Die Einwanderungswellen, der Zerfall der ethnischen
Geschlossenheit, das wirtschaftliche Gefälle - dies alles sind
Phänomene, welche man für geeignet hielt, die anti-demokratischen
Gefühle unter der israelischen Bevölkerung zu stärken. Aber
Langzeituntersuchungen, darunter auch die unten veröffentlichten
Meinungsumfragen des Israelischen Demokratie Instituts
(IDI), zerstreuen Ängste vor einer Vertiefung und Intensivierung
anti-demokratischer Ansichten in Israel. Das Gegenteil ist wahr: Die
Zahl der Israelis, die behaupten, "es gibt zu viel Demokratie"
verringert sich mit der Zeit, und der Prozentsatz der Israelis, die
meinen, die israelische Demokratie stelle sie nicht zufrieden und müsse
gestärkt werden, ist steigend.
Darüber hinaus zeigte sich diese Wandlung von einem Gefühl von
"zuviel Demokratie" zu einem Gefühl von "zu wenig Demokratie" während der
drei letzten Regierungen, und ist somit also nicht direkt abhängig vom
Verhalten einer bestimmten Regierung. Der Meinungswandel entsteht durch die
Enttäuschung der Öffentlichkeit darüber, wie die Demokratie in diesem Land
mit Kräften fertig wird- oder nicht, die den Staat in seiner Existenz
bedrohen. Das hängt auch mit demographischen Daten zusammen. Die in Israel,
Europa und Amerika Geborenen tendieren mehr als andere ethnische Gruppen
dazu, die Fehlschläge der israelischen Demokratie zu kritisieren.
Auch verschiedene, manchmal sogar widersprüchliche Auffassungen von
Demokratie unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen spielen eine Rolle.
Immigranten aus der GUS und aus Osteuropa sehen eine positive Seite der
Demokratie –freie Wahlen-, und eine negative –die völlige und sogar
"übertriebene" Meinungsfreiheit. Die Ultra-Orthodoxen erwarten von
Demokratie hauptsächlich gleiche wirtschaftliche Rechte, da sie ihrer
Meinung nach –im Gegensatz zur Meinung der säkularen Öffentlichkeit- unter
schwerer sozialer Diskriminierung zu leiden haben. Ihrer Ansicht nach ist
dies das grösste Manko der israelischen Demokratie.
Die
vielfältigen Gesichter einer idealen Demokratie erlauben nicht wenigen
Gruppen der Öffentlichkeit, widersprüchliche bürgerliche Ansichten zu
vertreten. So wünschten 100% der ultra-orthodoxen Befragten der
IDI-Umfrage Israel als halachischen Staat, gleichzeitig wollten 96% ein
demokratisches Israel.
Wie kann solch ein Widerspruch bestehen? Indem man Demokratie nur
als eine formelle Einigung versteht, Wahlen abzuhalten und eine
Regierung zu bilden (sowie verschiedenen Interessengruppen politische
Ausdruckskraft zu gewähren) und nicht als Verwirklichung der liberalen
Idee der Trennung von Religion und Staat.
Die Widersprüche und Missverständnisse, die Bedeutung von
Demokratie betreffend, sind nicht auf den ultra-orthodoxen Sektor oder
neue Immigranten beschränkt. Noch heute sind 57% der israelischen, und
etwa 65% der jüdischen Bürger bereit, die Demokratie, d.h. die
Rechtsstaatlichkeit, aufzugeben, um "Sicherheitsinteressen" zu schützen.
Sie fragen noch nicht einmal nach Details über diese
Sicherheitsinteressen, zugunsten derer sie die Rechtsstaatlichkeit
opfern würden. Nur ein Fünftel der israelischen Bevölkerung denkt, dass
in jedem Fall das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit über unspezifischen
Sicherheitsinteressen steht.
Verwirrung herrscht auch, was den Platz eines "halachischen
Staates" in der Demokratie angeht. Obwohl fast 100% der Israelis einen
demokratischen Staat wünschen, wollen 38% von ihnen gleichzeitig einen
halachischen Staat. Zwei Drittel der Israelis unterstützen die Trennung
von Religion und Staat, aber trotzdem sind 46% bereit, manchmal – oder
sogar ein für alle Mal, die Demokratie zugunsten der Halacha aufzugeben.
Diese Widersprüchlichkeiten drücken ein nur partielles
Verständnis des westlichen Demokratiekonzeptes aus. Dieses
unvollständige Verständnis rührt von der oberflächlichen Art her, mit
der Demokratie in den Schulen vermittelt wird (und sogar von völligem
Fehlen westlich-demokratischer Lehre in vielen Bildungseinrichtungen).
In bedeutenden öffentlichen Bereichen trägt "Demokratie" einen
zeremoniellen und technischen Charakter, ohne dass sie als ein System
unveräusserlicher bürgerlicher Rechte verstanden wird.
Vor dem Hintergrund der Verworrenheit und Undeutlichkeit, die
dem Konzept der Demokratie innewohnen, sollte beachtet werden, dass 60%
der israelischen Bürger mit ihrer Demokratie zufrieden sind. Ein relativ
hoher Anteil an Unzufriedenheit findet sich bei sowjetischen
Immigranten, ein nicht ungewöhnliches Phänomen unter Immigranten, und
bei der arabischen Minderheit, für die die israelische Demokratie noch
unzulänglich ist.
Viele demokratische Institutionen gewinnen regelmässig das
Vertrauen der entscheidenden Bevölkerungsmehrheit. An erster Stelle
stehen dabei die Institutionen des Rechtssystems und ihrer Beschützer.
Auch die israelischen Medien geniessen ein hohes Mass an Vertrauen, vor
allem verglichen mit denen anderer demokratischer Staaten.
Nach den Wahlen von Mai 1999 stieg das Vertrauen in die
Institutionen des Premierministers und der Regierung bedeutend. Das ist
Ausdruck der Wahlergebnisse an sich, des Wunsches nach Wandel, der unter
den Wählern herrscht, und der Wertschätzung der Führungsqualitäten Ehud
Baraks –nicht jedoch für sein Auftreten als Premierminister, das nicht
in Umfragen untersucht worden ist. Im März 1999 hatten nur 38% der
Bevölkerung Vertrauen in Benjamin Netanjahu. Es scheint, dass die
jetzige Regierung nicht mit einer so schweren Vertrauenskrise zu kämpfen
hat.
Grafik 1:
Mass an Vertrauen in staatliche Institutionen
(Zahlen von März 1999 in Klammern)
IDF |
89% (91%) |
Oberster Gerichtshof |
83% (85%) |
Gerichte |
76% (82%) |
Staatsanwaltschaft |
73% (80%) |
Polizei |
69% (73%) |
Premierminister |
68% (38%) |
Regierung |
66% (44%) |
Knesset |
64% (54%) |
Medien |
58% (57%) |
politische Parteien |
44% (37%). |
Grafik 2:
Was für ein Staat sollte Israel Ihrer Meinung nach sein?
-ein demokratischer Staat:
alle Antwortenden 96% |
Araber |
88% |
russische Immigranten |
98% |
Ultra-Orthodoxe |
96% |
-ein jüdischer Staat:
alle Antwortenden 85% |
Araber |
33% |
russische Immigranten |
88% |
Ultra-Orthodoxe |
100% |
-ein halachischer Staat:
alle Antwortenden 38% |
Araber |
36% |
russische Immigranten |
12% |
Ultra-Orthodoxe |
100% |
Die Trennung von Religion und Staat befürworten:
von alle Antwortenden 67% |
|
Araber |
75% |
|
russische Immigranten |
71% |
|
Ultra-Orthodoxe |
15% |
Grafik 3:
Index der Zufriedenheit
mit der israelischen Demokratie
(Zahlen für März in Klammern)
Grad der Zufriedenheit insgesamt im Juli
60% (59%)
Nach der Herkunft: |
|
Asien und Afrika |
67% (64%) |
|
Europa und Amerika |
56% (55%) |
|
Israel |
68% (61%) |
|
Arabisch |
53% (59%) |
|
Russisch |
37% (48%) |
|
alle Antwortenden |
65% (60%) |
Grafik 4:
Im Falle eines Konflikts zwischen dem Prinzip der
Rechtsstaatlichkeit und Bedürfnissen im Interesse
der Sicherheit sollte:
-in jedem Fall die Rechtsstaatlichkeit geschützt
werden: |
|
alle Antwortenden: |
19% |
|
Araber: |
48% |
|
russische Immigranten: |
16% |
|
Ultra-Orthodoxe: |
6% |
-kommt drauf an: |
|
alle Antwortenden: |
24% |
|
Araber: |
40% |
|
russische Immigranten: |
17% |
|
Ultra-Orthodoxe: |
29% |
-in jedem Fall den Sicherheitsinteressen Vorrang
gegeben werden: |
|
alle Antwortenden: |
57% |
|
Araber: |
12% |
|
russische Immigranten: |
67% |
|
Ultra-Orthodoxe: |
57% |
|
Artikel
von Sever Plotzker, Yediot Ahronot, Shabbat-Beilage, 6.8.99, S. 21-1
Transl. DoSh haGalil onLine 08-99