Bericht über die
Gedenkveranstaltung im München:
Zum 60. Jahrestag des Approbationsentzugs aller
jüdischen Ärzte, Zahnärzte, Tierärzte und Apotheker
"Berufsständische
Vernichtung der jüdischen Kollegen"
DR. JANUSZ RAT, VORSTANDSMITGLIED
DER BLZK
Der Ärztliche Kreis- und Bezirksverband
München (K. d. ö. R.) veranstaltete am 27. Juli 1998 zusammen mit der
Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern und dem jüdischen
Ärzteverband in Bayern - Paul Ehrlich - im Audimax der
Ludwig-Maximilians-Universität München eine Gedenkveranstaltung anläßlich
des 60. Jahrestages des Entzugs der Approbation aller jüdischen Ärzte,
Zahnärzte, Tierärzte und Apotheker.
Die Bayerische Landeszahnärztekammer, die
Bayerische Tierärztekammer und die Bayerische Apothekerkammer
beteiligten sich an dieser bundesweit bisher einmaligen Veranstaltung
zum Gedenken der "berufsständischen Vernichtung der jüdischen Kollegen",
wie die diesbezüglichen Vorgänge im Dritten Reich von Professor Dr. med.
Dr. phil. Klaus Dörner in seinem Festvortrag bezeichnet wurden. "Mit dem
Zulassen des Entzugs der Approbation jüdischer Ärzte war der
Hippokratische Eid gebrochen", so Dörner. Die deutsche Ärzteschaft
beteiligte sich aktiv an der "Endlösung der sozialen Frage - dem Heilen
und Vernichten" und der "Entjudung" der Ärzteschaft.
9.000 Angehörige der Heilberufe, darunter 270
Münchner Ärzte, waren Opfer der NS-Regimes. Nur zwei von ihnen haben
nach dem Krieg ihre ärztliche Tätigkeit wieder in München ausgeübt. Der
1. Vorsitzende des Ärztlichen Kreis- und Bezirksverbands München (ÄKBV),
Dr. med. Wolf von Römer, verurteilte die Münchner Standesvertretungen
der damaligen Zeit, die vorauseilend die Umsetzung forciert durchgeführt
hätten. Nicht von ungefähr hätte die Reichsärztekammer danach ihren Sitz
in der "Hauptstadt der Bewegung" gehabt, deren Reichsärzteführer Gerhard
Wagner wurde, der zuvor dem ÄKBV vorstand. "Viele wiegen sich in
Sicherheit, daß so etwas sich nicht wiederholen könnte", so Römer, "die
Anfänge des Totalitarismus und Rassismus beginnen jedoch immer im
Kleinen."
"Beitrag gegen das Vergessen"
Im überfüllten Auditorium maximum rief der
Prorektor der Universität, Professor Dr. med. Dr. rer. nat. Dr. h. c.
Dieter Adam, die Anwesenden in seiner Begrüßungsansprache dazu auf, die
Wachsamkeit für die Gefahren des Totalitarismus zu schärfen, und
bezeichnete die Veranstaltung als "Beitrag gegen das Vergessen" von
Leid, barbarischem Akt und Willkür gegen jüdische Kollegen. Jedes Jahr
gedenke die Universität der Geschwister Scholl, die an diesem Ort die
Flugblätter der "Weißen Rose" gegen das Unrechtsregime verteilt hatten.
"Die Geschichte wiederholt sich!"
Ignaz Bubis, der Präsident des Zentralrats
der Juden in Deutschland, verurteilte den "Mißbrauch der Ärzte", die
sich dafür instrumentalisieren ließen, "wertes" von "unwertem Leben"
abzugrenzen, die Euthanasie umzusetzen, Bewertungskriterien zur
Rassenfrage festzustellen, was schließlich in die "Selektion" in den
Konzentrationslagern geführt hat und in den Mengeles gipfelte, "wo
,rechts" den Tod und ,links" die Ausnutzung der Arbeitskraft vor dem
Tod" bedeutet hat. "Es hat an Zivilcourage gefehlt, es gab keine
kollektive Mehrheit des Widerstands, sondern nur einzelne und
vereinzelte. Dies ist nicht nur eine Gedenkstunde, sondern auch eine
Warnung an die heutige Gesellschaft. Die Geschichte wiederholt sich!"
"Deutschland - eine Schönwetter-Demokratie"
Bubis höre im Ausland immer wieder, daß
Deutschland eine "Schönwetter-Demokratie" sei. "Es gilt zu zeigen, daß
Deutschland auch in schwierigen Zeiten in der Lage ist, die Demokratie
zu verteidigen." Bubis beendete seinen Festvortrag mit dem berühmten
Zitat von Pastor Martin Niemöller.
"Zur Verfolgung freigegeben"
Der Vorsitzende des Verbandes jüdischer Ärzte
in Bayern, Dr. med. Nathan Kaminski, zeigte in seiner Ansprache die
historischen Daten auf: Am 23. März 1933 wurden alle jüdischen
Heilberufler aus den Vorständen und Gremien der Berufsvertretung
entfernt. Am 1. April 1933 wurden sie von den eigenen
Standesorganisationen zur Verfolgung "freigegeben". Jedoch weit vor dem
1. April 1933 haben bereits nichtjüdische Ärzte jüdische Kollegen aus
den Betten geholt und selbst ihre barbarischen, pogromartigen
Verfolgungen durchgeführt. So habe man beispielsweise über 70jährige
Kollegen unter Waffengewalt in einem Zirkuszelt bis zur Erschöpfung oder
bis zum Kollabieren im Kreis gehetzt oder sie in den Wäldern fast zu
Tode geprügelt. Nach stufenweisem Entzug der Kassenzulassung und der
Privatbehandlung erfolgte am 30. September 1938 das "Erlöschen" der
Approbation jüdischer Ärzte. Am 17. Januar 1939 wurde schließlich der
Approbationsentzug bei Zahnärzten, Tierärzten und Apothekern verfügt und
zum 31. Januar 1939 umgesetzt.
Bayerische Zahnärzteschaft zeigt Präsenz
"Wir wollten nicht, daß Sie diese
Gedenkstunde ,sprachlos" verlassen müssen", so Dr. Wolf von Römer in
seinem Schlußwort und lud die Anwesenden zu einem anschließenden Empfang
in den Senatssaal der Universität ein.
Die Bayerische Zahnärzteschaft war unter den
Ehrengästen zahlreich vertreten, unter anderem durch Dr. Wolfgang
Heubisch, Vizepräsident der BLZK, Zahnarzt Michael Schwarz und Dr.
Gunther Lichtblau für den KZVB-Vorstand, Dr. Eugen Endstrasser,
stellvertretender Landesvorsitzender des FVDZ Bayern und
Bezirkstellenvorsitzender München der KZVB, Dr. Heinz R. Nobis für den
Landesvorstand, Dr. Alois Schneck, Dr. Richard Strobl und Dr. Frank
Portugall für den Münchner Bezirksgruppenvorstand des FVDZ.
BLZK = Bayerische
Landeszahnärztekammer K.d.ö.R. KZVB = Kassenzahnärztliche Vereinigung Bayerns K.d.ö.R. FVDZ = Freier Verband Deutscher Zahnärzte e.V.
DR.
JANUSZ RAT VORSTANDSMITGLIED DER BLZK
BLZK -
BZB 9/98 Bayerisches Zahnärzteblatt Heft 9/98, S. 65-66 STANDESPOLITIK
"Berufsständische
Vernichtung der jüdischen Kollegen" Gedenkveranstaltung zum 60. Jahrestag des
Approbationsentzugs aller jüdischen Ärzte, Zahnärzte, Tierärzte und Apotheker
|