antisemitismus.net / klick-nach-rechts.de / nahost-politik.de / zionismus.info

haGalil onLine - http://www.hagalil.com
     

hagalil.com
Search haGalil


Newsletter abonnieren
Bücher / Morascha
Koscher leben...
Jüdische Weisheit
 
 

Schlussüberlegungen:
Die Zwangsdisputation von Barcelona 1263

Von Andrea Livnat

Abschließend stellt sich die Frage, ob die Disputation von Barcelona tatsächlich, wie Jeremy Cohens argumentiert, in einer langen Kette von Repressionen zu sehen ist, die letztlich zu einer neuen antijüdischen Ideologie führten, oder aber, wie Robert Chazan favorisiert, im Kontext des spanischen Judentums und unter Berücksichtigung der speziellen Umstände zu sehen ist. Ich halte Cohens Ansatz für wesentlich plausibler. Zeigt sich doch bereits in den  Jahrzehnten nach der Disputation von Paris im Jahr 1240 und der darauf folgenden Talmudverbrennung von 1242, dass die Inquisitoren der Bettelorden ihre Verfolgung rabbinischer Literatur weiter fortführten, Juden zusammentrieben, um ihren hetzerischen Predigten zu lauschen und letztendlich auf die komplette Zerstörung gewisser jüdischer Gemeinden hinarbeiteten.

Die spanische Dominikanerschule von Raymond de Penaforte, der auch Pablo Christiani angehörte, entwickelte den Vorwurf der Häresie gegen die Juden und den Talmud so weiter, dass eine Ideologie entstand, die deren Vernichtung per Konversion zum Ziel hatte, Konversion des gesamten europäischen Judentums. Ab dem 13. Jahrhundert wuchsen antijüdische Gewalttätigkeiten in Europa an; erst ab dieser Periode wurden Juden als Satan angesehen, Ritualmordbeschuldigungen kamen auf. Auch die Repräsentation in der christlichen Kunst ändert sich, wie sich durch die Darstellungen der "Judensau" aus dieser Zeit nachweisen lässt. Die Gleichstellung von Juden mit dem Teufel führte letztendlich auch dazu, dass die Juden im folgenden Jahrhundert für die Pest verantwortlich gemacht wurden. Voraussetzung für diese Entwicklungen gehen mitunter auf die aggressive Missionstaktik der neuen Bettelorden zurück. Die Disputation von Barcelona muss dabei als wichtiger Handlungsmoment gesehen werden.

Fra Pablo Christianis Ansatz wurde bei den Dominikanern zwar nicht als voller Erfolg gewertet, aber galt auch nicht als Niederlage; weitere Aktivitäten wären sonst nicht zu erklären. In wie weit er und die Dominikaner in der Folge der Disputation für die Auswanderung von Nachmanides nach Eretz Israel verantwortlich waren, ist unklar. Mag sein, dass der Druck des Ordens und der Kirche dafür sorgten, dass Nachmanides das Land verließ, obwohl er durch eine königliche Verordnung unter Schutz stand. Es kann aber auch sein, dass die "Alijah" des Gelehrten aus spirituellen Gründen stattfand, die nicht in direktem Zusammenhang mit der Disputation standen. Andererseits kann der relative Erfolg Pablo Christianis gerade durch seinen Widersacher selbst verdeutlicht werden. Nachmanides hätte das Protokoll, sein Sefer haBikuach, nicht verfasst, wenn er nicht von einer weiteren Bedrohung durch die Missionsbestrebungen der Mönche ausgegangen wäre. Zudem verfügte König Jacob I. in Folge der Disputation verschiedene Erlasse, darunter ein Edikt, das Pablo Christiani ausdrücklich als Schlüsselfigur in der Mission erwähnte: "We firmly command and order you that, when our beloved Friar Paul Christian (...), whom we send to you in order to exhibit the path of salvation, come to you (…), you must come to him and listen gently and favorably and humbly and without calumny and subterfuge answer his questions concerning faith and sacred scriptures, according to your knowledge. Your books – which he will need for showing you the truth – you must present to him."[1] Ein weiteres Resultat, das aus den Erfahrungen der Disputation hervor ging ist das Pugio fidei, das gleichzeitig den Höhepunkt der neuen Missionsstrategie darstellt. Die Entstehung des Buches macht außerdem klar, dass sich die Dominikaner durch Barcelona auf dem richtigen Weg sahen und in dieser Richtung weiteres unternahmen.

Die weitere Geschichte der Missionsbestrebungen der Kirche zusammenfassend darzustellen, würde an dieser Stelle zu weit führen. Es sei jedoch abschließend auf ihren Endpunkt hingewiesen. Der tiefe Einschnitt in der jüdischen Geschichte durch die Shoah und zahlreiche theologische Diskussionen haben dazu geführt, dass die beiden Kirchen offiziell keine "Judenmission" mehr betreiben. Trotzdem gibt es zahlreiche Gruppen, Freikirchen und sektenartige Bewegungen, die die Bekehrung von Juden mit aggressiven Methoden fördern. Diese "Missionare" haben mittlerweile eine weitreichende Logistik entwickelt und nutzen auch die modernen Kommunikationstechnologien. Seit Sommer 2000 hat sich die Zahl der deutschsprachigen messianischen Internetseiten vervierfacht. Auf diesen Seiten wird in der Regel über Israel aus jüdischer Sicht informiert, umgeben von jüdischen Symbolen wie Davidstern, Menorah und Schofar, und jüdische Feiertage werden unter christologischem Aspekt erklärt.  Zudem sind die missionarischen Internetseiten mit national-religiösen Seiten und Radiostationen in Israel, wie etwa dem Piratensender Arutz Shewah, verlinkt und unterstützen die radikalen Siedlerbewegungen.

Die Gruppen stammen aus dem evangelikalen und charismatischen Spektrum der Freikirchen, freier Werke innerhalb der evangelischen Landeskirchen, wie beispielsweise der "Bund für entschiedenes Christentum", oder aus Gruppen außerhalb der Kirchen, die eingetragene Vereine gegründet haben, darunter der "Evangeliumsdienst für Israel", "Internationale christliche Botschaft" und "Christliche Freunde Israels". Ihnen allen ist eines mit den Anfängen der aggressiven Judenmission aus dem Mittelalter, die die neuen Bettelorden einführten, gemeinsam. Sie vertreten radikale Missionsansätze, die darauf abzielen, jeden Juden zum Glauben an Jesus zu bekehren. Dem Judentum wird damit letztlich die Berechtigung abgesprochen, das Ergebnis ist dem "eliminatorischen Antisemitismus" zu vergleichen. Ich schlage daher vor, in diesem Zusammenhang von "eliminatorischer Mission" zu sprechen.

Zurück

Anmerkung:
[1] Robert Chazan, Daggers of Faith, S. 45 f.

Quellen und Literatur

Quellen:

Denifle, Heinrich: Quellen zur Disputation Pablos Christiani mit Mose Nachmani zu Barcelona 1263, in: Historisches Jahrbuch im Auftrag der Görres-Gesellschaft 8, München 1887.
Die Heilige Schrift. Ins Deutsche übertragen von Naftali Herz Tur-Sinai, Neuhausen-Stuttgart 1993.
Mutius, Hans-Georg von: Die christlich-jüdische Zwangsdisputation zu Barcelona. Nach dem
hebräischen Protokoll des Moses Nachmanides, Frankfurt a.M. 1982 (Judentum und Umwelt 5).

Literatur:

Baer, Fritz Yitzhak: Studien zur Geschichte der Juden im Königreich Aragonien während des 13. und 14. Jahrhunderts, Berlin 1913.
Ders.: A History of the Jews in Christian Spain, Volume 1, Philadelphia 1961.
Bensch, Stephen P.: Barcelona and Its Rulers, 1096-1291, Cambridge 1995 (Cambridge Studies in Medieval Life and Thought 26).
Chazan, Robert: Daggers of Faith. Thirteenth-Century Christian Missionizing and Jewish Response, Berkeley, Los Angeles, Oxford 1989.
Ders.: The Barcelona Disputation of 1263: Goals, Tactics, and Achievements, in:
Lewis, Bernard / Niewöhner, Friedrich (Hg.): Religionsgespräche im Mittelalter. Vorträge, gehalten anläßlich des 25. Wolfenbüttler Symposiums vom 11.-15. August 1989 in der Herzog August Bibliothek, Wiesbaden 1992 (Wolfenbüttler Mittelalter-Studien 4).
Ders.: Barcelona and Beyond. The Disputation of 1263 and its Aftermath, Berkeley, Los Angeles, Oxford 1992.
Ders.: Medieval Stereotypes and Modern Antisemitism, Berkely and Los Angeles 1997.
Cohen, Jeremy: The Friars and the Jews. The Evolution of Medieval Anti-Judaism, Ithaca and London 1982.
Fox, Marvin: Nahmanides on the Status of Aggadot: Perspectives on the Disputation at Barcelona, 1263, in: Journal of Jewish Studies, vol. XL, no. 1, 1989.
Funkenstein, Amos: Basic Types of Christian Anti-Jewish Polemics in the Later Middle-Ages, in: Viator. Medieval and Renaissance Studies, vol. 2, 1971.
Schreckenberg, Heinz: Die christlichen Adversus-Judaeos-Texte (11.-13.Jh.). Mit einer Ikonographie des Judenthemas zum 4. Laterankonzil, Frankfurt a.M. 1988 (Europäische Hochschulschriften, Reihe XXIII – Theologie, Band 335).
Ders.: Die christlichen Adversus-Judaeos-Texte und ihr literarisches und historisches Umfeld (13.-20.Jh.), Frankfurt a.M. 1994 (Europäische Hochschulschriften, Reihe XXIII – Theologie, Band 497).
Stemberger, Günter: Einführung in die Judaistik, München 2002.
Twersky, Isadore (Hrsg.): Rabbi Moses Nahmanides (RAMBAN): Explorations in His Religious and Literary Virtuosity, Cambridge 1983.

אונא, יצחק: רבי משה בן נחמן- הרמב"ן. חייו ופעילותו, ירושלים 1976 3.
בער, פריץ יצחק: לבקורת הוויכוחים של ר' יחיאל מפאריש ושל ר' משה בן נחמן, בתרביץ למדעי הרוח, שנה ב', ספר ש', ירושלים תרצ"א.

hagalil.com 27-12-2006


Spenden Sie mit PayPal - schnell, kostenlos und sicher!
 

haGalil.com ist kostenlos! Trotzdem: haGalil kostet Geld!

Die bei haGalil onLine und den angeschlossenen Domains veröffentlichten Texte spiegeln Meinungen und Kenntnisstand der jeweiligen Autoren.
Sie geben nicht unbedingt die Meinung der Herausgeber bzw. der Gesamtredaktion wieder.
haGalil onLine

[Impressum]
Kontakt: hagalil@hagalil.com
haGalil - Postfach 900504 - D-81505 München

1995-2014 © haGalil onLine® bzw. den angeg. Rechteinhabern
Munich - Tel Aviv - All Rights Reserved