Der Hackerangriff auf haGalil:
Brüchige Solidarität?
Von Ingolf Seidel
Am 2. Februar wurde das jüdische Internetportal haGalil
onLine von Unbekannten gehackt und sämtliche Dateien vom Server gelöscht
(zur damaligen
Notausgabe). Es erscheint müßig, über die Verantwortlichen dieses
Hackerangriffs zu spekulieren. Ob die Hintermänner nun direkt in Qatar
sitzen, wohin die gefundenen IP-Adressen zeigen, oder letztendlich doch
hierzulande ihr Unwesen treiben, ist eine Vermutung und wird wohl vorerst
auch eine solche bleiben. Wenig spekulativ ist es allerdings, Überlegungen
über die Motivation der Täter und über das Ausbleiben der offiziellen
Unterstützung anzustellen.
Die möglichen Motivationen liegen recht offen zu Tage,
ebenso offen wie die des aufgeheizten Mobs, der in den letzten Wochen unter
dem Vorzeichen des sogenannten Karikaturenstreits seine antimodernen
Ressentiments gewalttätig auslebte. Zutage trat dabei weniger die
Empfindsamkeit von religiösen Gemütern, deren Glauben ein blasphemisches
Unrecht angetan wurde, wie die unterschiedlichen Stellungnahmen von Muslimen
verschiedenster Couleur, aber auch von Nicht-Muslimen nahe zu legen
scheinen. Vielmehr sind die antiwestlichen Ausbrüche Teil der regressiven
und reaktionären Revolte derjenigen, die den Islam in der Nachfolge von
theologisch inspirierten Ideologen wie dem Pakistaner Abu l-Ala Maududi oder
den Muslimbrüdern Hassan al-Banna und Sayyid Qutb interpretieren. Wie in
derlei Fällen üblich, und als Bestandteil von autoritaristischen Bewegungen
mit rückwärtsgerichteten Utopien unabdingbar, bildet ein aggressiver
Antisemitismus zugleich deren Motivation und Kitt.
Zu einer Zielscheibe des pathischen Judenhasses wurde
unter anderem haGalil onLine. Es sei nur kurz daran erinnert, dass die
Herausgeber von haGalil nicht mehr und nicht weniger getan hatten, als die
umstrittenen Karikaturen des islamischen Religionsstifters Mohammed zu
veröffentlichen und ihnen eine Auswahl antisemitischer Zumutungen
gegenüberzustellen, die tagtäglich durch das World Wide Web geistern und in
Penetranz von arabischen Medien regelmäßig veröffentlicht werden.
In der Vergangenheit war es durchaus üblich, dass in der
Folge antisemitischer Anschläge die Betroffenen Unterstützung seitens der
jeweiligen Bundes- oder Landesregierung erhielten, zumindest aber geradezu
mit öffentlichen und öffentlichkeitswirksamen Solidaritätserklärungen
überhäuft wurden und ein wenigstens medialer Aufschrei der Betroffenheit
durchzog das Land. Im aktuellen Fall herrschte in Bezug auf haGalil, von
einzelnen Ausnahmen abgesehen, Schweigen. Bestenfalls dokumentierten und
registrierten Tageszeitungen und Nichtregierungsorganisationen, welche sich
sonst gern mit dem Unwort Zivilgesellschaft schmücken, den Vorfall der
Löschung sämtlicher Dateien des Onlinedienstes. Die Gründe für eine solche,
vorsichtig formuliert, sei es Zurückhaltung genannt, können vielfältig sein.
Ein sicher naheliegender Grund dürfte im Medium selbst zu
suchen sein. Zwar registrieren die Strafverfolgungsbehörden mittlerweile die
verschiedenen Formen von Internetkriminalität und gehen gegen sie vor, und
dies durchaus auch in den Bereichen des Rechtsextremismus und Islamismus.
Doch einer breiteren Öffentlichkeit, und in diese schließe ich das Gros von
Bundestagsabgeordneten, politischen Entscheidungsträgern und die Vertreter
von 'zivilgesellschaftlichen Institutionen' einmal ein, scheint die Relevanz
des Internet als ein zentrales Medium zur Verbreitung von jeglicher Form von
Hasspropaganda immer noch verborgen. Trotz der Spezifik des Internet als
virtuelles, und somit relativ abstraktes, Medium, ist der Vorgang eines
Hackerangriffs auf haGalil nichtsdestotrotz als Gewalttat zu bewerten. Im
vorliegenden Begründungszusammenhang handelt es sich schlichtweg um einen
antisemitischen Anschlag, mithin eine Gewalttat.
Doch scheint das Appeasement gegenüber der islamischen
Welt, in welcher beklagenswerter Weise der Islamismus die dominante Form des
Sakralen geworden ist, derart zum common sense zu gehören, dass man in
Europa lieber die positive Seite der Aufklärung opfert, als diese aktuelle
Form einer totalitären Ideologie grundsätzlich zu bekämpfen. Mag auch der
Vergleich zwischen dem iranischen Regime und dem Nationalsozialismus, wie
ihn Kanzlerin Merkel traf, in mancher Beziehung hinken und gerade wenn
solches von einer deutschen Politikerin geäußert wird im Ruch der
Relativierung der eigenen Vergangenheit stehen. Dennoch lag Frau Merkel
ausnahmsweise damit dichter an der Wahrheit als ihr selber lieb sein konnte,
weshalb sie denn die eigenen Äußerungen schnellsten relativierte. Über
manche weltanschaulichen Schranken hinweg eint den Nationalsozialismus mit
dem Islamismus ein eliminatorischer Antisemitismus, sowie das Denken in
Gemeinschaftsideologien und ein gesellschaftlich fundierter, kollektiv
beschädigter Narzissmus.
Auf letzterem Beruhen in beiden Ideologien die
vielfältigen Projektionen gegenüber den Juden, die sich unter anderem in
einer personifizierenden Sicht auf abstrakte ökonomische Vorgänge äußert,
wie in Weltverschwörungsphantasien. Jedoch haftet sich der Mechanismus von
Stereotypisierung nicht nur an die Juden, sondern auch in der islamischen
Wahrnehmung des Westens. Antisemitismus beinhaltet die Umsetzung von
autoritären Dispositionen und rationalisierten Vorurteilen in konkrete
Politik qua Feindbildkonstruktion, wie Adorno und Horkheimer in 'Vorurteil
und Charakter' schreiben: "Die Guten werden als die vorgestellt, denen man
selber gleicht, und das Schema erspart einem, als Guter sich erst zu
bewähren, denn alles ist ja längst vorentschieden. Die Bösen aber liefern
den Schein eines Rechtsgrundes dafür, daß man die eigenen sadistischen
Instinkte, im Namen der gebührenden 'Strafe', auf die jeweils bezeichneten
Opfer loslässt." Den Islamisten bietet eben die Religion ein dichtes
Erklärungsschema und die Möglichkeit sich selbst als 'die Guten' zu
definieren. Gemein ist beiden Ideologien ebenfalls, bei einhelliger
Ablehnung der humanistischen Seite der Aufklärung, die Nutzung der
technischen Produkte und Instrumentarien, die aus kapitalistischer
Vergesellschaftung resultieren.
Antimodernismus, gesellschaftlicher Wahn und eine
übersteigerte instrumentelle Vernunft schließen sich absolut nicht aus. So
verkürzt dieser Komplex hier nur dargelegt werden kann, zeigt sich schon an
diesen Übereinstimmungen der Unsinn des Gefasels vom 'Kampf der Kulturen'.
Trennende Elemente zwischen Nationalsozialismus, beziehungsweise heutigen
Rechtsextremisten, und Islamismus bilden hie der Rassismus und dort die
Ablehnung der Kuffar, also der Ungläubigen. Doch wo es darum geht die
eigenen pathischen Projektionen an allem als Jüdisch wahrgenommenen
auszuleben - wobei abseits realer Konflikte, Israel die Funktion als
ideellem Gesamtjuden zugeschrieben wird - finden sich in Theorie und Praxis
genügend Beispiele für Übereinstimmungen, beziehungsweise praktische
Zusammenarbeit.
Wie der Nationalismus, so bildet auch die islamische
Religion für die Antisemiten gewissermaßen das Ticket für alle möglichen
Projektionen die den amorphen Charakter antisemitischer Ideologie füllen.
Und nicht zufällig bezog sich der Panarabismus in Form seines größten
Theoretikers Sati al-Husri für seine Konstitution Fichtes völkische Reden an
die deutsche Nation und auf Herders, so idealistischen, wie romantischen
organischen Kulturbegriff. Der heutige Islamismus beerbt diesen "völkischen
Arabismus" (Bassam Tibi 2000, S. 159) integriert ihn zu Teilen. Was dem
Islamismus wie dem säkularen arabischen Nationalismus gemeinsam ist, dass
die "das Individuum zugunsten des Kollektivs opfern" (Tibi S. 167),
verbindet sie auf das innigste auch mit der nationalsozialistischen
Ideologie von der Volksgemeinschaft. Der Satz Max Horkheimers, dass sich
Antisemitismus nur durch unsere Gesellschaft verstehen lässt, wie auch
umgekehrt diese Gesellschaft sich nur über den Antisemitismus begreifen
lässt, hat gerade auch in Bezug auf den islamischen Antisemitismus weiterhin
seine Berechtigung.
Was dieser kleine Exkurs nun mit dem Hackerangriff auf
haGalil zu tun hat? Zum einen will er darauf hindeuten, dass ohne in
Alarmismus zu verfallen, ein bedrohliches und zerstörerisches Potential des
Islamismus besteht, welches eine moderne Form einer autoritaristischen
Bewegung darstellt. Zum anderen zeigt sich die Notwendigkeit ohne falsche
Rücksichtnahmen diesem modernen Autoritarismus entgegenzutreten und sich mit
jenen sowohl ideell, als auch materiell zu solidarisieren, die Hassobjekte
jener regressiven Revolte gegen die Moderne sind. Im vorliegenden Fall neben
anderen auch das jüdische Internetmagazin haGalil. Ein effektiver Einsatz
gegen den Antisemitismus, wie ihn haGalil betreibt, ist eben nicht zum
Nulltarif zu bekommen und Solidarität mit diesem Engagement müsste auch
einen materiellen Ausdruck finden, wenn sie mehr sein soll als ein
Lippenbekenntnis.
Literatur:
Adorno, Theodor W. / Horkheimer, Max: Vorurteil und Charakter, in:
Adorno, Theodor W.: Soziologische Schriften II.2. Gesammelte Schriften Bd.
8, Frankfurt a. M. (Suhrkamp) 2003 (1952), S. 360 – 373
Dan Diner: Versiegelte Zeit. Über den Stillstand in der islamischen
Welt, Propyläen (2005) Berlin.
Bassam Tibi: Der Islam und Deutschland – Muslime in Deutschland, DVA
(2000) Stuttgart München
hagalil.com
12-03-2006 |