"Schamorgien" - oder:
Die Lehrer, die Juden und das
Gedenkenvon
Ramona Ambs
Als ich zu Beginn
dieses Jahres eine Rezension über das
Lehrbuch "Woher
kommt Judenhass?" schrieb und dabei auch
meine Zweifel zum Ausdruck brachte, ob man
denn wirklich annehmen dürfe, dass
Bildungsniveau, Geschichtsbewusstsein und
Empathiefähigkeit deutscher Lehrer und
Lehrerinnen durchweg ausreichend seien, dass
man sich auch wegen eines Buches, das alte
antijudaistische Stereotype vermittelt,
keine weiteren Sorgen zu machen brauche,
wurde ich stark angegriffen.
In der
Stellungnahme der Herausgeber, dem "Bildungsteam
Berlin Brandenburg" und dem Verein "Tacheles
Reden!", hieß es:
„Wir trauen den PädagogInnen
zu, entscheiden zu können, mit welcher
Gruppe sie unsere Methoden einsetzen und ob
sie dadurch hervorgerufene Emotionen
auffangen können. Ebenso gehen wir davon
aus, dass die LehrerInnen und PädadogInnen,
die mit unseren Methoden arbeiten, über ein
fundiertes Wissen zu Antisemitismus
verfügen, die Methoden sorgfältig auswählen,
sich gründlich auf die Durchführung
vorbereiten und die Übungen
verantwortungsbewusst anleiten.“
Natürlich gibt es Lehrer
und Lehrerinnen, die auch in schlechten
Publikationen das ein oder andere Positive
für ihren Unterricht finden können - und es
gibt viele engagierte Pädagogen, die ihren
Schülern neben Wissensvermittlern auch
Freund und Vorbild sind, aber das ist -
meiner Erfahrung nach - nicht die große
Mehrheit. Und die Aussage, dass Pädagogen in
ihren jeweilligen Fachrichtungen über
fundiertes Wissen verfügen, kann wohl gut in
die Kategorie „frommer Wunsch“ einsortiert
werden. Wohl deshalb wollten sich die
LehrerInnen nach den schlechten
PISA-Ergebnissen keiner Überprüfung durch
die OECD stellen. Die Vor-ab-Kommission
plädierte nämlich für eine konstante "Kultur
der Leistungsüberprüfungen"; aus
Sicht der Kultusminister offenbar eine allzu
bedrohliche Aussicht.
Abb.:
Die Pädagogen in Berlin-Brandenburg folgen
dem neuen Trend nach Rechts und bieten nun
von sich aus an, Lehrer zu Neonazis
auszubilden.
Besonders
dramatisch könnte solch eine Überprüfung
ausfallen, wenn man Sprach- und
Textverständnis überprüfen würde - so hat
zum Beispiel das oben genannte "Bildungsteam
Berlin Brandenburg" (wieviel Chutzpe
muss man eigentlich haben um sich so einen
Namen zu geben?) bei Lehrer-online dafür
geworben „Lehrer
zu Neonazis fortzubilden“.
Aber eine solche Fortbildung haben einige
nicht nötig - sie bringen auch ohne
Unterstützung durch das Bildungsteam ein
Geschichtsverständnis mit, bei dem einen das
nackte Grausen packt. Aktuelles Beispiel ist
eine Gymnasiallehrerin aus Ratingen.
Eva Markert ist eine engagierte Pädagogin,
die nebenbei auch als Lektorin und
Kinderbuchautorin arbeitet. Demnächst
erscheint von ihr ein Adventskalender mit 24
Weihnachtsgeschichten zum Lesen und Vorlesen
für Kinder. Wer jetzt noch nicht gerührt
ist, der wird es gleich sein, denn sie
schreibt nicht nur Adventsgeschichten
sondern auch Leserbriefe. Zum Beispiel am
10. November in der Westdeutschen Zeitung.
Darin beklagt sie die „überflüssige
Gedenkstunde“, die man anläßlich des
Novemberpogroms in der dortigen
Anne-Frank-Schule veranstaltet hatte. Sie
schreibt „Der größte Teil der heute
lebenden Personen hat nichts aber auch gar
nichts mit diesen Geschehnissen zu tun. Die
wenigen Personen, die diese Zeit noch
miterlebt haben sind Zeugen. Weiter nichts.“
Und sie siniert weiter: „Falsch gepolte
Menschen werden durch derartige
Demonstrationen öffentlicher Zerknirschung
höchstens noch mehr angestachelt“. Sie
hofft deshalb, dass die Gedenkstunde die
endgültig letzte in Ratingen sein wird.
Vermutlich ist dieses Ansinnen pädagogisch
wertvoll - denn wenn diese
Gedenkveranstaltungen „Falschgepolte“
zu was auch immer anstacheln, sollte man sie
tatsächlich besser lassen, oder? -
Aber das Engagement dieser
Pädagogin geht noch weiter. Zwei Tage nach
dem ersten Leserbrief schreibt sie nochmal:
“ Wenn man sich gegen Übertreibungen im
Gedenken an die Judenverfolgung ausspricht
wird offiziell (...) immer die gleiche
Platte abgenudelt. Privat hört man von
vielen Leuten - nicht von Neonazis, sondern
von Menschen wie Du und ich! - dass sie
diese Schamorgien schon lange satt sind. Nur
wagt es keiner laut zu sagen, weil er dann
damit rechnen muss, beschimpft und belehrt
zu werden“.
Belehrt zu werden scheint für Lehrer ja
etwas sehr Bedrohliches zu sein oder hab ich
das jetzt falsch verstanden?
Schade, denn zu lernen gäbe es hier einiges.
Das erkannte auch Ignatz Bubis sel. A. in
seinem letzten traurigen Interview: „Im
Grunde genommen meine ich heute, dass ich
die Falschen besucht habe. Ich hätte nicht
die Schüler, sondern die Lehrer aufsuchen
müssen.“
Rezension der Verbesserung
des kritisierten Lehrbuchs...
Reloaded:
Woher kommt Judenhass?
Jetzt ist es wieder lieferbar. Das Buch "Woher kommt Judenhass?", dessen
Rezension Anfang des Jahres für Aufregung und böse Angriffe auf die Rezensentin
und die Herausgeber sorgte. Der Verlag reagierte damals recht schnell und nahm
das Buch zur Überarbeitung vom Markt. Wer nun aber glaubt, ein neues
überarbeitetes Buch zu bekommen, der irrt... Übrigens:
Ein Blick auf das Projekt "BildungsBausteine
gegen Antisemitismus", das als "Kooperationsprojekt
der beiden bildungspolitischen Träger »
Bildungsteam Berlin-Brandenburg e.V. und
» Tacheles Reden! e.V." im Rahmen
des "Aufstands der Anständigen" durch das
Bundesfamilienministerium (BMFSFJ) gefördert
wurde, zeigt auch, wer ein sicheres Auge für
Qualität und Förderwürdigkeit hat.
[DISKUSSION] |