Jean-Marie Le Pen geht fremd:
Querfront oder Front National?
Alain
Soral und Dieudonné erneut auf krummen Wegen...
Von Bernard Schmid, Paris
Jean-Marie Le Pen,
Parteichef des rechtsextremen Front National (FN), ist in diesem September
in gewissem Sinne fremd gegangen. Aus Kostengründen hatte der Front National
sowohl seine "Sommeruniversität" – die Sommerakademie für die Parteikader
findet normalerweise alljährlich Ende August statt – als auch das sonst im
Herbst anstehende "Blau-Weiß-Rot-Fest" (Fête BBR, für Blau-Blanc-Rouge) in
diesem Jahr abgesagt. Die rechtsextreme Partei muss nämlich sparen: Aufgrund
seines schlechten Abschneidens bei den Parlamentswahlen sind die
Parteikassen leer ([1]),
und ferner muss die noch den nächsten Kongress am 17./18. November in
Bordeaux organisieren und bezahlen.
Einer "eigenen"
Sommeruniversität beraubt, tauchte Le Pen am Wochenende des 8./9. September
in der Nähe von Versailles auf einer Sommerakademie auf, die von Anderen
organisiert worden war. Es handelte sich um eine Ansammlung von 300 Leuten
(so jedenfalls die Zahlenangabe der FN-eigenen "Nationalen Wochenzeitung",
National Hebdo, NH, vom 13. September), die auf einen Aufruf der Association
'Egalité et Réconciliation' – Vereinigung "Gleichheit und Aussöhnung" – hin
in das Kaff Villepreux zusammengeströmt waren. Diese Kommune mit rund 9.500
Einwohnern liegt in zwölf Kilometern Entfernung von Versailles.
Alain Soral
Die o.g. Vereinigung
ist, laut dem Bericht von NH, vor nunmehr vier Monaten durch den
Schriftsteller Alain Soral gegründet worden ([2]).
Der Romancier trat seit längerem als Provokateur und politischer
Geisterfahrer in Erscheinung, und berät seit rund zwei Jahren Le Pen ([3]).
Am 6. Februar 2007 trat er offiziell dessen Wahlkampfteam zur
Präsidentschaftswahl bei.
Der frühere Linke (mit
oder ohne Anführungszeichen) Alain Soral, Jahrgang 1958, der in jüngerer
Zeit vor allem durch seine antifeministischen, provokatorischen und
teilweise pornographischen Schriften auffiel, gehörte bis in die frühen
neunziger Jahre der französischen KP an. 1993 trat er aus der Partei aus.
Danach ging er auf Abstand zur Linken, die in seinen Augen nicht mehr
glaubwürdig den Wunsch nach radikaler sozialer Veränderung verkörpern
konnte. Den Niedergang der KP vor allem in den Banlieues beschrieb er in
einem 2002 erschienenen Buch (Jusqu'où on va descendre. Abécédaire de la
bêtise ambiante, also "Bis wohin wir herabsinken werden. ABC der umgebenden
Dummheit") und führte ihn dabei vor allem auf die Immigration zurück.
Letztere habe zu einem Austausch der altansässigen Arbeiterschaft durch eine
subproletarische und multinationale Bevölkerung geführt. Faktoren wie die
Veränderung der Arbeitsverhältnisse selbst blendet Soral dabei völlig aus.
Ebenso wie die Tatsache, dass auch zu Zeiten rauchender Fabrikschlote in den
Banlieues -– die damals noch Arbeitervorstädte und von Industrieansiedlungen
geprägt waren -– deren Bevölkerung bereits zu einem Gutteil aus Einwanderern
bestand.
Neben der Einwanderung
als angeblicher Ursache des Niedergangs für den Parteikommunismus bekämpft
Soral vor allem die "Feminisierung" der Gesellschaft, die er in seinem
zweiten zentralen Buch als "antidemokratisches Komplott" darzulegen
versucht. Alles in allem verkörpert Soral die Gedankenwelt einer politisch
desorientierten Fraktion der Arbeiterschaft, die durch die
gesellschaftlichen Veränderungen der letzten 15 Jahre völlig in die
Defensive geraten ist. Und die sich sowohl aufgrund des Wegfalls sozialer
Garantien und aufgrund der neoliberalen Umwälzungen, als auch aufgrund
gesellschaftlicher Modernisierungserscheinungen (Selbstbewusstsein der
aufwachsenden zweiten bzw. dritten Immigrantengeneration und der jungen
Frauen u.ä.) nicht mehr zurecht findet, sondern mit dem Rücken an der Wand
wähnt. Der Wegfall traditioneller Industriearbeitertätigkeiten in der
Produktion und der Platz der Frauen in der Arbeitswelt hindern diesen Typus
von "Proleten" daran, ihren an Muskelkraft und "Arbeitsethos" gekoppelten
Produzentenstolz auszuleben. Für jenen Teil der Arbeiterschaft, der seinen
eigenen Platz in der Gesellschaft vor allem darüber (statt über kollektive
Solidarität, die aus der Stellung im Produktionsprozess erwuchs) definierte,
muss dies in der Tat verwirrend und niederschmetternd wirken. Bei einem
Typen wie Soral, der auch eine "Soziologie des Anbaggerns" (Sociologie du
dragueur) verfasst hat, können daraus Kastrationsängste, eine Form von
Sozialneid gegen Einwanderer mit anderem kulturellem Backgroud und sonstige
Komplexe emporwachsen.
In den letzten Jahren
legte Soral auch eindeutig antisemitische Tendenzen an den Tag. Originalton
aus dem Jahr 2004: Es müsse doch an den Juden selbst liegen, "wenn sie
nirgendwo dort, wo sie seit 2.500 Jahren den Fuß hinsetzen, gelitten
werden".
Der unvermeidliche Dieudonné
Dort, wo Alain Soral
ist, kann auch der "Komiker" bretonisch-kamerunischer Herkunft Dieudonné
M'bala M'bala - der in Frankreich vor allem unter seinem Vor- und
Künstlernamen bekannt ist - selten weit entfernt sein. Dieudonné, der sich
seit Herbst 2006 ebenfalls unverkennbar an den Le Pen-Clan (Vater, Tochter
und mehr noch an Jean-Marie Le Pens zweite Ehefrau Jany – mit ihr zusammen
hielt er sich im März 2007 in Kamerun auf) annäherte, ist ebenfalls unter
die politischen Geisterfahrer gegangen. 'National Hebdo' notiert im oben
zitierten Veranstaltungsbericht: "Am Samtag (Anm.: 8. September) kam der
sich jeder Klassifizierung entziehende Komiker Dieudonné vorbei, um guten
Tag zu sagen, als guter Gefährte, der er ist: Noch nie hat der Begriff
'Aussöhnung' so treffende Bedeutung gehabt."
Der frühere Antirassist
und aktive FN-Gegner Dieudonné – der noch vor zehn Jahren gegen den Front
National in seiner damaligen Hochburg Dreux als Parlamentskandidat antrat -
hat sich seit 2003/04 rasant in eine höchst ungute Richtung zu
radikalisieren begonnen. Anfänglich fiel er, in diesem Zeitraum, in der
Öffentlichkeit durch judenfeindliche Äußerungen auf. Ursprünglich motivierte
ihn dabei vor allem eine Form von "Opferkonkurrenz": Durch die Erinnerung an
die Shoah monopolisierten die Juden den Opferstatus, und angeblich deshalb
schweige man zu den Verbrechen der Sklaverei und des Kolonialismus. Nachdem
Dieudonné jedoch wegen seiner Ausfälle unter erhebliches Druck geraten war,
hat er sich seither zunehmend in ein paranoides antisemitisches Weltbild
hineinzusteigern begonnen. Aufgrund einer Verschwörung würde er in den
Medien zum Schweigen gebracht, die Juden seien historisch für den
Sklavenhandel verantwortlich (obwohl "dieser Kommerz" allen Personen
jüdischen Glaubens durch den Artikel 1 des Code noir, des im 17. Jahrhundert
verabschiedeten Gesetzbuchs zum Sklavenhandel, ausdrücklich verboten wurde)
und monopolisierten heute die Medien und die Moral. Im Februar 2005
prangerte Dieudonné auf einer Pressekonferenz in Algier die
"Erinnerungspornographie" bezüglich des Holocaust, der ständig in Erinnerung
gerufen werde, an. Und beklagte, "zionistische Autoritäten" in der
französischen Kulturwelt seien dafür verantwortlich, dass er das Geld
für einen Film über die Sklaverei nicht zusammen bekommen habe. ([4])
Kurz: Es stinkt, was der Mann seit einigen Jahren von sich gibt.
Für seine Auslassungen
zur "Erinnerungspornographie" ist Dieudonné übrigens jüngst, am 11.
September dieses Jahres 2007, in Paris zu einer Geldstrafe in Höhe von 7.000
Euro verurteilt worden. (Vgl. u.a.:
http://www.agoravox.fr) Es handelt sich um seine zweite Verurteilung
aufgrund antijüdischer Äußerungen. ([5])
Dieudonné war zusammen
mit Alain Soral, mit dem er persönlich befreundet ist, dem ex-linksliberalen
und ex-antifaschistischen Verschwörungstheoretiker Thierry Meyssan sowie
einer Handvoll französischer Rechtsextremistenkader in den Libanon geflogen
([6]).
Aus dieser Zeit dürfte seine offene Annäherung an die extreme Rechte
datieren. Im November 2006 nahm Dieudonné, den Samstag Nachmittag über, am
das ganze Wochenende dauernden "Präsidentschaftskonvent" von Jean-Marie Le
Pen in der Pariser Vorstadt Le Bourget teil. Am 18. Dezember 2006 führte er
das Abschlussspektakel seiner letztjährigen Theatertournee vor einem Saal
auf, in dem u.a. Le Pens Gattin (Jany Le Pen) sowie der hochrangige
FN-Funktionär Bruno Gollnisch als geladene Gäste auf den Ehrenplätzen saßen.
Dieudonné rechtfertigte
solche Annäherungen dadurch, dass er eine Art von Solidarität unter
Verfolgten, Verfemten und durch die Medien Verleumdeten (unausgesprochen:
von durch die jüdische Lobby Niedergemachten) praktiziere. In Wirklichkeit
kommen bei ihm wohl Lust an der Provokation, Publicity- und Geltungssucht
plus Antisemitismus – der inzwischen bei ihm wirklich klar hervortritt – zu
einer übelriechenden Mischung zusammen.
Nationalrevolutionär Christian
Bouchet
Ein weiterer mehr oder
minder prominenter Name, der in dem NH-Artikel über die zurückliegende
"Sommeruniversität" fällt, ist jener von Christian Bouchet. Bei ihm handelt
es sich um den führenden Kopf des am verbalradikalsten auftretenden Flügels
innerhalb des, organisatorisch zerklüfteten, Spektrums der französischen
Nationalrevolutionäre. Christian Bouchet, der in der Vergangenheit u.a. die
Gruppierung Nouvelle Résistance (Neue Résistance, oder Neuer Widerstand)
leitete, beansprucht für sich selbst auch den Begriff des
"Nationalbolschewismus". Diese Bezeichnung existierte bereits im Deutschland
der Weimarer Republik. Damals ging es dabei um eine der Spielarten der
Konservativen Revolution, mittels derer preußische Junker – auf demagogische
Art – proletarische Elemente für eine "gemeinsame Front gegen die Versailler
Ordnung" gewinnen wollten; Erfolg war ihr dabei nicht unmittelbar gegönnt,
aber sie wirkte (zusammen mit ähnlichen Erscheinungen) als einer der
Wegbereiter für den später siegreichen Nationalsozialismus. Im heutigen
Frankreich handelt es sich hingegen um eine, alles in allem maximal ein paar
Hundert Personen starke, spezielle ideologische Unterströmung der
"Nationalrevolutionäre".
Die Besonderheit der
"nationalrevolutionären" Strömung innerhalb der extremen Rechten liegt
darin, dass ihre Aktivisten sich subjektiv tatsächlich als Revolutionäre
gegen die gesellschaftliche Herrschaftsordnung verstehen. (In scharfem
Gegensatz zu anderen rechten Strömungen in Frankreich, die sich etwa von
vornherein in der Tradition der Konterrevolution "gegen 1789" ansiedeln wie
etwa der ultrakatholische FN-Flügel, und die Verteidigung bzw.
Wiederherstellung "der natürlichen Ordnung" anstreben.) Und dabei verstehen
ihre Aktivisten den Nationalismus, die nationalistische Ideologie in ihrem
Weltbild als wichtigen Motor der Rebellion oder des "Befreiungskampfs".
Dabei vermengen die Nationalrevolutionäre hemmungslos die Situation in
Ländern, in denen tatsächlich nationale Unterdrückung besteht oder bestand
(wie etwa in Lateinamerika unter US-abhängigen Diktaturen, in den
französischen oder britischen Kolonien), mit jener der eigenen Nation bzw.
in den großen europäischen Staaten. Nun kann zwar niemand behaupten,
Frankreich oder Deutschland erlitten tatsächlich eine äußere Unterdrückung
oder Besatzungsherrschaft, wie beispielsweise Algerien oder Madagaskar sie
unter französischer Vorherrschaft erlebten. Aber aus der Sicht der
"nationalrevolutionären Ideologie sind die großen europäischen Nationen
genauso Subjekte "nationaler Befreiung" wie etwa die "unterdrückten Völker"
der Iren, Basken... oder Kurden, Palästinenser... Den Unterschied zu
Situationen, in denen tatsächlich eine Form von äußerer Herrschaft über ein
Land oder eine Gesellschaft ausgeübt wird, überbrücken die
Nationalrevolutionäre mit verschwörungstheoretischen Darstellungen zur Macht
der USA (in deren Knechtschaft sich die übrigen Nationen, vor allem auch die
eigene Nation befänden) und "des internationalen Zionismus". Gerne
identifiziert sich diese Strömung auch mit den radikalsten Strömungen des
palästinensischen Nationalismus, vor allem aber versucht sie die Lage der
"eigenen" Nation mit jener der Palästinenser/innen auf eine vergleichbare
Ebene zu setzen. Antisemitismus ist dieser Strömung der extremen Rechten, um
es vorsichtig auszudrücken, nicht fremd. ([7])
Christian Bouchet
gründete um 1990 die o.g. Gruppe unter dem Namen Nouvelle Résistance (NR);
entstanden ist diese durch Abspaltung von der etwas größeren Gruppierung
Troisième Voie ("Dritter Weg"; gemeint ist dabei die von
Nationalrevolutionären propagierte Idee eines dritten Weges zwischen
Kapitalismus und Marxismus, die durch nationale Volksgemeinschaft statt
Klassenkampf zwischen Kapital un Arbeit verwirklicht werden soll). Diese
ultraradikale Gruppe, der vielleicht 200 Mitglieder angehörten, bezog sich
in ihren öffentlichen Äußerungen in den neunziger Jahren positiv auf
russische Nationalisten, das iranische Regime oder die palästinensische
Hamas. Sie kam allerdings über ein Kleingruppendasein nie hinaus. Im
November 1996 beschloss NR, sich an den Front National anzunähern und ihre
Mitglieder zum Beitritt zu der rechtsextremen Großpartei aufzufordern.
Nunmehr glaubte Christian Bouchet, im Spektrum der "etablierten" extremen
Rechten um einen Platz für seine eigene Strömung ringen zu können. Damals
wurde der NR-Mann André-Yves Beck Angestellter im Rathaus des
südfranzösischen Orange (30.000 Einwohner), unter dem rechtsextremen
Bürgermeister Jacques Bompard. Auch heute noch, nachdem Jacques Bompard vom
Front National zum rechtskatholischen MPF – der Partei des Grafen Philippe
de Villiers - übergetreten ist, amtiert André-Yves Beck im dortigen Rathaus
nach wie vor als Kommunikationsdirektor. Beim Übertritt von Jacques Bompard
zu der rechtskatholischen Partei hatte MPF-Chef Philippe de Villiers
allerdings klar gestellt, dass man André-Yvec Beck nicht in ihren Reihen
wünsche.
Nach der Parteispaltung
des FN (1998/99) wurden Bouchet und seine Anhänger wieder verstärkt
eigenständig aktiv, nachdem sie sich bereits 1998 mit anderen aktivistischen
Strömungen jenseits der "etablierten" FN-Parteipolitik zu der Sammelbewegung
Unité Radicale (UR) zusammengeschlossen hatten. Unité Radicale wurde im
August 2002, nach dem Attentatsversuch eines durchgeknallten UR-Mitglieds
namens Maxime Brunerie auf Präsident Jacques Chirac, verboten. Ihre
Nachfolgeorganisation hört auf den Namen Bloc identitaire und verfügt
über eine Jugendorganisation namens Jeunesses identitaires. Diese
organisatorischen Ansätze fielen in den letzten drei oder wieder Jahren hin
und wieder durch Schlägeraktionen und durch provokatorische Auftritte (etwa
mit der winterlichen "Suppenküche für Arme" vor einem Pariser Bahnhof, wo
ausschließlich Schweinefleisch serviert wird, um Moslems wie Juden fern zu
halten – diese "Armenspeisung" fand öffentlich auch die Unterstützung des
Front National) auf ; kamen aber ansonsten bisher nicht zu größerer
Bedeutung. Christian Bouchet fand aber anscheinend bei dieser Strömung nicht
seinen Platz, zumal er aufgrund seines – zumindest in der Vergangenheit
praktizierten - Mystik- und Esoterikfimmels nicht bei allen Anhängern dieser
rechtsextremen Unterströmung wohlgelitten ist. Noch vor der gesetzlichen
Auflösungsverfügung für Unité Radicale hatte Bouchet UR im April 2002
verlassen, und im Juni desselben Jahres seine eigene Gruppierung unter dem
Namen Réseau Radical (Radikales Netzwerk) gegründet. Dieses blieb jedoch
bedeutungslos und erklärte im ersten Jahresviertel von 2006 seine Auflösung,
um einer obskuren Nachfolgegruppierung namens Les nôtres (Die Unsrigen)
Platz zu machen.
Seinem ideologischen
Selbstverständnis nach sucht Bouchet eine Art gemeinsame Front "aller
Rebellen" zu initiieren, die etwa Nationalisten, Ökologen bzw. Linksradikale
sowie militante Islamisten umfassen könne. Allerdings ist auffällig, dass
dort, wo Anhänger dieser (kleinen) Strömung sich in der Vergangenheit
vereinzelt in Bündnissen mit "anderen Rebellen" – etwa gegen industrielle
Großprojekte oder Kriegseinsätze – blicken ließen, diese vor allem ein
quasi-(geheim)polizeiliches Verständnis ihrer Tätigkeit an den Tag legten.
Also die Namen und persönliche Angaben anderer Teilnehmer/innen sammelten
und in Listen erfassten etc. Es handelt sich in der Tat um eine
faschistische Strömung, die aber durch ihr rebellenartiges Auftreten um
einen Platz in der öffentlichen Wahrnehmung ringt und versucht, zu diesem
Zweck Anerkennung bei andersartigen (vermeintlich "ähnlichen") Protest- und
Oppositionsströmungen zu finden.
Sommeruniversität auf
"nationalrevolutionären" Spuren
Aufgrund seiner
nationalrevolutionären, vorgeblich "befreiungsnationalistischen" Ideologie
verwundert es nicht, dass Christian Bouchet auch Töne anschlägt, die
vordergründig nach Dritte-Welt-Solidarität (in progressiver Tradition) oder
zumindest ähnlich klingen. Handelt es sich dabei um ideologische
Schaumschlägerei, so bietet doch gleichzeitig die lautstarke pro-arabische
Rhetorik Leuten wie Bouchet die Gelegenheit, ihren Antisemitismus offen
auszuagieren.
In ihrer Haltung zu den
Konflikten zwischen "Juden" und "Arabern" – sowohl bei den
zwischenstaatlichen Konflikten im Nahen Osten und dem Besatzungskonflikt in
den palästinensischen Territorien, als auch bei den (vor allem in den Jahren
2000 bis 2002 in Form gewalttätiger Übergriffe auf jüdische Einrichtungen)
verspürten Schockwelle desselben in Frankreich – ist die französische
extreme Recht gespalten. Alle ihre Strömungen freuen sich explizit darüber,
wenn Spannungen insbesondere zwischen den entsprechenden Bevölkerungsgruppen
vor allem auch innerhalb Frankreichs zunehmen. Wird dadurch doch "ein Keil
in die antirassistische Front" (der Minderheiten, gegen den
weiß-französischen Rassismus eines Teils der Herkunftsfranzosen) getrieben.
Vor allem jene
Fraktionen des heterogenen rechtsextremen Spektrums, die einem
(national)konservativen Bündnis mit der bürgerlichen konservativ-liberalen
Rechten – oder Teilen von ihr – am stärksten zugeneigt sind, plädieren dabei
dafür, "die Juden" stärker gegen "die Araber" zu unterstützen. So vertritt
die FN-nahe rechtsextreme Wochenzeitung Minute die Position, es sei positiv
zu vermerken, "dass die antirassistische Front Risse bekommt". (So lautete
der Titel ihrer Ausgabe vom 01. März 2006: Le front antiraciste se fissure.)
Aufgrund der im Februar desselben Jahres, infolge des Mords an dem jungen
französischen Juden Ilan Halimi (vgl.
http://www.hagalil.com), vorübergehend gewachsenen Spannungen zwischen
französischen Juden und arabischen oder schwarzen Einwanderergruppen, könne
es gelingen – so Minute -, diese Bevölkerungsgruppen dauerhaft gegeneinander
aufzubringen. Die in Frankreich lebenden Juden müssten in ein Bündnis gegen
arabischstämmige Einwanderer und zur Verteidigung des Westens, des
Abendlands integriert werden. Originalton Minute: «Der Lepenist Jean-Richard
Sulzer (Anm. d. Verf. : Regionalparlamentarierer der extremen Rechten im
Pariser Regionalparlament und selbst jüdischer Konfession; er zählt zum
wirtschaftsliberalen Flügel des FN und nahm, diskret, an der Demonstration
nach dem Tod von Ilan Halimi teil) (...) weiß, er spürt, dass heute eine
historische Gelegenheit besteht, die so genannte antirassistische Front zu
zerbrechen, deren unterschiedliche Bestandteile nicht mehr viel miteinander
gemeinsam haben, außer der Verteidigung ihrer Eigeninteressen. (...) Die
Achse, die sich abzeichnet, ist gleicher Natur wie jene, die in Belgien die
flämische nationalistische Partei Vlaams Belang – die Nachfolgepartei des
aufgelösten Vlaams Blok – dazu bringt, sich an die jüdische Gemeinschaft in
Antwerpen anzunähern, um gemeinsam einen Block gegen die Moslems zu bilden.
Ist dieser Versuch auf Frankreich übertragbar? Die Umgruppierung der
französischen politischen Landschaft, die seit Jahrzehnten durch die
verbalen Entgleisungen auf der einen Seite und die Befürchtungen auf der
anderen Seite verhindert wurde, ist möglich. (...) Diese Strategie
(...) impliziert, mit den pro-arabischen Sympathien (Anm. d. Verf.: eines
Teils der extremen Rechten, die in Frankreich ein ziemlich heterogenes
ideologisches Konglomerat bildet) zu brechen. Sie impliziert, die Idee zu
akzeptieren, dass wir einem 'Schock der Zivilisationen', mit religiöser
Hauptkomponente, gegenüber stehen (...). Sie impliziert auch, sich dem
einzugliedern, was man die europäisch-atlantische Achse nennt."
Umgekehrt plädiert der
nationalrevolutionäre Flügel, der sich dabei teilweise eines beinahe
tiersmondistisch (d.h. nach antikolonialer Dritte-Welt-Solidarität)
klingenden Tonfalls bedient, für eine genau umgekehrte ideologische
Positionierung: Ihm zufolge gilt es, "die Araber" (ausgesprochen oder
unausgesprochen:) gegen "die Juden" stark zu machen. Auch die offenen
Neonazis, Hitlerverehrer und sonstigen Stiefelfaschisten, die im Spektrum
der französischen extremen Rechten eine relativ kleine Minderheit formen,
tendieren in dieselbe Richtung. So forderten Anhänger dieser Unterströmung,
die am 1. Mai 1996 bei der jährlichen Maidemonstration des FN – eher am
Rande – mitlaufen durften – demagogisch: "In Paris wie in Gaza: Intifada!"
(Nach einem "Wahrheitskern" braucht man bei dieser brachial-ideologischen
Hassrhetorik gar nicht erst zu suchen: Selbstverständlich sind die
Situationen in Frankreich und im – damals noch besetzten – Gazastreifen zu
keinem Zeitpunkt miteinander vergleichbar gewesen.)
In ihrem Artikel über
die von Alain Soral auf die Beine gestellte "Sommeruniversität" zitiert die
FN-nahe Wochenzeitung NH den dort auftretenden Bouchet mit folgenden Worten:
"Christian Bouchet, Doktor in Ethnologie, Herausgeber der Zeitung
'Résistance' und einer der Hauptanimateure der bemerkenswerten Webpage
'VoxNR.com' (Anm.: zwei Publikationen aus dem 'nationalrevolutionären'
Spektrum), bemüht historische Erinnerungen und spricht von einer langen
Tradition der Araber- und Islamfreundlichkeit auf der französischen Rechten,
von Maurice Barrès (Anm.: Ideologe des französischen Nationalismus im späten
19. Jahrhundert) über Charles Maurras (Anm.: national-katholischer und
monarchistischer Ideologe der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, Kopf der
'Action française') über Gustave Le Bon (Anm.: Autor von 'Psychologie der
Massen', der eine in verborgenen Gehirnstrukturen angelegte Völker- und
Rassenpsychologie zu erkennen glaubte). Christian Bouchet: 'In der
Zwischenkriegszeit haben die nationalen Partei und Ligen ganz
selbstverständlich in ihren Reihen moslemische Aktivisten aufgenommen. Laut
den Berichten der Polizeipräfektur von Paris fanden sich nordafrikanische
Bürger entweder bei den Kommunisten oder bei den nationalistischen Ligen."
Dazu muss notwendig
angemerkt werden, dass Bouchet hier vom Kontext eines kolonialen Frankreich
– der unmöglich auf die heutige Situation übertragen werden kann – spricht.
Natürlich bot gerade die Ultrarecht jener Tagen den "Subalternen" jenes
kolonialistisch geprägten Frankreichs symoblisch die ausgestreckte Hand.
Allerdings mit der klaren Absicht verknüpft, dass Frankreich sich die
Kolonien auf Dauer einverleiben solle, und dass den Einwohnern dieser
Kolonien auf Dauer ein Platz als Hilfstruppe – die notfalls als schlagender
Arm des Empire français eingesetzt werden könne – sowie als faktische
Staatsbürger zweiter Klasse angeboten werden müsse. Zudem geisterte in
Teilen der nationalistischen Rechten, vor allem während der Vichy-Ära,
tatsächlich eine Faszination für ein bestimmtes Araberbild herum. Dieses
trug vor allem die Züge des "männlichen, unerschrockenen Kriegers", der mal
der "ehrliche, zu respektierende Gegner" und mal – optimalerweise – der
Verbündete gegen die Ansprüche anderer Groß- und Kolonialmâchte sein könne.
Dem widersprach allerdings ein anderes Araberbild, das vor allem von den in
nordafrikanischen Kolonien unmittelbar vor Ort aktiven Milizen der weißen
Europäer gepflegt wurde: Ihm zufolge waren die Kolonialsubjekte vielmehr
arbeitsunwillige, schmutzige, feige und verschlagene Untertanen, denen man
nicht über den Weg trauen könne und die hinterrücks den Aufstand planten –
also fähig seien, den Europäern den Dolch in den Rücken zu jagen, wenn sie
nicht wachsam genug seien. Spätestens mit dem algerischen Befreiungskrieg
(1954 bis 62) und den französischen Bemühungen zu seiner Unterdrückung, die
in den fünfziger Jahren zum Fokus aller rechtsextremen und nationalistischen
Mobilisierungen wurden, setzte sich klar das letztere Bild durch. Auch wenn
in den späten 1960e und 70er, mit den rechtsextremen Studenten und
Intellektuellen, die unter Druck starker linker und antikolonialistischer
Kräfte an den Universitäten standen, daneben die nationalrevolutionäre und
vermeintlich "befreiungsnationalistische" Rhetorik auf der extremen Rechten
entstand, so blieb doch dieser antiarabische Rassismus in ihrem Spektrum –
und vor allem um Umfeld des Front National – lange Jahre hindurch
dominierend. Insbesondee unter den "einfachen" Wählern, während
intellektuell geprägte Kader schon mal den Appell an den Araberhass in
Frankreich mit einer gewissen Faszination für arabischen Nationalismus oder
den politische Islam in den "Herkunftsländern" von Immigranten – als
"Erwachen der eigenen Kultur, die selbstständig bleiben und sich von den
Europäern getrennt entwickeln möchte" – verknüpfen konnten, sofern beides
sich auf den gemeinsamen Nenner "Einwanderer raus aus Frankreich" bringen
ließ.
Christian Bouchet knüpft
nun an ältere, verschüttete Traditionen der extremen Rechten (aus Perioden
vor den Kolonialkriegen, und vor allem dem Algerienkrieg) an, um eine
Verschiebung dieses Bilds zu erreichen. Dazu gräbt er auch ein jüngeres
Zitat von Jean-Marie Le Pen aus, der, befragt von einer Zeitschrift für
französische Arabienspezialisten ('Arabies'), ganz im Sinne der Befürworter
einer "getrennten Entwicklung der Kulturen" geantwortet hatte: "Man schürt
die Furcht der Franzosen vor dem, was man als 'Islamismus' oder 'islamischer
Fundamentalismus' zu bezeichnen übereingekommen ist. Jene, die diese Ängste
manipulieren, zögern nicht, die Botschaft des Islam grobschlächtig zu
verzerren, um sie besser in ihre Schemata einzupassen. (Und) sie tun dies in
einer präzisen Absicht; Jene, die mondialistische Utopie (Anm.:
Eine-Welt-Utopie) und die Ideologie der Menschenrechte (zu fördern), welche
die Zerstörung der kulturellen Identitäten und die Ablehnung der
Transzendenz (Anm.: des Jenseitigen oder Göttlichen) zur Voraussetzung
haben." - Auch dieses Zitat von Jean-Marie Le Pen, das durch Christian
Bouchet bemüht worden war, wird in dieser Passage des NH-Artikels
wiedergegeben. Der FN-Chef hatte sich an dieser Stelle in dem heterogenen
Fundus des rechtsextremen Ideologiekonglomerats bedient, um im Sinne der
Nationalrevolutionäre, aber auch der intellektuellen Nouvelle Droite ('Neue
Rechte' der 1970er Jahre) jene Elemente innerhalb der "anderen Kulturen"
rhetorisch zu stützen, die in seinen Augen ebenfalls für einen "getrennten
Marsch der Kulturen zu ihrer Höherentwicklung" plädieren.
Querfront-Projekt: Sammelsurium von
"Rebellen aller Art" oder politischer Bluff?
Leute wie Christian
Bouchet lieben es, das Szenario einer angeblichen gemeinsamen Front
sämtlicher "Rebellen", an der sie selbst auf legitime Weise teilhaben
können, auszumalen. Ähnlich liest sich der Veranstaltungsbericht in der
FN-nahen Wochenzeitung National Hebdo, dessen Autor (Nicolas Gauthier) dabei
aber anscheinend ein bisschen zu tief in den Farbkasten gegriffen hat, um
ein getreues Abbild der Wirklichkeit zu malen. So scheint sein Artikel nicht
von Übertreibungen frei zu sein; die politische Absicht, die er mit seiner
Beschreibung verknüpft, wird jedoch offenkundig.
Nicolas Gauthier startet
seinen Bericht mit folgenden Sätzen: "Was zu allererst frappiert, das ist
die Vielfältigkeit (diversité) der Teilnehmer, 300 am Samstag und fast eben
so viele am folgenden Tag. Kaum mehr als 20 Leute vom Front National. Die
übrigen? Trotzkisten, die sich Fragen stellen, 'Beurs' (Anm.: so nannte man
in den 1980er Jahren arabischstämmige französische Jugendliche, der Begriff
ist jedoch längst veraltet bzw. wird von den so Bezeichneten inzwischen
abgelehnt) auf Sinnsuche, rechte Leute von links – Tercéristen (Anm.:
wörtlich Anhänger des o.g. <dritten Weges> im Sinne der
Nationalrevolutionäre, also der 'troisième voie'; von 'tierce' =
dritte/r/s), wie man sie früher nannte, Katholiken, <Nationalbolschewisten>,
Ehemalige des GUD (Anm.: extrem gewalttätige rechtsextreme
Studentenvereinigung, die unter ihrem alten Namen verboten ist), Royalisten,
mutmaßliche Islamisten, auch einfache Neugierige; aber alles ausschließlich
Leute, die sich Fragen stellen."'
Aus dieser Beschreibung
lässt sich schon heraushören, dass unterschiedliche politische
Unterströmungen der extremen Rechten vertreten waren – Royalisten,
katholische Fundamentalisten... -, aber der Schwerpunkt bei den
Nationalrevolutionären lag, die gleich doppelt auftauchen (mit den
"Nationalbolschewisten" und den 'tercéristes'). Ansonsten kann man die
weitere Ausschmückung dieses Beitrags erst einmal getrost vergessen: Dass
sich "einfache Neugierige" zu einem solch exquisiten Treffen verirrt hätten,
ist erst einmal nicht anzunehmen. Hervorstechend wirken jedoch zwei Gruppen,
die vorgeblich an dem Treffen teilnahmen und sich vom Rest abheben: die vom
Autor genannten "Trotzkisten" und "mutmaßlichen Islamisten". An dieser
Stelle gebietet sich eine kritische Prüfung, den Wahrgeheitshalt dieser
Behauptung betreffend.
Was die angeblichen
"trotzkistischen" Teilnehmer betrifft, so legt der Autor des Artikels selbst
eine Fährte, indem er einen Namen für dieses Spektrum nennt. Er schreibt:
"Der Ökumenismus (Anm.: die gemeinde- oder konfessionsübergreifende
Gemeinsamkeit) geht so weit, dass der Schriftsteller Jean Robin, den wir
mangels besserer Begrifflichkeit als 'trotskisant' (Anm.: <trotzkisierend>
oder trotzkismusähnlich) definieren werden, und der im übrigen jüdischer
Herkunft ist, die Anwesenden durch die Vorstellung seines jüngsten Essays
'La judéomanie' in Bann ziehen kann..." Stellt man aber Nachforschungen zu
besagtem Jean Robin an, so trifft man auf nichts, aber schlichtweg gar
nichts, was ihn auch nur entfernt mit dem Trotzkismus oder anderen Varianten
des Marxismus in Verbindung bringen würde. Hingegen findet sich die
Bestätigung, dass fraglicher Schriftsteller – ob er nun real jüdischer
Herkunft, oder ob dies nur eine durchsichtige Behauptung sei – tatsächlich
der Verfasser eines Buches namens 'La judéomanie' (ungefähr: Der Juden- oder
jüdische Rummel) ist. Darin wirft er dem "jüdischen Kommunitarismus" vor,
fälschlich Alarmismus bezüglich antisemitischer oder rechtsextremer
Tendenzen zu betreiben, und durch seine Umtriebe die Einheit von Nation und
Republik zu gefährden. Dadurch wiederum werde die 'judéomanie' erst
ursächlich dafür, dass Antisemitismus entstehen könne. Man könnte das Buch
infolge solcher Thesen als, nun ja, antisemitisches Machwerk bezeichnen. ([8])
Was die behaupteten
"mutmaßlich islamistischen" Teilnehmer betrifft, so bleibt der Verfasser des
Artikels in NH noch weitaus vager und unkonkreter. Hatte er für die
angeblichen "Trotzkisten" noch einen Namen geliefert, so stochert er
bezüglich der "mutmaßlichen Islamisten" vollends im Nebel. An einer Stelle
in dem Artikel liest man freilich, ein "salafistischer Muslim von der
Tabligh-Tendenz" habe am Tresen – wo die anderen Teilnehmer Bier, die
muslimischen aber Kaffee getrunken hätten – den Ausspruch geliefert: "Die
Franzosen sind schön dumm, dass sie nicht für Jean-Marie Le Pen stimmen, den
Freund der Völker, der Kulturen und Religionen." Dass irgend ein politisch
verirrter Migrant oder Franzose migrantischer Herkunft eine solche Aussage
getroffen haben mag: Es ist nicht unmöglich. Aber die politischen
Einordnungsversuche des NH-Journalisten tendieren jedenfalls ins Groteske.
Tabligh ist eine in den Jahren 1900 bis 1920 in Indien entstandene
muslimische Frömmigkeitsbewegung, die ein Streben nach "spiritueller
Erweckung" und Missionsversuche vorwiegend unter Moslems mit strikter
Abstinenz in politischen Dingen und weitgehender Jenseitsorientierung
verbindet. Die Tabligh-Bewegung hat heute Ableger im Raum Paris, wo sie vor
allem durch Pakistaner und Inder vertreten wird, hält sich aber aus der
französischen (und internationalen) Politik fein heraus. Und wird deshalb
auch, trotz ihres missionarischen Eifers, durch die französische Polizei als
ungefährlich eingeschätzt; Islamisten hingegen werfen ihrer Bewegung vor,
aufgrund ihrer politischen Haltung "ihrer Verantwortung zu entfliehen". Die
"Salafisten" (von al-salaf, die "rechtgläubigen Vorfahren" oder
Weggefährten) sind hingegen eine besonders radikale – und oft bewaffnete -
Fraktion des politischen Islam. In der salafistischen Variante des
Islamismus sind alle Kompromisse mit "fremden" Ideologien, etwa dem
(algerischen, ägyptischen...) Nationalismus, als "unislamisch" abzulehnen.
Deshalb grenzen die Salafisten sich etwa von den Mehrheitsströmungen des
bspw. algerischen politischen Islam ab, die ihre Ideologie mit dem
Nationalismus zu vermengen versuchen. Auch die Beteiligung an Wahlen lehnen
sie ab. Den Salafisten geht es im Kern darum, "notfalls" unter Einsatz von
Gewalt die Rückkehr zu einem verschüttetet gegangenen "Goldenen Zeitalter"
der gerechten islamischen Gesellschaft herbeizuführen. Sie bilden eine Art
politischer Sekte, die mitunter sehr gewalttätig auftreten kann. Die
Gegensätze zur Tabligh-Bewegung könnten kaum größer ausfallen, auch wenn
beide (in der Neuzeit entstandenen) Ideologien aus derselben Religion zu
schöpfen vorgeben.
Im Übrigen wäre es auch
sowohl bei einem "echten" Salafisten als auch bei einem Tabligh-Anhänger
unwahrscheinlich, ihn an der rechtsextremen "Sommeruniversität" (oder
irgendeiner anderen, mehrheitlich von Nichtmuslimen aufgesuchten
Politveranstaltung) teilnehmen zu sehen. Und nicht jeder politisch verwirrte
Moslem, der vollbärtig daherkommt und aussieht wie ein Waldschrat, ist ein
Salafist...
Nicht auszuschließen ist
dagegen, dass einzelne (!) Nachfahren arabischstämmiger Einwanderer sich bei
einer solchen Veranstaltung herumgetrieben haben. Tatsächlich hat Jean-Marie
Le Pens Eintreten für eine "getrennte Entwicklung der Kulturen", die
manchmal – aber nur manchmal – mit Respektsbezeugungen vor dem Islam
einhergeht, jedenfalls so lange dieser sich außerhalb des europäischen
Kontinents zu entwickeln versucht, manche ihrer Köpfe vor dem Hintergrund
von Ethnisierung (durch die französische Mehrheitsgesellschaft) und
Selbstethnisierung erreicht. Wichtig war in der Vergangenheit auch
Jean-Marie Le Pens Eintreten nicht nur gegen die US-amerikanischen
Angriffskriege gegen den Iraq von 1991 und 2003, sondern auch – und das
unterschied ihn von allen anderen Gegnern dieser Interventionen etwa auf der
politischen Linken – explizit für die Diktatur von Saddam Hussein.
Jean-Marie Le Pen, der den verblichenen iraqischen Präsidenten zwei mal (im
November 1990 und im Juni 1996) in Baghdad getroffen hat, konnte sich damit
als der "konsequenteste Freund der Araber" aufspielen; jedenfalls bei denen,
die gedanklich nicht in der Lage waren, zwischen den Intereressen der
iraqischen Bevölkerung und denen der sie beherrschenden Diktatur zu
unterscheiden. Eine Minderheit, eine kleine Minderheit, der
arabischstämmigen Einwohner Frankreichs sprach Le Pen vor diesem Hintergrund
ihre Anerkennung aus - während eine Mehrheit unter ihnen weiterhin
durch den offenkundigen Rassismus seiner Partei (der sich erklärtermaßen
insbesondere gegen Einwanderer aus afrikanischen und arabischen Ländern
richtet) abgeschreckt blieb.
Auch muss erwähnt
werden, dass der Front National einzelne arabischstämmige Politiker und
Kader zählt. Viele von ihnen sind Kindern von 'Harkis' (also solchen
Algeriern, die im Entkolonialisierungskrieg von 1954/62 aus welchen Gründen
auch immer in der französischen Armee kämpften), oder aber von
nordafrikanischen Veteranen der französischen Armee im Zweiten Weltkrieg
oder im Indochina- bzw. anderen Kolonialkriegen. Ihnen geht es darum, (sich
und Anderen) zu beweisen, dass sie auf gar keinen Fall Einwanderer oder gar
"Ausländer" sind, sondern ganz besonders "echte" und loyale Franzosen -
indem sie ihren Protest gegen ihr immer noch drohendes Abrutschen auf der
Leiter der sozialen Hackordnung gleich nach Rechtsaußen tragen.
Eine der herausragenden
Figuren bei diesem seltsamen Versuch, die eigene besonders gute
"Integration" bzw. Assimilation einzuklagen, ist der Pariser
Regionalparlamentarier Farid Smahi. ([9])
Der algerischstämmige FN-Politiker nahm auch an der "Querfront"-orientierten
Sommerakademie in der Nähe von Versailles teil. Im Veranstaltungsbericht von
NH liest man über ihn: "Danach ist der Freund Farid Smahi dran, der Menge
einige Tränen zu entlocken, indem er lautstark seine Verbundenheit mit dem
Vaterland beschwört. Seinen Großvater, der am Ersten Weltkrieg, und seinen
Vater, der am Zweiten Weltkrieg teilgenommen hat. (...) Und er lässt sich
von den Teilnehmern stehend applaudieren, als er dieses juristische Monstrum
denunziert, das die doppelte Staatsbürgerschaft darstellt." (Die doppelte
Staatsbürgerschaft ist in Frankreich prinzipiell anerkannt, wird jedoch vom
Front National abgelehnt.)
Insofern muss vermutet
werden, dass die vom Autor des NH-Artikels gesichteten "muslimischen" (ja
islamistischen) Teilnehmern wohl eher im Umfeld dieses Assimili-Alis bzw.
–Farids zu suchen waren. Aber gut, wir sind nicht selbst dabei gewesen...
Schlussbetrachtungen
Eine echte "Querfront"
war das, was da in der Nähe von Versailles tagte, jedenfalls noch nicht: Es
fehlten tatsächliche Brückenschläge in andere – rebellische,
protestlerische, gar linke – Spektren hinein. Unterschiedliche Strömungen
der extremen Rechten blieben anscheinend weitgehend unter sich, freilich
zusammen mit einigen in den letzten Jahren frisch Hinzugewonnen.
Insbesondere Alain Soral (der selbst die Veranstaltung ausrichtete) und
Dieudonné zählen zu ihnen. Der politische Schwerpunkt lag entsprechend auf
dem Diskurs der "nationalrevolutionären" Fraktion, zu deren politischem
Profil Annäherungs- oder Abwerbeversuch in dieser Richtung mit dazugehören.
Die nationalkonservative, monarchistische oder
katholisch-fundamentalistische Unterströmung der französischen extremen
Rechten vermöchte es jedenfalls nicht in vergleichbarem Maße, ehemalige
Linke oder Antirassisten herüber zu ziehen.
Bemerkenswert ist dabei
jedoch, dass auch Parteichef Jean-Marie Le Pen vom FN die Tagung mit seiner
persönlichen Anwesenheit beehrte. Auch wenn er, laut dem Bericht von Nicolas
Gauthier in NH, erst am zweiten Veranstaltungstag "zum sonntäglichen
Mittagessen" eintraf. Dem Bericht von Gauthier zufolge richtete er
allerdings auch eine Ansprache an die Versammelten, deren Inhalt zwar nicht
wiedergegeben wird, die der NH-Journalist aber so zusammenfasst: "Jean-Marie
Le Pen blieb es vorbehalten, auf die Zukunft der alten Idee, die die Nation
darstellt, zu insistieren. Er tut es mit Begriffen, die bei allen
(Anwesenden) für Einverständnis sorgen." Neben dem Bericht von N. Gauthier
auf Seite 11 (von NH; Ausgabe vom 13. September) findet sich allerdings auf
der Seite 2 auch noch ein Kasten unter dem Titel: "Le Pen bei Soral". Dort
wird eine längere Passage aus Le Pens Erklärung wiedergegeben. In ihr heißt
es: "Ich war immer für die Gründung von unabhängigen Stukturen zur Reflexion
(zum Nachdenken), da ich mir darüber bewusst bin, dass sie nur schwerlich im
sehr engen Rahmen der politischen Parteien gedeihen können. Diese sind von
Natur aus im Tagesgeschäft der Wahltermine eingebunden (...) Die inhaltliche
Analyse benötigt zudem eine gewisse Unabhängigkeit des Geistes und der
(finanziellen) Mittel, welche – man muss es wohl sagen – nicht unbedingt mit
den Regeln des Funktionierens einer Partei zusammen passt. Ich lege daher
Wert darauf, den Teilnehmern dieser Sommeruniversität zu gratulieren..."
Dies bedeutet so viel
wie: Die Stuktur, die Alain Soral ins Leben gerufen hat, genießt eine
Unabhängigkeit vom Front National und politisch-ideologische
Bewegungsfreiheit für ihre Gehversuche. Diese Manövrierfreiheit bedeutet
aber im Gegenzug auch, dass die Partei nicht (unbedingt) mit ihren
politischen Experimenten identifiziert werden möchte. Falls aber das
ideologische Gebräu, das da aufgesetzt wird, einen Erfolg versprechen
sollte, kann die rechtsextreme Partei ja dann etwas von den Rezepten
kopieren, die in diesem – "unabhängigen" – Rahmen zuvor ausprobiert worden
sind.
Auffällig ist
jedenfalls, dass nicht nur Jean-Marie Le Pen (der ja auch vordergründig als
"Privatmann" hätte auftreten können) an dieser Veranstaltung teilnahm,
sondern auch die parteieigene Wochenzeitung NH ausführlich darüber berichtet
hat. Dies verleiht der Teilnahme des FN-Präsidenten auf jeden Fall eine
offen politische Dimension. Aber mit der faktischen Unterstützung Le Pens
für die Experimente mit politischer Alchimie, die ein Alain Soral
durchführt, nimmt der FN-Chef auch im innerparteilichen Streit Stellung.
Denn mehrere profilierte Aktivisten und Kader des FN, darunter inzwischen
auch Kandidaten auf die Nachfolge Jean-Marie Le Pens an der Parteispitze,
wollen solchen "linkslastigen" Abweichungen ganz klar ein Ende bereiten. ([10])
Bemerkenswert ist ferner
die Überschrift, die NH dem Artikel von Nicolas Gauthier gegeben hat. 'Un
petit air de Cercle Proudhon...' (Ein kleines bisschen schaut es nach Cercle
Proudhon aus...), lautet dieser Titel. Der gleichnamige Zirkel, benannt nach
dem nicht-marxistischen Frühsozialisten – und glühenden Antisemiten –
Pierre-Joseph Proudhon, der die Klassenunterschiede seiner Zeit durch eine
Gesellschaft voller kleiner Eigentümer (anstelle der Marx'schen Vision von
einer kollektiven "Association freier Produzenten") ersetzten wollte,
existierte von 1911 bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1914. Seine
Bedeutung liegt nicht darin, dass er je zur Massenbewegung geworden wäre –
die durch den Zirkel herausgegebenen 'Cahiers' (Hefte) hatten eine Auflage
von 600 Exemplaren – sondern darin, dass in diesem Rahmen wegweisende
ideologische Kombinationen vorbereitet bzw. vorgenommen wurden.
Dem Cercle Proudhon,
dessen Vorsitz der Chefideologe der nationalkatholischen und
monarchistischen Action française – Charles Maurras – innehatte, gehörten
sowohl rechte Republikgegner und insbesondere Monarchisten als auch
"revolutionäre Syndikalisten" an. Den Verfechtern der Monarchie ging es
dabei insbesondere darum, kämpferische und energische Elemente aus den
unteren Klassen für einen "gemeinsamen Kampf gegen die bürgerliche Republik"
zu gewinnen. Hatte das Bürgertum sich in Frankreich doch 1789 in einem
scharfen Bruch gegen Adel und Klerus durchgesetzt, so dass die Anhänger der
vormaligen Alten Ordnung ihrerseits – wollten sie Letztere wiederherstellen
– bestrebt sein mussten, diesen Bruch unter Einsatz hoher Energie rückgängig
zu machen. In den Kreisen des anarchosyndikalistisch geprägten
"revolutionären Syndikalismus", der in den frühen Jahren des 20.
Jahrhunderts die französische Gewerkschaftsbewegung dominierte und der sich
als revolutionäre Gegenmacht zur Republik des Großbürgertums verstand, gab
es eine faktisch rechte Unterströmung. Diese warf der Bourgeoisie nicht
(nur) vor, die Arbeiterschaft auszubeuten, sondern vor allem auch, nicht
mehr "männlich", sondern "verweichlicht" zu sein und dem historischen
Zusammenstoß mit dem Proletariat auszuweichen. Das Letztgenannte aber werde,
mit der Energie und der Dynamik der "jungen" Kräfte, dieses schlapp
gewordene "Alte" hinwegfegen – und erkenne sich eher in der Tapferkeit des
Adels und seiner militärischen Werte wieder als in der "Geschwätzigkeit" der
Bourgeoisie in ihren Soldats. (Nicht der gesamte "revolutionäre
Syndikalismus" im Frankreich des frühen 20. Jahrhunderts lässt sich freilich
auf diesen Punkt bringen. Überwiegend dominierten Antiklerikalismus,
Antimilitarismus und Antipatriotismus diese Strömung der Arbeiterbewegung.)
Diese ideologische
Mischung, die sich da zusammenbraute, hat der israelische Historiker Zeev
Sternhell (u.a. in seinem famosen Buch über den französischen Präfaschismus
von vor 1914, 'La droite révolutionnaire') ([11])
als Voraussetzung für die spätere "faschistische Synthese" beschrieben. Noch
ein weiteres Element musste freilich hinzu kommen, damit das Gebräu aus
Konterrevolution und sozialer Sprengkraft wirklich explosiv werden konnte.
Beispielsweise die nationalistische Massenmobilisierung im Ersten Weltkrieg,
die auch einen Teil der Arbeiterschaft erfasste. Vor diesem Hintergrund
wanderte der italienische Syndikalist Benito Mussolini, der aus einer
ähnlichen Ecke kam wie die französischen "Revolutionäre" mit Rechtsdrall,
dann im Zuge des Ersten Weltkriegs nach rechtsaußen. In Frankreich war das
Modell nicht so erfolgreich: In diesem Land gab es, anders als in Italien,
keine konkurrenzlos erfolgreiche faschistische Massenbewegung - sondern
stets "nur" zersplitterte und miteinander rivalisierende
autoritär-nationalistische und (proto)faschistische Parteien mit geringerem
Masseneinfluss als die italienischen Faschisten, selbst unter dem
Vichy-Regime, das nie eine Einheitspartei zustande bekam. Aber auch hier gab
es Bewegungen, die versuchten, eine ähnliche ideologische Kombination
hinzubekommen. Deutschland ist insofern untypisch, als es hier anders als in
Italien oder in Frankreich nicht oder kaum gelang, ehemalige
Sozialisten, Gewerkschafter oder "Arbeiterführer" (organisatorisch) nach
rechtsaußen herüberzuziehen: Die NSDAP entwickelte sich von Anfang an auf
eigenen Fundamenten, nicht durch Zusammenbringen ehemals "linker" und
"rechter" (etwa monarchistischer) Elemente. Aber im französischen wie im
deutschen Falle gab es zumindest starke Anklänge an das, was Sternhell die
"faschistische Synthese" nennt, also des Zusammenmixens aus Nationalismus
und "sozialer Frage" – wobei in beiden Fällen der damals in beiden Ländern
starke Antisemitismus den Katalysator bildete. Beim Cercle Proudhon spielte
der Antisemitismus hingegen eine eher geringe Rolle, wie er auch im
italienischen Faschismus unter Mussolini kein zentrales ideologisches
Elemente bildete (sondern eher nur – höchstens - Beiwerk war, bevor auf
Druck Nazideutschlands hin auch hier eine antisemitische Rassengesetzgebung
eingeführt wurde, freilich mit weitaus geringerem möderischem "Erfolg" als
in Deutschland).
Vordenker der
französischen extremen Rechten haben sich ihrerseits erkennbar für den
Cercle Proudhon, als erstes historisches "Modell" für eine Art von Querfront
([12]),
interessiert. Der Chefdenker der intellektuellen Nouvelle Droite - der
"Neuen Rechten" seit den siebziger Jahren –, Alain de Benoist, hat dem
Cercle Proudon jüngst eine umfangreiche Buchveröffentlichung gewidmet.
Dieses Werk wurde im Januar 2007 publiziert ([13]).
Auch die angebliche 'Gauche nationale' (Nationale Linke), die bspw. beim
"Präsidentschaftskonvent" von Jean-Marie Le Pen im November 2006 in Le
Bourget einen eigenen Stand hatte und Flugschriften vertrieb, orientiert
sich am historischen Vorbild des 'Cercle Proudhon'. Es handelt sich dabei
aber eher um einen Club am Rande des Front National. ([14])
Auf ihrer Homepage wird etwa für die 'Action sociale et populaire' (Soziale
und den kleinen Leuten verpflichtete Aktion) des Pastors Blanchard geworben,
eines ehemals führenden FN-Mitglieds, das 1996 erstmals die
wöchentlichen rechtsextremen "Suppenküchen für Arme" vor einem Pariser
Bahnhof eingeführt hat – diese Idee haben sich inzwischen andere Figuren der
extremen Rechten angeeignet. Um den (protestantischen) Pastor Blanchard, der
auch der Seelenhirte der ebenfalls protestantischen Chefgattin Jany Le Pen
ist, wurde es ansonsten zwischenzeitlich eher still.
Noch kann nicht
behauptet werden, mit dem Club, den Alain Soral um sich versammelt, sei so
etwas wie eine erfolgreiche "neue faschistische Synthese" geglückt. Im
Moment wirkt er eher wie ein Sammelsurium rechtsextremer Kader auf der Suche
nach einer (eigenen) Basis und diverser gescheiterter Existenzen à la
Dieudonné. Dennoch ist höchstes Augenmerk auf das, was da ideologisch
zusammenzubrauen versucht wird, geboten. So viel steht fest: Der
Antisemitismus bildet für "unsere" politischen Alchimisten eine wichtige
Zutat.
Anmerkungen:
362
Parlamentskandidaten (von insgesamt 555, die der FN aufstellen konnte, für
frankreichweit 577 Wahlkreise) kamen nicht über die Fünf-Prozent-Hürde,
deren Überschreitung erforderlich ist, um in den Genuss der staatlichen
Wahlkampfkosten-Rücksterstattung zu kommen. Diese Kandidaten, immerhin rund
60 Prozent der vom FN präsentierten Bewerber, gingen deswegen finanziell
leer aus. Aufgrund bereits getätigter Wahlkampfkosten muss der FN nun 8
Millionen Euro zurückzahlen, und hat Schulden sowohl gegenüber den Banken
als auch gegenüber den Kandidaten, die zunächst in die eigene Tasche gefasst
hatten. Zudem sinkt die staatliche Parteienfinanzierung, die sich an den
jeweiligen Wahlergebnissen bei den Parlamantswahlen bemisst und daher
zukünftig am geringen Ergebnis des FN vom Juni 2007 ausrichtet, ab jetzt von
bisher 3,5 Millionen Euro auf nur noch knapp 1 Million (laut ‚Libération’
vom 08. September) bis 1,5 Millionen Euro (so die Pariser Abendzeitung
‚Le Monde’ vom 11. September) jährlich. Von derzeit 60 hauptamtlich
Beschäftigten am Parteisitz in Saint-Cloud, in der Nähe von Paris, sollen
voraussichtlich 20 entlassen werden. Den Verkauf (oder – alternativ - die
Vermietung) desselben Parteisitzes, den bspw. der Schatzmeister der Partei,
Jean-Pierre Reveau, angeregt hatte, lehnen Le Pen (Vater und Tochter) jedoch
nunmehr ab. Jean-Marie Le Pen selbst hatte zunächst Überlegungen in dieser
Richtungen angestellt: „Politik kann man notfalls auch in einer Dachkammer
machen“. Aber Cheftochter Marine Le Pen hatte im Juli 2007 eine Attacke
gegen diese Pläne - und gegen jene, in Partei „die sich bereits darauf
vorbereiten, Tomaten zu züchten statt Politik zu machen“ - geritten.
Die offizielle
Gründungsversammlung scheint tatsächlich am 18. Juni 2007 (also vor nunmehr
knapp drei Monaten) stattgefunden zu haben. Vgl. dazu folgende Video, wo
Alain Soral die neue Vereinigung präsentiert:
http://www.dailymotion.com/lorgane/video/x2cnie_alain-soral-presente-er
Vgl.
http://fr.wikipedia.org/wiki/Alain_Soral
..
Dort heibt
es, Soral sei bereits „während des Herbstes 2005“ Berater des FN „für
soziale Fragen und die Vorstadtproblematik“ geworden; doch habe Soral
dies erst anlässlich eines Interviews, das am 29. November 2006 im Internet
publiziert wurde, öffentlich eingeräumt.
Im Mârz 2007 hat Soral demnach ferner angegeben, er habe bereits im April
und Mai 2002 in beiden Wahlgängen der damaligen Präsidentschaftswahl für
Jean-Marie Le Pen gestimmt – nachdem er zuvor gezögert habe, für den
Linksnationalisten und republikanischen Nationalisten Jean-Pierre
Chevènement zu stimmen. Ob es sich bei dieser Angabe, betreffend die Wahl
von vor fünf Jahren, um die Wahrheit oder um eine rückblickende
Zurechtrückung derselben handelt, kann nicht überprüft werden.
Zu Dieudonné vgl. ausführlich:
http://www.hagalil.com/archiv/2006/05/frankreich-5.htm
;
http://www.trend.infopartisan.net/trd0304/t010304.html
;
http://www.trend.infopartisan.net/trd0205/t470205.html
;
http://www.trend.infopartisan.net/trd1106/t201106.html.
Am
10. März 2006 verurteilte ihn die 17. Strafkammer im Pariser Justizpalast zu
5.000 Euro Geldstrafe wegen "Aufstachelung zum Rassenhass". Dem Urteil
zugrunde lag ein Interview, das Dieudonné der Sonntagszeitung JDD (Journal
du dimanche) in ihrer Ausgabe vom 08. Februar 2004 gegeben hatte. Darin
hatte Dieudonné pauschal davon gesprochen, jene (jüdischen) Personen, die –
zum Teil tatsächlich - gewälttätig gegen ihn vorgingen, seien „alles
ehemalige Sklavenhändler, die sich im Bankgeschäft und im Mediengeschäft
recycelt haben, heutzutage auch im Terrorismus, und die die Politik von
Ariel Sharon unterstützen“. Da keinerlei nachvollziehbarer inhaltlicher
Zusammenhang zum realen Sklavenhandel und ähnlichen historischen
Negativerscheinungen bestand, kam das Gericht zum Schluss, dass Dieudonné
tatsächlich die jüdische Bevölkerungsgruppe als solche bezichtige,
‚négriers’
(Sklavenhändler) zu sein. Dies entspreche der antisemitischen
Vorstellungswelt vom jüdischen „Blutsauger“. – Historisch war die Teilnahme
am Geschäft des Sklavenhandels den Juden durch den Artikel 1 des ‚Code
Noir’, des Gesetzbuchs zur Regelung der Sklaverei unter der
französischen Monarchie, verboten worden.
Vgl.
ausführlich:
http://www.trend.infopartisan.net/trd0906/t400906.html
Vgl.
ausführlich:.
http://www.hagalil.com/archiv/2006/05/frankreich-5.htm, vor allem im
unteren Bereich (Text der Anmerkung 1).
Vgl.
dazu, mitsamt Foto des Schriftstellers:
http://www.communautarisme.net/Jean-Robin-La-judeomanie-a-cree-une-distinction-entre-les-citoyens-francais-_a808.html
Vgl.
zu ihm auch:
http://www.qantara.de/webcom/show_article.php/_c-468/_nr-784/i.html
Das gilt tendenziell sogar für alle drei zur erklärten
Bewerber/innen um seine Nachfolge: Die „Modernisiererin“ Marine Le Pen tritt
für ein eher medien- und wirtschaftsfreundliches Image der Partei ohne allzu
viele Ecken und Kanten ein, und wünscht ebenfalls ein Ende des offenen
Antisemitismus in der Partei. Allerdings lieb
sie sich, neben ihrem Vater, auch offiziell von Alain Soral „beraten“, an
dem sie sicherlich die Anziehungskraft auf die Medien (aufgrund seines
„unklassischen Profils“) schätzte. Ihr Herausforderer Bruno Gollnisch, der
aufgrund der Auswirkungen seines im Sommer 2007 erlittenen Herzinfarkts nun
im Rennen um die Nachfolge an der Parteispitze zurückgefallen ist, steht
seinerseits ohnehin eher für ein katholisch-nationalreaktionäres Profil. Nun
kam als dritter Bewerber jüngst noch Jean-François Touzé hinzu, ein alter
Kader, der zwar schon 1980 dem FN beigetraten war, aber zwischen 1989 und
1998 u.a. mit seinem ‚Parti National-Républicain’ eigene organisatorische
Wege ging. Obwohl Touzé historisch selbst aus dem „nationalrevolutionären“
Spektrum kommt, tritt er jetzt innerparteilich klar für das Ende
„linkslastiger“ Experimente ein. Er verficht die Auffassung, durch das
politische Techtelmechtel mit Dieudonné in der Medienöffentlichkeit im
Winter 2006/07 und einen entsprechend ausgerichteten Wahlkampf (in dem Le
Pen sich plötzlich als Freund der Franzosen migrantischer Herkunft und
Vorstadtbewohner anzupreisen versuchte, um - vermeintlich - seine
Wählerschaft zu verbreitern, deren konservativer Teil stattdessen in Scharen
zu Nicolas Sarkozy überlief) habe der FN „seine rechtsgerichteten Wähler
vergessen“. Was Touzé von den beiden anderen Kandidaten für die zukünftige
Parteiführung unterscheidet, ist ferner, dass er für eine Wiederannäherung
an die „Mégretisten“ eintritt. Also an die 1998/99 ausgetretenen bzw.
ausgeschlossenen Anhänger des früheren FN-Chefideologen Bruno Mégret, der
heute der Schrumpfpartei MNR (Mouvement national républicain) vorsitzt. Die
Mégret-Anhänger ihrerseits hegen eine klare Abneigung gegen Figuren wie
Dieudonné, und ziehen den politischen Experimenten beim Gewinnen von
Immigrantenkindern für rechtsextreme Inhalte viel mehr einen klaren
Rassismus des „biologischen Sachverhalts“ vor: Dieudonné ist in ihren Augen
„ein Neger“, punktum.
Vgl.
dazu (in deutscher Sprache) näher:
http://www.nadir.org/nadir/periodika/jungle_world/_2000/03/30a.htm
;
http://www.nadir.org/nadir/periodika/jungle_world/_2000/04/30a.htm.
Der Begriff „Querfront“ als
solcher wurde am Ende der Weimarer Republik eingeführt, allerdings nicht
seitens der extremen Rechten, sondern der preubischen Staats- und
Militärbürokratie. Als Generalmajor Kurt von Schleicher 1932 als Vertreter
der Reichswehr, nach dem Scheitern diverser Notstandsregierungen und
Krisenkabinette, eine neue Reichsregierung bilden sollte (ohne dafür über
eine Mehrheit im Parlament zu verfügen), versuchte er eine neue Lösung zu
basteln: Um der kriselnden Staatsmacht doch noch eine Massenbasis zu
besorgen, ohne dem aufsteigenden Nationalsozialismus direkt die Macht zu
übertragen, wollte er eine „quer“ zu den bisherigen Linien der politischen
Auseinandersetzung und den Klassenfronten liegende Bündnisfront aufbauen.
Sie sollte u.a. die patriotischen und staatstragenden Elementen der
Gewerkschaften, Militärs und dem „antikapitalistischen“ Flügel der NSDAP (um
die Brüder Strasser) bestehen. Während die Führung der Nazipartei bereits
unmittelbar durch die Grobindustrie finanziert wurde, sollte die soziale
Frustration und „Ungeduld“ eines Teils ihrer Basis ausgenutzt werden, um sie
gegen die Parteispitze aufzustacheln und – statt auf diese – auf die
Loyalität zu einer Militärdiktatur verpflichten. Das Konzept scheiterte
jedoch, die NSDAP spaltete sich nicht, und trat wenige Monate später den
Marsch an die Macht alleine an. – Vgl. ergänzend auch:
http://www.nadir.org/nadir/periodika/aib/archiv/62/38.pdf?PHPSESSID=9cd00b546842833be27a8f7b0bc7e3ae
Heute hat sich der Begriff jedoch popularisiert, und wird – zu Recht und
mitunter auch zu Unrecht – oftmals aus Antifa-Kreisen benutzt, um jegliche
Kontakte oder auch ideologischen Überschneidungen zwischen (faschistischen)
Rechten und andere, insbesondere linken politischen Milieus zu bezeichnen
und zu stigmatisieren. Zum Teil wird der Begriff dabei treffend benutzt, zum
Teil aber auch – wie jedes in Mode gekommene Wort – hemmungslos
überstrapaziert und auf nicht passende Sachverhalte übertragen. Besonders
gilt das seit dem 11. September 2001, im Kontext der Konjunktur diverseer
Verschwörungstheorien auch in (ex-)linken Kreisen sowie der wechselweitigen
Rassismus- und Antisemitismus-Vorwürfe im Kontext einer zersplitterten
Linken im deutschsprachigen Raum.
Vgl.
dazu die Annonce bei einem, entsprechend politisch ausgerichteten,
Buchvertrieb:
http://www.tilsafe.com/libfr/126-LRB-AE-p-LRB.html
Vgl.
http://www.unf-francesocial.com/
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