Lange Nacht
im DeutschlandRadio Berlin
Sendung
vom: Freitag
24.09.99 • 23:05
Eine Lange
Nacht der israelischen Literatur
Das große Erwachen
Moderation: |
Jochanan
Shelliem |
Studiogäste: |
Benny Barbasch
Judith Katzir Etgar Keret Sami Michael |
Für die
Staatsgründer von Israel war von Anfang an klar, dass Hebräisch -
Ivrit - die Sprache Israels sein musste und nicht das Jiddisch des
Exils. Literatur in hebräischer Sprache ist so eine noch junge
Literatur. Hebräisch, die Sprache der Bibel, hat sich verjüngen
und entwickeln, hat alltagstauglich werden müssen. Vier Autoren
stehen mit ihrem Werk exemplarisch für die junge israelische
Literatur: Benny Barbasch, Etgar Keret, Sami Michael und Judith
Katzir.
Benny Barbasch, 1951
geboren, begann als Drehbuch- und Theaterautor. Zwei Romane sind bisher in
Israel von ihm erschienen: "Das große Erwachen" und "Mein erster Sony",
sein erster in Deutschland veröffentlichter Roman. Etgar Keret, 1967
geboren, gilt als einer der interessantesten unter den jungen israelischen
Schriftstellern. Sami Michael wurde 1926 in Bagdad geboren und kam 1949
nach Israel. Seine Muttersprache ist Arabisch. "Viktoria", Sami Michaels
jüngster Roman erschien 1993. Judith Katzmir, Jahrgang 1963, studierte
Literatur und Filmgeschichte. Sie gilt als eine der wichtigsten
literarischen Stimmen ihres Landes, ihre Bücher sind in Israel Bestseller.
Hebräische Literatur ist
multikulturell, die Einwanderer entstammen allen Teilen der Welt. Die
Staatsgründung Israels war Anlass für eine Lange Nacht über die
vielstimmige und vielschichtige Literatur dieser jungen Nation.
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Abschied von den Mythen
Verblüffende Wandlungen hat die israelische Literatur schon erlebt,
seit die Pioniere den Staat gründeten Von Patricia Reimann
"Wenn wir hier in Erez
Israel Verbrecher, Huren und Alkoholiker haben werden wie alle anderen
Völker auch, dann endlich werden wir ein normales Volk sein", hatte der
Dichterfürst Chajim N. Bialik gemutmaßt und nicht geahnt, wie schnell der
eine Teil seiner Vision Realität werden und dabei die Einlösung des
zweiten Teils schuldig bleiben würde: Von "Normalität" kann keine Rede
sein. Gerade das verleiht der Literatur dieses Landes ihren besonderen
Reiz. Sie ist so vielstimmig und facettenreich wie der multiethnische
Staat es vermuten lässt. Ihre Sujets entstammen jenen multiplen,
landestypischen Spannungsfeldern, die so etwas wie Einheitlichkeit der
Gesellschaft gründlich untergraben: Die ältere noch von den Pionieridealen
der zionistischen Gründerväter geprägte Generation steht den jüngeren
Sabres, den im Staat Israel geborenen Juden gegenüber; die Aschkenasim
(osteuropäische, deutsche und amerikanische Einwanderer und ihre
Nachkommen) den Sephardim (Abkömmlinge der "spanischen" bzw.
"orientalischen" Juden), Laizisten den Orthodoxen, Juden den Arabern.
Hier können Sie weiterlesen:
http://www.fr-aktuell.de/fr/spezial/israel50/t701017.htm
Patricia Reimann ist
Lektorin und Übersetzerin und hat in diesem Jahr das Programm der 9.
Internationalen Frühjahrsbuchwoche "Literatur aus Israel" erarbeitet.
Erschienen ist ihr Artikel in der Frankfurter Rundschau.
Benny Barbasch: Mein erster Sony. Berlin Verlag, 39,80 DM.
Die Familie des 10jährigen
Jotam ist eine Ansammlung von Versagern, Fanatikern und Verrückten. Jeder
hat seine eigene Geschichte und diese dokumentiert Jotam mit seinem
Kassettenrekorder, seinem ersten Sony. Wo immer die Familie ihren Mund
öffnet, lauert das Mikrophon und wird Zeuge haarsträubender wie
bewegender, liebevoller wie rüder Szenen. Jotams Eltern trennen sich
gerade zum wiederholten Male, weil der Vater beruflichen Misserfolg mit
Affären kompensiert. Die Mutter beginnt ein Verhältnis mit dem russischen
Einwanderer Leonid, der seine Ausweisung aus Israel nur verhindern kann,
wenn er sich beschneiden lässt. Jotams Großvater ist eine imposante
Persönlichkeit, die den Holocaust im politischen Untergrund überlebt hat
und der Familie bei jeder Gelegenheit die Verkommenheit der israelischen
Gesellschaft vorhält. Durchgeknallte Tanten und religiös-fanatische Onkel,
sowie exzentrische Freundinnen der Mutter komplettieren das
Kuriositätenkabinett, das Jotam auf etlichen Kassettenseiten festhält.
Entstanden ist eine Chronik, die in rasanter Abfolge den ganz normalen
Wahnsinn einer Familie beschreibt. Die Typen sind zwar allesamt etwas
extrem, aber doch wiederum so realistisch und nachvollziehbar gezeichnet,
dass man beim Lesen oft lächelnd an die eigene Sippe denken muss.
Judith Katzir Matisse
hat die Sonne im Bauch. Aus d. Hebr. Ammann 1997. 318 S.
Die Liebesgeschichte der Studentin Rivi mit dem doppelt so alten
verheirateten Yigal.
Sami Michael Eine
Trompete im Wadi. Aus d. Hebr.
Berlin Verl. 1996. 300 S. Die Schwestern Huda und Mary leben mit
ihrer Familie im arabischen Viertel von Haifa. Als sich Huda in einen
jüdischen Einwanderer verliebt, scheint es keine Zukunft für sie zu geben.
Etgar Keret: GAZA
BLUES
Kerets Streifzuge durch Tel
Aviv sind geschrieben wie erzählerische Videoclips: poetische, schnelle
Bilder aus dem Israel der neunziger Jahre. Sie sind präzise, überraschend
und ohne Sentiment. Die Sujets der einzelnen Erzählungen sind denkbar
unterschiedlich: Von Großstadtnächten und Alkoholexzessen, von
Meschuggenen aller Schichten bis zu den Kämpfen und Krämpfen, die auch in
israelischen Familien das gemeinsame Wochenende prägen. Die Ich-Erzähler
dieser an der Grenze von Komik und Verzweiflung, Poesie und Brutalität
entlanggeführten Geschichten sind Kinder oder junge Erwachsene, die ihren
Platz in der Gesellschaft noch suchen. Keret beherrscht souverän die kurze
Prosaform. Er nutzt ungewöhnliche Perspektiven, die dem Leser ein
unvermutet frisches, neues Bild Israels vermitteln. »Keret hat einen
scharfen Blick für das groteske Detail, für den Aberwitz des Alltäglichen,
und darum sieht er in der Trostlosigkeit immer wieder Lebenslust und
Schönheit aufblitzen.« FAZ
Etgar Keret, 1967 in Tel Aviv geboren, unterrichtet an der Film- und
Fernsehakademie in Tel Aviv. ''Gaza Blues'' stand in Israel wochenlang auf
der Bestsellerliste. Fischer Taschenbuch, 1998
Aktuelle
Meldungen aus dem jüdischen Kulturleben zu den Themen: Kunst, Musik und
Literatur:
[buecher.judentum.de]
Ob "gefillte Fisch per Mausklick", ein Essay über die zerstörte Welt des
jüdischen Ostpreußen, oder aktuelle Nachrichten aus Israel seit zwei
Jahren berichtet 'haGalil-online'
im Internet in deutscher Sprache über alle Facetten jüdischen Lebens. Von
München aus wurde man in kurzer Zeit zum größten jüdischen
Internet-Magazin Europas. "330 000 Seitenaufrufe haben wir pro Monat",
berichtet David Gall, der 'haGalil-online' gemeinsam mit Eva Ehrlich ins
Leben rief. Ziel war es, abseits von großen Organisationen ein Angebot zu
gründen, "das Juden ein Forum bietet, und in dem Nichtjuden sich über
jüdische Kultur und Geschichte, aber auch aktuelle Ereignisse, die mit
jüdischen Belangen zu tun haben, informieren können". Neben einer
Unmenge an Hintergrundwissen kann man hier aber auch täglich neueste
Nachrichten aus Israel und aus deutschsprachigen Ländern Europas abrufen,
"wir arbeiten mit verschiedenen israelischen Zeitungen zusammen, und haben
deren Texte abrufbar", sagt Eva Ehrlich. "Das sind keine Themen, die nur
für Juden interessant wären." Außer auf deutsch gibt es bei "haGalil" auch
Texte in der Internetsprache Englisch und auf Hebräisch. Die meisten Leser
kommen aus Deutschland, Israel und den USA.
Die schwierige
Suche nach einer Identität
Ein Bericht über die 9. Internationalen Frühjahrs-Buchwoche 1998 in München:
Thema "Literatur aus Israel" von JAKOB HESSING - SZ vom 5.3.1998 Der Autor
lebt als Übersetzer und Journalist in Jerusalem.
http://www.hagalil.com/archiv/buchwoche.htm
50 Jahre Israel
- Ein
Literaturverzeichnis anlässlich der Frühjahrsbuchmesse 1998
http://www.mannheim.de/stadtbuecherei/IsraelIV.html
Die Kinder von der
Shenkin Road
"Plötzlich konnte ich es. Ich sagte "Stillgestanden!", und alle Leute
blieben stehen, einfach so, mitten auf der Straße. Autos hielten an,
Fahrräder, sogar diese kleinen Knattertöfftöffs der fliegenden Boten
verharrten an Ort und Stelle. Und ich schlenderte zwischen ihnen durch und
suchte mir die hübschesten Mädchen aus. Ich sagte zu ihnen, sie sollten die
Einkauftüten abstellen, oder holte sie aus dem Bus, nahm sie mit in meine
Wohnung und vögelte sie, bis es rauchte. Es war herrlich, es war einfach
super. "Stillgestanden!", "Komm", "Leg dich hier aufs Bett!", und dann
rumms-bumms! Die Mädchen, die bei mir durchliefen, waren der Stoff für
Illustrierte, ich fühlte mich herrlich. Ich fühlte mich wie der King. Bis
meine Mutter anfing, sich einzumischen."
1967, als der Sechs Tage
Krieg ausbrach, schwamm der Schriftsteller
Edgar Keret noch quietschfidel im Mutterleib und wußte nichts von
seinem leichten Weg ins Leben und dessen Preis. Die Kinder von Groß Israel
wird man seine Generation später mit einem überlegenen Lächeln nennen.
http://www.dradio.de/dlr/sendungen/ langenacht/990924-shenkin.html
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