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Frei nach Motiven:
Klemperer – Ein Leben in Deutschland
Frei nach Motiven der Tagebücher
von Victor Klemperer
"Ich will Zeugnis ablegen bis zum letzten"
1995: Im Buchhandel
erscheinen jene
Tagebücher, die der jüdische Professor für Romanistik, Victor Klemperer,
zwischen 1933 und 1945 geschrieben hatte. Binnen kurzer Zeit avancieren die
beiden Bände mit dem Titel "Ich
will Zeugnis ablegen bis zum letzten" zum Bestseller. Vier Jahre später
nun der Film zum Buch,
aber was heißt "Film" ?
Zwölf Filme, rund 630 Minuten
Zeitgeschichte, beste Sendezeit, hervorragende Schauspieler, ein
renommierter Drehbuchautor und reichlich Vorschußlorbeeren von der Presse
weckten große Erwartungen.
Es ist keine Seltenheit, daß die
Verfilmung eines Lesestoffes, sei es nun ein fiktiver Roman oder ein Stück
authentischer Biographie, die ursprüngliche Leserschaft enttäuscht. "Im Buch
war das aber ganz anders und viel spannender!" ist ein in diesem
Zusammenhang oft zu hörender Satz. Die Produzenten der Klemperer Filme haben
sich abgesichert: "Frei nach Motiven der Tagebücher von Victor Klemperer"
hieß es im Abspann und wahrhaftig: sehr frei ist Drehbuchautor Peter
Steinbach mit den Tagebüchern umgegangen. In einem
Interview mit ARD Online erklärte er:
"Als Routinier kann man das –
Personen einbauen, um schöne Geschichten zu erzählen, Personen mit einer
anderen Biographie, anderen Namen versehen, um keine rechtlichen
Probleme zu bekommen und um niemanden zu verletzen. Aber man muss sich
dabei auch beschränken können, dass das nicht ausufert. So ist eine
eigenständige Mischung entstanden aus den Tagebüchern und meinem Fundus,
eine Mischung, die die Wahrheit erzählt."
Eine Mischung war es in der Tat,
aber wessen Wahrheit wurde erzählt?
Steinbachs oder Klemperers? Im ARD
Online Interview
heißt es weiter:
"Einige Leser der Tagebücher werden
gewiss sagen, dass in Wahrheit aber einiges ganz anders gewesen sei...
Meinen Sie wirklich, dass diese Kritik kommt? Das wäre
kleinbürgerlich und mir auch völlig wurscht. Es muss Diskussionen geben,
aber über den Inhalt, über die schreckliche Zeit. Die Qualität unserer
Arbeit wird jede andere Kritik überdecken. Das Werk spricht für sich."
Gewiß muß es Diskussionen über den
Inhalt geben, aber eben über den tatsächlichen Inhalt der Tagebücher. Die
Wurschtigkeit, mit der Steinbach derartige Einwände als kleinbürgerlich
abqualifiziert, legt die Vermutung nahe, daß er an einer ernsthaften
Diskussion kaum interessiert ist.
Aber eben diese Inhalte bestimmen
letztlich die Qualität der Arbeit, um die es hier geht.
Fast zwölf Millionen Zuschauer haben
nach Angaben der ARD eine oder mehrere Folgen der Klemperer-Verfilmung
gesehen und kamen, einer Begleituntersuchung zufolge, die die
Rundfunkanstalt beim Münchner Institut Infratest in Auftrag gegeben hatte,
zu einem überaus positiven Gesamturteil. Zwei Drittel der befragten
Zuschauer fanden die Verfilmung gut oder sehr gut.
Aus Leserbriefen und
Zeitungsrezensionen ergibt sich jedoch ein anderes Bild. Was die Regisseure
Kai Wessel (Folge I-VI) und Andreas Kleinert (Folge VII-XII) mit ihrem
gemeinsamen Kameramann Rudolf Blahacek an zwölf Abenden präsentierten, war
bestimmt kein "Schund" oder "Skandal", wie ein Kritiker der ZEIT nach
Ausstrahlung der ersten sechs Folgen wetterte.
Es ist auch nicht so, daß wir geradezu
überschüttet werden mit gut
gemachten Fernsehspielen über deutsche
Nationalgeschichte. Und doch hat es in den vergangenen Jahren
Fernsehproduktionen gegeben, die Maßstäbe gesetzt haben, an denen sich die
Klempererverfilmung wird messen lassen müssen: So zum Beispiel Egon Monks
hervorragende fünfteilige Verfilmung "Die Bertinis" nach der
autobiographischen Romanvorlage von Ralph Giordano, die Fersehspiele "Drei
Tage im April" und "Gegen Ende der Nacht" von Oliver Storz oder auch die
achtteilige Verfilmung der Kindheitserinnerungen von Janina David "Ein Stück
Himmel" unter der Regie von Franz Peter Wirth.
Alle diese Produktionen hatten "die
schreckliche Zeit", wie Steinbach sie nennt, zum Inhalt und – sicher nicht
das allein entscheidende Kriterium, aber dennoch nicht zu unterschätzen –
sie kamen der Klemperer-Verfilmung zuvor. Hinzu kommt das Format, in dem die
Tagebücher verarbeitet wurden. Abgesehen vom ersten Teil, wurden allzu
kleine Häppchen von nicht ganz fünfzig Minuten gesendet. Doch selbst wenn
die Episoden zum üblichen Spielfilmformat von jeweils neunzig Minuten
zusammengefaßt würden, änderte es nichts an dem Eindruck, daß dieser Film
ganz einfach zu lang ist und gemessen an dieser Überlänge zu wenig Spannung
birgt.
Dies liegt nicht etwa an der Regie oder
an deren angeblich allzu ästhetischer Umsetzung sondern zu allererst am
Drehbuch und damit an Peter Steinbach, der es nicht dabei belassen wollte,
Klemperers Wahrheit zu erspüren und zu schildern, sondern noch den eigenen
Fundus hinzugezogen hat, um "schöne Geschichten zu erzählen".
"Wer vieles bringt, wird manchem
etwas
bringen" heißt es schon bei Goethe und so hat Steinbach nur wenig
ausgelassen, auch nicht die Klischees: So zum Beispiel den Hilfsarbeiter
Müller, der mit Klemperers Hilfe eine Fahrschule eröffnet, schließlich
Karriere bei der SS macht, Klemperers Auto beschlagnahmt, ihm droht und am
Ende als "Unkraut vergeht nicht" in der Kommunistischen Partei wieder ganz
klein anfängt.
Jüdische Studenten werden
zusammengeschlagen von ihren Nazi-Kommilitonen, ein jüdischer Professor
begeht Selbstmord, und ein blondzopfiges Mädchen beschimpft Klemperer als
"Börsenschieber". Die wenigen Guten in dieser Zeit schmuggeln Klemperer
verbotenes "arisches Gemüse", also Tomaten, in die Einkaufstasche und Eier
in die Milchkanne. Sie ziehen demonstrativ den Hut, weil sie sich
vorgenommen haben, jüdische Mitmenschen nach Einführung der
Sterntragepflicht ganz besonders freundlich zu grüßen, während sich die
Nicht-Guten abwenden oder die Sterne an den Jacken und Mänteln mit den
Worten kommentieren: "Jetzt kann man sie wenigstens erkennen!" und so
weiter... und so weiter... und so weiter...Es klingt fast ein wenig wie
Schulfernsehen.
Das alles ist nicht völlig falsch,
manches steht tatsächlich so oder so ähnlich bei Klemperer, aber das allein
reicht nicht aus, um mehr als zehn Fernsehstunden zu füllen. Es genügt auch
nicht, die Rollen des Ehepaars Klemperer mit den zweifellos erstklassigen
Schauspielern Dagmar Manzel und Matthias Habich zu besetzen, wenn man diese
Kräfte nicht konzentriert. Habich gelingt eine überaus dichte und im Sinne
der Tagebücher durchaus "wahrhaftige" Darstellung des Professors. Im
Interview mit ARD Online hatte er dazu erklärt:
"Ich habe versucht, die Person
weder zu beschönigen noch zu denunzieren. Ich habe nicht versucht, ein
naturalistisches Porträt von Klemperer zu zeichnen, sondern seiner
inneren Wahrheit nachzuspüren."
Victor Klemperer war kein klassischer
Held des Widerstands, der durch besonderen Witz, Charme oder Mut überlebt
hat, und so läßt auch Matthias Habich ihn als einen Menschen erscheinen, der
unter Ängsten leidet, manchmal ungerecht ist, sich irrt aber eben auch
durchhält bis zum letzten, weil er sich durch nichts und niemanden davon
abbringen läßt, Zeugnis abzulegen.
Klemperer hätte sehr wahrscheinlich
nicht überlebt ohne seine nichtjüdische Frau Eva. Doch auch sie, die
studierte Konzertpianistin, war alles andere als eine geborene
Widerstandskämpferin. Zeitweise litt sie unter Depressionen, fühlte sich als
Künstlerin von ihrem Mann unverstanden, war launisch aber eben doch auch
standhaft: Das Angebot, sich von ihrem Mann scheiden zu lassen, schlug sie
aus. Stattdessen nahm sie neben vielen anderen Strapazen und Schikanen
ebenso beschwerliche wie gefährliche Wege auf sich, um Victors
Tagebuchmanuskripte bei einer Freundin zu verstecken, auf daß sie bei den
Hausdurchsuchungen nicht der Gestapo in die Hände fallen sollten. Dagmar
Manzel stellt diesen widersprüchlichen Charakter mit einer bewundernswerten
Mischung aus Sensibilität und Humor dar.
Überhaupt gehören die Szenen, die
zwischen den Eheleuten Klemperer spielen, zu den dramaturgisch stimmigsten
und filmisch stärksten Momenten dieser Serie. Sowohl in den Tagebüchern der
Jahre 1933-1945 als auch in seinen anderen autobiographischen Schriften
finden sich zahlreiche Anmerkungen, Beobachtungen und Analysen Klemperers
über seine Beziehung zu Eva. Insofern überrascht es, daß Steinbach im oben
erwähnten Interview feststellt:
"Bei der nochmaligen Lektüre der
Tagebücher hatte ich das Gefühl, dass Eva unterrepräsentiert ist. Ich
musste Eva erfinden."
Man könnte es auch anders sehen: Er
wollte Eva erfinden.
Die wahre Eva Klemperer wurde am 12.
Juli 1882 geboren und war nur ein dreiviertel Jahr jünger als ihr Mann
Victor (geb. 09. Oktober 1881). Bei Kriegsende war sie 62 Jahre alt. Während
man Matthias Habich die 63 Jahre in der zwölften Folge so gerade noch
glaubt, sieht Dagmar Manzel auf keinen Fall älter aus als sie in Wahrheit
ist, nämlich 41.
Gegen die Erfindung eines solchen
Altersunterschiedes ist nichts einzuwenden, aber wozu mußte der verjüngten
Fernseh-Eva nun auch noch ein Seitensprung mit einem jungen Kriegsinvaliden
angedichtet werden?
Dieser Liebhaber, ein 'arischer junger
Volksschullehrer' namens Eberhard Klingler (gespielt von Anian Zollner) ist
auch so eine Figur aus Steinbachs Fundus der "schönen Geschichten". Bevor
Klingler im Fronteinsatz sein Augenlicht verliert und in Evas Armen landet,
hat er ein Verhältnis mit der jüdischen Studentin Lore Libeskind (gespielt
von Kathrin Angerer). Lore ist eine der letzten Studentinnen Klemperers und
zugleich die Tochter seines Zahnarztes. Sie wird von Klingler schwanger, muß
ihn jedoch bald darauf verlassen, denn ihre Familie wandert nach London aus.
In den Tagebüchern heißt die Familie
nicht Libeskind sondern Isakowitz und als sie im Sommer 1936 emigrierten,
war von einer Schwangerschaft Lores ebenso wenig die Rede wie von ihrer
heimlichen Trauung mit Klingler bei einem unangepaßt-verschrobenen
Dorfpfarrer.
In Steinbachs Geschichte bekommt Lore
das Kind, besucht noch ein letztes Mal Deutschland und den Geliebten, bevor
sie am Ende von Folge V endgültig nach Palästina auswandert. Eberhard
Klingler bleibt zurück, muß Soldat werden und zeitweise Evas Geliebter. Von
Lore und dem Kind wird kaum mehr die Rede sein.
Auch Klemperer wird ein Seitensprung
mit einer Studentin angedichtet, der ebenso abrupt endet wie er begonnen
hat. Die Studentin taucht nach der IV. Folge nie wieder auf. Ein belangloses
Episödchen, das dramaturgisch keine Spuren und den Zuschauer unbeeindruckt
zurückläßt.
Nun muß man als Drehbuchautor sicher
nicht sklavisch an literarischen Vorlagen kleben, doch die Tagebücher des
Victor Klemperer sind ein so reichhaltiges Angebot, daß man sich fragt,
warum Steinbach es nicht intensiver nutzen wollte.
Warum bemüht er sich einerseits so sehr
um historische Authentizität – laut Abspann wurde sogar der Stuttgarter
Historiker Professor Eberhard Jäckel, als Berater hinzugezogen – und kann es
andererseits doch nicht lassen, die "schönen Geschichten" aus dem eigenen
Fundus zu holen?
Die zunehmende Ausgrenzung und
Isolation der Klemperers, die bedrückende Enge im Judenhaus, die
Streitigkeiten aber auch die Solidarität unter den Verfolgten, die Angst vor
jedem Klingeln an der Wohnungstüre, die gewalttätigen Übergriffe und
Hausdurchsuchungen durch die Gestapo, die Arbeitseinsätze, zu denen
Klemperer trotz körperlicher Schwäche gezwungen wurde, die tägliche
Todesangst und der tägliche Mut ... - um nur einige Aspekte zu nennen - das
alles hätte einen überaus dichten Filmstoff für mindestens drei
abendfüllende Filme ergeben. Das wäre weit weniger Sendezeit gewesen, als
sie Steinbach zur Verfügung gestellt wurde, aber sie hätte weit mehr
Klemperer enthalten.
Man wird den Verdacht nicht los, daß
der Name Klemperer als Quotenlift herhalten mußte und das ist ebenso
ärgerlich wie der nach jeder Folge ausgestrahlte Hinweis: "Die Tagebücher
des Victor Klemperer und der Soundtrack sind jetzt im Handel
erhältlich"
Erst jetzt? Für den Soundtrack mag das
zutreffen, aber wohl kaum für die Bücher – es sei denn, es handelt sich um
eine ganz neue Variante der Reihe: "Das Buch zum Film". Das Fernsehen macht
einiges möglich und so wird auch schon über eine Fortsetzung, das heißt die
Verfilmung der weiteren Klemperer Tagebücher von 1945-1959 nachgedacht. Das
Drehbuch soll Peter Steinbach schreiben. Man darf gespannt sein.
fzs hagalil online
22.11.1999
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