Das
Antwortschreiben:
Sehr geehrte Damen und Herren,
der Hintergrund:
Eine Jüdin und ein Christ sind glücklich
miteinander. Sie will auf ihre Zugehörigkeit zum Judentum nicht verzichten
und er will Christ bleiben. Jeder von ihnen hat Respekt für die Einstellung
seines Partners. Sie wollen ein Kind zeugen. Das Kind sollte, wenn möglich,
so es männlich ist beschnitten und auch getauft werden.
Vorbemerkung:
Das Problem, das ich hier behandeln soll, ist
keines, das in der Regel von einem Rabbiner erörtert werden kann.
Andererseits kann ich mich nicht verweigern,
wenn eine Glaubensgenossin in ihrer Not um Rat bittet.
Ferner kann ich mir denken, dass in Europa und
Amerika solche Situationen nicht selten vorkommen (in Israel wird dies
sicherlich sehr selten der Fall sein) und deshalb soll dazu Stellung
genommen werden.
Antwort:
- In einer pluralistischen demokratischen
Gesellschaft kann keiner verhindern, dass Menschen unterschiedlicher
Religionsbekenntnisse gemeinsame Kinder haben.
- Andererseits muss ich hier in aller
Deutlichkeit wiederholen, was in
dieser Rubrik
bereits behandelt wurde: ein Jude kann nicht gleichzeitig Christ
sein.
- Vom traditionellen orthodoxen Standpunkt aus
müsste ich der Fragestellerin folgenden Rat erteilen: Lassen Sie die Finger
davon, heiraten Sie einen Juden und gründen Sie eine jüdische Familie. Wenn
Sie es nicht übers Herz bringen, Ihren Freund zu verlassen und ein Kind mit
ihm haben wollen, erziehen Sie es in jüdischer Tradition, und vielleicht
wird mit der Zeit auch der Vater sich dem Judentum annähern und sich ihm
anschließen wollen.
- Weitere Ratschläge habe ich nicht in meinem
Köchel, hingegen einiges, was Frauen in dieser Lage bedenken sollten:
Welche Erziehung soll ein in dieser
Lebensgemeinschaft geborenes Kind erhalten?
Wird es von der Mutter jüdisch erzogen, mit
ihr die Synagoge und eine jüdische Schule besuchen? Wird es erfahren,
welches Leid die christliche Kirche im Namen des Juden Rabbi Joschua, der
später Jesus genannt wurde, in zweitausend Jahren über das Judentum gebracht
hat? Welche Vorurteile manche christlichen Gebete noch nähren und wie
virulent der Judenhass in manchen christlichen Gemeinden noch ist?
Wird es vom Vater erzogen, mit ihm die Kirche
besuchen und vielleicht hören, dass die Juden sich der Tötung des Heilands
der Christen schuldig gemacht haben und deshalb ihre Abneigung bis in alle
Ewigkeit verdienen?
Zwei Erwachsene unterschiedlicher Religion
können sich durchaus lieben und sehr gut miteinander auskommen, wobei jeder
von ihnen den Glauben des Partners akzeptiert. Ein Kind kann mit zwei solch
unterschiedlichen Lebenseinstellungen kaum fertig werden; seine Seele kann
durch diesen Zwiespalt Schaden nehmen.
Natürlich könnten die Eltern einen dritten Weg
wählen. Sie könnten sich sagen: Wir geben dem Kind gar keine religiöse
Erziehung. Es soll eine staatliche Schule besuchen. Im Haus selbst und in
der sozialen Umgebung wird man weder jüdische noch christliche Bräuche
pflegen, und wenn das Kind größer geworden ist und seine Entscheidungen
selbst treffen kann, wird es sich der einen oder der anderen oder gar keiner
Religion zuwenden. Ob dieser Weg, theoretisch plausibel, in der Praxis,
insbesondere bei Lebensgefährten mit einer religiösen Bindung, gangbar ist,
möchte ich bezweifeln.
An dieser Stelle ist es notwendig, auf die
semantischen und praktischen Unterschiede zwischen Christsein und Judesein
aufmerksam zu machen. In unserem Zusammenhang geht es unter anderem um einen
bestimmten Aspekt der begrifflichen Definition: Ist das Christsein und das
Judesein eine reine Religions- und Glaubenssache oder impliziert es
gleichzeitig eine nationale Zugehörigkeit?
Die Definition eines Christen ist relativ
einfach: In der christlichen Lehre existieren zwar viele Varianten der
zentralen Thesen, wobei jedoch einige Punkte, die die orthodoxe,
römisch-katholische und evangelische Konfession über die meiste Zeit in den
letzten zweitausend Jahren für unverzichtbar für den christlichen Glauben
gehalten haben, mehrfach auf Konzilien und in Glaubensbekenntnissen
festgestellt wurden. Ein Element gehört mit Bestimmtheit nicht zu den
zentralen Glaubenssätzen: Die nationale Zugehörigkeit. Ganz im Gegenteil,
das Christentum konnte sich nur deshalb so ausbreiten, weil es die
nationalen Schranken durchbrochen hat und das Missionieren unter allen
Menschen als ureigenste Aufgabe betrachtete.
Die Definition des Judentums ist nicht nur
schwierig, sondern schier unmöglich: Seit hunderten Jahren wird diese Frage
von Juden und Nichtjuden diskutiert und erörtert, wobei das Ergebnis die
Einstellung der jeweiligen Seite widerspiegelt. Man könnte kurzerhand auf
die Diskussionen und Argumentationspfade verzichten und je nach eigener
Ansicht eine von drei Möglichkeiten anbieten: 1. das Judentum ist eine reine
Religion, 2. es ist keine reine Glaubenssache sondern impliziert eine
nationale Zugehörigkeit zum jüdischen Volk, oder 3. es hat jenseits der
religiösen Bindung, die vernachlässigt werden kann, vor allem eine
kulturelle Bedeutung.
Diese dritte mögliche Definition des Judentums
findet zurzeit Anhänger unter Gruppierungen in Israel. Es sind Freidenker,
Agnostiker oder Atheisten, die die kulturelle Tradition des Judentums
betonen und den Eingriff der Religion in das private oder gesellschaftliche
Leben ablehnen. Diese Einstellung mag (nebenbei bemerkt) für religiös
gebundene Juden schmerzlich sein, selbst wenn sie auch diese Menschen, so
sie als Juden geboren wurden, mit Berufung auf den Talmud ("Ein Israelit,
wenn er auch gesündigt hat, so ist er dennoch ein Israelit", Sanhedrin 44 a)
als "rechtmäßige" Juden anerkennen.
Dieser Exkurs war notwendig, um der
Fragestellerin die Schwierigkeiten ihres Vorhabens vor Augen zu halten. Wenn
sie sich einen Rat oder das Aufzeigen eines Weges zu ihrem Dilemma erhofft
hatte, so muss diese enttäuscht werden. Ich kann lediglich die verschiedenen
Aspekte des Problems aufzeigen und hoffen, dass sie im Interesse des Kindes
richtig entscheiden wird.
Mit freundlichen Grüßen
Bar Rav Nathan |