Ein Fall für den Obersten Gerichtshof:
Schmitta und Heter mechira
Rabbiner Tom Kučera
Einmal hat ein Rabbiner zu mir gesagt, dass er nach
Israel ziehen möchte, jedoch nicht nach Jerusalem, weil man sich da wegen
der ansteigenden ultraorthodoxen (und ostentativ antizionistischen)
Bevölkerung (sog. Charedim) nicht wohl fühlt. Ich konnte es nicht glauben,
bis das neue jüdische Jahr angefangen hat, das Schmitta-Jahr, genannt auch
das Schabbat-Jahr, das Ruhejahr, ein Jahr, an dem das Feld im Erez Jissrael
brach liegen muss (das Verb lehaschmit bedeutet auslassen).
Doch wenn die erste jüdische landwirtschaftliche Siedlung
im Erez Jissrael schon um das Jahr 1890 ums Überleben kämpfte, wurde das
halachische Konzept von heter mechira eingeführt, ein Begriff, der
die religiösen Einrichtungen in Israel in den letzten Monaten ziemlich
gespalten hat. Heter mechira wurde von Raw Kook bestätigt, dem ersten
aschkenasischen Oberrabbiner vom Erez Jissrael, damals von den Briten
verwaltet. Heter mechira ist ein halachisches Konstrukt, ein
symbolischer Verkauf des von einem Juden in Besitz gehaltenen Landes an
einen Nicht-Juden. Durch diesen symbolischen Verkauf kann das Feld vom
jüdischen Bauer weiter bebaut und - was am wichtigsten ist - das Produkt der
Erde auch im Schmitta-Jahr verbraucht werden. (Paradoxerweise wird wegen der
Liebe zum Land Israel die Erde Israels symbolisch einem Nicht-Juden gegeben,
allerdings nur für eine gewisse Zeit).
Seit den Zeiten von Raw Kook hat das Oberrabinat Israels
jedes Schmitta-Jahr (ungefähr acht Mal nach meinen Berechnungen) das Konzept
von Heter mechira fortgesetzt. Jedes Jahr wurde es so gemacht, bis
auf dieses Jahr. Unter dem Einfluss der erwähnten Charedi-Bevölkerung hat
das Oberrabinat überraschenderweise die Entscheidung in die Hände der
lokalen Rabbiner gegeben, ob sie Heter mechira bestätigen oder nicht.
Und wenn sie Heter mechira nicht bestätigen und die Person oder der
Ort weiter die Feldprodukte bearbeitet oder verkauft, dann wird das
Hechscher-Zertifikat entzogen (unter Umständen ist paradoxerweise alles
koscher, was außerhalb Israels oder von einem Araber angebaut wurde).
Die Folgen wären unabsehbar, nicht nur für die Bauern,
sondern die ganze Industrie - Transportfirmen, LKW-Fahrer,
Lebensmittellieferanten, Supermärkte, Restaurants. Wir sprechen vom Verlust
einiger Milliarden Dollar, von einem wesentlichen Einschnitt in die Ökonomie
Israels und vom Ruinieren des professionellen Lebens von Tausenden Menschen
– dies alles von denjenigen injiziert, die unabhängig von den Bedürfnissen
des Staates Israel an der Theokratie interessiert sind, wo alle
ausschließlich nach den Gesetzen der Tora handeln.
Mit dieser Entscheidung hat sich das Oberrabinat Israels
dem Charedi-Einfluß gebeugt und dadurch seine nationale Verantwortung
ignoriert.
Doch zum Glück haben wir im Erez Jissrael auch viele
religiöse Zionisten. Das Schmitta-Problem diesen Jahres ist damit eine
Auseinandersetzung zwischen den Zionisten und den Charedim.
Die Zionisten, darunter auch viele orthodoxe Rabbiner
(vereint in der Zohar-Organisation), denen das Schicksal des Landes Israel
wesentlich am Herzen liegt, hat dem Oberrabbinat gedroht, dass sie selber
die Koscher-Zertifikate ausstellen. Damit würde zum ersten Mal in der
Geschichte des Staates Israel das Tabu des einheitlichen Hechschers
gebrochen, was ein Kollaps des Kaschrut-Systems darstellen würde.
Diese zwei Seiten, die zionistischen Rabbiner und die
Charedim-Rabbiner, haben besonders im letzten Monat viele Kämpfe
ausgetragen. Auf einer Seite stand die Wahrnehmung, dass die Landwirtschaft
eine Basis des Staates Israel ist, auf der anderen Seite stand die
Leidenschaft für die unbedingte Einhaltung einer Mizwa aus der Tora.
Baruch haschem, dass es im Staat Israel den
BAGAZ (Bet din Gewoha leZedek) gibt, das oberste Gericht, das am 25.10. die
Entscheidung des Oberabbinats annulliert hat. Das BAGAZ entschied, das
Oberabbinat müsse die lokalen Rabbiner übertrumpfen, wenn sie sich gegen
Heter mechira stellen. Die BAGAZ-Entscheidung wurde als der "Sieg der
Vernünftigkeit" bezeichnet - und als "ein schwarzer Tag für das Oberrabbinat
Israels, das eine Sünde begangen hat", gegen die israelische Regierung und
gegen das Land, auf dem es steht.
Für uns Reformjuden ist die ganze Problematik
auch eine Bestätigung unserer religiösen Philosophie, die sagt: "Wir
erkennen den dynamischen, entwicklungsorientierten Charakter unserer
jüdischen Religion an. Wir möchten unsere jüdische Tradition religiös leben
und dabei die Herausforderungen der Moderne im Kontext unserer Überlieferung
reflektieren." |