Hannah Arendt und Martin Heidegger:
Diese Liebe geht uns nichts an
Die Studentin und ihr Professor:
Antonia Grunenberg beschreibt die philosophische Affäre des Jahrhunderts.
Von Natan Sznaider
Warum ein Buch über die Geschichte einer Liebe? Muss
Liebe verteidigt werden? Auch wenn die Liebenden Arendt und Heidegger
heißen? Was lernen wir dabei? Über uns oder über ihre Philosophie? Freilich
wissen wir schon seit Platon, dass Eros und Philosophie aus derselben Quelle
stammen.
Aber geht es in diesem Buch wirklich um Eros? Am Ende der Lektüre weiß man
mehr über Hannah Arendt und über Martin Heidegger - oft auch "Martin und
Hannah" genannt, als wollte die Autorin ihr intimes Verhältnis zu beiden
mehr als nötig betonen. Kontroversen werden von Antonia Grunenberg bewusst
umgangen - so weiß man nie so richtig, ob Heidegger nun überzeugter Nazi,
ein Deutschnationaler oder einfach nur ein fehlgeleiteter Idealist war.
Was kommt außer Voyeurismus bei diesen Fragen noch heraus? Die Affäre, die
Heidegger und Arendt verband, gehört längst der Öffentlichkeit. Jeder
Arendt-Kenner weiß, dass sie als Studentin in den zwanziger Jahren etwas mit
Heidegger hatte und dass sie Heidegger nach dem Krieg, als sie schon in den
USA lebte, immer noch manchmal traf. Warum soll es heute jemanden
interessieren, weshalb eine junge jüdische Studentin mit ihrem Lehrer ins
Bett ging? Hat das damit zu tun, dass er seine Beziehung zu den
Nationalsozialisten nie wirklich in Frage stellte? Auch das ist nichts
Schlimmes mehr: Berühmtere Leute als Heidegger kokettieren mit ihrer
Nazivergangenheit. Doch in diesem Fall geht es um mehr als nur um die Körper
von Arendt und Heidegger. Auf dem Spiel steht nicht nur die Liebesbeziehung
einer jungen jüdischen Studentin, die zu den wichtigsten politischen
Theoretikern des 20. Jahrhunderts gehörte, mit dem wichtigsten Vertreter all
dessen, was faul ist am deutschen Geiste. Hier geht es anscheinend um das
deutsch-jüdische Verhältnis an sich: Wenn Arendt Heidegger verzeihen kann,
dann kann es doch nicht ganz so schlimm um Deutschland und die Deutschen
stehen? Vielleicht kann die deutsch-jüdische Symbiose doch noch gerettet
werden?
Das wären ja teilweise ganz interessante Fragen. Schade nur, dass sie in
diesem Buch keinen Platz fanden. Hannah Arendts Kritiker sehen in ihrem
Denken eine Projektion ihrer offenbar nicht überwundenen Liebe zu dem Nazi
Heidegger: Nur so lasse sich erklären, warum sie gegenüber den jüdischen
Opfern in ihrem berühmtesten Buch "Eichmann in Jerusalem" so unsensibel war.
Wir leben in psychologischen Zeiten. Gefühle sind alles: Es gibt kein
privates Selbst mehr. Alles wird öffentlich, und die Schranken zwischen dem
Politischen und Privaten werden abgeschafft. Just dagegen dachte Hannah
Arendt an. Sie war eine in der Antike verankerten Denkerin - die
Privatsphäre galt für sie nicht nur als abgeschiedener Bereich, sondern mehr
noch: als minderwertig. Sie verstand das Politische auch als Kunst, sich vor
dem Privaten zu schützen. Liebe, Mitgefühl und andere Emotionen sollten doch
besser aus dem öffentlich-politischen Diskurs herausgehalten werden. Jene
Form der Neugier, die sie durch ihre Liebe zu Heidegger verstehen will, wäre
ihr tief zuwider. Sie würde sie als therapeutischen Versuch verstehen, sich
selbst in Szene zu setzen, Misstrauen zu säen, Biografie als Schicksal zu
verstehen. Ein voyeuristisches Buch über ihre Liebe würde sie zutiefst
verabscheuen.
Hannah Arendt wehrte sich auch gegen den Versuch, die Verbrechen zu
normalisieren, die die Deutschen an den Juden begingen. Dieser
Normalisierungsversuch war auch mitunter das Verdienst von Heidegger. Leider
wird in Antonia Grunenbergs Buch nur gezeigt, warum wir Arendts Liebe zu
Heidegger verstehen sollen. Dass es um viel mehr geht, wird ausgeklammert -
dabei ist Nachdenken über Heideggers Schweigen zum Nationalsozialismus
selbst schon eine kleine akademische Industrie geworden. Eigentlich war
seine Stimme aber deutlich zu hören: Was die Deutschen den Juden antaten,
sei auch nicht schlimmer als das, was die Russen mit den Deutschen getan
hätten - hieß es in einem Brief an seinen ehemaligen Schüler Herbert Marcuse
von 1948.
Nun will sich Grunenberg gar nicht auf die Frage einlassen, ob Heidegger ein
authentischer Nazi oder nur für kurze Zeit vom Nazismus verblendet war (es
scheint, Hannah Arendts Liebe zu ihm besäße mehr Legitimation, wenn er nur
verblendet gewesen wäre). All das wird leidenschaftslos nacherzählt, ohne
Heideggers Einfluss auf die Vergangenheitspolitik Deutschlands zu
beleuchten.
Gleich nach dem Krieg schrieb Heidegger seinen "Brief über den Humanismus",
eine Schrift, die bis heute großen Einfluss auf das kritische Denken hat.
Man könne im Namen des Humanismus den Antihumanismus nicht verurteilen, so
Heidegger, denn es sei der Humanismus in Gestalt der Technologie selbst, der
zur Gewalt verführe. Nur die sogenannte Wahrheit des Seins sei Antipode der
Gewalt. Gemäß dieser Metaphysik kann der Völkermord an den Juden mit den
Atombomben, den Vertreibungen Deutscher, der Bombardierung von Städten in
Zusammenhang gebracht werden. Es ist gut, dass Antonia Grunenberg auch Karl
Jaspers erwähnt, den Dritten im Arendt-Heidegger-Bunde - denn es war Jaspers
der unterscheiden wollte: zwischen kriminellen Staaten und Staaten, die
kriminelle Handlungen begehen.
Hannah Arendt mag sich von Überlegungen wie jenen Heideggers hingezogen
gefühlt haben, aber sie dachte zu politisch, um sich davon verführen zu
lassen. Am Ende bezog sie Stellung - und zwar für ihre jüdische
Verantwortung. Grunenberg zitiert beinahe triumphierend Hannah Arendts
Kritik am Zionismus; die Jüdin Arendt versteht sie dabei nicht. Ihr Denken
war der jüdischen Verantwortung und den Konsequenzen des antijüdischen
Genozids gewidmet. Alles andere geht uns eigentlich nichts an. Grunenberg
will zwar die Geschichte einer Liebe erzählen, aber wie Hannah Arendt selbst
oft sagte: Eine Geschichte kann nur erzählt werden, wenn sie zu Ende ist.
Doch die Geschichte dieser Liebe ist noch lange nicht zu Ende - und darum
ist es gut, dass wir nichts von ihr erfahren.
Antonia
Grunenberg:
Hannah Arendt und Martin Heidegger. Geschichte einer Liebe.
Piper, München. 466 S., 22,90 EUR
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Zu Hannah Arendts 100. Geburtstag:
Mensch, Bürger, Jude
Ihre Kritik an Israel stammte von ihrem großen
Engagement für das jüdische Volk und von ihrer tiefen Solidarität mit ihm.
Der unablässige Versuch, die knifflige Frage, wie man ein Mensch, ein Bürger
und ein Jude in einem sein konnte, in den Griff zu bekommen, war Hannah
Arendts Art und Weise, mit dem Problem der jüdischen Existenz im 20.
Jahrhundert zu kämpfen...
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