Was Sie schon immer über
Antisemitismus wissen wollten:
oder - "Frech wird er auch schon wieder, der Jud"...
von Bernd Späth
Gleich im ersten Absatz meines Romans "Trümmerkind"
lesen Sie den Satz "Schon als Kleinkind hatte ich
gelernt, dass der Jud’ (A) schon wieder überall drinsteckt und (B) schon
wieder frech wird..."
Und mit einem Schlag, da fühle ich mich wieder mitten drin
und sehe mich zutiefst bestätigt in meiner alten Skepsis: die Deutschen,
erfahrene Meister der jeweils angesagten political correctness, haben
sich Jahrzehnte lang brav in Beteuerung geübt. Und dennoch nie begriffen -
geschweige denn hinterfragt - dass die Ermordung der Juden ein Akt
gigantischer deutscher Selbstverstümmelung war: Sie haben es nie verstanden,
dass Sie mit den Juden einen Teil ihrer selbst ausgerottet haben. Deutsche
gegen Deutsche, eine Art von staatlich gelenktem Bürgerkrieg. Was läuft
eigentlich ab in einem Volk, das sich lautstark teilamputiert? Nun ja, da
ist es schon leichter, man externalisiert: "Es war halt doch a Fremdvolk,
net wahr, und jetzt, i sag amal so, nicht grad sehr integrationswillig,
aber arg vorlaut, gell."
Ich entsinne mich eines Gesprächs mit meiner über
80-jährigen Tante Resi aus Jesenwang. Eine herzensgute Frau, an der ich sehr
hänge: schlicht, bäuerisch, geradlinig, durch und durch ehrlich. Es liegt
erst wenige Wochen zurück, dass wir über den ermordeten
Fürstenfeldbrucker Viehhändler Pickart sprachen. Ein Jud’. Faktisch die
zentrale Romanfigur im „Trümmerkind“.
„Jaaa, des war ein Lustiger! Den ham mir allweil mögen!“
„Du hast ihn gekannt?“
„Ja freilich! – Geh weiter, Vatter! hat er allweil g´sagt... Geh
weiter, Vatter ...! Beim Viehhandel, da war er g´wandt... Ein ganz
Lustiger. Auf den hab i mich allweil g´freut!“
„Weißt Du, was sie mit ihm gemacht haben?“
„Ja mei, ´naus ´tan werden s´ihn halt haben...?“
„Hinaus? Was meinst Du mit hinaus?“
„Ja, naus halt...!“
„Wohin genau?“
„Ja, naus .... naus halt. ... Wo s´herkommen sind ...“ Keine Spur von
Gehässigkeit, schon echte Arglosigkeit. „Da, wo s´halt herkommen sind.“
„Du meinst Israel?“
„Ja, freilich. Da, wo s´halt herkommen sind.“
„Er kam nicht aus Israel. Er kam aus Fürstenfeldbruck.“
Ich erzählte ihr, was sie wirklich mit ihm gemacht hatten.
Ich erzähle es hier nicht. Tante Resi wurde sehr still. Ich sah Sturzbäche
jäher Erkenntnis durch das alte, zerfurchte Gesicht laufen. In diesem
Augenblick stand sie mir besonders nah. – Lieber spät begreifen, als gar
nicht.
„Jessas“ sagte sie leise. „Ja i hab halt g´meint, sie
hätten ihn ´naus ´tan...“
Wenigstens sagte sie nicht, er sei selber schuld dran
gewesen. Vielmehr erzählte sie vom lustigen Pickart mit seinen
Schneckerllocken und von dem jüdischen Viehhändler Kahn, der als einer der
Wenigen im Landkreis ein Auto besessen habe. „Der hat uns Kinder immer
mitfahren lassen. – Mei, das war schee!“ - - Schon komisch. Irgendwie schien
er damals dazu gehört zu haben, der Jud´. Nur schad´, dass er den Bauern die
Ställe gleich so arg ausräuberte, dass man deshalb in Theresienstadt 20.000
Kinder umbringen musste, rein aus Selbstschutz, natürlich. Und - wer
hätte es gedacht! – dank Möllemann, da taucht sie wieder auf, die alte
Logik, die ich noch aus zahllosen Stammtischgesprächen in den Ohren habe.
Mit dem Isinger Franzi, dem Vordermeier Schorschi, dem Duchtl Sepperl, dem
Plinganser Kurti, dem Feichtl Franzi und dem Gross Gusti: "Hätten´s ihnen
anständig aufg´führt, nachert wär´ ihnen gar nix passiert." – Gegen so was
kommt man nicht an. Klar reicht dann auch ein einzelner Michel Friedman aus
- nicht ausnahmslos ein Sympathieträger -um aus einem denkbaren
Unsympathen das bewährte Klischee des "schmierigen Juden"
herauszudestillieren: arrogant, aufdringlich, eitel, gehässig - "der
Jud´halt, net wahr."
Man müsste überlegen, warum einer, der Friedman nicht mag,
nicht auf die Idee kommt, ihn voller stirnzerfurchter Besorgnis als
arroganten Hessen zu bezeichnen. TV-Ton Möllemann dann vielleicht: "Denn wir
wollen keine öffentlichen antihessischen Ressentiments". Aber dazu muss er
natürlich zuerst amal selber beitragen, der Hess´, net wahr...? Übertrieben?
Maybe. Nicht übertrieben ist: Möllemanns Erguss klingt nach Vor-Milosevic:
Erstmalig seit Kriegsende macht ein Politiker öffentlich Stimmung gegen eine
Gruppe der deutschen Bevölkerung.
Herrn Westerwelle vergessen wir mal getrost. Kein
Radfahrer hält eine Dampfwalze auf. Doch wenn es durchgehen kann, dass einer
mit der Möllemann´schen Perfidie sich glatt behauptet, ohne augenblicklich
aus FDP und Bundestag zu fliegen, dann riecht es in diesem unserem Lande
schon etwas übler, als wir bisher dachten. Dann ist der klammheimliche
Konsens darüber, "dass man den Juden sechzig Jahre nach dem Krieg auch mal
wieder Kontra geben dürfen muss", schon wieder richtig politikfähig
geworden. Franz Möllhuber lässt grüßen. – Drum darf die Debatte über den
unsäglichen Rheinländer M. nicht zur Eintagsfliege werden, bevor sich in
diesem unserem Lande eine antirheinische Stimmung aufbaut, „die wir nicht
wollen“.
Mein Gott. Würden die Deutschen es nur endlich
einmal schaffen, ihren Antisemitismus als Bestandteil deutscher Realität zur
Kenntnis zu nehmen, statt ihn augenblicklich beflissen zu dementieren, dann
– aber auch nur dann - hätten sie erstmalig eine Chance ihn wirksam
anzugehen. Die vertrauten Betroffenheitsrituale jedenfalls haben sich
verbraucht. Unter der Decke der Wohlanständigkeit wuchert der Schimmel.
Aus dem 1. Kapitel des Romans "Trümmerkind":
MATUSOWICZ, DER JUD'
Sicherungsmechanismen gegen das
Wirken pathologischer Charaktere:
Möllemann ins Kloster
Was politisch in der letzten Zeit
schief gelaufen ist, das sehen wir. Was in Jürgen W. Möllemann selbst schief
läuft, können wir nur erahnen...
hagalil.com
17-06-2002
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