Der iw Brennpunkt vom 18. August
2000 / 17 Aw 5760
Während Jahren fuhr die
israelische
Eisenbahn nur auf Nebengleisen
– nun holt sie auf neuen Trassees auf.
Das ist aber auch dringend nötig.
Israel baut den
öffentlichen Verkehr
Von Pierre Heumann
Wer von Tel Aviv in die nördliche
Hafenstadt Haifa fahren will, erhält neuerdings einen ungewöhnlichen
Ratschlag: «Nimm die Bahn!» Das Transportmittel, das in Europa längst
eine bequeme Selbstverständlichkeit ist, war in Israel bis vor kurzem
unpopulär und hatte einen schlechten Ruf. Die Züge waren langsam und
unzuverlässig, fuhren selten und wurden vor allem von Soldaten und
kinderreichen Familien benutzt. Nur Leute, die sich kein Auto leisten
konnten, fuhren mit der Bahn.
In den vergangenen zwei Jahren
hat sich das grundlegend geändert. Gewinne an Zeit und Komfort haben
sich herumgesprochen. Derzeit wachsen die «Israel Railways» (IR) um
jährlich 40 Prozent. Auf neuen Strecken, wie Tel Aviv–Beerscheva stieg
die Zahl der verkauften Fahrkarten.
Immer mehr Pendler steigen um
In den vergangenen 12 Monaten gar
um 400 Prozent. Benutzten 1993 lediglich 3,8 Millionen Passagiere den
Zug, rechnen die IR in diesem Jahr bereits mit 13 Millionen Reisenden,
doppelt so viel als vor zwei Jahren. Immer mehr Pendler benützen den
Zug, um den notorischen Verkehrsstaus zu entgehen. Erstmals in Israels
Eisenbahngeschichte wurden kürzlich in einem einzigen Monat mehr als
eine Million Passagiere befördert. Bis 2005 wird sich die Zahl der
Fahrgäste auf 27,5 Millionen erhöhen, erwarten die IR. Der Marktanteil
der Bahn ist im Personenverkehr mit zwei Prozent zwar bescheiden. Aber
zu Spitzenzeiten bringen es gute Strecken wie Tel Aviv–Netanja auf einen
Anteil von 30 Prozent. Pendler weichen nicht nur auf den öffentlichen
Verkehr aus, weil die Strassen verstopft sind. Sie haben realisiert,
dass die Bahn mit ihrem modernen Rollmaterial attraktiver geworden ist.
Statt wie früher mit 80 Stundenkilometern, fährt sie nun mit 150 km/h
durch die Gegend. Fast die Hälfte aller Bahnpassagiere entfällt auf die
Verbindung zwischen Tel Aviv und Naharia.
Tel Aviv–Jerusalem wurde
geschlossen
Die hohen Wachstumsraten sind das
Resultat eines forcierten Ausbaus des Streckennetzes, das allerdings
noch nicht sehr dicht ist. Die Linie Tel Aviv–Jerusalem wurde vor zwei
Jahren geschlossen, weil das Trassee ungenügend war. Die Regierung hat
noch nicht entschieden, ob sie in die Verbindung zwischen der
Wirtschaftsmetropole und der Hauptstadt investieren will. Die Planer der
israelischen Eisenbahn führen Grosses im Sinn. Sie wollen in den
nächsten Jahren nicht nur das Netz der IR ausbauen, sondern auch den
Wagenpark modernisieren und die Frequenz der Züge erhöhen. Jahr für Jahr
sollen rund 250 Millionen Dollar in den Ausbau der Infrastruktur, in
neue Bahnstationen und in die Anschaffung von modernem Rollmaterial
investiert werden. Ab Sommer 2001 treffen in Israel 12 neue
Doppeldeckzüge von Bombardier (aus dem sächsischen Görlitz) ein.
Neuerdings erhalten die Israelis Unterstützung vom Management
ausländischer Bahnunternehmen, zum Beispiel von der Deutschen Bahn (DB).
Ende März unterschrieben die Israel Railways und die DB einen
Rahmenvertrag, wonach die DB den Umstrukturierungsprozess und die
technologische Weiterentwicklung der IR begleitet.
Im Rahmen der multilateralen
Friedensgespräche wird auch der regionale Ausbau der Verbindungen
diskutiert. Die Israelis denken an eine West–Ost-Linie, die von Tel Aviv
nach Amman führt, an den Ausbau der Küstenstrecken nach Ägypten im Süden
und nach Libanon im Norden, an einen Med-Red-Link zwischen Tel Aviv und
der jordanischen Hafenstadt Akkaba, sowie an eine Verbindung zwischen
Gaza und Hebron. Aufgrund der politischen Situation ist freilich an eine
rasche Realisierung nicht zu denken.
Eher von Politik als von der
Wirtschaft beeinflusst
Im Nahen Osten werden regionale
Eisenbahnprojekte seit jeher von politischen Entwicklungen und weniger
von wirtschaftlichen Überlegungen beeinflusst. Sowohl die Ottomanen als
auch später die Mandatsmacht Grossbritannien haben mit Schienenwegen den
militärischen Zugriff auf Palästina verstärken wollen. Im Jahre 1915
wurde fürs türkische Militär die Verbindung zwischen Afula (Galiläa) und
der Wüstenstadt Beerscheva eingeweiht. Damals gab es auch tägliche
Verbindungen zwischen Haifa und Kairo sowie zwischen Haifa und Damaskus.
Nach der Ausrufung des Staates Israel führte die Eisenbahn während
Jahrzehnten ein Schattendasein. Noch in der Mitte der neunziger Jahre
stellte ihr der Staat ein Budget von spärlichen 22 Millionen Dollar zur
Verfügung. Inzwischen sind es wieder 150 Millionen Dollar.
S-Bahn ab dem Jahre 2007?
Auch die Städte Tel Aviv und
Jerusalem wollen den öffentlichen Verkehr ausbauen, um die chronischen
Verkehrsproblemen anzupacken. Zusammen mit dem israelischen
Finanzministerium hat Tel Aviv Mitte Juli Pläne für eine Schnellbahn
vorgestellt, die teilweise unterirdisch verlaufen soll. Im Jahr 2007
könnte der erste Abschnitt (Petah Tikva–Bat Jam, 20 Kilometer) der
S-Bahn den Betrieb aufnehmen. Für die zweite Bauetappe (Rishon Le
Zion–Holon) besteht noch kein Fahrplan. Die Kosten des ersten
Abschnitts, der laut Plan 1,25 Milliarden kosten wird, werden zur Hälfte
vom Staat übernommen. Der Rest soll von privaten Investoren aufgebracht
werden. In einem halben Jahr wird die internationale Ausschreibung des
Projekts beginnen. Doch skeptisch erinnern Kritiker daran, dass die
Stadt Tel Aviv bereits seit 1991 den Bau einer S-Bahn erwägt. Während
des Golfkriegs, als der Irak mit Scud-Raketen Israel angriff,
argumentierten die Behörden nicht nur verkehrspolitisch. Sie wiesen auch
darauf hin, dass sich U-Bahnen bei Bombenangriffen erfahrungsgemäss als
effiziente Massenluftschutzkeller eignen.
Weitere Schwerpunkte im iw Nr. 33
vom 18. August 2000
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