1. Die jüdische Gemeinde hatte vor 1938 ein
beträchtliches Vermögen. Dieses wurde zur Gänze arisiert bzw.
zerstört und nach 1945 weder restituiert noch entschädigt. 1960
schloss die österreichische Bundesregierung eine Vereinbarung mit
der römisch-katholischen Kirche und eine gleichartige Vereinbarung
mit der israelitischen Religionsgesellschaft (Kultusgemeinde) ab;
die Zuwendungen an die Kultusgemeinde daraus belaufen sich auf
jährlich 772.177 Euro. Was in diesem Zusammenhang unerwähnt blieb:
Die römisch-katholische Kirche besaß vor dem Krieg Kirchen,
Schulen, soziale Einrichtungen, Klöster und Vermögen und hat weite
Teile davon nach dem Krieg zurück erhalten. Das Einzige, was die
Kultusgemeinde zurück erhielt, waren Grundstücke, deren Gebäude,
insbesondere Synagogen, gesprengt und niedergebrannt waren. Von
1945 -1975 unternahm die öffentliche Hand so gut wie keine
Anstrengungen, jüdische Infrastruktur wieder aufzubauen. Erst als
die Kultusgemeinde ab 1976 von sich aus aktiv wurde, beteiligten
sich Bund und Gemeinden an diesen Kosten, aber fast immer (eine
Ausnahme bildet die Synagoge Graz) war die Kultusgemeinde
gezwungen, auch eigene Mittel zum Wiederaufbau zu verwenden (vor
1976 waren es fast ausschließlich IKG-eigene Mittel). Man stelle
sich vor, dies wäre der römisch-katholischen Kirche passiert...
2. Zum Vergleich mit der Bundesrepublik Deutschland:
Deutschland hat nach 1945 84 jüdische Gemeinden wieder aufgebaut,
dazu gehörten Synagogen, Schulen und soziale Einrichtungen.
Deutschland hat seit 1945 alle jüdischen Friedhöfe gepflegt und in
Stand gehalten, bezahlt die Sicherheitskosten der großen jüdischen
Gemeinden, hat 120.000 Juden auf eigene Kosten nach Deutschland
geholt, bezahlt ihre Aufnahme und Integration. Insgesamt hat
Deutschland über Jahrzehnte zig Milliarden Euro Wiedergutmachung
bezahlt. Hätte Österreich in den letzten 58 Jahren nur annähernd
ähnliches geleistet, könnte die jüdische Gemeinde in Österreich
ohne Probleme existieren und gäbe es heute überhaupt keine
Diskussion.
3. Die Republik Österreich bezahlt Lehrerinnen,
unterstützt Museen und Gedenkstätten. Die Kultusgemeinde verlangt
aber von der Republik Österreich seit 58 Jahren in eine
finanzielle Situation versetzt zu werden, in der ihre materielle
Existenz nachhaltig gesichert ist.
4. Die Anträge der Kultusgemeinde an den
Entschädigungsfonds sind genau jene Maßnahme, die die Kläger der
Class-Actions in den USA befürchtet haben. Sie werden die
finanziellen Mitteln des Entschädigungsfonds erheblich vermindern.
Allein die Tatsache, dass diese Anträge jetzt gestellt werden
müssen, wird zahlreiche weitere Kläger ermutigen, die Republik
Österreich und österreichische Firmen in den USA zu klagen. Diese
Situation macht ein Ende der Prozesse in den USA undenkbar und
verschiebt damit die Rechtskraft und die Auszahlung von
Entschädigungsfonds-Geldern auf einen ungewissen Zeitpunkt.
5. Die Kultusgemeinde hat sich im Jänner 2001 in
Washington geweigert, die Verträge der USA mit der Republik
Österreich zu unterschreiben, weil keine gesonderte Regelung über
das jüdische Gemeindevermögen getroffen wurde. Nun wurde in den
Berichten der Historikerkommission das Thema jüdisches
Gemeindevermögen als eine der großen offenen Fragen bestätigt.
Wenn der damalige Staatssekretär Stuart Eizenstat mitgeteilt hat,
dass Dr. Muzicant diese Washingtoner Vereinbarung unterschrieben
hat, stimmt das einfach nicht. Ebenso war Frau Schaumayer nicht
für den GSF, sondern für den Versöhnungsfonds (Zwangsarbeiter)
zuständig.
6. Die Kultusgemeinde ist kein Projekt. Es geht derzeit
darum, die Basisfinanzierung der Kultusgemeinde zu sichern. Die
Finanzierung von Projekten mit irgendwelchen Laufzeiten, wie von
der Frau Bundesministerin angeboten, bringt keine adäquate Lösung
für die Basisfinanzierung, weil sie am Kern des Problems
vorbeigeht.
7. Die Frage der Sicherheit der Israelitischen
Kultusgemeinde betrifft nicht nur diese, sondern auch die Republik
Österreich. Die Bedrohung geht einerseits von österreichischen
Bürgern (Rechtsextremen, Skinheads, etc.) und andererseits von
arabischen Terroristen und deren Anhängern aus. Es gab in der
Vergangenheit vier Terroranschläge gegen jüdische Einrichtungen
oder Personen in Wien mit sieben Toten und zwölf Verletzten. Die
Leistungen des Innenministeriums und der Polizei stehen außer
Zweifel. Zusätzlich zu der Polizei bedarf es in jedem Fall einer
"inneren Sicherheit" (Zutrittskontrolle, Personenschutz, usw.).
Diese wird von speziell ausgebildeten jungen Männern und Frauen
durchgerührt, im Rahmen eines mit dem Innenministerium
abgestimmten Sicherheitsdienstes, der 60.000 Mann-Stunden im Jahr
aufwendet. Dieser spezifische Sicherheitsdienst könnte von der
Republik Österreich gar nicht durchgeführt werden, auch nicht um
zwei Millionen Euro jährlich. Vor kurzem gab es einen
Terroranschlag in Casablanca, bei dem auch eine jüdische
Sozialeinrichtung und ein jüdischer Friedhof die Ziele waren. In
der Vergangenheit hat es weltweit viele Anschläge auf jüdische
Ziele gegeben, zum Beispiel auf die Synagoge von Djerba
(Tunesien). Auch in Wien wurde erst vor wenigen Tagen der Leiter
der Chabad Schule auf offener Straße von Skinheads tätlich
angegriffen, usw., usw.
8. Zur Frage des Antisemitismus in Österreich darf ich
auf eine in diesem Zusammenhang 2001 durchgeführte Umfrage
hinweisen, die folgende Ergebnisse brachte.
- "Juden haben im Lauf der Geschichte viel Unheil gestiftet."
2% stimmen sehr zu, 14% stimmen eher zu.
"Juden sind selbst an ihrer Verfolgung schuld."
3% stimmen voll und ganz zu, 18% stimmen teilweise zu.
"Es wäre für Österreich besser, keine Juden im Land zu haben."
3% stimmen dafür, nur 59% dagegen.
"Sollte man den Zugang der Juden zu einflussreichen Berufen
kontrollieren und zahlenmäßig beschränken?"
7% stimmen dafür, 26% ohne Angabe
Diese im Auftrag der IKG durchgerührte Umfrage zeigt, dass der
Antisemitismus in Österreich seit 1946 sinkt, aber dass tatsächlich
noch immer ein harter Kern von Unverbesserlichen vorhanden ist.
Zusammenfassend: Die Israelitische Kultusgemeinde verfügt seit
1945 über keine solide finanzielle Basis in Österreich, ihre
Existenz ist gefährdet und wenn nicht die bereits vor zwei Jahren
(anlässlich der Verhandlungen mit den Bundesländern) zwischen den
Landeshauptleuten und der Bundesregierung abgesprochenen Zahlungen
der Republik Österreich an die IKG im Zusammenhang mit der
Arisierung und Zerstörung des jüdischen Gemeindevermögens zwischen
1938 und 1945 erfolgen, kann die IKG ihre Infrastruktur nicht weiter
aufrecht erhalten bzw. finanzieren und muss mit ihrer Liquidation
beginnen.
Es ist bedauerlich, dass trotz unserer wiederholten Gespräche,
medialen Statements, Briefe usw. Frau Bundesministerin Gehrer die
Fakten einfach nicht zur Kenntnis nehmen will.