Seiner
jüdischen Abstammung wegen war der 1899 in Prag geborene Komponist 1942
nach
Theresienstadt
deportiert worden, wo die Nazis seine Fähigkeiten auf perfide Weise zu
nutzen begannen: Zur „Freizeitgestaltung“ im Konzentrationslager mußte
Krása kulturelle Veranstaltungen organisieren, um ausländischen
Beobachtern dessen wahre Funktion zu verschleiern. Kurz nach der
Aufführung seiner durchaus hintersinnigen Kinderoper „Brundibár“
wurde Krása im Oktober 1944 nach Auschwitz verfrachtet – das
Todesurteil.
Ein
ganz ähnliches Schicksal erlitt der aus Brno stammende Pavel Haas, der
schon 1941 in Theresienstadt interniert worden war, wo sich um
Viktor Ullmann eine Gruppe von hochtalentierten Musikern
gebildet hatte. Aus einer jüdisch-tschechischen Familie stammend, bewies
der im selben Jahr wie Krása geborene Janácek-Schüler Haas sehr früh
schon sein Talent als Opernkomponist. Als er 1934 mit der Vertonung
seines „Šarlatán“ begann, einer selbstverfaßten Geschichte um den
historischen Quacksalber Dr. Johann Andreas Eisenbart, deren wichtigste
Anregungen aus einem Roman von Josef Winckler stammen, hatte er neben
zahlreichen Kammermusikwerken bereits eine Vielzahl von Film- und
Bühnenmusiken geschaffen. Und so läßt die burleske Oper um den
vorgeblichen Wunderheiler Pustrpalk (Vladimír Chmelo), durch dessen
dilettantische Behandlung der Mönch Jochimus (Jiri Kubík) zu Tode kommt,
bereits eine erstaunliche formale und musikalische Reife erkennen.
Überraschend an diesen beiden, in der etwas
verunglückt betitelten Decca-Serie „Entartete Musik“ nun auf CD
erschienenen Opern ist die unbändige Lebensfreude, die sie trotz der
bedrohlichen Lebensumstände ihrer Schöpfer ausstrahlen. Auch Krásas
„Verlobung im Traum“, auf eine Novelle Dostojewskijs entstanden, kehrt
in Umkehrung der realen Geschichte das kompositorische Talent für
musikalischen Humor hervor. Rasch wechselnde Stimmungen, eine komplexe
rhythmische Motorik und ein Feingefühl für flirrende Klangfarben, die
gleichermaßen an Mahler wie an Schreker erinnern, bestimmen die
Partitur, die immer wieder den Ernst hinter der Groteske verspüren läßt.
Denn die Geschichte ist keinesfalls nur
lustig: Marja Alexandrowna (Jane Henschel) verschachert ihre Tochter
Sina (Juanita Lascarro) an einen vertrottelten Fürsten (Albert Dohmen).
Zermürbt vom männlichen Über-Ich gibt Sina ihr Leben auf: An irgendeinen
reichen Gouverneur, erzählt der Archivar (Michael Kraus) im Epilog,
mußte sie schließlich ihre Seele verkaufen.
Krása erzählt diese turbulente Geschichte wie
ein erfahrener Theaterpraktiker, was wohl auf seine solide Ausbildung
bei Alexander von Zemlinsky zurückzuführen ist, von dem er auch lernte,
musikalisch präzise Charaktere zu zeichnen. Rhythmisch verdankt die
höchst eigenständige Musik wohl Strawinsky einiges, was die beigefügte,
polyrhythmische Symphonie (1923) unterstreicht. Spritzige Ensembleszenen
in geradezu Rossinischem Parlando - wie das motorische Rache-Duett im
Finale des ersten Akts - wechseln einander ab mit psychologisch
feinfühligen Passagen, in denen die innere Beziehungslosigkeit der
Menschen oft schmerzhaft aufblitzt - wie in dem Quintett, in dem Sinas
„Casta diva“-Zitat von den Stimmen der anderen gnadenlos übertönt wird.
Federndes Brio bestimmt auch Haas’ stärker in
der Tradition verankerten „Šarlatán“, dessen Rückgriffe auf die
tschechische Volkstradition sogar an Smetanas „Verkaufte Braut“
erinnern. Die jähen Stimmungswechsel, der harmonische Reichtum und die
bewußte Wiederholung prägnanter rhythmischer Motive lassen jedoch auch
den Einfluß Janáceks erkennen. Beeindruckend an dieser Partitur ist der
Einsatz der Stilmittel, die die einzelnen Szenen scharf voneinander
abtrennen und dadurch – ganz ähnlich wie bei Krása – spielerisch die
tragische Komponente hinter der vermeintlichen Komödie spüren lassen.
Israel Yinon, der auch die Prager
Wiederaufführung der „Verlobten im Traum“ dirigiert hatte, findet
instinktsicher den für „Šarlatán“ nötigen eloquenten Tonfall. Lothar
Zagrosek hingegen, der die „Verlobung im Traum“ mit dem Deutschen
Symphonie-Orchester Berlin aufgenommen hat, trägt manchmal etwas zu dick
auf, so daß Krásas Musik oft nicht zu ihrer Leichtigkeit finden kann.
Auch die – meist viel zu schweren – Stimmen der weiblichen Protagonisten
sind nicht gerade ideal für den leichten Konversationston der Oper. An
hörbare musikalische Grenzen stößt ebenso das engagierte Ensemble der
Prager Staatsoper bei „Šarlatán“. Diese beiden Opern aus den Archiven
wieder zum Leben erweckt zu haben – dennoch ein unbestreitbares
Verdienst. („Verlobung im Traum“: Decca 455 587, 2 CDs; „Šarlatán“:
Decca 460 042, 2 CDs)
REINHARD KAGER - SZ vom
05.08.1998