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Zwei sind besser als einer allein:
Der doppelte Offenberg oder der Kampf ums Kürzel

Nach langem Streit hat Berlin eine zweite jüdische Gemeinde, und alle wollen die Beschimpfungen der Vergangenheit vergessen

Von Jakob Augstein

Als Josef und seine Brüder schon nicht mehr lebten, kamen die Kinder Israels eine Weile gut zurecht unter den Pyramiden. Das änderte sich dann: "Da kam ein neuer König auf in Ägypten, der wußte nichts von Josef." So ist das nämlich, immer kommt einer, der sich nicht um früher schert. Mario Offenberg hat einen guten Sinn für die Vergangenheit: Im Großen - darum hat er halsstarrig um die alten Rechte der Berliner Synagogengemeinde Adass Jisroel gekämpft. Und im Kleinen - darum hat er den Ärger nicht vergessen, den er mal mit dieser Zeitung (SZ) hatte.

Man spürt das Mißtrauen, das er seinem Besucher, den er mit dem Exodus-Zitat empfängt, entgegenbringt. Übrigens muß der Ärger nicht unbedingt an der Zeitung gelegen haben, weil es um Offenberg überhaupt viel Ärger gab. Daß er gleichsam auch einer sei, der sich nicht um früher schere, wurde Offenberg nämlich selber vorgeworfen. Jedenfalls in einer von zwei Versionen, in denen man seine Geschichte hören kann. In der bösen. Danach hat Mario Offenberg Rechte beansprucht, die ihm nicht zustehen, Geld eingestrichen, das er nicht verdient, klug die deutsche Politik gegen ihr schlechtes Gewissen ausgespielt.

Es gibt auch eine gute Version. Die handelt von Mario Offenberg, der mit Adass Jisroel eine jüdische Institution zu neuem Leben erweckte. Der dadurch das jüdisch-deutsche Verhältnis durcheinanderbrachte, in dem die Synagogengemeinde nicht mehr vorgesehen war. Der dadurch dem jüdischen Leben in Berlin gedient hat. Willkommen war der Mann jedenfalls weder auf der einen, noch auf der anderen Seite. Offenbergs Geschichte handelt darum unter anderem von der Suche nach Respekt.

An der Tür seines Gemeindezentrums, eines grauen Hauses in der Tucholskystraße, trägt Adass Jisroel magische Buchstaben: K.d.ö.R. Sie bedeuten "Körperschaft des öffentlichen Rechts". Und sie bedeuten noch viel mehr: Anerkennung, Geld und eben Respekt. Seit ein paar Wochen, seit einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, darf Adass Jisroel das Prädikat tragen. Die Buchstaben hatte Offenberg freilich schon vor dem Urteil an die Tür schreiben lassen. Er hatte gesagt, wenn die 1869 von seinem Großvater Abraham mitgegründete "Austrittsgemeinde" vor dem Krieg eine solche Körperschaft gewesen sei, müsse sie es gefälligst heute auch sein.

Er hatte nie etwas davon hören wollen, seine Gemeinde möge doch den alten Anspruch ablegen und einfach einen neuen stellen. Das hätte bedeutet, das Unrecht der Christen, die Adass Jisroel 1939 in die "Reichsvereinigung der Juden in Deutschland" eingegliedert und die Mitglieder getötet hatten, anzuerkennen, sagt Offenberg. Der Senat wollte dieses Unrecht anerkennen. Er hatte Adass Jisroel nach der Wende den Körperschaftsstatus mit der Begründung verweigert, der Anspruch sei "unzulässig". Eine Verwaltungsangestellte schrieb Offenberg den bemerkenswerten Satz: "Das Gemeindeleben ist tatsächlich seit 1939 eingestellt."

Kein Willkommen in Berlin

Offenberg ist viel zu klug und zu kontrolliert, um sich Blößen zu geben, sei es aus Eitelkeit, sei es aus einer Gefühlsregung heraus. Man kann nur vermuten, daß echte Traurigkeit anklingt, wenn er sagt: "Wir haben in dieser Stadt nie gehört: Wir begrüßen das. Wir haben nie gehört: Es ist doch ein Zeichen für Vertrauen, wenn Juden sich wieder in Berlin niederlassen." Der elegante Mann sagt das in seinem großen Gemeindesaal, der zu einem der engen Innenhöfe des Scheunenviertels führt. Man kann dort besichtigen, wie sehr der Kampf um das Kürzel, und alles was daran hängt, das Denken der Adassianer in den vergangenen Jahren bestimmt haben muß. In einer überdimensionalen Kopie hängt da das erste Urteil des Verwaltungsgerichts, in dem man Adass Jisroel Recht gegeben hatte. Als Ausweis der Legitimität und als Programm für den fortgesetzten Kampf - der Senat hatte das Urteil angefochten.

Offenberg hat sich Erniedrigendes anhören müssen, vor allem von anderen Juden. Die Jüdische Gemeinde Berlin wehrte sich dagegen, daß noch jemand über jenen ehrenvollen Status verfügen sollte. Ihre Funktionäre fürchteten die Zersplitterung, sie fürchteten um die "Einheitsgemeinde", in der sich liberale, orthodoxe und reformierte Juden nach dem Krieg gesammelt hatten, in der wieder ein jüdisches Leben in Deutschland aufgebaut worden war. Und sie wollten auch nicht die öffentlichen Gelder teilen müssen. Der damalige Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Berlin, Heinz Galinski, beschimpfte Adass Jisroel als "Familienunternehmen", als "Scheingründung", die es nur auf das Geld des Senats abgesehen habe. Henryk M. Broder schrieb einen langen Artikel in der "Zeit"und stützte die Vorwürfe.

Darin wurde die Geschichte eines bösen Offenberg erzählt. Eines Mannes, der 1946 in Tel Aviv geboren wurde, der in die Stadt seiner Eltern zurückkehrte, am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität studierte und promovierte. Der seine Dissertation über den "Kommunismus in Palästina - Nation und Klasse in der antikolonialen Revolution" verfaßte. Der in den siebziger Jahren bei einem Dokumentarfilmfestival in Leipzig einen Preis für seinen Beitrag "Der Kampf um den Boden oder Palästina in Israel" erhielt. Der, so wurde "ein Weggefährte aus jenen Tagen" zitiert, mit religiösem Judentum so viel zu tun hatte "wie wir mit dem Weihnachtsmann." Der dann Mitte der achtziger Jahre in Ostberlin aufgetaucht sei, wo die meisten der alten Besitztümer Adass Jisroels lagen, und sich dort einfach selbst zu ihrem Sachwalter erklärt habe. Der von der DDR Millionen erhalten habe, ohne abzurechnen. Der dann mit russischen Aussiedlern seine Gemeinde auffüllte, die vorher nur aus ihm und seiner Familie bestanden habe: "Eine deutsch-jüdische Posse aus der Wendezeit."

Nähe zur Macht

Damals hat Offenberg sich gegen die Vorwürfe gewehrt. Er hat seinerseits geschimpft, Galinski führe die Jüdische Gemeinde, als "wäre es eine stalinistische Partei". Er hat den Senat beschuldigt, mit Galinski und später mit dessen Nachfolger Jerzy Kanal ein Komplott zu bilden, um "jüdischen Pluralismus" zu verhindern. Wenn dieser Streit ihn verletzt hat, schweigt Offenberg heute darüber.

Den Haß, der ihm entgegenschlug, erklärt er mit der Geschichte vom guten Offenberg. Er sei in das sonderbare Verhältnis eingebrochen, das sich zwischen Juden und Christen in Deutschland entwickelt habe: "Manche jüdische Funktionäre sind sehr nah an der Macht, manchmal hat man den Eindruck, näher als am jüdischen Glauben. Exkulpator, Mahner und Wächter - darin sehen solche Funktionäre ihre Rolle." Und die Christen bestärken sie darin. Warum entschuldigt sich ein Ministerpräsident für einen Aufmarsch von Neonazis bei einem jüdischen Verbandsfunktionär? Sind denn Nazis nur das Problem der Juden, fragt Offenberg, oder nicht vielmehr das Problem aller Deutschen?

Er wolle in dieser "Arbeitsteilung" keinen Part übernehmen. Er wolle sich um das religiöse Leben seiner Mitglieder kümmern. Und da gebe es genug zu tun: "Die Leute wollen heute in Berlin jüdische Dienstleistungen vorfinden, wie sie in Zürich, London oder New York ganz selbstverständlich sind." Das Kultuspersonal etwa müsse immer noch eingeflogen werden nach Deutschland. Da könne Adass Jisroel für gesamtgesellschaftliche Fragen nicht mehr oder weniger Verantwortung tragen, als irgend eine andere Institution: "Wir haben das Recht und die Pflicht, uns auf unsere eigenen Angelegenheiten zu konzentrieren. Niemand sonst tut das."

Offenberg kann das mit der Ruhe und Sicherheit sagen, die ihm das Gerichtsurteil gibt. Der Respekt, nach dem er so lange gesucht hat, wird ihm nun zuteil. Vom Senat, den das Gericht dazu gezwungen hat. Und von der Jüdischen Gemeinde, mit der Offenberg im Sommer einen regelrechten Friedensvertrag aushandelte, wonach die "Beziehungen fortan auf der Grundlage von gegenseitigem Respekt, Gleichberechtigung und Kooperation" ruhen sollen.

Mit dem bißchen Fröhlichkeit, die sich der kontrollierte Mann erlaubt, sagt er: Daß es nun zwei jüdische Gemeinden in der Stadt gebe, das sei doch "das Beste, was Berlin passieren konnte."Vielleicht spielt es darum tatsächlich gar keine Rolle mehr, ob die gute oder die böse Geschichte des Mario Offenberg die wahre ist. Im Alten Testament jedenfalls heißt es: "Zwei sind besser als einer allein."

Siehe auch 'Aktuelles SZ-Lexikon': Adass Jisroel

Synagogen in Berlin: ADASS YISROEL

Copyright © 1997 - Süddeutsche Zeitung. SZonNet 3.1


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