Die Geschichte der Juden in Osterholz-Scharmbeck
Eine kurzgefaßte Übersicht unter besonderer
Berücksichtigung der Zeit von 1933-1945
Anfang und Blütezeit
Kurz nachdem im Jahre 1715 die Herzogtümer Bremen und
Verden, wozu auch Scharmbeck und Osterholz gehörten, an Hannover verkauft
wurden, war Levi Hertz 1731 der erste Jude, der sich in Scharmbeck
niederließ; zu ihm gehörten seine Frau und sieben Kinder. Ein paar Jahre
später, 1742, erfolgte die erste Erwähnung von jüdischen Gottesdiensten als
Denunziation: Levi Hertz halte den Schabbat, heißt es in einem
Protestschreiben. Levi Hertz waren weitere jüdische Familien nach Scharmbeck
und Osterholz gefolgt, vermutlich, weil man sie andernorts vertrieben hatte.
Damit war der Anfang für die größte und bedeutendste Synagogengemeinde des
Regierungsbezirks Stade gemacht.
Die erste Bestattung auf dem jüdischen Friedhof erfolgte
1757 in der Zeit der französischen Besetzung des Ortes; bis 1939 gab es hier
etwa 200 Beerdigungen. Die heute recht zentrale Lage dieses Friedhofes auf
dem Eckgrundstück Auf dem Kamp/ Klosterkamp vermittelt allerdings leicht
einen falschen Eindruck: Zu damaliger Zeit war mit diesem Gelände eine
Liegenschaft völlig außerhalb der beiden Orte zugewiesen worden. 1762 gab es
hier nun vier jüdische Familien: Levi Hertz, Leffmann Moses Meyer, Moses
Meyer Levy in Scharmbeck und in Osterholz Salomon Levy; 1768 wurden zusammen
23 Personen in diesen Familien gezählt. Am 1. Dezember schlössen sie sich
mit einer fünften Familie offiziell zu einer Synagogengemeinde für Osterholz
und Scharmbeck zusammen. 1772 wurde die Firma J. D. Davidsohn gegründet.
Eine Synagoge ist seit 1804 aktenkundig, als Benjamin Jakob für ein Jahr als
erster Schulmeister, Schächter und Vorsänger dort angestellt wurde. In
wenigen Jahren wuchs die Gemeinde auf sieben Familien mit 45 Personen, 1816
ist Meyer Aaron als Lehrer bezeugt.
1824 wird Nathan Cohen aus Osterholz Vorsteher für den
Weserdistrikt des Herzogtums Bremen, seither war er auch Lehrer und
Rabbiner. Vier Jahre später lebten allein in Scharmbeck sieben Familien,
zwei weitere in Osterholz und eine Familie in Worpswede. Die Gemeinde
erwartete offenbar weiteren Zuwachs, und so beschloß man am 4. September
1829 den Bau einer neuen Synagoge in der Teichstraße (heute Parkplatz der
Menckeschule). Zu dieser Zeit hatten die Orte Osterholz und Scharmbeck
zusammen etwa 2.400 Einwohner und es wurden mit Straßen und Fährdiensten
gerade die ersten richtigen Fernverbindungen geschaffen. Die Perspektive der
damaligen Gemeindevorsteher erwies sich als richtig, denn schon 1845 war die
Gemeinde mit 12 Familien, zu denen 101 Personen gehörten, die größte
Gemeinde mit der bedeutendsten Synagoge in der Drostei Stade. Insgesamt
lebten hier zu dieser Zeit 210 jüdische Familien, die 1.128 Mitglieder
hatten. Die Schule in Scharmbeck war eine der nur 8 selbständigen Schulen
des Bezirks. Bemerkenswert ist auch die regelmäßige Schabbatfeier, die es
sonst nur in Geestemünde, Achim und Ottersberg gab.
Die Familien in Scharmbeck:
Abraham Heidemann
Hein Lefmann Goldberg
Salomon Meyer
Meyer Aaron Aronsohn Witwe
Nachmann Jacob Kugelmann
Isaac David Davidsohn
David Weinberg
Jeckel Jacob
Die Familien in Osterholz:
Nathan Cohen
Moses David Davidsohn
Levi Weinberg
Moritz Cohen
1864, zwei Jahre nach Einweihung der zwischen Osterholz
und Scharmbeck durchführende Eisenbahnlinie Bremen-Geestendorf
(Bremerhaven), brannte die Synagoge in der Teichstraß völlig nieder,
zusammen mit benachbarten Gebäuden. Die Brandursache ist ungeklärt, aber da
es offensichtlich schon 1742 Mißgunst gegen die Familie Levi Hertz gab, ist
eine Brandstiftung wohl nicht auszuschließen. Die Gemeinde einigte sich aber
noch im gleichen Jahr über den Bau einer neuen, noch größeren Synagoge. Da
das Grundstück an der Teichstraße für dieses Projekt zu klein war, wurde ein
anderes erworben. Die Adresse lautete damals "Am Weiße Sande", in der
Zwischenzeit wurde die Straße umbenannt in "Bahnhofstraße", die Hausnummer:
105.
Die neue Synagoge konnte
1865 eingeweiht werden; im linken Teil befand sich der
Synagogenraum, im rechten Teil unten die Schule, oben die Lehrerwohnung.
Diese Aufteilung ist dem Gebäude heute noch anzusehen, trotz der von den
Nationalsozialisten vorgenommenen Umbauten. Es waren 150 Sitzplätze für
Männer vorhanden, dazu eine Galerie für Frauen - die Gemeinde hatte aber mit
derzeit 177 die höchste Mitgliederzahl ihrer Geschichte erreicht.
Die jüdische Gemeinde wird kleiner
1873 werden immer noch 177 Gemeindemitglieder angegeben,
1895 ist sie mit 32 Steuerzahlern nur noch die zweitgrößte Synagogengemeinde
im Regierungsbezirk. Während die Einwohnerzahl von Scharmbeck und Osterholz
auf 3.559 im Jahre 1875 anstieg, ging die Bedeutung der Tuchmacherei zurück,
die einen wesentlichen Anteil am Handelsaufkommen der jüdischen Einwohner
ausmachte. In dem Maße, wie es an Verdienstmöglichkeiten fehlte, verließen
die Juden die Ortschaften, denn alte diskriminierende Gesetze und deren
Fortführung auch nach ihrer offiziellen Aufhebung ließen ihnen wenig
Spielraum für berufliche Veränderung. 1903 wurde die Tuchmacherzunft
aufgelöst, nachdem um 1900 nur noch 7 Tuchmacher hier tätig waren. 1913
hatte die zuvor so große Gemeinde nur noch 73 Mitglieder. Während die
Einwohnerzahl von Scharmbeck und Osterholz auf 5.000 im Jahre 1910 anstieg,
der erste Weltkrieg ganz Europa erschütterte und schließlich die
Weltwirtschaftskrise und die Inflation auch den Handel und die Produktion in
Scharmbeck und Osterholz in große Bedrängnis brachte, zogen immer mehr Juden
aus der Stadt fort, um sich andernorts ein Überstehen der Notzeit zu
sichern.
So mußte 1924 die jüdische Schule geschlossen werden, weil
es nicht mehr genügend Kinder gab; auch Gottesdienste in der Synagoge, an
denen mindestens zehn religionsmündige Männer teilnehmen müssen, wurden
selten. Der letzte Lehrer dort war Leo Löwenstein, ein sehr angesehener
Bürger, dem auch die rabbinische Autorität zuerkannt wurde. Seinen
Lebensunterhalt verdiente er als Stenographielehrer, System Gabelsberger. Er
war Mitglied der Arbeitsgemeinschaft des Scharmbecker Bürgervereins und
dessen Schriftführer - damit auch der Vorgänger des Verfassers des
judenfeindlichen "Heimatbuches" und begeisterten NSDAP-Parteigängers
Segelken. Leo Löwenstein traf sich oft mit Bürgern im "Waldhaus" und
"Bahnhofshotel". Er berichtete dort auch von seinen Erlebnissen im 1.
Weltkrieg. Viele Artikel zur Heimatkunde im "Osterholzer Kreisblatt" sind
von ihm verfaßt. Seine Volkstümlichkeit trug viel zum Verständnis zwischen
Juden und Christen in Osterholz-Scharmbeck bei. Diesen Doppelnamen erhielt
der Ort am 24. Mai 1927, als auf Erlaß der preußischen Verwaltung - gegen
den Willen der Bevölkerung - beide Orte zusammengelegt wurden; die
Synagogengemeinde hatte zu diesem Zeitpunkt nur noch 62 Mitglieder.
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/ 29-09-2005 |