[Die
Wahlen zur 17. Kneseth am 28. März 2006 - 28. Adar 5766]
Israel 2006:
Viele Verlierer bei Israels Wahlen
von Ulrich W. Sahm, Jerusalem, 29. März 2006
"Wir haben schwer gearbeitet. Deshalb
müssen wir früh ins Bett gehen. Vergiss nicht, dass wir Greise
sind." Rafi Eitam, Pensionär des Mossad, hatte mit seinen
Parteigenossen nostalgische Lieder zu Mundharmonika-Klängen
gesungen. Zusammen mit anderen Greisen gewann seine "Alters-Partei",
Durchschnittsalter 80 Jahren, ganze sieben Mandate. Das ist der
Überraschungssieger des israelischen Urnengangs. Zu den großen
Verlierern gehört die weltliche Schinui-Partei, bisher mit 14
Mandaten in der vorigen Knesset viertstärkste Macht und
wohlgelittener liberaler Partner bei FDP und ihrer
Naumann-Stiftung. Schinui hat sich buchstäblich in Luft aufgelöst.
Untergangsstimmung herrschte bei Benjamin Netanjahu und seiner weit
abgeschlagenen Likudpartei. Gerade mal zehn Mandate geben die
Hochrechnungen und Parallelwahlen dem Likud. Ungebrochen will der
missgelaunte Netanjahu "das Haus wieder in Ordnung bringen" und
weiter die Partei führen. Aber Experten fragen sich, welche Köpfe
beim Likud rollen werden, des ehemaligen Außenministers Silvan
Schalom oder gar des gescheiterten Parteichefs.
Champagner floß vor Allem bei zwei Parteien: bei der linken
Arbeitspartei unter Amir Peretz und Avigdor Libermann, dem Chef
einer rechtsextremen Russenpartei. Peretz erreichte sein gestecktes
Ziel von zwanzig Mandaten, während Libermann mit vierzehn Mandaten
weit mehr gewann, als ihm alle Umfragen zugetraut hätten. Relativ
zufrieden ist auch die fromme Schasspartei. Mit zehn Mandaten blieb
ihr der Untergang erspart. Einst spielte freilich Schass mit 16
Mandaten die Rolle des Königsmachers in der Knesset.
Der formelle Wahlsieger Ehud Olmert musste als amtierender
Regierungschef die meiste Zeit zuhause bleiben, konnte weder ein Bad
in der Menge nehmen, noch seinen Sieg im Kongresssaal in Neve Illan
auskosten. Die Geheimdienste verlangen seit dem Mord an Rabin derart
scharfe und kostspielige Sicherheitsmaßnahmen, dass Olmert auf
Volksnähe verzichten muss. Die von Ariel Scharon gegründete
Kadimah-Partei, jetzt unter der Führung Olmerts, gewann zwar um die
30 Mandate. Aber im Vergleich zu den Umfragen unmittelbar nach
Scharons Schlaganfall, 44 Mandate, bedeutet das Wahlergebnis
eigentlich eine schmerzhafte Niederlage. Lange nach Mitternacht
erschien Olmert doch, nach einem Abstecher zur Klagemauer, um in
seiner Siegesrede den Palästinensern Friedensverhandlungen
anzubieten.
Die historisch niedrigste Wahlbeteiligung seit Gründung des Staates,
lediglich 57 Prozent, stärkte die Rentner und andere "kleine
Parteien". Das erschwert die Koalitionsbildung. Weder mit den Linken
noch mit den Rechten (ohne Likud) wird Olmert ohne weiteres eine
regierungsfähige Mehrheit unter den 120 Abgeordneten erhalten. Vier
und mehr Parteien wird Olmert mit Posten und finanziellen
Konzessionen abspeisen müssen, um noch seinen Plan einer Abtrennung
von den Palästinensern durchziehen zu können. Bislang siegesgewisse
Überläufer von Arbeitspartei und Likud, die in Kadima ein neues
"Heim" gefunden haben, darunter Schimon Peres und
Verteidigungsminister Schaul Mofaz, müssen um Machtpositionen
fürchten und vielleicht ihre "sicheren" Ministersessel an
Koalitionspartner abgeben.
Das Wahlergebnis in Israel verheißt nichts
Gutes. Jenseits von rechts oder links, Hardlinern oder
Kompromissbereitschaft, wird Olmert auf mehrere Koalitionspartner
Rücksicht nehmen müssen, Abstriche machen und keine klare
Verhältnisse schaffen können. Eine schwache israelische Regierung
bedeutet Instabilität, Neuwahlen vor Ablauf der Kadenz von vier
Jahren und halbherzige Schritte bei der Sozialpolitik sowie bei
außenpolitischen Fragen, allem Voran bei den komplizierten
Beziehungen zu den Palästinensern, wo jetzt die Terror-Organisation
Hamas (gemäß den Vorstellungen der USA, der EU und Israels) das
Sagen hat.
(c) Ulrich W. Sahm, hagalil.com
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