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Verfolgt - Verschleppt - Verbrannt

 

Vom Schicksal der Juden in Dresden
im Herbst 1942

Eine Serie von
Dr. Wolfgang Marschner

Semper Synagoge, Dresden
Abb. Seder haTfiloth

Victor Klemperer vertraute am 24. November 1942 seinem Tagebuch Eindrücke vom ersten Tag im neu errichteten Zwangsarbeiterlager für Dresdner Juden am Nordrand der Landeshauptstadt, nahe der damaligen Dr. Todt-Straße unweit der Hellerberge gelegen, an.

Im Tagebuch heißt es: ''Eva sagt, diese neue Art der Evakuierung sei deshalb so schamlos, weil alles so offen vor sich gehe. Das Neue daran ist jedenfalls, daß wir diesmal Einblick in das Inferno haben und mit ihm im Konnex bleiben. Ist es eine gemäßigte Hölle?
Das muß sich herausstellen. Der junge Eisenmann, der am Auffüllen der Bettsäcke etc. mitgeholfen hatte, sagte: 'katastrophal! unvorstellbar eng und barbarisch primitiv, ... Die Zimmerleute hätten gesagt, sie seien am Barackenbau für russische und polnische Gefangene beschäftigt gewesen - Luxuslager gegen dies Judenlager in Sand und Schlamm ...'."

Viktor Klemperer: Ich will Zeugnis geben bis zum Letzten (Aufbau Verlag)

    klemperer-4.jpg (13452 Byte)

Unlängst ist ein Film über die Zusammenlegung jüdischer Dresdner in jenem Lager gefunden worden, der von gleicher Echtheit wie die Klemperer-Tagebücher selbst ist. Das Bildmaterial stellt ein einzigartiges Dokument zur nazistischen Judenverfolgung in der Landeshauptstadt dar.

Armselig gekleidete Männer mit Judenstern schleppen Gepäck in bereitstehende Lkws, Passanten huschen eilig vorbei. Ein Gestapomann beobachtet die Einräumung des Möbelwagens. Auf einzelnen Gepäckstücken sind Namen zu lesen, so auch der von Leo Israel Redlich, Rentner, geboren am 8. Oktober 1882 vormals wohnhaft Cranachstraße 6 in Dresden-Johannstadt.

Der Film zeigt auch die Vertreibung Dresdner Juden aus den „Judenhäusern". Solche Gebäude waren u.a. Altenzeller Str. 32 u. 41, Cranachstr. 12, Güntzstr. 15 u. 24, Lothringer Weg 2, Sporergasse 2 u. 15, Wasastr. 7 bzw. Zeughausstr. 1-3.
Zu sehen sind Aufnahmen von der ärztlichen Untersuchung sowie vom entwürdigenden Verfahren der Entlausung in der Städtischen Entseuchungsanstalt Fabrikstraße 5. Klemperer teilt dazu mit: ''Das schlimmste der Lageraffaire soll bisher nach mehrfachen Berichten die Entlausung der Frauen gewesen sein. Während sie in der Anstalt nackt zwischen den Passionsstationen herumliefen, wurden sie von der Gestapo fotografiert, sie mußten lange mit nassen Haaren bei kaltem Regenwetter im Hof stehen, auch ihr offenes und durchwühltes Gepäck war dem Regen schutzlos ausgesetzt.''

Jene schrecklichen Geschehnisse im Jahre 1942 jähren sich in diesen Wochen nun zum 55. Male. Wie erging es den damals noch in Dresden lebenden Juden? Anfang 1942 war innerhalb der Reichsführung die Entscheidung gefallen, das im Machtbereich Hitlerdeutschlands vegetierende Judentum zu vernichten. Deshalb erging an SS-Obergruppenführer Reinhard Heydrich, Chef der Sicherheitspolizei und Leiter des Reichssicherheitshauptamtes (RSHA), der Auftrag, die Maßnahmen in seine Hand zu nehmen und einzuleiten, welche sich auf die „Endlösung der Judenfrage" bezogen.

Unter seinem Vorsitz wurden auf einer Konferenz, die am 20. Januar 1942 in Berlin in einer Villa, Am Großen Wannsee 56/57, zusammentrat, entsprechende Festlegungen beschlossen und das zu deren Realisierung nötige Zusammenwirken der dabei infrage kommenden Reichsbehörden festgelegt.

Dies führte, seit Frühjahr 1942 einsetzend, zur weiteren Eskalation des bereits grauenvollen Terrors, meist im nackten Mord endend, auch gegen die bis dahin noch überlebenden jüdischen Deutschen im östlichen Sachsen mit seinem Zentrum Dresden. Die Hauptverantwortung dafür trug hier die Staatspolizeileitstelle Dresden, welche im März 1942 der SS-Obersturmbannführer und Oberregierungsrat Klein leitete. Sein Stellvertreter und zugleich Leiter der Abteilung II, damit zuständig für die 'hiesige Endlösung der Judenfrage', war SS-Sturmbannführer und Regierungsrat Schindhelm. Die direkte Umsetzung des in Wannsee Beschlossenen, das künftige Schicksal der per 1. April 1942 im Bereich der Staatspolizeileitstelle Dresden noch lebenden 985 Juden betreffend, lag in den Händen des Referates IIB. An dessen Spitze stand 1942 der SS-Obersturmführer und Kriminalkommissar der Gestapo Henry Schmidt.

Das von Schmidt geleitete Referat mit dem Namen Konfession, Juden, Freimaurer, Emigranten, Pazifisten gliederte sich in drei Sachgebiete. Die Führung des Sachgebietes IIB 3, zuständig für Freimaurer, Emigranten sowie Juden, hatte Kriminalobersekretär Rudolf Müller, allgemein 'Judenmüller' genannt. Zu seinem Vollzugsbeamten gehörten über eine längere Zeitspanne die Gestapoleute Klemm und Petri bzw. vorübergehend Korn. Außer den hier erwähnten Gestapobeamten waren noch andere Angehörige der Staatspolizeileitstelle dem Arbeitsbereich von Schmidt beigeordnet.

Eingeleitet wurde die neue Welle von Gewalt durch die Verschleppung einer größeren Gruppe jüdischer Dresdner nach Riga, wo die meisten zugrunde gingen.

Immer neue Schikanen dachte man sich gegen die Juden aus. Mitte Juni 1942 bekamen einige ältere Juden den Auftrag, bei zirka 26 Grad Wärme, in dicke Wintermäntel gehüllt sowie zu Fuß, mehrere Stunden lang durch die Landeshauptstadt zu laufen und sich in festgelegten Zeitabständen bei der Staatspolizeileitstelle zu melden. Oft wurden Juden nach dort zitiert, um von ihnen Geständnisse zu konstruierten Straftaten zu erzwingen. Damit sollte die Begründung für eine Inschutzhaftnahme der betreffenden Personen, das hieß meist Einlieferung in ein KZ, fabriziert werden.

Iren Henninger, ehemalige Bewohnerin der Dresdner Moltkestraße 24, holte man in das Gestapo-Hauptquartier, um ihr die Ehescheidung vom nichtjüdischen Gatten abzuzwingen. Müller hatte sie unterwegs schon zur Elbe getrieben und sie aufgefordert, ins Wasser zu springen. Im Zuge der Vernehmungen, Müller und Klemm schlugen ihr drei Zähne aus, war sie noch vielen Quälereienunterworfen.

Ilse Sabarstinski, zuletzt Quartiernutzerin im 'Judenhaus' Dresden, Zeughausstraße 1, wurde von Schmidt zur Last gelegt, daß ein Bekannter ihr in einem Brief geschrieben hatte, ''auszuhalten, da der Schuppen bald zusammenbricht". Im Verhör schlug Schmidt Frau Sabarstinski mit den Fäusten sowie einem Lineal und trat sie mit den Füßen. ''Er hatte soviel Kraft", sagte die Frau Jahre später.

Dem Apotheker Max Sternberg, einst ansässig in Dresden, Lindengasse 4, wurde anläßlich einer Hausdurchsuchung vom betreffenden Gestapomann zugerufen: ''Warum hängt ihr euch nicht auf?" und man zeigte ihm, wie eine Schlinge gemacht wird.

Über das Leben der Dresdner Juden 1942 schreibt der jüdische Mitbürger Heinz Meyer u.a.: ''Sie können sich vielleicht schon ein Bild machen, wenn wir zur damaligen Zeit auf rund 1000 Juden 500 Gestapo-Beamte hatten. Man entzog uns den größten Teil der Nahrungsmittel, wie Fleisch, Obst und alle Sonderzuteilungen.... Rauchwaren waren natürlich verboten....

Das Gegenteil von Liebe ist nicht Hass
- sondern Gleichgültigkeit!

Eli Wiesel

Die Wohnungsnot wurde auch immer größer, ... Juden, die noch in arischen Häusern wohnten, mußten schnellstens, manchmal nur mit ein paar Stunden Frist räumen. Das Schlimmste aber waren die Haussuchungen, die andauernd stattfanden. Die Wohnung sah nach einer Haussuchung einem Räuberstall ähnlich....
Die Gestapo fuhr mit Wagen vor und nahm dann alles mögliche kofferweise mit. Die Leute wurden geschlagen, besonders alte Menschen, und für den nächsten Tag zur Gestapo bestellt, wo die Schikanen ihre Fortsetzung erfuhren. Man ließ alte Frauen einen Haufen Kohlen von einer Seite zur anderen des Hofes mit den Händen transportieren und beschäftigte sie dadurch mitunter den ganzen Tag, ohne Essen. Frau Müller und Frau Friedmann mußten einmal ein Auto waschen und wurden bei der Arbeit mit einem Wasserschlauch bespritzt...

terezin.gif (13512 Byte)Auf der Wannseekonferenz kam es auch zur Erörterung von Varianten, wie mit älteren, mit Kriegsverdienten bzw. kriegsbeschädigten Juden verfahren werden sollte. Für sie sah man schließlich das 'Altersghetto' Theresienstadt vor. Die Lebensbedingungen waren dort derartig, daß die vorwiegend doch älteren Ghettoinsassen über kurz oder lang größtenteils zugrunde gehen mußten.

Unweit des Ghettos lag das Gestapogefängnis, die Kleine Festung. In ihm wurden neben anderen auch Bewohner des Ghettos, welchen man Widerstandshandlungen vorwarf, gemartert, bis sie tot waren. Um die Weltöffentlichkeit irrezuführen, wiesen Behörden das Theresienstätter Ghetto als Stätte bevorzugter und guter Behandlung jüdischer Weltkriegsteilnehmer, ja als Heim für jüdische Senioren aus. Ganz in jenem Sinne hatten Personen, die für das Ghetto Theresienstadt infrage kamen einen sogenannten Heimeinkaufsvertrag zu unterzeichnen, in dem sie auf ihr Vermögen verzichteten.
Beispielsweise wurde das Ehepaar Lewin aus Dresden, Regensburger Straße 3, veranlaßt, sich für 158 000 Reichsmark, diese Summe machte den wertmäßigen Umfang seines gesamten Besitzes aus, einen Platz im 'Altersghetto' Theresienstadt zu kaufen. Auf eine Reihe für die Verschickung ins Ghetto vorgesehene Dresdner Juden verfehlte die Täuschung, sie hätten sich auf solche Weise in ein normales Altersheim eingekauft, nicht die erhoffte Wirkung. Für sie waren Leute wie Kommissar Schmidt deutsche Amtspersonen, auf deren Wort man felsenfest bauen zu können glaubte.

Trotzdem erfüllte düstere Vorahnung die Gedanken der meisten zur Deportation bestimmten Juden. Ab 1.Juli 1942 bis 11.Januar 1944 gelangten aus dem Bereich der Staatspolizeileitstelle Dresden 375 Juden, verteilt auf 10 Transporte, in das Ghetto Theresienstadt.
248 der 375 Juden, die ins Ghetto Theresienstadt transportiert worden waren, ließen dort ihr Leben.

Von den aus Theresienstadt in Konzentrationslager, vor allem nach Auschwitz weiter verschickten Personen kamen 62 um. Nur 26 der 375 Deportierten erlebten das Kriegsende. Von 39 Personen fehlt jede Spur.

Die Abfertigung des zweiten Transportes, dem auch die Bewohnerinnen des Henriettenstifts in Dresden, Güntzstraße 42, angehörten, erfolgte am Morgen des 14. Juli 1942. Diese Personen, ausnahmslos bereits im fortgeschrittenen Alter, waren schon am Vorabend in das Gemeindehaus in der Zeughausstraße geschafft worden und übernachteten dort im Saal auf Liegestühlen. Gegen 5 Uhr morgens wurden sie auf einen LKW mit Plane und Bänken verfrachtet. Anwesende Nichtjuden äußerten ihr Mißfallen mit den Worten: ''So gehen sie mit den Juden um! Verladen sie wie das Vieh!"

Der jüdische Arzt Dr. Willy Katz, Dresden, Borsbergstraße 14, begleitete den Transport, von dessen 50 Teilnehmern 45 im Ghetto verstarben. Eine der Überlebenden ist Betty Roth.

Fortsetzung folgt im Brennspiegel, der Zeitung der SPD Dresden-Elbe-Röder
© Dr. Wolfgang Marschner

 


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