektives Werkzeug im Kampf
gegen den Hass. Nach massiven Angriffen auf unsere offenen Foren
stellten wir das weltweit erste Formular zur elektronischen Meldung
antisemitischer Hetze. Im Jahr werden ca. 1000 Vorfälle gemeldet und
ein großer Teil der deshalb geahndeten Straftaten kam über dieses
Formular zur Verhandlung. Zur Vervollständigung entsprechender
Erkenntnisse werden einschlägige Angebote konstant beobachtet. Diese
Beobachtungen führten unter anderem auch zur Aufdeckung der
antisemitischen Rede des Bundestagsabgeordneten Martin Hohmann.
Nachdem wir diese Erkenntnis im November 2003 der Öffentlichkeit
mitgeteilt haben, folgte der Ausschluss Hohmanns aus seiner
Fraktion.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
[SoundFile
- Session 4 / David Gall]
Session 4 (29-04-2004)
Information and Awareness Raising:
The Role of the Media in Conveying and Countering
Prejudice
Moderator:
- Amb. Luigi Vittorio Ferraris, academic and former Deputy
Foreign Minister of Italy
Introducers:
- Edward Koch, Former Mayor of New York City
- Prof. Odd-Bjørn Fure, Norwegian Holocaust Centre, Director
of Research, Center for Study of the Holocaust and Religious
Minorities in Norway
Following the debate of the Vienna Conference on
anti-Semitism as well as the Human Dimension Implementation Meeting
held in 2003, this session offers an opportunity to register to what
extent media, including internet, have strengthened their role in
promoting tolerance and preventing hate crimes. Freedom of the media
has its counterpart in the responsibility of the media as to the
content of the information they are conveying. The fight against
hate crimes should, however, be balanced with respect for free
expression and a free media. This session could contribute to
operationalizing relevant recommendations.
Representatives of media could discuss how best to
avoid anti-Semitic messages in the media, including internet, as
well as best practices to promote tolerance and community cohesion
through the media. Participating States could elaborate on the role
of media as part of a comprehensive strategy in the framework of
national action plans.
A side-event will be organized to discuss the need to combat hate
crimes, which can be fuelled by anti-Semitic propaganda on the
internet. Participation of relevant NGOs as well as other actors
would be most welcome.
Topics also may include, inter alia:
-- The role of the media in promoting tolerance and preventing hate
crimes;
-- How best to avoid anti-Semitic messages in the media and
internet;
-- The role of the media as part of a comprehensive strategy for
actions at national level;
-- The role of the OSCE and its institutions.
hagalil.com
29-04-2004
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