Brisante Daten in den Händen von Neonazis:
Rechtsextreme sichten Polizeiakten
Immer öfter gelangen Daten aus Ermittlungsakten in die Hände
von Rechtsextremen. Sie sammeln private Informationen von Bürgern, die sich
gegen Rechtsextremismus engagieren, und bedrohen diese. Die neue Strategie
der Neonazis: Sie stellen Anzeige gegen vermeintliche Gegner und erhalten so
Zugriff auf Akten. So mancher NPD-Abgeordnete verfügt aber auch über einen
direkten Draht zu den Ermittlungsbehörden und wird illegal mit brisanten
Interna versorgt.
Heute abend in
"Kontraste": Caroline Walter und Alexander Kobylinski berichten über
Sicherheitslücken, denen die zuständigen Ministerien nicht konsequent
nachgehen.
Fast täglich wird in Deutschland jemand von rechten Schlägern
bedroht oder angegriffen. Dabei gehen die Rechtsextremen mittlerweile ganz
gezielt vor. Sie forschen ihre Gegner aus und sammeln private Daten über
sie. Und an die gelangen sie immer wieder auch mit Hilfe von Behörden. In
einigen Bundesländern haben die Rechtsextremen offenbar besonders gute
Kontakte in den Sicherheitsapparat.
Letzten Sonntag, eine Kleinstadt in Thüringen. Neonazis veranstalten einen
Fackelzug zum Volkstrauertag. Ihnen geht’s um die Helden des Dritten Reichs,
von den Opfern kein Wort. An diesem Abend wagt sich keiner auf die Straße.
Redner
„Soldaten des Volkssturmes. Ich rufe Euch.“
Demonstrationsteilnehmer
„Hier.“
Redner
„Soldaten der Waffen-SS. Ich rufe Euch.“
Demonstrationsteilnehmer
„Hier.“
Anm.: Siehe auch Bericht vom
Volkstrauertag in Karlshorst
Wenige Kilometer entfernt – Max will nicht erkannt werden. Rechtsextreme aus
Thüringen haben seinen Namen und seine Privat-Adresse auf einer schwarzen
Liste im Internet veröffentlicht. Sie wollen ihn einschüchtern, weil er sich
gegen Rechtsextremisten engagiert.
Max
„Bei mir ist es mittlerweile auch so, dass wenn ich irgendwie vor meiner
Haustür höre, dass irgendwas knallt, und sei es nur, dass irgendjemand seine
Autotür zuknallt, dass ich erstmal zum Fenster renne und gucke, ob da nicht
irgendwie eine Horde Nazis vorm Fenster steht, die da gerade mein Auto, das
Haus oder sonst was angreift.“
Auf der Internetseite der NPD-Erfurt wurden Namen und Wohnorte von ihm und
10 weiteren Personen veröffentlicht. Die rechtsextreme NPD beschimpft sie
als „asoziale Elemente“ und „Pack“. Hintergrund war eine Demonstration gegen
diesen bekannten Nazi-Treff in Erfurt. Scheiben gingen zu Bruch,
Demonstranten wurden festgenommen. Schon wenige Tage später stellt die NPD
eine Liste mit Namen und Adressen von angeblich Beteiligten ins Netz.
Er ist dafür verantwortlich - der NPD-Kreisvorsitzende von Erfurt, Kai-Uwe
Trinkaus. Die Festplatte in seinem Bürgerbüro hat er Hitler gewidmet.
KONTRASTE
„Wie sind die Namen und Adressen zu Ihnen gelangt?“
Kai-Uwe Trinkaus, NPD-Kreisvorsitzender
„Das möchte ich an dieser Stelle nicht kommentieren.“
KONTRASTE
„Warum nicht?“
Kai-Uwe Trinkaus, NPD-Kreisvorsitzender
„Weil ich gute Beziehungen in dieser Stadt hinsichtlich der... Schneiden.
Das müssen wir raus schneiden.“
Bis die Informationen auf der NPD-Seite auftauchten, hatte niemand Zugang zu
den privaten Daten. Außer Polizei und Ordnungsamt. Dort muss der NPD-Mann
einen Zuträger haben. Ohne Kamera brüstete er sich mit seinen guten
Kontakten. Als sie an ist, druckst er rum.
KONTRASTE
„Wenn Sie Ihre Quellen offen legen, würden Sie Ihre guten Beziehungen
gefährden?“
Kai-Uwe Trinkaus, NPD-Kreisvorsitzender
“Wenn Sie es so formulieren wollen.”
KONTRASTE
„Ja oder Nein?“
Kai-Uwe Trinkaus, NPD-Kreisvorsitzender
„Wenn Sie es so formulieren wollen.“
Der NPD-Mann weiß genau, wie die Liste auf seine Nazi-Kameraden wirkt - von
denen manch einer gern zuschlägt.
Für Max ist die Gefahr größer geworden.
Max
„In unserer Region gibt es zahlreiche Übergriffe. Im letzten halben Jahr
waren es mindestens sechs oder sieben teilweise organisierte Übergriffe auf
städtischen Festen, wo sich Neonazis organisiert sich zusammengerottet haben
und dann Jagd auf Punks, Linke, alles was ihnen nicht gepasst hat, gemacht
hat.“
Sachsen. Die NPD sitzt hier im Landtag. In diesem Bundesland haben die
Rechtsextremen anscheinend ganz besondere Kontakte zu Ermittlungsbehörden.
Im Landtag stellt der NPD-Abgeordnete Winfried Petzold immer wieder Anfragen
an die Staatsregierung. Darin will er so allerlei über Ermittlungsverfahren
in Sachen organisierter Kriminalität wissen.
Bemerkenswert: seine Detailkenntnisse. In dieser Anfrage zitiert er aus
einem vertraulichen Schreiben des Landeskriminalamtes Sachsen. Er gibt eine
Zeugenaussage wieder - mit dem Hinweis auf die Quelle:
Zitat:
„vergleiche Protokoll der Zeugeneinvernahme der Staatsanwaltschaft
S.5...“
Wir treffen jemanden aus Polizeikreisen, der sich auskennt. Wir gehen mit
ihm die Anfragen durch. Sein Verdacht: die Quelle des NPD-Abgeordneten muss
im sächsischen Landeskriminalamt sitzen. Konkret: in den Dezernaten
Organisierte Kriminalität oder Rauschgiftkriminalität.
Eine zweite Anfrage des NPD-Abgeordneten Petzold verstärkt den Verdacht,
dass er direkt aus dem LKA mit Informationen versorgt wird: In der Anfrage
gibt er Details und den Ablauf einer Hausdurchsuchung wieder. Er schreibt:
Zitat:
„Obwohl er zunächst angetroffen wurde, wohnte der Beschuldigte … der
Durchsuchung seiner Wohnung … nicht in eigener Person bei …“
Über diese konkrete Information verfügten nur ganz wenige Beamte.
Seit fast zwei Jahren stellt die NPD-Fraktion diese Anfragen. Doch das
sächsische Innenministerium ist unfähig, die Sicherheitslücke im Apparat zu
finden. Ein Interview wird abgelehnt. Der lapidare Hinweis: da gäbe es
mehrere Möglichkeiten, eigene Ermittlungen seien ergebnislos verlaufen.
Für den grünen Landtagsabgeordneten, Johannes Lichdi, ist die Haltung der
Staatsregierung völlig inakzeptabel.
Johannes Lichdi (Bündnis90/Die Grünen), Landtagsabgeordneter Sachsen
„Der Vorgang ist so gravierend, dass ich eigentlich von der
Staatsregierung erwarte, dass sie diesen Mängeln, diesen undichten Stellen
auch nachgeht, engagiert nachgeht und nicht diese Sachverhalte einfach auf
sich beruhen lässt und diesen Eindruck habe ich leider derzeit.”
Doch nicht nur in diesem Fall lässt man die Rechtsextremen in Sachsen
gewähren.
Anfang des Jahres tauchte sogar eine ganze Datensammlung auf – die Neonazis
extra angelegt hatten. Von 150 Personen hatten sie Informationen
zusammengetragen, alles Bürger, die öffentlich gegen Rechtsextremismus
auftreten: Gewerkschafter, linke Aktivisten bis hin zum Mitarbeiter einer
Schülerzeitung.
Vieles stammt direkt aus Polizeiakten: Fotos, Aufnahmen aus Polizeivideos,
sogar die Adresse von Mutter und Vater, Personalausweisnummern. Mehrere, die
in dem Nazi-Dossier auftauchen, haben Morddrohungen bekommen.
Wir treffen eine junge Frau. Auch über sie und ihre Familie wurden Daten
gesammelt.
Frau
„Ich habe eine SMS bekommen auf mein Handy und da wurde ich bedroht. Es
hieß halt, es gibt Rache und meine Adresse wäre eben bekannt. Und man hat ja
auch dann so ein bisschen Angst um seine Familie. Man kann das ja nicht
abschätzen, was die Neonazis dann vorhaben.“
Wie kamen die Neonazis an all diese Daten aus Ermittlungsakten? Ihr Vorgehen
hat Methode: Die Rechtsextremen provozieren gezielt bei Veranstaltungen. Und
zeigen dann Personen, die sich gegen Rechts engagieren, bei der Polizei an -
mit falschen Beschuldigungen wegen angeblicher Beleidigung oder
Körperverletzung.
Bei der Polizei gibt es dann eine Ermittlungsakte. Und zu dieser hat später
der Anwalt der Nazis Zugang, und da finden sie all diese Daten. Auf
Internetseiten der Rechtsextremen wird dazu aufgerufen, diese neue Strategie
anzuwenden. Da heißt es:
Zitat:
„man kann...durch solche Anzeigen gut an Namen und Adressen ... kommen
...“
Nach KONTRASTE-Recherchen kam auch das Dossier über die 150 Personen so
zustande: mit Hilfe ihrer Anwälte hatten die Neonazis Zugriff auf
Ermittlungsakten.
Nur die sächsische Staatsregierung weiß davon anscheinend nichts.
Das teilte sie dem Abgeordneten Lichdi auf Nachfrage mit.
Johannes Lichdi (Bündnis90/Grüne), Landtagsabgeordneter Sachsen
„Ich bin schon sehr erstaunt bis empört darüber, dass die sächsische
Staatsregierung sich dieser Gefahr offensichtlich überhaupt nicht bewusst
ist, denn sie antwortet mir, sie hat keinerlei Kenntnis, wie das geschehen
kann. Sie sieht aber offensichtlich keinerlei Veranlassung tätig zu werden.
Und das ist nicht hinzunehmen.“
Sie zeigt Zivilcourage gegen Neonazis. Nur von den Behörden wird sie nicht
geschützt und mit der Bedrohung allein gelassen.
Rundfunk Berlin Brandenburg: Kontraste
Beitrag vom 22.11.2007
Die nächste Sendung im Ersten, am Mittwoch dem 20.12.07 - 21:45h. |