'Baumeister des Dialogs'
Schalom Ben Chorin in Jerusalem beigesetzt
Am Sonntag Nachmittag, am 9.Mai 1999 wurde
Schalom Ben Chorin auf dem leicht westlich von Jerusalem liegenden Friedhof
Kfar Schaul beigesetzt. Neben der Familie begleiteten den am 7.Mai im Alter
von 85 Jahren verstorbenen Religionsphilosophen und Schriftsteller auch
zahlreiche Freunde auf seinem letzten Weg, darunter auch die christliche
Prominenz der Stadt, wie der Prior der katholischen Dormitio Abtei und der
Probst der evangelischen Erlöserkirche, der den Verstorbenen als den
"Baumeister des christlich-jüdischen Dialogs" bezeichnete, dessen "Weg es
gilt, mit seinem Eifer fortzuschreiten". Dem schlossen sich der deutsche
Botschafter in Israel, Theologie-Studenten und Freiwillige der Aktion
Sühnezeichen Friedensdienste bei ihren Beileidsbekundungen an.
Von der Grabstätte aus bot sich ein
unglaublich schöner Blick, fast bis zum Haus Schalom Ben Chorins im
Jerusalmer Romena Viertel, in dem er seit dem Ende der 30er Jahren
wohnte. Die Nachmittagssonne tauchte Jerusalem in strahlendes rötliches
Licht. Als auf Wunsch der Familie sein Lied - das erste eines Juden in
einem christlichen Gesangbuch - "Freunde, daß der Mandelzweig"
angestimmt wurde, trug der leichte Wind die Töne in die Stadt, in die
Traumstadt des bekanntesten Münchners in Jerusalem.
Als Münchner verspüre ich tiefes
Glück, diesem Urmünchner noch begegnet zu sein, der es geschafft hat mit
seinen Büchern, vor allem "Bruder Jesus" aus der Trilogie 'Die
Heimkehr', die Verbindungen und Unterschiede von Judentum und
Christentum klarzustellen und damit den Weg auf verständigem Hintergrund
zu beschreiten.
In seinem letzten Interview
offenbarte Schalom Ben Chorin noch seine Vision für das nächste
Jahrtausend, nämlich die Hoffnung daß "sich die Religionen näher kommen,
indem sie ihre Wurzeln erkennen. Und in der Hauptstadt der Religionen,
Jerusalem könnte ein Zentrum des christlich-jüdischen
Dialogs entstehen." Angesichts der der weltweiten Entwicklungen in
Richtung Fundamentalismus wird dies vielleicht letzter hehrer Wunsch
bleiben. Eines wird leider immer sicherer, die Zeit der Jeckes in Israel
neigt sich ihrem Ende, und ein ganz besonderer war Schalom Ben Chorin.
Ben Atid, 10.Mai ´99
Israels Luft macht
radikal
Zum Tod des jüdischen
Religionsphilosophen und liberalen Denkers Schalom Ben-Chorin
PETRA STEINBERGER / SZ / 08.05.99 / Feuilleton
Das Café Atara im
Herzen des jüdischen Jerusalem gehörte zu den Plätzen, an denen Mitteleuropa
in Israel weiterlebte. Hier saßen viele Jeckes, deutschstämmige Juden, bei
Schwarzwälder Kirschtorte und anderen guten Dingen, die sie an die einstige
Heimat erinnerten. Schalom Ben-Chorin, Religionsphilosoph, Schriftsteller,
Versöhner, war einer von denen, die dort gern plaudernd und rauchend die
Zeit verbrachten. Das Café Atara gibt es längst nicht mehr, es hat einem
amerikanisch inspirierten Fast-Food-Laden Platz gemacht. Und die Generation
seiner einstigen Besucher – solche, die die alte und neue Welt gleichermaßen
kannten und verstanden, verschwindet langsam.
Vielleicht, gerade weil er noch zu
denen gehörte, die beide Seiten von innen betrachten konnten, stand
Schalom Ben-Chorin meist außerhalb des allgemein propagierten Konsenses.
Nicht aus grundsätzlichem Widerspruchsgeist, sondern einfach, weil ihm
die Logik seiner Ideale keine andere Wahl ließ. Im Lauf seines Lebens
wurde Schalom Ben-Chorin einer der Mitbegründer des christlich-jüdischen
Dialogs; elf Jahre nach dem Ende des Dritten Reiches, lange ehe es
wieder offizielle Kontakte gab, baute er die erste Brücke zwischen
Deutschen und Israelis; er forderte und praktizierte ein aufgeklärtes,
liberales Judentum in Israel; und er plädierte für ein gemeinsames
Palästina für Araber und Juden. Ein einziges dieser Unternehmen wäre für
manch anderen schon genug. Für Schalom Ben-Chorin folgte nur das eine
aus dem anderen, die Konsequenz seines Glaubens und seines Humanismus.
Der dritte Weg
Als Fritz Rosenthal wurde er am
20.Juli 1913 in München geboren. Die Rosenthals waren jüdisch, aber
nicht besonders religiös. Mit fünfzehn, die Familie feierte gerade
Weihnachten (nicht unüblich in assimilierten Kreisen), verließ er im
Streit das Elternhaus und zog für einige Zeit in die orthodoxe Familie
eines Freundes. Dort lernte er eine andere, streng gottesfürchtige Welt
kennen. Auch sie ließ er bald zurück; er suchte nach einem dritten Weg
zwischen Säkularität und ritualisierter Strenggläubigkeit, studierte
neben Literatur vor allem vergleichende Religionswissenschaften.
Nach der Machtübernahme der
Nationalsozialisten wurde er ein paarmal verhaftet und einmal in der
Münchner Kaufinger Straße zusammengeschlagen. 1935, mit 22 Jahren,
machte er sich auf die Reise nach Palästina. Fritz Rosenthal ließ sich
in Jerusalem nieder und änderte seinen Namen in Schalom Ben-Chorin:
Friede, Sohn der Freiheit.
Israel war für den bekennenden
Zionisten eine Notwendigkeit, obwohl er dort immer einer der Jecken
blieb, jener gern belächelten deutschen Juden, die sich oft schwer
einfügten in israelische Lebensart. Viele der Emigranten und Flüchtlinge
aus der deutsch-jüdischen Kulturelite kannte er persönlich: Else
Lasker-Schüler etwa, Max Brod, und vor allen seinen Lehrer und Mentor,
den Religionsphilosophen Martin Buber. Bei einer Vorlesung des Gelehrten
lernte Schalom Ben-Chorin auch seine spätere Frau Avital kennen. In
einer Zeit des Aufbruchs, als der jüdische Staat gerade im Entstehen
begriffen war, suchte Ben-Chorin gemeinsam mit Buber nach einer ebenso
neuen, freieren Form des Judentums: befreit von den verkrusteten
Strukturen und Traditionen der Orthodoxie sollte sie in der modernen
Welt die Verbindung zur wahren Glaubensgrundlage wiederherstellen.
1958 gründete Schalom Ben-Chorin
"Har-El“, die erste reformierte Gemeinde und Synagoge in Israel. Aber im
Nationalstaat der Juden fand dieses liberale Erbe des aufgeklärten
deutschen Judentums nur wenig Zustimmung. Die Orthodoxie blieb zu stark,
sie behielt sich die vom Staat sanktionierte Verfügungsgewalt über
religiöse Entscheidungen und Rituale vor – bis heute. Ein Zustand, der
ihn wohl stets traurig stimmte. Konsequent forderte Ben-Chorin deshalb
die Trennung von Staat und Religion. "Israels Luft macht radikal“, sagte
er einmal in Anlehnung an den Talmudischen Spruch, daß die Luft dort
weise mache. Aber eigentlich war ja auch er selbst radikal in seiner
Weigerung, sich auf einfache Erklärungen einzulassen, auf Verweigerung
und totale Ablehnung: radikal human auf eine altmodisch besonnene Art.
Denn auch Zionismus ohne Religiosität hielt Ben-Chorin für
verhängnisvoll. Ebenso wie frommer Radikalismus betrübte ihn die
zunehmend materialistische Einstellung der neuen Israelis. Er fürchtete
ein "Zion ohne Gott“. Gerade diese Einstellung, prophezeite er, würde
eine sinnsuchende Jugend immer weiter in die Arme der Fundamentalisten
treiben: in die Antithese seiner Utopie.
Auch gegen diese Tendenzen
interpretierte Schalom Ben-Chorin in seinem Buch "Die Erwählung Israels“
diesen Begriff nicht als ein Zeichen der Auserwähltheit des jüdischen
Volkes, sondern vor allem als Aufforderung, Vorbild zu sein. Das Land
der Erlösung sei Heimat zweier Völker, ebenso wie auch der Stammvater
Abraham zwei Söhne hatte: Isaak und Esau. Für Ben-Chorin konnte das nur
heißen: eine Verständigung mit den Arabern Palästinas zu erreichen, "in
diesem Land der Verheißung Raum für beide zu finden“.
Sein Lebensmittelpunkt war Jerusalem.
Seine Bibliothek war deutsch, sein Lieblingskomponist hieß Mozart.
Schalom Ben-Chorin schrieb und dachte in einer Sprache, aus der er
"niemals auswanderte“. Sein Hebräisch blieb immer ein wenig holprig, und
das deutsch-jüdische Publikum, für das er anfangs in Israel geschrieben
hatte, wurde älter. Die Nachwachsenden identifizierten sich mit einer
national-israelischen, stolzen Weltsicht, in der die Nachdenklichkeit
des Immigranten immer weniger Platz fand. In Israel wurde Schalom
Ben-Chorin niemals so bekannt wie in seiner alten Heimat.
Bezeichnenderweise wurden von den über 30 Büchern, die er allesamt auf
Deutsch verfaßte, nur zwei ins Hebräische übersetzt.
"Mission ist Überredung, Dialog ist
Unterredung“ – dieser Satz trifft Schalom Ben-Chorins Bemühen um ein
jüdisch-christliches Gespräch. Judentum als Wurzel des Christentums, die
Gemeinsamkeiten wie die Trennlinien der beiden Religionen begreiflich zu
machen, blieb eines seiner großen Anliegen. 1956 fuhr er zum erstenmal
wieder nach Deutschland. Mit"Bruder Jesus“, dem ersten Buch seiner
Trilogie "Die Heimkehr“, markierte er seine Position: Verständigung
zwischen den Religionsgemeinschaften ja – Synkretismus nein. Vor allem
dieses Buch machte ihn in Deutschland zur Stimme der Versöhnung.
Jahrelang lehrte er später als Gastprofessor in Tübingen und München,
wurde mit Auszeichnungen überhäuft. 1993 wurde er mit dem Großen
Verdienstkreuz ausgezeichnet.
Wer ihn bei seinen Vorträgen oder
Reden erlebte, war beeindruckt von dem kleinen, weißhaarigen Mann,
dessen Witz und Wortprägnanz das Publikum mitriß. Zeuge einer
schrecklichen Ära, entschied er sich für das Gespräch – früher und
intensiver als viele. Und das bis zuletzt, in einer Zeit, in der die
Worte wieder härter wurden und die Verständigungsbereitschaft nachließ.
Im letzten Jahr wurde er manchmal müde, pessimistisch. Bereits schwer
krank diktierte er weiter seine Briefe. 85 Jahre alt, ist Schalom
Ben-Chorin am 07-05-1999 in Jerusalem gestorben.
G-d acts towards
individuals according to how they act toward other people.
Thus if people are willing to forgive those of who have offended them,
G-d will similarly overlook their misdeeds.
If a person is very judgemental and acts with anger to every offense,
G-d will be equally strict.
Baal Shem Tov
haGalil onLine - Sonntag 09-05-99 |