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Antisemitismus in Frankreich (VI):
"La nouvelle judéophobie" (nach P.-A. Taguieff)

Von Bernard Schmid

Bereits einige Monate vorher war ein anderes, noch mehr Aufsehen erregendes Buch zum Thema erschienen, das in gewisser Weise die philosophische Grundlage für "Die verlorenen Territorien der Republik" bildet (und in dessen Einleitung bereits zu Beginn zustimmend angeführt wird). Es handelt sich um "Die neue Judenfeindschaft" von Pierre-André Taguieff (1).

Der Autor entwickelt darin eine zentrale These: Die von ihm so bezeichnete nouvelle judéophobie sei als Ersatz an die Stelle der revolutionären Utopie getreten und deswegen hauptsächlich die Sache der Linken, die wiederum mit Einwanderergruppen aus muslimischen Ländern und mit der (so genannten) Dritten Welt im Bunde stehe. Sie entspringe "dem Verlangen nach Sinn und nach mobilisierungsträchtigen Anliegen all derjenigen, die, als Waisenkinder der Revolution, weiterhin am Revolutions-Mythos der kommunistischen Tradition orientiert bleiben, in seinen unterschiedlichen marxistischen oder anarchistischen Varianten."

Aber auch derjenigen "Teil der Eliten, ob links oder rechts, liberal oder sozialdemokratisch, der die Überwindung des Nationalstaats" anstrebt, stehe mit dieser Allianz im Bunde, genauso wie "die neo-christlichen humanitären Milieus" und "die neuen Antiimperialisten kommunistischer, trotzkistischer und anarchistischer Tradition". Der Grund dafür ist demnach im Bedürfnis nach einer mobilisierenden Ideologie zu suchen, nachdem das sinnstiftende gemeinsame Band der Nation wegfällt. Dagegen scheint bei dem Autor die "traditionelle extreme Rechte" lediglich als ein eher folkloristisches Phänomen auf.

Ebenso erstaunlich wie ärgerlich an dem Buch wie Taguieff ist, dass er schlicht keinerlei Belege für seine Kernthesen präsentiert. Das ist in fast allen Rezensionen moniert worden, vor allem bezüglich der Behauptung von der strukturellen Allianz zwischen Islamismus und linken (zuzüglich globalisierungskritischer) Milieus in Frankreich (2). Für einige Sektoren, wie die (in Frankreich schwachen) traditionell "antiimperialistischen" Gruppen, von denen manche tatsächlich Affinitäten zum Islamismus aufweisen (freilich mit Sicherheit nicht für "die Linke" in Frankreich insgesamt) hätte sich diese These zumindest konkret diskutieren lassen. Doch Taguieff formuliert eine ideologische, keine wissenschaftliche These, für welche er die Beweisführung antreten müsste. Im Interview mit dem sozialliberalen Wochenmagazin "Le Nouvel Observateur" antwortete er, auf den Mangel an konkreten Materialien und Belegen angesprochen: "Ich formuliere eine Diagnose, ich betreibe keine Denunzierung." Angesichts der Tatsache, dass er dennoch konkrete politische Strömungen benannt hatte, erscheint dies dann doch als eher billige Ausflucht.

Dennoch lassen sich Aussagen zu Taguieffs Beweggründen treffen. Eine wichtige Motivation des Autors erscheint dabei ideologischer, die andere biographischer Natur. Erstens ist Pierre-André Taguieff bereits kurz vor Erscheinen des Buches als offensiver Unterstützer des (links)nationalistischen Politikers und Präsidentschaftskandidaten Jean-Pierre Chevènement aufgetreten. Dieser EU-Skeptiker, der eine eigene Partei anführt ­ sie heißt nach einigen Umbenennungen heute "Republikanisch-staatsbürgerliche Bewegung" (MRC) und spaltete sich zur Zeit der Maastrichter EU-Verträge von der Sozialdemokatie ab -, amtierte von 1997 bis 2000 unter den Sozialdemokraten als Innenminister. Er ist der wichtigste Wortführer eines "republikanischen Nationalismus" französischer Tradition, der sich sowohl aus ideologischen Quellen der Französischen Revolution als auch der Résistance und des Gaullismus speist.

Diese spezifisch französische Unterform des Nationalismus lehnt den "völkischen" oder ethnischen, auf "Rasse" und Herkunft fixierten Nationalismus ab und ist vielmehr auf den Staat, als "politische Gemeinschaft, die von der Herkunft ihrer Mitglieder abstrahiert", fixiert. Insofern ist dieser "staatsbürgerliche Nationalismus" heute zwar politisch rückwärts orientiert ­ er strebt die Wiederherstellung des nationalstaatlichen Sozialkompromisses an, wie er bis in die 60er Jahre bestand -, aber jedenfalls zumindest antifaschistisch ausgerichtet. Dennoch trägt er autoritäre Züge, da er systematisch die Staatsautorität als Ausdruck einer fiktiven "volonté générale" (die wiederum die Indvon den Fesseln ihrer Herkunft emanzipiere) verteidigt. Das war historisch progressiv, als es etwa 1905 die laizistische Schule für alle Kinder gegen die Partikularinteressen und ­ideologien religiöser Gemeinschaften durchzusetzen galt. Es wird zugleich autoritär oder reaktionär, wenn Ex-Innenminister Chevèment heute die Defizite an gesellschaftlicher Integration und Teilhabe von Teilen der Einwandererjugend durch Appelle an "das republikanische Gesetz", an die Polizei sowie durch schulische Autorität beheben will. Oder wenn er Nicht-Staatsbürger zwar nicht aufgrund "rassischer" Merkmale diskriminieren, wohl aber ­ sofern sie "illegal" eingewandert sind ­ wegen Verstößen gegen das "republikanische Gesetz" in größerer Zahl als unter seinen Vorgängern abschieben ließ.

In Bezug auf Rassismus und Antisemitismus verteidigt Chevènement, und mit ihm Taguieff, im Kern den Appel an die Staatsautorität als Repräsentanten der Vernunft gegen die "Leidenschaften, die mit den Partikularinteressen der verschiedenen Communities verbunden sind". Daraus erwächst die Kompatibilität der Herangehensweise von Taguieff mit solchen Standpunkten, die etwa auch die Institution "Schule" gegen ihre störenden Elemente ­ etwa unzureichend sozial integrierte Einwandererkinder ­ verteidigen will. Ferner wird dadurch deutlich, warum Taguieff etwa jene "Eliten, die den Nationalstaaten überwinden wollen" vorrangig für das Anwachsen von Antisemitismus verantwortlich macht.

Zum Zweiten ist an Taguieffs Biographie zu denken, und insbesondere an seinen Bruch mit der Linken, der in den frühen Neunziger Jahren erfolgte. Damals ging es um andere Dinge, nämlich das Verhältnis zu den Intellektuellen der Nouvelle Droite (Neuen Rechten) wie Alain de Benoist. Konnte und sollte man mit ihnen in den Dialog treten? Der damals auf Rechtsextremismus spezialisierte Taguieff war dafür ­ weil er sich davon ein wissenschaftliches Erkenntnisinteresse versprach. Andere Linke und Antifaschisten waren dagegen. Manche unter ihnen denunzierten Taguieff, ziemlich voreilig, als "Kollaborateur" oder verkappten Sympathisanten der neu erwachenden extremen Rechten. Aus dieser Polemik heraus (FUSSNOTE 13) entstand ein lebensgeschichtlicher Bruch Taguieffs mit der Linken, welcher er damals - seinerseits vorschnell verallgemeinernd - vorwarf, ihr Kampf gegen die extreme Rechte widerspiegele "demagogischen" und falschen Alarmismus. Diese alten Spaltungslinien brechen erneut auf, indem Taguieff ­ der an die Seite Chevènements gerückt ist ­ die Brüche von gestern auf eine Weise verarbeitet, wie er es mit seiner generalisierenden Klage an die Linke tut.

Anmerkungen:
(1) "La nouvelle judéophobie." Paris, Mille et une nuits, 2002.
(2) Vgl. etwa die Besprechung durch den Schriftsteller und Rechtsextremismus-Spezialisten René Monzat, der seine Erfahrung im Dechiffrieren antisemitischer (Sub-)Texte hinreichend bewiesen haben dürfte, in der antifaschistischen Zeitschrift "Ras-le-Front" (Nr. 87, April 2002, S. 9): "Quelle mouche a donc piqué Taguieff?" (Welcher Teufel hat Taguieff hier geritten?)
(3) Siehe dazu die Abrechnung von P.-A. Taguieff mit dem linken Antirassismus: "Les fins de l'antiracisme", Paris, Michalon, 1995.

hagalil.com 09-11-2003


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