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Zu Hannah Arendts 100. Geburtstag:
Mensch, Bürger, Jude

Von Natan Sznaider, Ha'aretz, 20.10.2006
Übersetzung Daniela Marcus

Der 100. Geburtstag von Hannah Arendt, eine der kontroversesten politischen Denkerinnen des 20. Jahrhunderts, wird dieses Jahr auf der Höhe einer überraschenden und lebhaften Debatte über ihre Arbeit gefeiert. Arendts Gedanken, die zu ihren Lebzeiten einen Aufruhr auslösten, erfreuen sich nun, mehr als drei Jahrzehnte nach ihrem Tod, eines Comebacks. Unveröffentlichte Artikel werden publiziert, ihre alten Bücher werden neu aufgelegt und die akademische Fertigungsstraße arbeitet hart, um neue Kommentare herauszugeben.

Man vergisst leicht, dass Arendt erst vor ein paar Jahren noch als altmodische Metaphysikerin betrachtet wurde, die in ihrer eigenen obskuren und idealistischen Welt versunken war. Nachdem ihr Leben unter dem Mikroskop einer voyeuristischen Kultur, die ihre politischen Ansichten als Beweis für einen persönlichen Komplex abgetan hatte, untersucht worden war, wurde sie gemieden und geächtet. Ihr kurzes Verhältnis mit ihrem Lehrer, dem Philosophen Martin Heidegger, wurde als Wendepunkt in ihrem Leben und als der Grund für ihre ablehnende Haltung gegenüber dem Zionismus und dem jüdischen Volk als Ganzem dargestellt. Dass sie während des Zweiten Weltkrieges in die USA floh, trug nur zur Abweisung ihrer Arbeit als etwas, das keinen wirklichen Wert hat, bei.

Diese Betrachtungsweise ist Vergangenheit. Inzwischen sagen Gelehrte, Arendt sei ihrer Zeit voraus gewesen. Sie wird als tiefgründige und originelle Denkerin gepriesen, die ihr Leben der Beschäftigung mit einer neuen politischen Philosophie während der Periode des Marxismus gewidmet hatte. Die Hundertjahr-Feierlichkeiten sind somit eine exzellente Gelegenheit, ihren Ruf in der Öffentlichkeit und ihre Masse an Schriften neu zu bewerten. Während ihres Lebens war Arendt hauptsächlich für ihre scharfe Kritik an Kommunismus und Faschismus –den beiden einflussreichsten Ideologien des 20. Jahrhunderts- bekannt. Wie andere westliche Philosophen, die während des Kalten Krieges aktiv waren, betrachtete sie diese beiden Ideologien als verschiedene Ausdrücke derselben politischen Form – dem Totalitarismus und dessen Bedrohung für die menschliche Freiheit.

Arends Widerstand gegen den Totalitarismus war in Gleichgültigkeit gegenüber der "sozialen Agenda" ausgedrückt. Sie sah den Eifer der Linken, die "armen Massen" als Wurzel des Problems zu bemitleiden. Ihre politische Ideologie passte niemals mit den banalen Unterscheidungen zwischen links und rechts zusammen. Für Arendt war Politik eine separate Einheit, eine, die Vorrang gegenüber dem sozialen und ökonomischen Leben hatte. In ihrem Buch "Vita activa – oder vom tätigen Leben" (Englisch: The Human Condition) schreibt sie, dass im klassischen Griechenland eine "Privatperson" eine "sozial benachteiligte" Person gewesen sei – jemand, dem der Zugang zum öffentlichen Leben verwehrt wurde. In der Demokratie Athens war "Privatleben" das Leben, in das Frauen und Sklaven abgeschoben waren. Öffentliches Leben stand nur den Bürgern offen. Nach Arendts Ansicht war die Teilnahme an der modernen Ökonomie –frei oder zentralisiert- genauso einschränkend wie die Führung eines Haushaltes im antiken Griechenland. Somit trat die Freiheit, etwas zu besitzen oder frei von Wünschen zu sein gegenüber politischer Aktivität in den Hintergrund.

Weil Arendt die konventionellen Ansichten ihrer Zeit zurückwies, fehlte ihr das Sicherheitsnetz des Mainstream-Denkens, das sie auffangen konnte. Ihr Versuch, einen neuen politischen Zugang zu entwickeln, brachte sie auf eine lange intellektuelle Reise, die große Gebiete der menschlich politischen Geschichte durchquerte und die sie Ideen, Experimenten und sozialen Konstruktionen aussetzte, die ihr halfen, ihre eigene Sprache zu schaffen. Unter ihnen waren die Lehren, die Anstoß gaben zu den großen Revolutionen der modernen Zeit, die politischen Modelle des antiken Athens und Roms und Phänomene wie Kolonialismus, Rassismus, Todeslager und der Gulag.

Wenn man den Rahmen von Arendts Interessen und die Gesamtheit ihres Denkens betrachtet, überrascht es nicht, dass ihre Bücher disziplinarische Linien überschreiten: In ihrer Doktorarbeit unterbreitete sie eine existentialistische Interpretation von Augustinus’ Konzept der Liebe. Als nächstes schrieb sie eine Biografie über Rahel Varnhagen, eine deutsche Jüdin, die im frühen 19. Jahrhundert in Berlin lebte und einen berühmten Literatursalon unterhielt. Kritisch bezüglich der modernen Politik und der Massengesellschaft rief sie zu einer Wiederkehr der griechischen Polis auf.

Deshalb unterstützte sie auch das amerikanische politische Modell, in dem Patriotismus eher darauf basierte, die konstitutionellen Prinzipien von Unabhängigkeit und Freiheit zu akzeptieren als Ethnie, Sprache, Geschichte oder Tradition miteinander zu teilen. Indem sie sich von ihren Religionsstudien inspirieren ließ, benutzte Arendt das Konzept des Bösen, um Totalitarismus zu analysieren, obwohl es ein Konzept war, das zu dieser Zeit als hoffnungslos verirrt betrachtet wurde. Zwischen ihren verschiedenen Aktivitäten veröffentlichte sie Artikel in Zeitungen und versuchte sich an philosophischem Journalismus.

Von den 1940er Jahren bis zu ihrem Tod im Jahr 1975 gab es keine politische Debatte in den Vereinigten Staaten, an der Arendt nicht teilnahm. Dabei schaffte sie es, sich sowohl von Freunden wie von Feinden zu distanzieren. Auf der anderen Seite nahm sie Leid auf sich, um ihre jüdische Identität zu bewahren. Nachdem sie aus Nazi-Deutschland nach Paris geflüchtet war, arbeitete sie für die Jugendalijah. Als der Krieg ausbrach, wurde sie verhaftet und in ein Konzentrationslager gebracht. Doch im Jahr 1941 schaffte sie es, nach Amerika zu fliehen. Von 1941 bis 1945 schrieb sie eine Kolumne für die deutschsprachige jüdische Zeitung "Der Aufbau", die ihren Sitz in New York hatte. Dabei behandelte sie brennende Tagesthemen der jüdischen Gemeinschaft. Von 1944 an leitete sie die Forschung für die Kommission des europäischen jüdischen kulturellen Wiederaufbaus, dessen Aufgabe es war, die spirituellen Schätze (z. B. Bücher) zu finden, die vom europäischen Judentum zurückgelassen worden waren, und eine neue Heimat für sie zu finden. In dieser Angelegenheit reiste Arendt häufig nach Deutschland.

In ihren Schriften spielte Arendts Judesein ebenfalls eine Schlüsselrolle. Ihr wichtigstes Buch der politischen Theorie erforscht die Schrecken des Totalitarismus durch das Prisma der Schoah. Darüber hinaus interessierte sich Arendt für die Angelegenheiten des Staates Israel. Sie erklärte, das Schicksal Israels habe sie persönlich mehr betroffen als das Schicksal jedes anderen Staates der Erde. Auf Grund ihres Berichtes über den Eichmann-Prozess begann man jedoch, ihre Verpflichtung gegenüber dem jüdischen Volk in Frage zu stellen. Dieser Bericht, der erstmalig im Jahr 1963 als Artikelserie in "The New Yorker" und später als Buch veröffentlicht wurde, warf einen Schatten auf ihre restlichen Schriften und war vorherrschend in der Prägung ihres öffentlichen Images.

Nach der Veröffentlichung dieses Berichtes wurde Arendt als eine Befürworterin des "funktionalistischen" Zugangs zur Schoah betrachtet. Dieser versuchte, eine moderne Erklärung für die Schoah zu finden, wobei er die Identität der Täter und der Opfer ignorierte. In der Praxis übernahm Arendt diesen Zugang niemals. Sie bestand darauf, dass die Schoah ein einzigartiges Ereignis und anders als jedes andere Verbrechen der modernen Ära sei. In ihrer Korrespondenz mit deutschen Intellektuellen weigerte sie sich, Auschwitz mit irgendwelchen anderen, mit einem Krieg verbundenen Massentötungen, wie z. B. Dresden oder Hiroshima, zu vergleichen. Ihrer Meinung nach war Auschwitz nicht kriegs-bezogen weil das jüdische Volk, das die Deutschen versuchten auszulöschen, keine Kriegspartei war. Somit waren die Aktionen der Deutschen keine "Kriegsverbrechen", die zumindest theoretisch als Versuch, das Land in einem Notfall zu verteidigen, gerechtfertigt werden könnten.

Eine neue Art des Bösen

Es ist schwer, eine utilitaristische Erklärung für den Plan der Nazis, die Juden auszulöschen, abzugeben. Dies war ein noch nie da gewesenes Phänomen, das gegen die Grundgesetze der sozialen Ordnung, die auf Nützlichkeit und dem Wunsch zu leben gegründet ist, verstieß. Hierdurch wurde eine neue Art des Bösen geschaffen. Arendt nannte dies "Verbrechen gegen die Menschheit". Dieses Böse stellte einen Angriff auf die menschliche Vielfalt dar und entzog den Worten "Menschheit" oder "menschliche Rasse" die Bedeutung. Doch der Aufschrei, der in Folge ihres Buches ausbrach, bezog sich nicht so sehr auf ihre Philosophie, sondern eher auf ihre Einstellung. Ihre Kritik an der Art, in der Israels Führende den Prozess durchführten, ihr eiliges Urteil über die Aktionen des Judenrates und ihr mitleidloser Ton verletzten die Gefühle vieler Juden, insbesondere angesichts der Tatsache, dass seit dem Krieg kaum 20 Jahre vergangen waren. Ihre Bemerkungen über die Passivität der Juden und über ihre Bereitschaft, bezüglich ihrer eigenen Zerstörung zu kooperieren, veranlassten selbst ihre Freunde, sich zurückzuziehen und Arendts Loyalität gegenüber dem jüdischen Volk anzuzweifeln.

Genau genommen gab es dafür keine wirkliche Basis. Als ein deutscher Journalist sie im Jahr 1964 interviewte, beharrte Arendt: "Wenn man als Jude angegriffen wird, muss man sich als Jude verteidigen. Nicht als Deutscher, nicht als Hüter der Menschenrechte oder was auch immer." Arendt nahm die Herausforderung an, indem sie eine neue Sprache prägte, die eine Diskussion jüdischer Politik nach der Schoah erlauben würde. In der Literatur ist ihre ideologische Unterstützung des jüdischen Partikularismus kaum erwähnt, doch viele ihrer Briefe, die zurzeit veröffentlicht werden, handeln von jüdischen Themen und liefern somit einen Einblick in Arendts weniger bekannte Seiten.

In der Biographie über Varnhagen beschreibt Arendt, wie sie versucht, ihrer jüdischen Identität zu entkommen, jedoch ohne Erfolg. Sie nimmt eine unmissverständliche Position ein und besteht auf der Wichtigkeit, in Übereinstimmung mit den Pflichten, die einem durch die eigene Identität auferlegt sind, zu handeln anstatt zu versuchen, diese zu meiden. In ihren Kolumnen in der amerikanisch-jüdischen Presse versucht sie auch, einen politischen Standpunkt zur Entschärfung des Konflikts zwischen universellem Humanismus und jüdischer nationaler Autonomie zu etablieren.

Als Nachrichten über den jüdischen Genozid in Europa durchzusickern begannen, setzte sich Arendt für jüdische politische Aktionen und die Gründung einer jüdischen Armee ein mit der Begründung, dass Menschen nur als Teil einer politischen Gemeinschaft ein freies und moralisches Leben führen können. Das Versagen, sich in Europa zu assimilieren, bewies ihrer Meinung nach, dass die Juden eine Armee brauchten, die es ihnen ermöglichen würde, eine eigene politische Gemeinschaft zu schaffen, in der sie Freiheit und moralische Verantwortung ausüben könnten. Hierin und auch in ihrer Missbilligung einer nicht-politischen Existenz der Juden in der Diaspora, wie sie es nannte, war Arendt eine Zionistin. In einer Abweichung vom klassischen Zionismus wollte sie jedoch eher eine jüdische als eine israelische Souveränität und eher eine kommunale als eine territoriale Politik sehen.

Arendts Betrachtung der jüdischen Politik war tief verwurzelt mit ihren fundamentalen moralisch-politischen Ansichten, die die Früchte tragende Spannung zwischen universellem Humanismus und kollektiver Identität betonten. Ihrer Meinung nach basierte Moral auf der Fähigkeit, uns selbst zu sagen, dass wir unsere moralischen Verpflichtungen erfüllt haben. Diese schlossen auch Verpflichtungen gegenüber denen ein, die durch den Zufall der Geschichte oder durch Geburt –Familie, Gemeinschaft, Nation- mit uns verbunden waren. Diese anderen zu ignorieren, zu vergessen, wer man selbst ist, sich selbst der Verantwortung zu entziehen – dies sind inakzeptable moralische Entscheidungen. Doch es genügt nicht, diesen Verpflichtungen nachzukommen, denn wir haben auch Verpflichtungen gegenüber der menschlichen Rasse als ganzem. Die Menschheit und die politische Gemeinschaft ergänzen einander und sind letzten Endes nicht zu trennen.

Wenn es keine Anerkennung des menschlichen Wertes durch universelle Rechte gibt, taucht das radikale Böse auf als ein System, in dem alle Menschen gleichermaßen überflüssig werden. Obwohl diese Rechte auf "alle Mitglieder der menschlichen Familie" –wie die UNO-Deklaration es ausdrückt- ausgeweitet werden müssen, hängt ihre Umsetzung von der Zugehörigkeit zur politischen Gemeinschaft und von der Akzeptanz, Verantwortung für sie zu übernehmen, ab. Somit ist die einzige Möglichkeit, Menschenrechte zu sichern, ein solides Netzwerk von legitimen, demokratischen Ländern zu schaffen, die ihren Bürgern Rechte und Schutz unter dem Gesetz versprechen.

Arendt versuchte einigen ihrer Kritiker zu erklären, dass Identität nicht alles sei. Anderen versuchte sie zu erklären, dass sie genauso wenig nichts sei: Deine und meine Identität sind wichtig, insbesondere die gemeinsame Identität, die uns verbindet und verpflichtet. Die Tatsache, dass wir Individuen sind, entfernt uns nicht aus dem Kollektiv, und die Tatsache, dass wir zu einem Kollektiv gehören, befreit uns nicht von der Erfüllung unserer moralischen Pflichten gegenüber den Außenstehenden.

Arendt wandte dieses Prinzip auch auf das jüdische Volk an. Für sie war es absolut klar, dass die Juden einen politischen Raum brauchten, wo sie ihr Leben prägen konnten, wie sie es für angebracht hielten. Selbst wenn Arendt in den Jahren 1947 und 1948 schrieb, dass die militärischen und gewalttätigen Komponenten des Staates Israel zu einem permanenten Konfliktzustand führen würden, wusste sie, dass es keine Alternative gab. Ihre Kritik an Israel stammte von ihrem großen Engagement für das jüdische Volk und von ihrer tiefen Solidarität mit ihm. Der unablässige Versuch, die knifflige Frage, wie man ein Mensch, ein Bürger und ein Jude in einem sein konnte, in den Griff zu bekommen, war Hannah Arendts Art und Weise, mit dem Problem der jüdischen Existenz im 20. Jahrhundert zu kämpfen.

Professor Natan Sznaider lehrt Soziologie am Tel Aviv-Yaffo Academic College von Tel Aviv-Jaffa.

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hagalil.com 04-10-2006

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