Stählern und
grundböse:
Die Herrschaft des
Pöbels ist Wahrheit geworden
"Es ist
geschehen, und folglich kann es wieder
geschehen. Darin liegt der Kern dessen, was
wir zu sagen haben."
(Primo Levi)
"Ich hatte
das Empfinden, die Physiognomie meiner
Mitmenschen habe sich über Nacht verändert.
Der Blick war stählern und grundböse
geworden. Geist schien verdächtig. Hämischer
Spott umspielte die Lippen. Der hektisch
hochgerissene Arm, die Parteiparole "Heil
Hitler" traten an die Stelle. Schniepel trug
jetzt Orden und Auszeichnung. Man wusste
nicht wofür, doch fuhr er Motorrad. Er
selbst hatte keine Würde, er borgte sie sich
von seinem Führer Die Herrschaft des Pöbels
(...) war Wahrheit geworden."...
Mit diesen
Erinnerungen des jüdischen
Zahnmedizinstudenten Conrad Rosenstein an
das Jahr 1933, der Machtübernahme des
Naziregimes in Berlin, begann Dr. Michael
Köhn anlässlich der Gedenkfeier der KZV
Berlin am 1. Oktober sein Referat. Bereits
1994 legte Michael Köhn seine Dissertation
"Zahnärzte 1933 - 1945, Berufsverbot,
Emigration, Verfolgung" vor. Anhand von
knapp 600 Kurzbiographien dokumentiert die
Arbeit das Schicksal der aus rassischen oder
politischen Gründen verfolgten, vertriebenen
und ermordeten Berliner Zahnärztinnen und
Zahnärzte in der Zeit des
Nationalsozialismus.
Die Namen und
Schicksale dieser Berliner Kolleginnen und
Kollegen sollen nicht in Vergessenheit
geraten, ebenso wenig wie die Millionen
anderer Opfer des Dritten Reiches. So
entstand die Idee, eine Gedenktafel im Foyer
der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Berlin
mit den in der Dissertation aufgelisteten
Namen anzubringen. Welche Geschichte, welche
Schicksale sich hinter diesen Namen
verbergen, kann in dem neben der Tafel
beiliegenden Exemplar der Dissertation
nachgelesen werden.
Die Zeit von
1933 bis 1945 waren zwölf Jahre permanenten
Rechtsbruchs, Verfassungs- und
Zivilisationsbruchs. Zwölf Jahre, in denen
der ausdrückliche Abschied von der
unantastbaren Würde des Menschen schließlich
in den Holocaust als beispiellosem
Menschenverbrechen führte. Zu dieser fast
unbegreiflichen Entwicklung trug nicht
zuletzt ein erschreckender Mangel an
Einsicht und Zivilcourage bei prominenten
Vertretern der Wirtschaft, der Medien, der
Kirchen wie der Universitäten bei. Ärzte und
Zahnärzte bildeten da keine Ausnahme!
Die Zulassung
zur Kassenbehandlung wurde den jüdischen
Ärzten und Zahnärzten bereits 1933 entzogen,
mit zwei Verordnungen zum Reichsbürgergesetz
nahm man ihnen Im September 1939 bzw. im
Januar 1940 dann auch die Approbation. Damit
verlor zwischen 1933 und 1945 jeder zehnte
deutsche Zahnarzt seine berufliche Existenz.
Ein Teil der Betroffenen wanderte
rechtzeitig aus, ein Teil wurde in den
Konzentrations- und Vernichtungslagern
ermordet, nur Wenige überlebten in
Deutschland. Unsere
Standesgeschichtsschreibung umging dieses
dunkelste Kapitel. Die deutschen Zahnärzte
jüdischer Abstammung wurden aus der
Geschichte getilgt. Ralph Giordano hat
dieses Vergessen zu Recht "die zweite
Schuld" genannt. Diesem Vergessen zu
begegnen und es aufzubrechen, machen wir
Zahnärzte uns nun endlich auch auf den Weg.
Abb.
re.: Ein Schreiben zum Entzug der
Kassenzulassung eines Armeniers...
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Der
Zivilisationsbruch durch die Schoah ist
beispiellos. Er hat bis heute Wunden und
Narben hinterlassen. Doch wer bis 1989 in
der DDR lebte hat den Nationalsozialismus
als allein westdeutsches Problem zu
betrachten gelernt. Es dauerte über 40
Jahre, bis sich ganz Deutschland sowohl zu
seiner historischen Verantwortung als auch
zum Staat Israel bekennen konnte. Und nur
wenn sich Deutschland zu seiner
immerwährenden Verantwortung für die
moralische Katastrophe seiner Geschichte
bekennt, können wir die Zukunft menschlich
gestalten. Oder mit den Worten Frau Merkels
anlässlich der 60 Jahr-Feier in Israel:
"Menschlichkeit erwächst aus der
Verantwortung für die Vergangenheit."
Heute ist es an
uns, gemeinsam mit den Jüngeren das
Bewusstsein für eine Erinnerungskultur zu
wecken, die auch dann noch trägt, wenn die
Überlebenden der Schoah nicht mehr unter uns
sein werden. Natürlich gibt es dafür kein
Patentrezept. Diese Herausforderung zu
erkennen und anzunehmen ist der erste
entscheidende Schritt.
Wir sind es den
Opfern des Nazi-Regimes schuldig, diese
Verantwortung zu leben und nicht nur als
leere Worthülse zu gebrauchen, insbesondere
in Zeiten, in denen Rechtsextremismus und
Antisemitismus in der Mitte unserer
Gesellschaft wieder Einzug zu halten
scheinen.
In diesem Jahr
feierten Juden in aller Welt das 60-jährige
Bestehen des Staates Israels. "Dass heute
wieder Juden und Christen in Deutschland
neben einander leben, betrachte ich als
Geschenk", sagte sinngemäß Wolfgang Thierse
als Festredner zu diesem Anlass im
Konzerthaus am Gendarmenmarkt. Für den
Vorstand der KZV Berlin kann ich diese Worte
ausdrücklich bestätigen!
Dr.
Jörg-Peter Husemann
ZAHN PRAX 11, 5, 388 -
390 (2008)
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