Jom haAzmauth 05.Ijjar -
14.Mai
Unabhängigkeitstag des Staates Israel
Yom Ha'Atzma'ut
Rabbi Re'uven Hammer
"Wenn der Herr Zion wieder bevölkert, waren wir
wie Träumer." (Psalm 126:1)
Dieser großartige Vers könnte gut das
Motto des Staates Israel sein. Ich glaube, es war Robert Gordis, der einmal
andeutete, dass "cholmim" in diesem Vers nicht von der Wurzel des Wortes
"träumen" stammen könnte, sondern von einer anderen Wurzel, die die gleichen
Buchstaben hat, jedoch "heilen bedeutet. Somit hieße es: "Wenn der Herr Zion
wieder bevölkert, waren wir wie solche, die geheilt sind."
In der Tat war die Gründung des Staates
Israel ein notwendiger Schritt auf dem Weg der Heilung, der Wiederherstellung
des jüdischen Volkes zum Leben nach dem Grauen der Shoah. Das bedeutet nicht,
dass Israel infolge der Shoah ins Leben gerufen wurde und auch nicht, dass Gott
die Shoah zuließ, um die Wiederbevölkerung Zions zu Wege zu bringen. Solch ein
Gedanke ist nichts weniger als Blasphemie. Es bedeutet, dass die Fortdauer des
jüdischen Lebens ohne die Wiederbevölkerung Zions extrem schwierig geworden
wäre.
Nach Auschwitz brauchten wir Zion.
Niemand hat es besser ausgedrückt als
Heschel: "....die Existenz eines erneut geborenen Israel macht das Leben
weniger unerträglich. Es ist ein kleines Hindernis für die Hinderungen an Gott
zu glauben..... Israel macht es uns möglich, die Agonie von Auschwitz ohne
fundamentale Verzweiflung zu ertragen, im Dschungel der Geschichte einen Strahl
aus Gottes Lichtermeer wahrzunehmen." (Israel: An Echo of Eternity, S. 113, 115)
Die Rückkehr nach Zion ist auch eine
Teilgenesung von den negativen Effekten der Tausende Jahre im Exil und von den
Rissen, die durch die Emanzipierung aufgetreten sind. Juden, die einen
Zufluchtsort suchen, haben ihn. Juden sind aus aller Welt zusammengekommen und
können sich wieder untereinander mengen, können heiraten und eine jüdische
Kultur entstehen lassen, die all die unterschiedlichen Stämme des jüdischen
Volkes repräsentiert.
Hebräisch ist wieder zu einer lebenden
Sprache geworden und kann auch weiterhin den gemeinsamen Ausdruck unseres Volkes
widerspiegeln. Die Ideale des jüdischen Erbes können in praxisnahe Termini und
Lebensstile übertragen werden. Das Versprechen der Torah -dass die Kinder der
Vorfahren aus alter Zeit ihr eigenes Land haben werden, in dem sie leben und
unsere Ideale verwirklichen können- ist Realität geworden. Wenn es uns nicht
möglich ist, den Sinai-Bund zu Wege zu bringen, ein Königtum von Priestern und
Heiligen zu werden, so können wir uns in Israel zumindest darum bemühen, den
Bund Abrahams zu erfüllen: Denn ich habe ihn ausgewählt, damit er seine Kinder
und seine Nachkommen unterweisen kann, den Weg des Herrn einzuhalten, indem
getan wird, was gerecht und richtig ist..... (Genesis 18:19)
Die Frage, ob oder ob nicht alle Juden in
Israel leben müssen oder sollen, kann diskutiert werden. Doch die Verantwortung
aller Juden, die Gestaltung eines solchen Heimatlandes zu Wege zu bringen und es
zu unterstützen, ist durch unsere Tradition eindeutig in Auftrag gegeben.
Träumer zu sein hat sowohl eine positive
wie eine negative Bedeutung. Ohne Träume werden Ideale niemals Wirklichkeit.
Doch Träume können auch Illusionen und Selbsttäuschungen sein. Nachdem nun der
Traum von Zion zur Realität von Israel geworden ist, merken wir vierundfünfzig
Jahre nach diesem Ereignis auch, dass nicht alles so ist, wie wir es uns
erträumt haben. Es ist einfach, die Dinge zu idealisieren, solange sie nur
Träume oder Pläne auf einem Stück Papier sind. Die Realität ist viel schwieriger
und nicht immer so angenehm. Unsere Träume von einer idealen Gesellschaft und
von einer Nation, die in Frieden und Sicherheit lebt, sind nicht realisiert
worden.
Unsere Fähigkeiten sind enorm, doch
unsere Probleme sind zahlreich, sowohl intern wie extern. Extern stehen wir
Feinden gegenüber, die versuchen, uns durch Krieg und Terror zu zerstören. Wir
haben mit einigen unserer Nachbarstaaten Frieden geschlossen, doch der Frieden
mit denen, die uns am nächsten sind, den Palästinensern, blieb uns bisher
versagt. Wenn man die Ereignisse der vergangenen Jahre betrachtet, ist es sicher
leicht zu verzweifeln, doch genau das dürfen wir nicht tun. Egal wie lange es
dauert, wir dürfen die Hoffnung -den Traum- nicht aufgeben, eine Einigung zu
finden, die uns erlaubt, zu leben, wenn nicht gemeinsam, dann getrennt, doch in
Ruhe und Frieden.
Intern stehen wir ebenfalls großen
Problemen gegenüber. Wir sind eine Gesellschaft im Konflikt. Es gibt Konflikte
zwischen ethnischen Gruppen, Konflikte zwischen Religiösen und Nichtreligiösen,
Konflikte zwischen Arm und Reich. Wir stehen Problemen der Armut, der Gewalt,
der Kriminalität, des Alkoholismus, misshandelter und diskriminierter Frauen,
der Integration divergierender Gruppen, des ansteigenden religiösen Extremismus,
der Entfremdung von den Wurzeln unserer Kultur, unserer Tradition und unserer
Religion gegenüber. In Kürze: wir haben die Probleme einer jeden modernen
Gesellschaft - und noch ein paar mehr.
Israel hat nicht alle Probleme des
jüdischen Volkes gelöst. Es hat im besten Fall ein paar der Probleme
ausgetauscht. Aber wenn wir davon geträumt haben, sie würden gelöst werden, so
waren wir "wie Träumer" und nicht wie Realisten. Denn wenn wir auf die jüdische
Geschichte zurückschauen, dann sehen wir deutlich, dass die Existenz eines
unabhängigen jüdischen Gemeinwesens weder zur Zeit des ersten noch des zweiten
Tempels eine Garantie für eine ideale Gesellschaft war. Ein kurzer Blick auf die
Bücher der Propheten wird uns das sagen. Doch der Blick auf die Worte der
Propheten wird uns auch darüber informieren, dass wir nie aufgehört haben,
danach zu streben, diese Ideale zu erreichen. Auch heute nicht.
Wir dürfen der Verzweiflung nicht
erliegen und denen nicht zuhören, die uns sagen, dass unsere Probleme zu groß
und die Anstrengung, sie zu lösen, nicht wert sind. Wenn sich Juden überall dem
widmen, einen Part bei der Lösung der Probleme zu spielen, kann es geschafft
werden. Das Israel von Heute ist eine Herausforderung, eine Herausforderung den
Traum zu erfüllen, denn ohne Traum kann es keine Heilung geben.
R. Hammer erwarb sich
seine rabbinische Ordination und einen Doktorgrad in Theologie am Jüdischen
Theologischen Seminar von Amerika. Er lebt und lehrt in Jerusalem.
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