Ein
Kind bittet die Mutter, ihm etwas zu kaufen. Diese erwidert, sie habe kein
Geld. Die spontane Antwort des Kindes lautet: Dann hol welches vom
Geldautomaten! So naiv wie dieses Kind sich anhört, so müssen auch die
Menschen der Industrieländer in den letzten Jahrzehnten gewesen sein, jedoch
nicht nur die Privatpersonen, sondern auch die Banken, die großen Firmen und
nicht zuletzt die Staaten. Sie alle glaubten, es gäbe eine unerschöpfliche
Geldquelle. Bisher habe ich keine bessere Erklärung gefunden, oder aber die
Analysen der Krisendeuter so wenig verstanden wie die meisten Menschen.
Der Talmud kann uns zwar nicht die
Wirtschaftskrise erklären, könnte uns aber wahrscheinlich helfen, eine
bessere Antwort als die des Kindes zu finden. Es gibt Regeln im Talmud,
deren Befolgung auch heute noch schlimme Entwicklungen verhindern könnte.
Nennen wir einige Beispiele:
Viele Menschen, die sich einen Rat beim
Anlageberater holten, haben ihr Geld verloren. Hätten sie auf den Rat von
Rabbi Jitzchak (3. Jhdt.) gehört, so hätten sie ihr Geld in drei Teile
geteilt, ein Drittel in Immobilien und ein weiteres in den Handel
investiert. Das dritte Drittel hätten sie in bar behalten, um im Falle eines
günstigen Geschäfts oder unerwarteter Ausgaben liquide zu sein (B.M. 42a).
Einige talmudische Verhaltensregeln im
Handel:
Der Krämer darf Nüsse und geröstete Ähren
an Kinder verteilen, um sie daran zu gewöhnen, bei sich und nicht bei der
Konkurrenz einzukaufen. Der Preis von Lebensmitteln darf unterboten werden,
weil das den Verbrauchern zugute kommt. Man darf beim Verkauf von Obst nicht
das schöne obenauf legen, um nicht den Käufer zu täuschen. Man darf weder
Menschen noch Tiere noch Geräte aufputzen, wenn sie zum Verkauf angeboten
werden (B.M. 60a).
Die Menschen neigen dazu, sich schnell
bereichern zu wollen, insbesondere trifft das offenbar auf diejenigen zu,
die bereits ein gewisses Geldpolster besitzen. Grundsätzlich nimmt es die
Halacha keinem übel, denn es ist nun mal menschlich. Gerade deshalb haben
die Tora und später der Talmud eine ethische Grundstruktur geschaffen, die
der Gesellschaft wegweisend dienen soll.
Ein Gebot der Tora ist die Heiligung des
Schabbat als Ruhetag, der im Laufe der Generationen von der gesamten
Menschheit übernommen wurde. „Gedenke des Sabbattages, dass du ihn
heiligest. Sechs Tage sollst du arbeiten und alle deine Werke tun. Aber am
siebenten Tage ist der Sabbat des HERRN, deines Gottes. Da sollst du keine
Arbeit tun“ (2. Moses 20). Der Talmud hat uns darauf aufmerksam gemacht,
dass in diesem Absatz ein weiteres Gebot enthalten ist, und zwar sechs Tage
zu arbeiten. Kann man das, was die Banker, Börsianer und Finanzberater tun,
wohl als Arbeit in diesem Sinne verstehen?
Es ist schwierig oder fast unmöglich, von
den früheren Regeln oder Lebensbedingungen unvermittelt auf heutige Tage zu
schließen. Die Strukturen und die Institutionen haben sich im Laufe der
Geschichte stets geändert und angepasst. Der Handelsreisende war z.B in
biblischer Zeit verpönt oder unbekannt. Erst Esra, so berichtet der Talmud,
habe vor zweitausendfünfhundert Jahren diese Institution eingerichtet,
„damit die Töchter Israels sich Schmuck kaufen konnten“ (B.M. 43a).
Die Wertvorstellungen, die
zwischenmenschlichen Beziehungen betreffend, haben sich jedoch im Grunde nur
wenig geändert. Geldhandel gab es zwar nicht in der biblischen Zeit, weshalb
auch die Verleihung von Geld gegen Zinseinnahmen von der Tora verboten
wurde. Im Talmud wurde dann diese Regel durch den Zwang der Verhältnisse
aufgehoben. Ebenso waren Wertpapiere unbekannt. Auch hier hat man eine
Lösung gefunden. Der Investor schließt mit der Bank oder einer ähnlichen
Einrichtung einen Vertrag, in dem beide Parteien sich gemeinsam an
Geschäften beteiligen und der Gewinn dann zwischen ihnen aufgeteilt wird.
Marktregulierung und Aufsicht:
Einen freien Markt gab es weder in der
Talmudzeit noch gibt es ihn heutzutage. Wäre das der Fall, gäbe es z.B.
einen offenen Drogenhandel. Interessenten auf beiden Seiten gibt es ja zur
Genüge! Im Talmud herrscht Einigkeit unter den Gelehrten, dass man Aufseher
über die Maße (Gewichte) anstellen soll. Über die Preisgestaltung ist man
insofern einig, dass Aufseher anzustellen sind, damit es im Handel zu keiner
Preistreiberei kommt (B.B. 89a). So urteilt auch Maimonides, und ihm folgt
der Schulchan Aruch, dass bei wichtigen Waren die Preise vom Gericht
bestimmt werden. Im 18. Jhd. urteilte der Chatam Sofer, das selbst da, wo
die Konkurrenz im Handel erlaubt ist, „die Menschen sich nicht wie Fische
verhalten dürfen, wo jeder einen anderen schluckt“.
In den ersten Jahrhunderten vor und nach
der Zeitrechnung gab es in verschiedenen Kulturen philosophische Bewegungen,
wie z.B. die Schule der Stoa in Griechenland und Rom, oder Weisheitsbücher -
wie bei den Juden Kohelet, Sprüche der Väter u.a. - die Anweisungen zu
vernünftigen und sozialen Verhaltensweisen enthielten. Das Besondere der
jüdischen Weisheitsbücher besteht darin, dass sie in den biblischen Kanon
aufgenommen wurden und somit eine göttliche Autorität und das Gewicht von
Gesetzen erlangten.
In der Halacha könnte jede Generation
Antworten auf die sie quälenden Fragen finden, denn die Neigungen der
Menschen haben sich seit seiner Erschaffung im Grunde kaum geändert, was
sich auch im Wirtschaftsleben auswirkt.
Mit freundlichen Grüßen
Bar Rav Nathan |