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Antisemitismus in Frankreich (I):
Facetten der Judenfeindschaft - Erlebte Beispiele

Von Bernard Schmid

Ein Beispiel: Am Rande der Demonstrationen gegen den Irakkrieg im März dieses Jahres machte anfänglich eine "Vereinigung der Iraker Frankreichs" (Association des irakiens de France) auf sich aufmerksam. Es handelte sich dabei um eine regimetreue Vereinigung, die ihre Verflechtungen mit der irakischen Botschaft und den "Diensten" des damals amtierenden Regimes kaum versteckte.

(In der zweiten Hälfte des Irakkriegs allerdings war sie aus den - linken und gewerkschaftlichen - Anti-Kriegs-Demonstrationen verbannt worden, da führende Mitglieder der Pro-Regime-Gruppierung irakische Oppositionelle in den Demos angegriffen hatten. So war am 29. März der irakische Kommunist und Poet Salah Al-Hamdani, der seine Ablehnung des Krieges ebenfalls kundtat, auf dem Boulevard Saint-Germain tätlich angegriffen und verletzt worden, unter tatkräftiger Mithilfe des Spitzenfunktionärs der "Association des Irakiens de France". Daraufhin fand eine dankenswerte Klärung statt, und so wurden die "Iraker gegen Krieg und Diktatur" an die Spitze der folgenden Demonstrationen genommen, und die Handlanger des Regimes von ihnen ausgeschlossen.)

Während der ersten Kriegstage, genauer am 25. März 2003, kann diese Vereinigung allerdings noch einen Lautsprecherwagen während der Kundgebung von Schülern und Jugendlichen auf der Pariser Place de la Concorde stellen. Zu Hilfe kommt ihr dabei die relative Schwäche der Präsenz anderer Kräfte an diesem Spätnachmittag (wir sind an einem Werktag Nachmittag). Aus diesem Anlass können die Umstehenden, die allerdings aufgrund der starken Zerstreuung auf dem riesigen Platz nur 100 bis 200 an der Zahl sind, eine gruselige Rede aus dem Lautsprecher der Organisation hören - den die Pro-Regime-Vereinigung dabei an ein ihr nahe stehendes "Kulturzentrum" abgetreten hatte. Europa und die Araber müssten zusammen halten, wie die Geschichte beweise; dagegen hätten die Amerikaner stets nur Unrecht gestiftet. So sei, fährt der Redner - ein modern gekleideter Schönling mit "mesopotamisch" wirkendem Stufenhaarschnitt - fort, im Zweiten Weltkrieg durch die US-Intervention in Europa mehr Unheil angerichtet worden als durch die Deutschen, sprich die Nazis. Mein Übelkeitsgefühl ist bereits erheblich. (Wenigstens leugnet der Redner den Holocaust nicht, sondern beschränkt sich auf die Aussage, die Araber trügen keine Mitschuld an ihm.) Im folgenden appelliert er an die Jugendlichen aus Einwandererfamilien, die ihn vorwiegend umgaben, wie an eine Elite von morgen: "Ihr müsst Euch bilden, Ihr müsst Euch um Euere Zukunft kümmern, Ihr dürft Euch nicht hängen lassen." Aber warum? Um künftig das Gegengewicht zu jenen zu bilden, die das Land auf den Weg zum Unheil führen, also - man hatte es an dieser Stelle erwartet - "die jüdische Lobby". Denn diese ist gut organisiert, aber in Wirklichkeit doch schwach, so dass man sich nicht unterkriegen lassen darf.

Ein solcher Diskurs kann verfangen, erstens, weil er Mut zu spenden scheint: Die Mauer der Erfolglosigkeit und der Diskriminierungen ist nicht so hoch, wie es aussieht, da sie letztlich doch nur durch eine kleine Bevölkerungsgruppe bewacht zu werden scheint. Zweitens, weil er diesen Jugendlichen aus Einwandererfamilien einen Sinn, ein zielstrebig zu verfolgendes Projekt für ihr Leben vorzugeben scheint. Und drittens, weil er ihnen scheinbar erlaubt, Teil einer "großen Sache", die gemeinsam verfolgt wird, zu sein.

In diesem Fall ging dieser bedrohliche Diskurs nur von einer organisierten Kleingruppe aus, und um die "Association des Irakiens de France" ist es seit dem Ende des Krieges - sei es mangels Betätigungsfeld oder wegen ausbleibender Unterstützung vom Regime - still geworden. Doch zugleich lässt die Schilderung erahnen, welche Zutaten zum Erfolg eines - vorwiegend - gegen die jüdische Community gerichteten Diskurses führen können, falls sie von anderen Akteuren aufgegriffen werden. Malen wir nicht den Teufel an die Wand: Es gibt derzeit keine übergreifende (ideologisierte) Massenbewegung, und das dominierende Element in den französischen Trabantenstädten ist die soziale Atomisierung und gesellschaftliche Ohnmacht. Dennoch ist ein geistiges Grundklima vorhanden, das die Voraussetzungen bietet, um sich - und sei es auf unorganisierte Weise, oder in von Mikrogruppen bestimmter Form - unter Umständen in Bedrohungen und in Gewalt gegen jüdische Menschen zu entladen.

Szenenwechsel. Paris, Ende Juli 2003, an einem heißen Freitagnachmittag (dem muslimischen Gebetstag). Im unteren Teil der rue Polonceau, im 18. Pariser Arrondissement, einem der mit Abstand ärmsten und am stärksten von Einwanderung geprägten Stadtbezirke. Unweit der von vielen maghrebinischen und westafrikanischen Immigranten besuchten Moschee in der rue Polonceau hat ein, reichlich verwahrlost aussehender, "wilder" Prediger für kurze Zeit sein Publikum unter freiem Himmel gefunden. Rund 50 Personen umringen ihn, die meisten dürften Algerier oder Marokkaner sein, auch wenn der auf eigene Faust Predigende Hocharabisch spricht. Einige hören ihm zu, andere sehen etwas verwirrt drein oder wissen anscheinend nicht genau, was der Zirkus soll. Doch der "Spuk" hält nur einige Minuten an.

Der Mann redet sich beinahe in Trance, wild gestikulierend, seine Stimme ist heiser. "Häl hädä hokm eslami? Häl hädä hokm eslami?" fragt er beschwörend in die Runde (Sieht so eine islamische Herrschaft aus?). Sein ausgestreckter Zeigefinger fuchtelt auf der Titelseite einer marokkanischen Tageszeitung herum, man sieht ein Foto des derzeitigen Königs Mohammed VI. und darunter einen Bericht über einen politischen Gefangenen (konkret handelt es sich um den nicht-islamistischen, demokratischen Journalisten Ali Lamrabet, der eine mehrjährige Haftstrafe wegen Majestätsbeleidigung absitzt). Die Antwort erteilt er sich vor seinen Zuhörern gleich selbst: "Lä! Hädä hokm al-yahudi! Hädä hokm al-sijuni!" (Nein, das ist die Herrschaft des Juden, das ist die zionistische Herrschaft!) Und weil es so schön war, wiederholt er es gleich noch mal.

In den Worten des selbsternannten Predigers ging es zwar nicht um die französische Situation, sondern um sein mutmaßliches Herkunftsland. Doch die paranoide, um "die Juden" kreisende, verschwörungstheoretische Welterklärung lässt sich auf unterschiedliche Gesellschaften und ihre jeweiligen Probleme übertragen. Das hier Dargestellte ist ohne jeden Zweifel nicht repräsentativ für "den französischen Islam", sondern beschreibt eine Randfigur, die in einem gesellschaftlich desintegrierten Publikum ­ Neueinwanderer, am Rande der Gesellschaft lebende Arme ­ ihre Zuhörer findet. Allerdings können einige der gedanklichen Versatzstücke, die der Redner benutzt, in erheblich weiteren Kreisen zirkulieren.

Fahren wir mit einem kleinen "Krimi" fort. Paris, Anfang Mai 2002. Es klingelt an der Wohnungstür. Ein junger Mann stellt sich vor: Guten Tag, ich bin der neue Nachbar vom Stockwerk obendran, gerade frisch eingezogen. Wo kommen Sie denn her, fragt er; ich antworte ausweichend. "Ich, ich bin Israeli", meint der andere ungefragt; ich hätte spontan wohl getippt, er stamme aus einem Maghrebstaat, aber es ist mir reichlich egal. "Meine Eltern haben einen der koscheren Läden gegenüber" - die Straßenzeile besteht überwiegend aus koscheren Lebensmittelgeschäften und Supermärkten, die sich hier rund um das ehemalige Gelände der Pariser Schlachthöfe (wo heute der Parc de la Villette liegt) angesiedelt hatten. Einen Moment lang kommt mir das komisch vor, denn die Inhaber sind meines Erachtens in der Regel keine Israelis, sondern jüdische Franzosen oder Einwanderer aus Tunesien und Osteuropa. Aber er muss es ja wissen, außerdem bin ich abgelenkt, da ich mich zum Gehen ankleide. Na, willkommen im Haus.

Ja, ich habe da nur eben ein Problem, meint der junge Mann: Ich habe mich gerade ausgesperrt, und meine Freundin ist auf der Arbeit. Könnte ich nicht mal kurz telefonieren? Aufgrund meiner Eile will ich ihn nicht hereinbitten, also gebe ich ihm das Handy. Der junge Mann sagt ein paar Worte zu seiner Freundin. Um besser zu verstehen, tritt er kurz auf den Treppenabsatz. Nanu, wo ist der Typ denn geblieben? Schon ist er weg, das Handy natürlich gleich mit.

Diese kleine Begebenheit soll nicht illustrieren, dass die Kriminalität ­ oder jene von Einwanderern ­ in Frankreich angeblich überhand nehme. Entgegen konservativer Propaganda gibt es keinen dramatischen Anstieg. Auch als "Opfer" brauche ich mich nicht zu beklagen, und Ersatz für das versicherte Handy zu besorgen, kostete mich 50 Cents und eine Stunde Zeit. Aber viel interessanter ist der psychologische und ideologische Mechanismus, den der mutmaßliche Kleinkriminelle eingesetzt hatte. Man könnte von einer offenkundigen (gedanklichen) Abspaltung als negativ empfundener Eigenschaften von sich selbst sprechen, verbunden mit ihrer Projektion auf andere ­ auf eine zur Verkörperung des Übels bestimmte Bevölkerungsgruppe. Der junge Mann schickte sich an, eine Straftat zu begehen und in das Eigentum eines anderen einzugreifen. Doch für seine Tat machte er wohlweislich vorab jüdische Menschen verantwortlich, vielleicht in der Hoffnung, dies möge hinterher im Kopf des Gegenübers hängen bleiben.

Erlebnisse wie die geschilderten sind keine repräsentative Darstellung, sofern es darum geht, das Leben der rund vier Millionen Einwanderer und ihrer NachfahrInnen aus muslimischen Ländern in Frankreich zu beschreiben. Unter ihnen befinden sich engstirnige ebenso wie weltbürgerlich denkende, strenge religiöse Praxis betreibende ebenso wie faktisch ungläubige Menschen, Fußball spielende Mädchen und "sexy" gekleidete Schülerinnen ebenso wie schwarz eingehüllte Töchter mit "züchtig" bedecktem Haupthaar, sensible KünstlerInnen ebenso wie eine kleine Zahl terroristisch Handelnder (die 1995/96 einige Bombenanschläge in Frankreich, u.a. auf die Pariser Metro, verübten). Dennoch bezeichnen sie eine Tendenz, die seit einigen Jahren zunimmt, drücken sie ein gewisses Klima aus, dessen Einfluss bestimmte Teile der Gesellschaft erfasst.

Doch es gibt auch positivere Beispiele. So fanden nach der Gewaltwelle im Frühjahr 2002 zahlreiche gemeinsame Veranstaltungen von Institutionen beider Bevölkerungsgruppen - der jüdischen und der "arabischen" - statt. Etwa gemeinsame Sondersendungen und öffentliche Veranstaltungen von Radio Shalom und Radio Beur ("Beurs" heißen seit den 80er Jahren die arabischstämmigen Einwandererjugendlichen). Und es war ein arabischstämmiges Einwandererkind, das vor anderthalb Jahren bei Indymedia Frankreich Alarm schlug, als dort offen antisemitische Texte zu kursieren begannen und von einigen französischen und belgischen Betreibern des Projekts zumindest sträflich verharmlost wurden. So hatte ein Khaled Amyreh u. a. geschrieben, das Übel gehe auf das 7. Jahrhundert (christlicher Zeitrechung) zurück, als "die Juden sich mit den Polytheisten vom (arabischen) Stamm der Quraisch verbündet (hätten), um den Propheten des Islam zu töten". Derselbe (!) Konflikt setze sich auch nach dem 11. September 2001 fort, wobei die "zionistisch kontrollierte Presse" in den westlichen Ländern dazu aufrufen, Moslems zu töten. Doch "die Juden" hätten nunmehr "die Verantwortung für ihre widerliche Dummheit selbst zu tragen". Die am Projekt beteiligten Franzosen und BelgierInnen spielten dieses übel riechende Zeug zunächst herunter. Vielleicht weniger aus Zustimmung denn aus einem paternalistischen Herangehen heraus - man müsse das doch zumindest von der Situation in Palästina her verstehen (unausgesprochen steckt dahinter, man solle mit arabischen Menschen vielleicht nicht zu anspruchsvoll sein).

Eine Tochter arabischer Immigranten, die unter dem Aktivistennamen "Massalia" zu den führenden BetreiberInnen des Projekts zählte, zog daraufhin die Alarmglocke. Sie schaltete u.a. die autonome Antifagruppe Scalp-Reflex und eine KP-nahe Palästina-Solidaritätsvereinigung (die antisemitischen Interpretationen des Nahostkonflikts explizit entgegentritt) ein. Beide bezeichneten die umstrittenen Texte sofort als antisemitisch und verurteilten ihre Veröffentlichung scharf; für den Fall ihrer Nichtentfernung drohten sie damit, Indymedia Frankreich künftig zu boykottieren. Das war dann gar nicht erforderlich, denn der Konflikt in der Redaktion bzw. dem "Animateurskollektif" des angeblich alternativen Mediums eskalierte derart, dass es im Juni 2002 sein Betreiben einstellte. Seitdem existieren nur noch ein halbes Dutzend regionaler Inndymedia-Websites in manchen französischen Städten, aber kein Indymedia Frankreich mehr. Was angesichts dessen, was dort publiziert worden war, aber auch kein Verlust sein dürfte (1).

Oftmals befinden sich die Jugendlichen arabisch-migrantischer Herkunft in einer Grauzone, wo sie zwischen verschiedenen Einflüssen hin- und hergerissen sein können. Viele von ihnen lehnen die kommunitaristische Borniertheit ab, da sie wissen, dass sie nur selbst Schaden davon nehmen können. Andererseits haben viele, aufgrund des realen Auseinanderdriftens verschiedener Bevölkerungsgruppen, mitunter gar keinen persönlichen Kontakt mit jüdischen Menschen. Das erleichtert das Projizieren von Bildern und das Kultivieren angesammelter Ressentiments oder Stereotypen ("Juden, das sind die mit ihrer dummen Mauer" in Palästina). Jedenfalls dort, wo sich das Ressentiment nicht so verfestigt hat, dass es erfahrungsresistent geworden ist - es ist zu befürchten, dass das bei einem "harten Kern" der Fall ist, doch interessanter sind die anderen Personen - lässt sich dem durchaus entgegentreten.

So zum Abschluss eine andere Begebenheit. Am 6. April 2002, einem Samstag, in einem vollbesetzten Waggon der Pariser Metro. Dieser fährt auf die Place de la République zu, wo kurz darauf eine Demonstration gegen die israelischen Militäroperationen in den besetzten Gebieten stattfinden wird. Die meisten Insassen des Abteils befinden sich auf dem Weg dorthin. Ein junger Mann fängt irgendwann zu schimpfen, erst leise und dann immer lauter: "Die Juden, die Juden. Was machen sie mit unseren Brüdern. Und auch in Frankreich sind sie frech!" Plötzlich steht ein älterer Mann auf, wohl deutlich über 60, und fährt ihn an: "Was willst Du? Was weißt Du überhaupt? Du hast doch keine Ahnung. Ich bin Jude. Und ich bin auf dem Weg dorthin, wo Du auch hinfährst. Und ich habe gegen den Einmarsch im Libanon demonstriert, als Du noch nicht die Augen aufgemacht hattest. Also sag mir, was willst Du?" Die Spannung im Waggon steigt, doch der Angesprochene bringt nur einige unzusammenhängende Satzfetzen hervorgestammelt. Die meisten Anwesenden beobachten die Szene, vorwiegend stumm, doch die Sympathien scheinen ganz überwiegend auf der Seite des älteren Herrn zu liegen. Der junge Mann, der sich blamiert hat, zieht beim Aussteigen den Kopf zwischen die Schultern und grummelt gegenüber seinen Freunden vor sich hin.

Typische Szenen? Keine von ihnen, oder alle von ihnen. Die gesellschaftliche Realität ist komplex. Dennoch lassen sich klare klimatische Tendenzen ausmachen.

Anmerkung:
1) Näheres zu dem Konflikt beim damaligen Indymedia Frankreich siehe unter "Mehr Abfall für alle", in "Jungle World" vom 26.06.02.

hagalil.com 02-11-2003


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