Irlands andere Diaspora:
Jüdisch-Irisch im Inland / Irisch-Jüdisch im Ausland
Ronit Lentin
[English]
[French] [German]
Einführung: Ein
kurzer Moment in einer kollektiven Vergangenheit
Etwa 1884: Ein vierzehnjähriger Junge namens Kalman kommt
mit dem Schiff von Hamburg in Cobh an, allein. Er ist der Zwangsrekrutierung
der Armee des Zaren entkommen, er ist mit einer Gruppe litauischer Juden aus
dem Schtetl Akhmian auf dem Weg nach Amerika. Man hat sie angewiesen, im Süden
Irland an Land zu gehen, sagte ihnen, dies sei Amerika. Sie waren beides,
Asylsuchende und Wirtschaftsflüchtlinge, doch kein Beamter prüfte ihre Pässe,
kein Asylverfahren regelte ihre Integration. Die meisten blieben nur kurz in
Irland und fuhren weiter in die USA oder nach Südafrika. Ein paar Tausend sind
geblieben.
Von Kalmans irischen Anfängen ist wenig bekannt.
Höchstwahrscheinlich begann er sein Arbeitsleben als reisender Hausierer, der
den irischen Hausfrauen alles verkaufte, von Utensilien für die Küche bis zu
Heiligenbildchen. Er war einer der Juden, die in Bruder John Creaghs Predigten
"Blutsauger" und "Vipern in unserer Mitte" genannt wurden, als dieser seine
Redemptoristen Herde anstiftete, die Juden von Limerick zu boykottieren,
woraus das wurde, was als "Limerick-Pogrom" bekannt geworden ist.
Ein Bruder überzeugte ihn, nach Texas auszuwandern – aber
der Bruder lebte, wie die Familienüberlieferung behauptet, "in der finstersten
Provinz" (später als Phoenix, Arizona bekannt), und als Kalman ankam, gab er
ihm eine Pistole, die er unter das Kopfkissen legen sollte. Kalman mochte es
nicht, mit einer Pistole unter dem Kopfkissen zu schlafen, und er mochte die
Tatsache nicht, dass zu Fuß keine Schul zu erreichen war. So kehrte er nach
Limerick zurück, wo er schließlich ein wohlhabender Schrotthändler wurde und –
unter anderem - mit Fahrendem Volk handelte.
Die Lentins sind eine typisch jüdische und irische
Emigrantenfamilie – nur einer von Kalmans Enkelkindern bleibt in Irland. Die
anderen Enkel und Urenkel haben in den USA in England, Südafrika, Australien
und Israel gelebt – einige ihrer Stimmen sprechen in diesem Papier.
Die Geschichte von Irlands irischer Diaspora ist ein
Scheideweg, an dem sich die Erzählungen der Diaspora schneiden. Die irischen
Juden sind nicht nur Teil der jüdischen Diaspora, sie haben emotionale
Bindungen zu einer Reihe mythischer Heimatländer. Sie sind auch Teil der
irischen Diaspora und halten an Verbindungen zu einem mythischen Irland fest,
wo sie sich für einen kurzen Moment in ihrer früheren kollektiven Wanderschaft
aufgehalten haben.
Michael Waltzer postuliert das Galut-Exil als zentral für
das jüdische Denken der letzten 2500 Jahre. Während dieses langen Zeitraums
des Exils – wenn eine Jüdin eine wirklich lange Zeitspanne beschreiben will,
sagt sie, "es ist ein langes Exil" – überließen Juden das Geschäft des
Regierens anderen, während sie sich mit "Haushaltsdingen", beschäftigten, mit
den Belangen innerhalb der Gemeinde, daher die "doppelte Loyalität", die den
Diasporajuden vorgeworfen wird. Sander Gilman unterscheidet zwischen der
freiwilligen Ausbreitung der Juden ("Galut" oder "Golah") und dem
unfreiwilligen Exil (Diaspora): "Die beiden Modelle existieren in der
jüdischen Geschichte gleichzeitig in dem Bild der verwurzelten und an Macht
beteiligten Juden einerseits und der entwurzelten und machtlosen Juden
andererseits ... dieselbe Person kann seine oder ihre Existenz konzeptuell mit
diesen beiden Modellen in unterschiedlichen Zeiten und unterschiedlichen
Zusammenhängen verknüpft finden." Das Exil kennzeichnet die Grundbedingungen
jüdischen Daseins, trotz der Existenz eines jüdischen Staates seit 52 Jahren;
die Theoretisierungen jeder Diaspora, einschließlich der irischen, fußen auf
der jüdischen Erfahrung. Genauer, wenn wir von der jüdischen Diaspora Irlands
sprechen, müssen wir sowohl an eine jüdische Diaspora in Irland selbst denken
als auch an eine irisch-jüdische Diaspora außerhalb Irlands.
Mein eigenes (typisch jüdisches) Leben ist durch die
Bedingungen des Lebens in der Diaspora geprägt worden – meine Familie stammt
aus dem Norden Rumäniens. Ich wurde in Palästina unter Britischem Mandat
geboren und in Israel erzogen; als ich Kalmans Enkelsohn heiratete, wanderte
ich freiwillig nach Irland aus, wo ich jetzt einen großen Teil meiner Zeit
damit verbringe, über Rassismus und Migrationsfragen zu arbeiten.
Dieser Artikel beginnt mit einer kurzen Beschreibung der
jüdisch-irischen Diaspora im Land selbst und wird dann auf eine laufende
Studie über die irisch-jüdische Diaspora außerhalb des Landes eingehen.
Zeitgenössische Juden in Europa bewegen sich zwischen Theoretisierungen der
"verschwindenden Diaspora" und einem neuen jüdischen Raum in einem sich
verändernden Europa. Jüdisch-irische kulturelle Migrationsmuster
charakterisieren die weiterbestehenden Zentralität des Exils in der
zeitgenössischen jüdischen Existenz, eine Zentralität, die von einer neuen
elektronischen irisch-jüdischen Site verdeutlicht wird, die eine virtuelle
"Heimat fern der Heimat" konstruiert, wo die verschwimmenden Bindungen
zwischen "Diaspora" und "Heimatland" ständig neu verhandelt werden.
Irisch-jüdisch im Inland
Obwohl sich der Rassismus in Irland des 21. Jahrhunderts
primär gegen Landfahrer, gegen Schwarze und gegen Flüchtlinge richtet, würde
ich behaupten, dass Juden die archetypisch "Anderen" für den nationalen
irischen Katholizismus sind, und ihr Anderssein muss als Teil der
Besonderheiten des irischen Rassismus mit einbezogen werden.
Doch die ernsteste Konsequenz des irischen Antisemitismus
ist der ständige zahlenmäßige Rückgang der Juden in Irland. Zwischen 1881 und
1911, der Hochzeit der jüdischen Einwanderung in Irland, stieg die Zahl der
Juden jährlich durchschnittlich um acht Prozent an. Die Gemeinden wuchsen bis
1946 stetig, obwohl zwischen 1933 bis 1946 nur 60 jüdischen Asylsuchenden die
Einreise nach Irland gestattet wurde. Seitdem gibt es einen ständigen Rückgang
– seit l946 ist die irische jüdische Gemeinde um mehr als 70 Prozent
zurückgegangen, von 3900 im Jahr l946 auf heute ungefähr 1200. Während Irland
derzeit eine Nettozuwanderung verzeichnet, geht die Auswanderung junger
irischer Juden selbst im Wirtschaftsboom der späten neunziger Jahre weiter.
Das Jahr l999 war ein historischer Scheideweg für Irlands Juden: Die 107 Jahre
alte orthodoxe Synagoge in der Adelaide Road in Dublin, die wegen
Besucherschwunds geschlossen wurde, wird derzeit von ihren jetzigen
Eigentümern abgerissen, und ein smartes Apartmentgebäude namens "Symphony
House", wird an der Stelle gebaut, allerdings muss die Fassade der Synagoge
wegen der städtischen Baubestimmungen konserviert werden.
Irisch-jüdisch im Ausland: zwischen Geographie und
Genealogie
Der Soziologe Paul Gilroy ist der Ansicht, dass die Diaspora
ein Beziehungsgeflecht ist, das für gewöhnlich durch erzwungene Ausbreitung
und zögernde Verteilung produziert wird. In welchem Ausmaß beziehen sich
irisch jüdische Exilanten auf die ursprüngliche Erzählung ihrer Ansiedlungen
in Irland, die durch Pogrome und Flucht vor Zwangsrekrutierung zustande kamen?
In einer E-Mail-Umfrage, die ich unter den Mitgliedern der irischen JIG, der
irisch-jüdischen Internetgruppe durchführte, habe ich die Teilnehmer gebeten,
ihre Wahrnehmungen von "Diaspora" und "Heimat" in Bezug auf Litauen (wo die
meisten ihrer Vorfahren geboren wurden) zu beschreiben, sowie von Irland (wo
diese Vorfahren für einen kurzen Moment in der Geschichte Wurzeln schlugen),
Israel (angeblich das notorisch/nationale Heimatland der Juden) und ihren
derzeitigen Wohnorten.
Gilroys Theoriesetzung des "Black Atlantic" folgend, die
diesen als Mischling bezeichnet, der Kultur seiner "Vorfahren" verpflichtet
aber erklärter Weise ein Bastard, würde ich behaupten, dass trotz der
"Natürlichkeit" des Exils für den jüdischen Weg, die jüdischen Gemeinden in
der Diaspora ein Kultur übergreifendes Gemisch darstellen, geformt durch "den
Gegensatz zwischen sesshaften Nationen, die in einem Land ihre Wurzeln haben
... und den sehr anderen Mustern der Wanderungen", die in den
"verschiedenartigen Zugehörigkeitsfeldern, in den Gegensätzen zwischen
Geographie und Genealogie, zwischen Land und Meer verortet... einer Gegenkraft
territorialer Souveränität." Diese vielschichtige Ortung erklärt
möglicherweise die in gewisser Weise konfusen Geschichten meiner Befragten aus
der Diaspora, wie sie zum Beispiel bei Irene Kyffin Ausdruck kommen: "Zu
welchem Land gehöre ich? Gehöre ich irgendwo hin? Bin ich die wandernde Jüdin?
Wo sind meine Loyalitäten?"
Die ersten Beantworter der Frage nach der Heimat referieren
eine schwache Erinnerung an Litauen; doch nur wenige haben von der
traumatischen Vergangenheit irischer Juden in Litauen gesprochen:
"Alles was mein Vater weiß ist, dass sein Großvater Bürgermeister der
schäbigen litauischen Kleinstadt Pluge war. Er ist in Südafrika aufgewachsen,
empfindet es als seine Heimat, keiner in der Familie hat an Litauen einen
zweiten Gedanken verschwendet." (Ron Robin, Israel.)
"Die Umstände, unter denen meine Großeltern Litauen
verließen, bedeuteten, dass die Verbindung auf eine dramatische und
schmerzhafte Weise zerrissen wurde. In meiner Vorstellung ist Litauen ein Land
von Schtetln und Pogromen, auf keine Weise eine Heimat." (Barbara Lantin,
London.)
Zweitens beziehen sich die meisten Beantworter – wenn auch
problematisch – auf ihre derzeitigen Wohnorte als "Zuhause", wenn nicht gar
als "Heimat":
"Ich habe meine ganzen 63 Jahre in Südafrika gelebt,
deswegen kann es in meinem Kopf keinen Zweifel geben, dass hier meine Heimat
ist ... Die Gedanken der Südafrikaner sind etwas verzerrt durch die derzeitige
Situation des Landes. Wir leben in Zeiten, die Parallelen zur irischen
Geschichte haben. Die jüdische Jugend geht. Es gibt kaum eine Familie, in der
nicht ein oder mehr Kinder weggegangen sind." (Robert Lentin, Südafrika.)
"Wir sind in Südafrika aufgewachsen. Ja, die Lebensart, die
Vitalität und die Erde, der Sand und das Meer sind Teil meiner Seele. Heimat?
Ich kann nicht spüren, dass dieses Etikett stimmt." (Sandy Hotz, Südafrika.)
"Ich denke, für meine Familie war die Diaspora überall. Sie
hatten keine richtige Heimat. Für mich ist die Diaspora heute überall
außerhalb Israels. Ich liebe vielleicht Irland und England, wo ich viele Jahre
gelebt habe, aber ich bin mir immer bewusst, dass die Iren und die Engländer
mich als Fremde ansehen und immer angesehen haben. Das zeigt sich häufig in
den ‚ihr und wir‘ Gesprächen." (Vivienne Rifkin, Israel.)
Ob der Wohnort nun in Israel liegt oder nicht, einige
Beantworter sehen Israel als das "wahre Heimatland" der Juden, wie Devorah
Fine es ausdrückt: "Mir kommt es so vor, als würde man alle Juden, die
woanders wohnen, als in der Diaspora lebend ansehen. Sie ist Teil unseres
Exils, ob wir aus Litauen, Australien, Amerika, Irland, jedem anderen Land,
das Sie wollen, sind." Fay Meltzer stimmt dem nicht zu: "Ich kann mir nicht
vorstellen, diese Art von Leidenschaft zu empfinden, wie sie manche Juden für
das Land Israel empfinden. Es ist das Land, die Geschichte, die Menschen dazu
bringt, für es zu kämpfen und zu töten. Lächerlich, sage ich."
Mehrere Beantworter gehören irisch-jüdischen Vereinen an,
wie der Israel-Ireland Friendship League und der in New York beheimateten
League of the Yiddish Sons of Erin. Es ist interessant, dass im Gegensatz zur
Tendenz jüdischer Heimatvereine, eine jüdische Vergangenheit woanders zu
zelebrieren, vor allem in Osteuropa, die irischen Juden im Ausland, wie ihre
nicht jüdischen Landsleute dazu neigen, in ihren irisch-jüdischen Vereinen auf
irische Art zu feiern, z.B. Trinken und grüne Bagel und den St. Patrick's Day.
"Die Loyal League of the Yiddish Sons of Erin wurde von Michael Mann
gegründet, einem ehemaligen Dubliner, der ein sehr bekannter Arbeiterführer in
New York war. Einmal im Jahr feierten wir eine große Party und aßen grüne
Bagel und grüne Matzebällchen und Hühnersuppe, und dann krönten wir eine
Königin Esther. Wir marschierten ein paar Mal bei der St. Patrick's Parade
mit." (Theo Garb, New York.)
"Es gibt annähernd 300 in Irland geborene Juden, die in
Israel leben. Das Anliegen der Israel-Ireland Friendship League ist, die
irische Kultur in Israel bekannt zu machen. Dieses Jahre haben wir Des Keogh
und davor hatten wir Niall Toibin, David Norris und Ronnie Drew zu Besuch."
(Richard Stein, Israel).
Für die meisten Beantworter ist Irland ein kurzer, aber
nachhaltiger Moment in ihrer kollektiven Geschichte. "Ich empfinde eine starke
Verbindung mit Irland, nicht als Land oder Nation, sondern als Geburtsland
eines großen Teils der Familie meines Vaters. Für mich geht es dabei um
Zugehörigkeit und das Verstehen, ‚wo man her kommt‘, in einem eher genetischen
als geographischen Sinn." (Barbara Lantin, UK). Doch mehrere Beantworter
sprechen klar und deutlich über die Gründe, warum sie Irland verlassen haben,
es ist eine Mischung aus spezifisch irischen und spezifisch jüdischen
Faktoren:
"Wenn ich auf meine Leben zurückblicke und auf die Dinge,
die ich erreicht habe, weiß ich, dass das Leben, das für mich in Irland
vorherbestimmt gewesen wäre, Ehefrau, Mutter und so weiter, mir nicht gefallen
hätte ..." (Nella Pearse, UK)
"Wenn ich nach Irland zurückkehre, sauge ich begierig alles
auf, was irisch ist – aber ich bin eine Fremde ... Warum ich Irland verlassen
habe? Einfach ausgedrückt: ich fühlte, dass dort nichts war. Ich war begierig
auf Erfahrungen. Die Menschen verließen Dublin, gingen nach London. Ich
spürte, dass es sehr viel mehr zu bieten hatte ... ich blieb teilweise in der
jüdischen Enklave, ein Fuß drinnen, ein Fuß draußen, in einer nichtjüdischen,
faszinierenden Welt. Es war sehr schwer, die beiden in Einklang zu bringen.
Jetzt frage ich mich manchmal, ob ich nicht nach Dublin zurückgehen sollte
..." (Irene Kyffin, London).
"Für mich war das Verlassen Irlands eine Flucht aus der Enge
des Lebensstils meiner Familie sowie meine starke Abneigung gegen die
Allgegenwärtigkeit des Katholizismus in Irland. Ich habe Irland nie als meine
"Heimat" empfunden. Ich glaube, es war nie die Absicht meiner Familie, sich in
Irland niederzulassen, sondern es war in der Tat ein zufälliger Landeplatz,
als sie Rußland verließen. So ist Irland in gewisser Weise eine
Zwischenstation für einige der Familienmitglieder geworden, da die meisten
ihre Zelte in anderen Ländern aufgeschlagen haben." (Fay Meltzer, US.)
"Schwindende Diaspora" versus "neue jüdische Räume" in
einem sich wandelnden Europa
Gilroys Argument, dass sich die Diasporaidentität auf die
"gesellschaftliche Dynamik von Erinnerung und Gedenken" konzentriert,
definiert durch ein ausgeprägtes Gefühl für die Gefahren, die das Vergessen
des Ortes der Herkunft sowie der Prozess der Ausbreitung zur Folge haben, mag
für meine älteren Beantworter relevant sein, aber nicht für die Gründe, die
junge irische Juden für ihre Emigration angeben. Die Berichte der zweiten
Generation irisch-jüdischer Emigranten, alle zwischen 20 und 30 Jahre alt,
Kinder in Irland geborener Eltern, in irisch-jüdischen Schulen erzogen,
Mitglieder jüdischer Jugendgruppen, alle mit Universitätsstudium, verweisen
auf eine andere Dynamik als bei den Älteren in meiner Umfrage und sind
kennzeichnend für die Spannung zwischen Wassersteins "schwindender Diaspora"
und Pintos Analyse von einem "neuen jüdischen Raum".
Trotz des Optimismus der irisch-jüdischen Gemeinde, wie er
im irisch-jüdischen Jahrbuch von 2000-1 zu Ausdruck kommt, über die
"zahlreichen jungen Menschen, die in die Gemeinde kommen, manche mit kleinen
Kindern, die unsere jüdische Schule besuchen", sagen meine jungen Informanten,
dass die Diasporahaltung bei jungen irischen Juden seit der Kindheit
einprogrammiert war und ist, sie kritisieren das Versäumnis der jüdischen
Gemeinde, kreativ auf den Mitgliederschwund zu reagieren sowie auf die
Bedürfnisse der Jungen: "Ich habe immer dies als Teil meiner jüdisch-irischen
Identität akzeptiert; schließlich gehst du weg. Es muss daher kommen, dass die
Gemeinde so klein ist. Und die Mitglieder sind von Grund auf pragmatisch,
indem sie akzeptieren, dass du emigrieren wirst." (Barry.)
Aber Jüdischsein ist vielleicht eine Entschuldigung dafür
wegzugehen, meint Yael: "Ich wollte weg ... und es war klar, dass es leicht
sein würde, weil es so wenige Möglichkeiten für irgendein jüdisches
gesellschaftliches Leben in Dublin gab und für das Finden eines jüdischen
Partners.
Neben der "Programmierung", die schwindende Gemeinde zu
Gunsten blühender "jüdischer" Umfelder zu verlassen, sowie der persönlichen
Gründe für den Weggang, wie der Wunsch, einen jüdischen Partner zu finden,
liegt der Hauptgrund für die Abwanderung in dem Widerspruch zwischen
"Jüdischsein" und "Irischsein". Die Teilnehmer meiner Umfrage signalisieren,
dass ihr Anderssein, als sie aufwuchsen, nicht im Einklang stand mit irischen
republikanischen Liedern, oder dass sie sich schämten, weil sie jeden Morgen
zum Schulbeginn das Morgengebet der Klasse verlassen mussten: "Es war das
Gefühl, dass sie dich als den anderen sehen, sie fragten dich nach deinem
Pass, sagten, hast du einen israelischen Pass. Es war immer das Gefühl, als
Jude musst du dein Irischsein irgendwie beweisen." (Barry.)
Obwohl die "schwindende Diaspora" die Berichte der jungen
Menschen verdunkelt, verweisen sie auch auf neue heutige europäisch-jüdische
Möglichkeiten. Andererseits können junge irisch-jüdische Emigranten, die
verformt sind durch die rigide Führungshierarchie der jüdischen Gemeinde und
ihrer jüdischen Zukunft, auch als Teil des brain drain der Intelligenz und als
Verlust für die irisch-jüdische Gemeinde gesehen werden. Sie können auch als
Symptom der irisch-jüdischen Zukunft gesehen werden, wo es, trotz Irlands
beginnender Multi-Ethnizität, bald keine signifikante jüdisch-irische Präsenz
mehr geben wird.
Die jüdische Diaspora in Irland ist ein Spiegel der
irisch-jüdischen Diaspora in Israel – Menschen, die, zusammen mit 1,5
Millionen Juden, die seit 1945 aus Europa nach Israel eingewandert sind, der
Verantwortung den Rücken gekehrt haben, jüdisches Leben in der europäischen
Diaspora aufzubauen. Die Präferenz Israels im Vergleich zu einer Diaspora
irgendwo auf der Welt, findet ihr Echo in E-Mail-Stichproben, selbst bei
denen, die nicht Israel gewählt haben. Trotzdem empfinden sich jüdische
Emigranten häufig als doppelt exiliert, als irische Emigranten in Israel und
als israelische Emigranten in Irland. Zum Beispiel Lisa, Irin der vierten
Generation, emigrierte nach Israel, kehrte nach Irland zurück und fiel in die
Kategorie der Yordim, Einwanderin aus Israel. Die meisten ihrer Freunde in
Dublin sind Israeli, die im IT-Bereich arbeiten und die, als sie Israel
verließen, die radikale zionistische Annahme zu stürzen versuchen, dass nur
ein Leben in Israel "normal" und authentisch jüdisch sein kann.
Junge irisch-jüdische Emigranten fallen möglicherweise in
James Wickhams Kategorie der jüdischen Arbeitsemigranten, die im Zusammenhang
zu sehen sind mit der Fragmentierung der Identität von Nationalstaaten und
Gesellschaft durch Globalisierung und Informationstechnologie. Wickham schlägt
vor, die traditionelle Vorstellung von irischer Emigration abzulegen zugunsten
einer Soziologie der heutigen irischen abgestuften Hin- und
Zurück-Migrationsmuster. Aber Marian zum Beispiel, die auf der Suche nach
einem IT-Job in die Vereinigten Staaten auswanderte, hält sich die Optionen
offen, ob sie sich in den Staaten stärker auf die jüdische Gemeinde einlassen
will.
Wir können außerdem von einer "postmodernen" Diaspora
individueller "jüdischer Räume" in einem neuen Europa sprechen. Nach Diana
Pinto gibt es neue kommunale zwangslose jüdische Räume in einem sich
wandelnden Europa, die über Assimilation und Gettoisierung hinausgehen: "Juden
können, selbst in winzigen homöopathischen Dosierungen, in jeder Gesellschaft
eine starke jüdische Präsenz schaffen ... Der "elektronische Faxjude" muss
sich nicht mehr isoliert und verloren vorkommen." Yael, die für europäische
Institutionen in mehreren europäischen Hauptstädten gearbeitete hat, empfindet
sich selbst als "freiwillige Vertriebene". Ihre jüdische und ihre irische
Identität, beide freiwillig, existieren jeweils separat in einem europäischen
Kontext. Sie ist Teil einer globalen, postmodernen, gemischten diasporischen
Jüdischkeit in Europa, deren kulturelle Identitäten "im Übergang" deutlich
werden, sich auf unterschiedliche Traditionen beziehen und alt und neu
harmonisieren, ohne Assimilierung oder den völligen Verlust der Vergangenheit.
Schlussfolgerung: Virtuelle Dekonstruktion der
irisch-jüdischen Heimat-Diaspora-Binoritäten
Außer Pintos "elektronischem Faxjuden", gibt es eine weitere
irisch-jüdische Möglichkeit einer Diaspora. Der Soziologe Paul Stubbs, der
"Croatia Online" als eine "virtuelle Diaspora" erörtert, behauptet, dass die
"Existenz von Computern vermittelten diasporischen öffentlichen Bereichen das
Verständnis dessen vertieft, was als transnationale und postnationale
Vorstellungen bezeichnet wird, da sie, als komplexe diskursive und historische
Felder, besondere Konstruktionen eines nationalen Raums in diversen globalen
Sites repräsentieren, die effektiv vereint vorgestellte Orte oder Heimatländer
werden". Stubbs verknüpft Theoretisierungen über die Diaspora und Karikaturen
des "long distance-Nationalisten" mit dem, was er als "Netnographie"
bezeichnet, er zitiert Rheingold, argumentiert, dass "virtuelle Gemeinden
soziale Gruppierungen sind, die im Netz zutage treten, wenn ausreichend viele
Menschen öffentliche Diskussionen lange genug führen, mit ausreichend
menschlichen Gefühlen, um Netze persönlicher Beziehungen im Cyberspace zu
knüpfen."
Lisa schlug vor, eine irisch-jüdische Gemeinde-Website
einzurichten, als eine Möglichkeit, junge berufstätige jüdische Familien nach
Irland zu ziehen, um so die irisch-jüdische Gemeinde zu vergrößern, aber mit
der "richtigen Sorte Leute", die in der Lage sind, nicht nur zahlenmäßig dazu
beizutragen, sondern auch kulturell und ökonomisch. Bis eine derartige
offizielle Webseite eingerichtet ist, lebt der irisch-jüdische Cyberspace gut
mit den Irish JIG, einer E-Mail-Adressenliste "mit einer weltweiten
Mitgliedschaft all derer, die sich für irgendeinen Aspekt irisch-jüdischer
Angelegenheit interessieren – Geschichte, Genealogie, Familie und Freunde."
Im Gegensatz zu dem Argument, dass virtuelle Gemeinden von
Natur aus trans- oder postnational sind, argumentiert Stubbs, dass es zwar
analytisch falsch ist, von "der Kroatischen Diaspora" zu sprechen, aber eine
Webseite für emigrierte Kroaten dazu beiträgt, "die
Heimat-Diaspora-Beziehungen vorrangig zu sehen" und somit die kroatische
Nation im Cyberspace vorzustellen. Während eine Netnographie der irischen JIG
hier nicht gegeben werden kann, scheint es doch so zu sein, dass die irische
JIG, solange es "ausreichend" Menschen gibt, die die öffentliche Diskussion
"lange genug" fortsetzen, online einen diasporischen Raum anbietet, in dem
Familiennachrichten, Feiertagsgrüße und allgemeine Informationen ausgetauscht
werden und zusammen eine irisch-jüdische Heimat fern der Heimat konstruiert,
selbst wenn die Teilnehmer sich alle nicht sicher sind über die Relevanz
Irlands als Heimatland.
Übersetzt von Gesine Strempel
Ronit Lentin wurde in Haifa, Palästina, geboren und
wuchs in Israel auf. 1969 zog sie nach Irland. Sie ist Schriftstellerin,
Soziologin und leitet die Ethnic and Racial Studies am Trinity College in
Dublin.
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