Alljene, die sich bis vor kurzem noch darum
gedraengelt haben, sich moeglichst viel bei ihm einzuschmeicheln. Alljene,
die noch gestern ueber jede seiner Aeusserungen wild gejubelt haben, egal
wie banal oder truegerisch sie war. Alle diese, die ihn als Genie
bezeichnet haben, als Magier, als bedeutenden Staatsmann, als Erben von
Maciavelli.
Und jetzt, wie sie ihn angehen, seine Partner
und Freunde! All die Minister, die noch gestern an seinen
Kabinettssitzungen teilgenommen haben, so brav und gehorsam, jeden
Nonsense, der aus seinem Mund kam, vertrauensvoll wie Papageie
wiederholend. So gierig nach einer Streicheleinheit, nach ein paar Krumen
von seinem Tisch.
Und wie diese Journalisten ihn jetzt angehen!
All diese, die sich bis vor kurzem noch Tag und Nacht um ihn gerissen
haben, die bereit waren ihre Grossmuter fuer ein Interview mit ihm zu
verkaufen, die ihn in jede Sendung und in jede Ausgabe gebracht haben,
genau so wie Assad in Syrien in den Medien present ist, und die ihm
froehlich geholfen haben, seine Luegen und falsche Behauptungen zu
verbreiten. Er sprach, er behauptete, er erklaerte, er bestritt, er
gelobte.
Und trotz alledem wusste ich, dass sein Ende
nah war. Ich lese regelmaessig die Artikel eines bestimmten Kommentators,
der einen besonders scharfen Sinn fuer die Dinge hat. Er scheint immer
bereits einen Moment vor den anderen zu wissen, wer stuerzen wird, und
trampelt dann sofort auf ihm herum. Seine Artikel aehneln den ersten
Bewegungen einer Wetterfahne, die bereits einen voelligen Wetterumschwung
andeuten. Als dann dieser Kommentator, der Netanyahu zweiundhalb Jahre
lang geschmeichelt hat, ihn ploetzlich boesartig attakierte, wusste ich,
dass ist das Ende.
Es ist kein angenehmes Spektakel, auch nicht
fuer diejenigen, die Netanyahu verachten. Jeder Bastard wird ein Koenig,
jeder Speichellecker wird ein Held. In den Worten des Kardinals bei der
Wahl des Papstes: "Sic transit gloria mundi", so vergeht der Ruhm der
Welt. Der Ruhm des grossen Magiers ist vergangen. Es sind keine Kaninchen
mehr da. Der Kaiser hat keine Kleider.
So jedenfalls scheint es. Ist es
wirklich so?
Man sagt, dass als Stalin starb, die
Mitglieder seines Politbueros lange Zeit bei seinem Koerper standen und es
nicht wagten, ein Wort zu sagen - fuer den Fall das der brutale Despot ins
Leben zurueck kommen wuerde. Ich rate allen, die das politische Ableben
Netanyahus feiern, sich ebenso vorzusehen. Und ich rate besonders den
Mitgliedern der Opposition, mit voreiligen Siegesfeiern zurueckzuhalten.
Es mag zwar sein, dass der Mythos Netanyahu
erschuettert ist. Der allmaechtige Politiker ist am Boden zerstoert, sein
beruehmtes Laecheln eingefroren. Mister "Ich-liebe-es-zu-gewinnen" ist
geschlagen. Aber es ist noch zu frueh, dem Baeren das Fell abzuziehen.
Dieser Baer ist verwundet, und ein verwundeter Baer ist, wie jeder weiss,
ein sehr gefaehrlicher Baer.
Im rechten Fluegel gibt es noch immer eine
grosse Gruppe, die Netanyahu verehrt. Die grosse Mehrheit der Likudniks,
diejenigen orientalischer Abstammung, braucht keine verwoehnte
aschkenasische Prinzen. Morgen wird diese Mehrheit schreien: "Lang lebe
Bibi! Lang lebe Sara!". Wie auch immer die erste Runde der Wahlen des
Ministerpraesidenten ausgehen werden - in der zweiten Runde wird der
Kandidat des demokratischen, saekularen, friedenswilligen Lagers auf
Netanyahu treffen, auf genau denselben Netanyahu - und das, und nur das
wird der Moment der Wahrheit sein.
Die Geschichte ist voll von Beispielen an
Armeen, die die feindlichen Fronten druchbrochen und deren Lager erobert
haben, dann aber ihre Disziplin verloren haben und sich in plündern und
trinken ergingen - an diesem Punkt schlaegt dann der Feind mit einer
Gegenoffensive zurueck. Wie das Sprichwort sagt: Wer zuletzt lacht, lacht
am besten.
Daher beobachte ich mit Sorge die
Entwicklungen im Lager der "Vernuenftigen". Die Anzeichen von Aufloesung
in der Arbeitspartei, die Bestrebungen ein halbes Dutzend Kandidaten zur
Premierministerwahl zu praesentieren, die zahlreichen Neugruendungen von
Parteien, die Unfaehigkeit jedes einzelnen Kandidaten, die Fuehrung zu
uebernehmen und die anderen "eigentlichen" Premierminister um sich zu
sammeln und zu einer einigen Kraft zu vereinigen. Sieg ist nicht nur
alleine das bestaendige Absetzen von Netanyahu und seiner Gefolgschaft,
Sieg bedeutet auch, das Land von einer, waehrend der Aera Bibi
perfektionierten, primitiven Weltansicht abzubringen.
Diese Mission wird nicht von einem Politiker
vollbracht werden, der keine klare und aufrichtige Botschaft zu allen
wichtigen Themen hat, vor allem zu dem einen Thema, das unser Schicksal
fuer die nachfolgenden Generationen bestimmen wird: Frieden mit dem
palaestinensischen Volk. Das Fehlen von Integritaet, das Fehlen von
Aufrichtigkeit, das Fehlen von Mut, das Fehlen von Kuehnheit - das sind
nicht die Eigenschaften eines Fuehrers. Einer der Angst hat, der stammelt,
der lieber Verwirrung bringt, der leicht nachgibt - der wird Netanyahu
nicht bezwingen koennen.
Letzte Woche passierte mir etwas amuesantes.
Ich schrieb eine
Satire in dieser Kolumne - ein
Parteiprogramm
mit keiner bestimmten Meinung, bestehend aus den hohlsten,
abgedroschensten und konventionellsten Klischees. Und siehe da: Noch am
selben Tag wiederholte Ehud Barak dieses Parteiprogramm in der Knesset. Am
naechsten Tag war Dan Meridor damit an der Reihe. Ich fuerchte, Amnon
Lipkin-Shahak wird eine aehnliche Vorstellung geben.
Es ist der sichere Weg, um zu verlieren.
Uri Avnery
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