"Arisierung" bezeichnet die
zunächst "wilde" (d. h. gesetzlich ungeregelte), später vom
Staat betriebene rassistisch begründete Enteignung jüdischen
Vermögens in der NS-Zeit. Nach dem "Anschluß" Österreichs an
Nazi-Deutschland im März 1938 wurden auch die österreichischen
Juden Opfer der auf Leib und Gut dieser Menschen zielenden
NS-Verfolgungspolitik.
In der öffentlichen Diskussion
fanden sich diese Vorgänge bisher vor allem im Zusammenhang mit
spektakulären Kunstraubfällen und anderen hohen Vermögenswerten
(Firmen, Geschäfte, rund 70.000 Wohnungen in Wien etc.). Die
staatlichen Beutezüge machten jedoch auch vor den alltäglichen
Gegenständen jüdischer Haushalte in Wien nicht halt: Vom Besteck
in der Lade bis zu den Erinnerungsfotografien an den Wänden
wurde nichts ausgespart.
Mit dieser Raub- und
Verfolgungspolitik, die noch den letzten Winkel des Alltags
ihrer Opfer erfasste, beschäftigt sich die Ausstellung
"inventARISIERT". Sie thematisiert die "Arisierung" von acht
Wiener jüdischen Haushalten, deren beschlagnahmte Einrichtungen
(aus bis heute nicht geklärten Gründen) im staatlichen
Mobiliendepot eingelagert wurden, sowie den Umgang der
Institution mit diesen Objekten bis in die Gegenwart.
Enteignung, Verwertung und Restitution
Das Mobiliendepot wurde im 18. Jahrhundert
unter Kaiserin Maria Theresia gegründet. Es erfüllte eine Depot-
und Werkstättenfunktion für die Einrichtung und Ausstattung der
kaiserlichen Schlösser und Ämter. Nach 1918 und bis in die
Gegenwart erfüllt es diese Funktion für die Amtsräume der
Republik Österreich. Der Aufbau einer musealen Schausammlung
innerhalb dieser Institution begann im frühen 20. Jahrhundert.
1938 wurden unter Beteiligung des
Mobiliendepots über 5.000 "arisierte" Objekte in Listen
aufgenommen. Sie stammten aus acht von der Gestapo
beschlagnahmten Wiener Haushalten: Hugo Breitner, Viktor
Ephrussi, Wilhelm Goldenberg, Moritz König, Oskar Pöller, Hedwig
Schwarz, Emil Stiaßny und Paul Weiß. 570 dieser Objekte wurden
vom Mobiliendepot übernommen und inventARISIERT, d.h. in
staatlichen Besitz überführt; rund 1000 Objekte (großteils
Wäsche, Haushalts- und Gebrauchsgegenstände) wurden als
"wertlos" eingestuft und unmittelbar weitergegeben (z. B. an die
Nationalsozialistische Volkswohlfahrt); weiters 343 Bücher an
die Österreichische Nationalbibliothek sowie 179 Bilder und
Kunstgegenstände an andere Museen abgegeben. Ca. 1.300
Gegenstände (Geschirrservice, Gläser, Bestecke und Tischwäsche)
wurden 1969 im Dorotheum "zugunsten der politisch oder rassisch
Verfolgten" versteigert. Soweit einige kursorische Angaben zu
Verbleib und Nutzung dieser Objekte.
Während der NS-Zeit und bis 1998 wurden Möbel
aus diesem Bestand - entsprechend der eigentlichen Funktion des
Mobiliendepots - auch an staatliche Dienststellen verliehen. So
fanden sich 44 "arisierte" Möbel bis in jüngste Zeit und ohne
Wissen der neuen Nutzer in einfachen Amtsstuben, Ministerien,
österreichischen Botschaften im Ausland, Bundestheatern,
Vereinen etc.
In den letzten Jahren wuchs das Bewußtsein für
die Täterschaft von Österreichern in der NS-Verfolgungspolitik
und die Kritik am mangelnden Verständnis des staatlichen
Österreich für die Opfer dieser Politik nach 1945; das ließ auch
die bis dahin unbeachteten, in die Sammlung und
Ausstattungspraxis integrierten Möbel und
Einrichtungsgegenstände in einem anderen, nicht mehr
unschuldigen, Licht erscheinen. Nur das "Wissen" macht diese
Möbel zu besonderen Gegenständen. Die Entdeckung ihrer "anderen"
Geschichte ist Teil eines sich in den letzten Jahren
intensivierenden Erinnerungsprozesses, der die für Jahrzehnte
außerhalb des Blickfelds der großen Mehrheit gelegene und
verschwiegene "andere" Geschichte dieser Zweiten Republik
aufsteigen ließ.
"Arisierung" in der öffentlichen Debatte
Österreichs
Nach 1945 wurde die Restitution dieser
Gegenstände von Seiten des staatlichen Mobiliendepots nur
mangelhaft betrieben. So unterließ die Institution z. B. die
gesetzlich angeordnete Anmeldepflicht "arisierter" Güter. Seit
1993 wird in der Institution zu den "arisierten" Beständen
geforscht. Bereits in der Neuaufstellung des Museums 1998 wurden
sie berücksichtigt.
Die Mauerbach-Aktion 1996, insbesondere aber
die Beschlagnahme von zwei Schiele-Gemälden aus der Sammlung
Leopold im Jänner 1998 in New York ließen Österreich ins Zentrum
einer NS-Kunstraub-Debatte geraten. Konkrete Resultate dieser
Debatte waren der ministerielle Auftrag an die Museen, ihre
Bestände auf Sammlungsstücke dieser Provenienz zu erforschen,
und das "Kunstrückgabegesetz" vom Dezember 1998, das der
Republik ermöglichte, diese Objekte an ehemalige Besitzer und
ihre Erben zurückzugeben. Das Mobiliendepot reklamierte sich in
die Zuständigkeit dieses Gesetzes hinein; seit 1998 werden die
Erben der früheren Eigentümer gesucht und die 152 noch
vorhandenen "arisierten" Gegenstände zurückgegeben.
Die Ausstellung thematisiert
- - "Arisierung" als Bestandteil der
umfassenden auf Leib und Gut ihrer Opfer gerichteten
NS-Politik,
- - die Transformation von Raub und
rassistisch begründeter Enteignung in einen bürokratischen
Aktenlauf, sowie
- - beispielhaft den Umgang Österreichs mit
seiner NS-Geschichte nach 1945.
Die wissenschaftlichen Kuratoren der
Ausstellung sind Ilsebill Barta-Fliedl (Museen des
Mobiliendepots) und Herbert Posch (AG Museologie/IFF). Im
Zentrum der Präsentation steht eine Fotoinstallation des
Fotografen Arno Gisinger. Sie visualisiert den Umgang des
Mobiliendepots als Sammlungs- und Verwertungsinstitution mit
diesen Beständen. Eine Computerinstallation erschließt die
umfangreiche historische Information, die im Zuge der
Aufarbeitung der Geschichte dieser Objekte im Mobiliendepot
zusammengetragen wurde. Der Katalog zur Ausstellung umfaßt einen
umfangreichen Bildteil von Arno Gisinger, Texte der
wissenschaftlichen Kuratoren Ilsebill Barta-Fliedl und Herbert
Posch sowie einen Essay zu Gisingers fotografischer Arbeit von
Monika Schwärzler. Er erscheint im Verlag Turia + Kant.
http://www.iff.ac.at/inventarisiert
Siehe auch:
Betrifft: Aktion 3 Deutsche verwerten jüdische Nachbarn
von Wolfgang Dreßen
Mit erschreckender deutscher Gründlichkeit
wurde nicht nur die millionenfache Vertreibung und spätere
Ermordung europäischer Juden vorbereitet und durchgeführt --
nein, man nahm diesen Menschen während der Naziherrschaft Stück
für Stück auch noch ihr Eigentum. Die Nazis bereicherten sich
mittels verschiedener Mechanismen an deren Besitz und Vermögen,
seien es Juwelen, Möbel oder Sparbücher.
Dem Autor dieses Buches, das anläßlich einer Ausstellung in
Düsseldorf erschien, gelang ein Blick in eigentlich immer noch
gesperrte Akten der Oberfinanzdirektion Köln, wo er einen bisher
eher wenig beachteten Aspekt der Judenverfolgung belegen konnte:
Unter dem Mantel der vermeintlichen Rechtmäßigkeit erfaßten die
zuständigen Verwaltungsbehörden jüdische Besitztümer,
beschlagnahmten und verteilten sie neu -- mit einer
bürokratischen Seelenlosigkeit gegenüber Verfolgten, die in
ihrer Nüchternheit einfach niederschmetternd ist. Man forderte
die Juden sogar auf, mitzuarbeiten, um einen reibungslosen
Ablauf zu gewährleisten! Hier wird auch
mit der Annahme aufgeräumt, daß keiner der Normalbürger im
Dritten Reich etwas gewußt habe, denn viele der Gegenstände
jüdischen Ursprungs wurden mit klaren Herkunftsvermerken an die
Bevölkerung weiterverkauft, die diese günstigen Angebote gerne
wahrnahm -- da halfen auch Decknamen wie "Aktion 3" nichts.
Das Buch macht aber nicht beim Kriegsende halt,
vielmehr zeigt es auch den nicht sehr rühmlichen Umgang
nachkriegsdeutscher Beamten mit dem schweren Erbe. Allzu oft
wurde keine wirkliche Wiedergutmachung geleistet. Daß eine
Verwaltung hier die Untaten einer früheren Verwaltung bereinigen
soll, ist wohl von vielen Beamten schlicht zuviel verlangt und
erklärt vielleicht auch, weshalb Unterlagen zu diesen
Tatbeständen immer noch unter Verschluß liegen. In Wahrheit
jedoch hatten auch die vermeintlich nicht mit der "Judenfrage"
befaßten niedrigen Verwaltungsebenen genauso ihre Finger im
Spiel wie nahezu alle anderen staatlichen Institutionen
Hitler-Deutschlands. Durch die
Wiedergabe der Akten und die Erklärung der damit verbundenen
Vorgänge verdeutlicht dieses Buch ein trauriges Kapitel
Deutschlands sehr eindrücklich. Spätestens die Betrachtung des
äußerst ausführlichen Dokumententeils läßt einen erschauern beim
Blick auf penible Bestandslisten oder Verkaufsvermerke. Hier
zeigt sich Bürokratie fürwahr von ihrer schrecklichsten Seite.
--Joachim Hohwieler
Kurzbeschreibung Die "Endlösung der
Judenfrage" war gründlich vorbereitet; weder das staatliche
Gewaltmonopol noch die bürgerliche Ordnung wurden angetastet.
Vor der Deportation teilte der zuständige Regierungspräsident
jedem Juden, Erwachsenen wie Kindern, mit, daß ihr Besitz legal
dem Staat "verfällt". Die von den Nazis mit der Verwaltung
des jüdischen Vermögens betrauten Ämter haben "präsize"
gearbeitet, wie Tausende Akten der Oberfinanzdirektion Köln
belegen, von denen der Historiker Wolfgang Dreßen exemplarische
Dokumente für dieses Buch ausgewählt hat. Die Wohnungen wurden
geräumt und neu vermietet, Immobilien taxiert und veräußert, die
IG-Farben erwarben einen jüdischen Friedhof, Schulen kauften
Möbel, die Universität Bonn Bücher, "arische Nachbarn" Teppiche,
Wäsche, Kartoffeln. Speditonen verdienten am Transport von
"Juden-Mobiliar" aus Belgien, Holland oder Frankreich.
"Ausgebombte" Familien kamen so preiswert wieder zu Tisch oder
Bett.Aus den Quittungen der Finanzbeamten ging eindeutig hervor,
daß es sich um "Eigentum des Juden/der Jüdin/verschiedener
Juden" handelte, doch offenbar hatte niemand Skrupel bei den
"legalen Geschäften". Als wenige Überlebende nach dem 8. Mai
1945 Wiedergutmachung forderten, wiesen oft dieselben Beamten
ihre Ansprüche zurück. Die im Buch und in der gleichnamigen
Wanderausstellung dokumentierten Vorgänge haben sich so oder
ähnlich in allen deutschen Städten und Dörfern ereignet, in
denen damals Juden lebten.
hagalil.com
12-09-2000 |