Jüdische Wanderung:
Ein Prager Jüngling unter Chasidim
Jirí Langer zur Einführung in
die "Neun Tore"
Bilder aus dem täglichen Leben finden sich auf den
folgenden Blättern nur spärlich. Eher mag es einem vorkommen, als sei man
für einen Augenblick in ein fernes exotisches Land versetzt, wo andere
Blüten wachsen und andere Sterne leuchten; in uralte Zeiten, in denen die
Wirklichkeit zum Traum geworden ist und der Traum zur Wirklichkeit. Aber dem
ist nicht ganz so.
Alles trug sich in unserer Nachbarschaft zu, vor nicht allzu
ferner Zeit, fast vor einem Augenblick. Denn was anderes als ein Augenblick
sind siebzig, sind hundertfünfzig Jahre für ein Zeitgebilde, das sich im
Spiegel einer mehr als tausendjährigen Geschichte schauen darf!
Ungangbar ist der Weg in das Reich der Chassidim. Der Reisende, der
unerfahren und ungenügend ausgerüstet, sich durch das Dickicht des Urwaldes
durcharbeiten möchte, ist nicht kühner als jemand, der sich vornimmt, in die
chassidische Welt einzudringen, die nicht leicht erschaubar, ja durch ihre
Wunderlichkeiten abstoßend ist.
Nur wenige, die aus dem Westen stammen, sind diesen Weg gegangen. Kaum so
viel — wenn ich darüber nachdenke - wie ich Finger an der Hand habe, die
diese Zeilen schreibt.
Ein neunzehnjähriger Bursch, nicht anders erzogen wie die ganze damalige
(jüdische) Jugend in der verblassenden Tradition der Vorkriegsgeneration,
verlässt 1913 Prag, von einer geheimen Sehnsucht getrieben, die er sich auch
heute noch nicht, nach Verlauf so vieler Jahre zu erklären vermag, und fährt
an einem Sommertag nach dem Osten, in die Fremde.
Ahnt er, was er mit diesem Tag verloren hat?
Die europäische Zivilisation, ihre Bequemlichkeit und Errungenschaft, ein
Leben der Erfolge, die man Karriere nennt! Ahnt er, dass seine Seele nie
mehr fähig sein wird, Verse vollständig zu genießen, die er bis zu dieser
Zeit so gern zu lesen pflegte, dass die Rhythmen chassidischer Lieder, von
dem Augenblick an, da er sie zum ersten Mal hören wird, den Zauber jeder
anderen Musik übertönen werden, und dass alles Schöne, das sein Auge bisher
wahrgenommen hat, fortan halb verhüllt sein wird vom mystischen Schleier des
Wissens um das Gute und Böse?
Kaum ahnt er, dass in dem Augenblick, da er das Ziel erreicht zu haben
wähnt, für ihn das am schwersten gangbare Stück seiner Wanderschaft erst
beginnt. Denn das Tor ins Reich der Chassidim öffnet sich vor niemandem mit
einem Male. Es ist mit einer langen Kette körperlicher und seelischer
Entbehrungen verschlossen. Aber wer einmal in dieses Reich geschaut hat,
wird nie die Schätze vergessen, die er dort wahrgenommen hat. Verborgen den
Blicken der Welt sind die Herrscher dieses Reiches. Ihre Wundertaten und
allmächtigen Worte sind nur etwas Untergeordnetes; nur der Saum des
Schleiers, worin sich ihre Wesenheit verhüllt, während ihr Antlitz
irgendwohin nach dem fernen Schweigen des Absoluten von uns abgewendet ist.
Bloß ein schwacher Abglanz ihrer Seele fällt auf unsere allzu materiellen
Schatten.
Aber
noch heute, nach Jahren, entfalten sich für mich fortwährend alle jene
Gestalten. Nicht bloß die, die ich persönlich kennen lernte, sondern auch
die, von denen ich so viel hörte und in alten hebräischen Büchern las, leben
vor mir in ihrer ganzen Größe und Kraft auf. Ich fühle mich überwältigt.
Etwas zwingt mich, zur Feder zu greifen und getreu alles aufzuschreiben, so
gut ich es nur kann.
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Mehr über das Buch "Neun Tore":
Das Geheimnis der
Chassidim
Georg Langer war fasziniert von den Chassidim und
sammelte die Geschichten, die in den Gemeinden von den Rabbis erzählt
wurden. So entstand Neun Tore: ein mystisches, geheimnisvolles Dokument des
jüdischen Lebens in Osteuropa...
Friedrich Thieberger über
das Buch "Neun Tore"
Paraschath
Masej:
Wanderungen
Paraschat Masej beginnt mit den Worten „Elu masej
bnej Israel...“, das sind die Wanderungen Israels...
Georg Langer:
Neun Tore - Das Geheimnis der Chassidim
Melzer Verlag, Neu-Isenburg 2004, 335 Seiten, enth. versch. Abb. v.
Roman Vishniac
ISBN 3-937389-38-5, 24,95 €/41,95 sFr
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hagalil.com
05-08-2005 |