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Zweifel werden nicht geduldet:
Projektionsfläche Nahost

Von Thomas Schmidinger
Gastkommentar in Die Presse vom 01.08.2006

Es ist Krieg und alle wollen mitmachen. Besonders dann, wenn sie selbst vor dem Fernseher sitzen und andere die Rolle des Sterbens übernehmen. Dabei ist sich auch bei uns jeder seiner Sache so sicher, wie es sich nur Kriegsbeteiligte sein können.

Wenn hierzulande über den "Nahen Osten" gesprochen wird, ist es nie nur die Sache selbst, über die gestritten, polemisiert oder die analysiert wird. Der "Nahe Osten" ist immer auch eine Projektionsfläche. Allein schon die Quantität der Berichterstattung, die auch in relativ ruhigen Zeiten in keinem Verhältnis zur Medienpräsenz anderer Langzeitkonflikte von Sri Lanka bis Kaschmir steht, ist ein Indiz dafür, dass der israelisch-arabische Konflikt oder sagen wir besser die israelisch-arabischen Konflikte für uns weit mehr sind als irgendein Konflikt, dass es um mehr oder eher ganz etwas anderes geht als nur um die Konflikte selbst.

Sowohl im Diskurs um den jüngsten Irak-Krieg, als auch und insbesondere im Diskurs um die israelisch-arabischen Konflikte geben weniger die Konflikte selbst als - so mein Verdacht - dahinter liegende andere Fragen den Ausschlag für die eigenen Positionierung. War es im jüngsten Irak-Krieg vor allem das Verhältnis zu den USA vor dem Hintergrund einer zunehmenden europäisch-US-amerikanischen Rivalität und einem anwachsenden Antiamerikanismus und weniger die konkreten Lebensbedingungen der irakischen Bevölkerung, die den Ausschlag für die Positionierung für oder gegen den Krieg gaben, so spielen in den israelisch-arabischen Konflikten der Antisemitismus und der (antiarabische oder antiislamische) Rassismus eine wichtige Rolle für die eigene Verortung.

Dabei beweisen politische Bewegungen ständig, dass sie durchaus antisemitisch und rassistisch zugleich sein können. Für die Positionierung im Nahostkonflikt ist dann ausschließlich die Frage, welches Ressentiment überwiegt. Dabei ist es keineswegs nur der klassische Rechtsextremismus, der sich auf diese Weise entweder als proisraelisch (AN in Italien oder FN in Frankreich) oder antiisraelisch (FPÖ, BZÖ, aber auch die italienische AN-Abspaltung um Duce-Enkelin Alessandra Mussolini) gebärdet. Längst ist der Nahost-Konflikt zu einem der Leitthemen der Linken und der innerhalb der Linken ausgetragenen Konflikte geworden. So demonstrierten auch in Wien kürzlich proisraelische "antideutsche" Linke gemeinsam mit der Israelischen Kultusgemeinde und der Zionistischen Föderation, um ihre Unterstützung für Israel in der jüngsten militärischen Auseinandersetzung deutlich zu machen. Interessantes Detail am Rande - auch dies nur ein Indiz für meinen Verdacht: Während der Aufruf der jüdischen Organisationen noch von "zivilen Opfern auf beiden Seiten" sprach, tönte der Schlachtruf der beteiligten nichtjüdischen Gruppe Cafe Critique wie eine Kriegserklärung an den Libanon.

Der größere Teil der Linken fand sich die letzten Tage hingegen auf antiisraelischen Demonstrationen wieder. Dabei waren es nicht nur die notorischen AntisemitInnen der Antiimperialistischen Koordination (AIK) oder österreichische Hisbollah-Fans mit Nasrallah-Plakaten, sondern auch immer noch weithin anerkannte Persönlichkeiten wie der sich bei jeder Gelegenheit in Szene setzende "Globalisierungskritiker" Leo Gabriel oder Anas Shakfeh, der Präsident der offiziellen islamischen Glaubensgemeinschaft, die gemeinsam mit Hamas- und Hisbollah-Unterstützern, der Kommunistischen Jugend, irakischen Baathisten, der Palästinensischen Gemeinde und der "Syrischen Gemeinde" - einer Vorfeldorganisation der syrischen Botschaft in Wien - durch die Straßen Wiens zogen, um ihre Solidarität mit der Hisbollah zum Ausdruck zu bringen.

Seine "Hochachtung für die Hisbollah" drückte dabei in einer Rede auch der ehemals teilentmündigte selbst ernannte "Rabbiner" Moishe Arye Friedman, der im Wesentlichen aus ihm selbst bestehenden "Orthodoxen antizionistischen jüdischen Gemeinde Wiens", aus. Beide Seiten sind sich sicher, dass sie nicht nur auf der moralisch richtigen Seite stehen, sondern auch, dass diese ihre Seite völlig richtig handelt. Zweifel werden nicht geduldet.

Genau dieses Recht zu zweifeln gilt es aber zu verteidigen, wollen wir nicht den gesamten Globus zum globalisierten (Bürger-)Kriegsschauplatz machen, in dem sich religiös oder ethnisch definierte Zwangskollektive gegenüberstehen. Dabei kann selbstverständlich ein bürgerlich-demokratischer Staat nicht mit einer antisemitische Terrororganisation wie der Hisbollah gleichgesetzt werden.

Es ist legitim, den Krieg gegen den Libanon als von der Hisbollah provoziert zu betrachten und für Israel keine Alternative zu sehen, als diesen zu führen. Es ist aber auch legitim, daran zu zweifeln, ob dieser Krieg tatsächlich ein Ende der militärischen Bedrohung Hisbollah mit sich bringt oder ob dieser Krieg nicht die Gefahr einer Ausweitung auf Syrien oder andere Teile der Region mit sich bringt. In beiden Fällen wäre ein Minimum an Empathie, ein Fragen nach den zivilen Opfern auf beiden Seiten eine bessere Ausgangshaltung als die kindische Sehnsucht, auch einmal Militärstratege zu spielen. Für völlig indiskutabel halte ich hingegen eine Haltung, die entweder die Existenz Israel und sein Recht auf Selbstverteidigung delegitimiert oder die das Leben arabischer oder muslimischer Menschen geringer schätzt als das Leben anderer und tote ZivilistInnen implizit oder explizit zu Kolateralschäden erklärt.

Ich gestehe allerdings, dass ich froh bin, nicht entscheiden zu müssen, was nun zu tun ist, um ein rasches Ende der Kampfhandlungen herbeiführen zu können und eine Situation zu schaffen, die sowohl Israel als auch dem Libanon eine sichere staatliche Existenz ermöglichen. Diese Ratlosigkeit mögen manche teilen, sie wird jedoch nur selten formuliert. Auch in der österreichischen Öffentlichkeit gibt es geradezu einen Zwang, zum "Nahostkonflikt" eine Position zu beziehen, und zwar eine möglichst eindeutige, die keinerlei Ambivalenzen zulässt.

So lautet denn mein Verdacht, dass das, was "wir" zu diesem Konflikt zu sagen haben, mehr über den Sprecher oder die Sprecherin aussagt als über den Konflikt selbst. Vergessen wir nicht, dass die Region für christlich sozialisierte Menschen nicht nur eine reale, sondern auch eine mythische Region darstellt. Jeder von uns "kennt" Jerusalem, Jericho, Ägypten oder das Zweistromland aus den Erzählungen der Kindheit, aus der Bibel oder zumindest als Teil unserer kulturellen Erzählungen, allerdings eben nicht als reale, sondern als mythische Orte, die in das (christliche) Unterbewusstsein eingedrungen sind.

Es gibt jedoch noch eine andere Erinnerung. Vermutlich ahnen wir - wenn wir dieses "wir" als eines der nichtjüdischen und nichtmuslimischen Österreicher und Österreicherinnen, also der Nachkommen der NS-Täter definieren - doch irgendwo, dass die Existenz Israels direkt mit dem Antisemitismus zusammenhängt, mit dem unsere Vorfahren einen großen Teil der jüdischen Bevölkerung Europas vertrieben haben. Und vermutlich wissen wir auch irgendwo - und sei es nur in einem ständig zu verdrängenden Unterbewussten -, dass die israelische Angst vor der Zerstörung ihres Staates nicht zuletzt mit der Erfahrung der Shoah zusammenhängt, die tatsächlich zur millionenfachen Vernichtung führte.

Umgekehrt ist auch die Angst vor dem Islam tief in das europäische Bewusstsein eingeschrieben. Egal ob es sich um Rechtsextremisten, Linke, Konservative, evangelikale Christen oder Multikultibegeisterte handelt: Der Antisemitismus und der Rassismus spielen nur allzu oft mit, wenn es hier in Europa um den Nahen Osten geht. Was über den angeblich "realen" Nahen Osten gesagt und geschrieben wird, ist in den meisten Fällen nichts als Ideologie.

Thomas Schmidinger lehrt Politikwissenschaft an der Uni Wien, ist Vorstandsmitglied der Hilfsorganisation WADI, sowie des Österr.-Irakischen Freundschaftsvereins Iraquna.

hagalil.com 10-08-2006

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