Die Zwangsdisputation von Barcelona 1263:
Argumentationsstrategien der christlichen Seite
Von Andrea Livnat
Die
missionsbegierigen neuen Bettelorden gaben sich mit den alten
Argumentationsmustern nicht mehr zufrieden, da diese wenig effizient
waren und außerdem den Wunsch, die jüdischen Gemeinden durch und
durch zu durchdringen, nicht erfüllen konnten. Man suchte nach einem
psychischen Faktor in der Missionierung und Antwort auf die Frage,
wie man das jüdische Leben an sich angreifen konnte.
Erst das
wachsende Bewusstsein von der Bedeutung der postbiblischen Schriften
im Judentum und der Möglichkeit, den Talmud als neuen Angriffspunkt
zu wählen, eröffnete neue Perspektiven für die christlichen
Missionare. Die Erkenntnis, dass die Überzeugung der Juden von der
Wahrheit des Christentums über Exegese erreicht werden könnte, setze
einen Prozess in Gang, der versuchte, die jüdische Auslegung zu
neutralisieren oder besser noch zu instrumentalisieren. Das
Verständnis des Stellenwertes und der Bedeutung der Exegese im
Judentum musste dabei gleichzeitig die Erkenntnis bringen, dass
diese Exegese der christlichen genau entgegengesetzt war. Umso mehr
war es nötig, das Judentum wirklich gut zu verstehen, die Auslegung
und Argumentation der anderen Seite zu kennen, die Sprache und
Ausdrucksweise der Juden zu kennen. Konvertiten, wie beispielweise
Pablo Christiani, kam daher besondere Bedeutung zu.
Dreh- und
Angelpunkt des neuen Ansatzes in der Mission war also, den Beweis
für die christliche Wahrheit aus den jüdischen Quellen selbst zu
erbringen. Dadurch würde diese Erkenntnis nicht von außen
aufgezwungen, sondern quasi natürlich von intern belegt erscheinen.
Da Jesus Christus im Talmud allerdings nicht ausführlich erwähnt
wird und mit dem jüdischen Messias in Verbindung gebracht werden
kann, musste ein Weg gefunden werden, trotzdem zu beweisen, dass
Jesus der Messias ist. So könnte man den Juden beweisen, dass sie
einer falschen Konzeption des menschlichen Messias anhängen. Hätte
diese Strategie Erfolg, würde ein enorm hoher psychologischer Druck
auf die jüdischen Gemeinden ausgeübt werden. Man würde den Juden
nicht nur beweisen, wie mächtig die Kirche ist, so mächtig nämlich,
dass sie auch die rabbinische Literatur verstanden und auszulegen
wusste, gewichtiger wäre die scheinbare Erkenntnis, dass die großen
jüdischen Gelehrten die eigenen Schriften quasi in christologischer
Auslegung lesen. Der Beweis, dass der Messias in Gestalt von Jesus
Christus bereits gekommen ist, hätte außerdem negative
psychologische Konsequenzen für die jüdischen Gemeinden, die gerade
zu dieser Zeit von starken Erlösungshoffnungen zehrte.
Die Neuerung in
der Disputation von Barcelona in der Argumentationstaktik der
christlichen Seite war jedoch nicht der Versuch zu beweisen, dass
Jesus der Messias ist. Die Neuerung liegt in der Art und Weise wie
die Argumentation angelegt wurde. Pablo Christiani baute eine
Kausalkette von Argumenten, die, wenn er sie alle schlüssig erklären
könnte, nur den einen Rückschluss zulassen würden; nämlich dass
Jesus Christus der Messias ist und die Juden damit die Wahrheit der
christlichen Lehre zu akzeptieren haben. Robert Chazan nennt diese
neue Taktik "deliberate abstraction".
Die neue Argumentationstaktik schien theoretisch
erfolgsversprechend, praktisch erwies sie sich jedoch als äußerst
künstlich und problematisch und wurde von Nachmanides entsprechend
angegriffen. Fra Raymond Martin gab die neue Linie daher bereits
nach Kurzem wieder auf.
Wie aus der
Beschreibung der Tagesordnung für die Disputation der beiden
Protokolle hervorgeht, sollten mindestens drei, wahrscheinlich aber
vier Punkte diskutiert werden: Ob der Messias bereits gekommen sei,
ob er eine gottmenschliche Natur besitze, ob er für das Heil der
Menschen gelitten und gestorben sei und ob das jüdische Gesetz das
wahre sei. Würde es Pablo Christiani gelingen, die ersten drei
Punkte zu beweisen, so konnte der Messias aus seiner Sicht nur Jesus
von Nazareth entsprechen. Daher bestand er auch darauf, alle drei
Themen einzeln und voneinander unabhängig zu besprechen. Seine
Argumente bezog Pablo Christiani einerseits aus der Bibel, wobei er
viele Standardpassagen wählte, die in der christlich-jüdischen
Auseinandersetzung seit langem diskutiert wurden, wie beispielsweise
gleich zu Beginn der Disputation die Stelle Bereschit 49:10,
andererseits bediente er sich auch diverser Talmudpassagen und
Aggadoth. Allgemein argumentierte er dann an Standardtexten, dass
Juden ihn falsch verstehen würden und unrecht hätten.
Der erste Punkt
der Kausalkette, dass der Messias bereits gekommen sei, war für die
weitere Argumentation der entscheidendste und nimmt den meisten Raum
innerhalb der Disputation ein. Er zeigt auch die große Schwäche von
Pablo Christianis Taktik. Nachdem es ihm nicht gelang, diesen ersten
Punkt überzeugend nachzuweisen, war auch die weitere Diskussion
dadurch in Gefahr. Nachmanides wies immer wieder darauf hin, dass es
Fra Pablo Christiani nicht gelungen war, den ersten Punkt zu
beweisen und bezweifelte den Sinn der Aussprache über die weiteren
Punkte.
Die Entwicklung
der neuen Argumentationstaktik, genau wie die Antworten von
jüdischer Seite, entstand aus einem Prozess, der seit den 1240er
Jahren nach neuen Möglichkeiten in der Missionierung suchte. In
Barcelona fand die neue Strategie sicherlich nicht zum ersten Mal
Anwendung, aber ihren größten Anlauf. Die Barcelona Disputation kann
als großer Test, als Generalprobe der neuen Missionstaktik gesehen
werden.
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Schlussüberlegungen
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Anmerkungen:
Chazan, The Barcelona Disputation of 1263, S. 84.
Ebenda, S. 82.
hagalil.com
20-10-2006
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