Mit vielerlei Maß:
Das Stuttgarter Hakenkreuzurteil
Von Chanah Esch
Das Stuttgarter Landgericht hat gesprochen:
Hakenkreuze, egal, wie sie aussehen, sollen nicht wieder salonfähig werden.
Wer derlei verkauft oder in der Öffentlichkeit ausstellt, macht sich
strafbar. Schließlich, so die Begründung der Stuttgarter Juristen, müsse man
Rücksicht nehmen auf ausländische Besucher, die das fragliche
anti-nazisistische Symbol möglicherweise falsch interpretieren könnten.
Sollte dieses Urteil in letzter Instanz bestätigt werden, stehen eine Reihe
interessanter Prozesse ins Haus.
Im Internet kursieren derzeit angebliche "Original-Zitate"
eines Fußballkommentators namens Kiyoshi Inoue, durch den das japanische
Fernsehpublikum während der WM 2006 unter anderem folgendes erfahren haben
soll: "Auch ein paar Schwarze spielen für Deutschland. Deutschland hatte ja
viele Kolonien in Afrika." Oder auch dies: "Hier in Dortmund sieht man noch
deutlich, dass hier früher das kommunistische Ostdeutschland war. Der Fluss
Rhein war früher die Grenze. Wer da rüber wollte, wurde erschossen. Es gab
nur eine Brücke, bei Remagen, die ist jetzt wieder aufgebaut."
Wenn diese Zitate authentisch sind, könnte man beinahe
Verständnis haben für jenen Tübinger Staatsanwalt, der 2005 einen Studenten
wegen des Tragens eines Ansteckers mit einem durchgestrichenen Hakenkreuz zu
50 Euro Bußgeld verurteilt hatte. Er begründete dies nämlich damit, dass die
antinazistische Tendenz dieses Abzeichens zwar für den normalen Bürger
dieses Landes erkennbar sei, aber "stellen Sie sich mal vor, ein japanischer
Tourist sieht so etwas."
Es könnte schlimmer kommen: Was, wenn unser japanischer
Tourist in Berlin oder anderenorts einmal einen Flohmarkt besucht? Bei der
Betrachtung der dort meist offen und ungeniert zur Schau gestellten
NS-Devotionalien müßte eigentlich auch normalen Bürgern ziemlich mulmig
werden. Wie mag sich das erst auf ausländische Besucher auswirken - nicht
nur auf japanische? Wird man jene Händler, die mit braunen Souvenirs aus
allerlei Kellern und Speichern Geld verdienen, künftig mit derselben Härte
verfolgen wie die Vertreiber antinazistischer Anstecker und T-Shirts?
Und wo neuerdings so leidenschaftlich über die Verbindung
von Kunst und Politik debattiert wird, sei an jenes schon damals umstrittene
Hakenkreuz-Mahnmal des Stolberger Künstlers Matthias Peters erinnert, gegen
das Paul Spiegel sel. A. vor gut fünf Jahren heftig protestiert hatte.
Stolbergs Bürgermeister Hans Josef Siebertz versprach damals eine
"Weiterentwicklung" des Mahnmals, doch es blieb beim Versprechen. Abgesehen
von einer geringfügigen Änderung der Sockel-Inschrift, wurde an der Skulptur
nichts verändert.
Mit Blick auf das Stuttgarter Urteil und seine Begründung
darf man gespannt sein, wie man die öffentliche Existenz dieses zwar
verfremdeten aber doch deutlich erkennbaren Hakenkreuzes künftig erklären
will. Darauf zu verweisen, dass das Swastika-Symbol ursprünglich aus Asien
kommt, dürfte den japanischen Touristen kaum genügen.
Gesehen auf einem Flohmarkt in Berlin, Mai 2005
Fotos: © Chanah Esch
Nach dem Hakenkreuzurteil:
Große Enttäuschung bei der SPD
Mit großer Enttäuschung reagierte der Verfassungsschutzexperte der
SPD-Landtagsfraktion, Stephan Braun, auf das heutige Urteil des Stuttgarter
Landgerichts im so genannten Hakenkreuzprozess...
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