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Wie der Oberste Mufti von Russland den Schwulen mit dem Tode droht:
Schwulsein und der Koran

Von Matthias Fischer

Darf man Schwulsein als einen freien Lebensentwurf betrachten? Man darf. Darf man ebenso frei darüber diskutieren, ob Homosexualität eine Abweichung von der Normalität darstellt, und ihre Ausübung daher nicht anzustreben ist? Auch dieses darf man.

Die bayerische CSU ist gegen eine Gleichstellung der Schwulen-Beziehung mit der zweigeschlechtlichen Ehe, die Grünen sind dafür. Jeder hat seine Gründe dafür, und Diskussion ist das Baumaterial für die Demokratie. Darüber hinaus gibt es Schwule und Lesben auch in der CSU.

Der Vatikan ist gegen homosexuelle Beziehungen, und die Priesterseminare sind voll davon. In Tel Aviv gab es Gay-Paraden – zur Unfreude strenggläubiger Rabbiner. Mohammed, Arabiens Prophet, sprach sich gegen die Homosexualität aus, und zahlreiche junge Männer von Marokko bis Iran, die zu arm sind, um die Mitgift für eine Heirat mit einer Frau aufzubringen, oder denen die strikte Geschlechtertrennung im Islam homosexuelle Kontakte ganz einfach nahelegt, praktizieren sie.

Die russische Kirche, die bis heute Selbstmördern ein religiöses Begräbnis verweigert, sperrt sich gegen die Akzeptanz gegenüber homosexuellen Beziehungen, welche sich in der russischen Gesellschaft – aus dem Westen übernommen – langsam, aber stetig ausbreitet. Sie tut es mit friedlichen Mitteln. Das ist ihr gutes Recht.

Anders wünscht Scheich Talgat Tadschuddin gegen Schwule vorzugehen, der Vorsitzende des Zentralrats der russischen Muslime, welcher etwa ein Drittel der mehr als zehn Millionen Muslime Russlands repräsentiert. Er droht mit handfestem Krawall, sollte eine für Mai geplante Gay-Parade in Moskaus Straßen stattfinden.

Nicht dass Scheich Tadschuddin sich in der Vergangenheit immer zurückgehalten hätte. So nahm er im Mai 2002 an der Gründung der vom Kreml unterstützen Partei "Evrasija" teil, die sich die Wiederherstellung eines pan-russischen Imperiums auf den Säulen eines "wissenschaftlichen Patriotismus", des ethischen Traditionalismus, der gelenkten Marktwirtschaft und der ethnischen Verwurzelung des "eurasiatischen" Menschen zum Ziel gesetzt hat. Unter ethischem Traditionalismus versteht Alexander Dugin, der Gründer und Leiter der Partei, der schon einmal ins Schwärmen über die nationale Revolution Adolf Hitlers gerät, die Weigerung unseres Bewusstseins, "das abscheuliche Bild der Unsitten und Sünden anzuerkennen, das sich an der Grenze der Jahrhunderte öffnet. Und keine neue Spiritualität, keine Moral, keine neue Religion entsteht unter diesen Bedingungen. Um dieser Ausweglosigkeit zu widerstehen, müssen wir zurückkehren zu unseren spirituellen Wurzeln. Wir unterstreichen die Notwendigkeit der Hinwendung zu einem integralen Traditionalismus, zu den Grundlagen der Konfessionen – der Orthodoxie, des Islam, des Buddhismus, des Judentums. Unerschütterliche Echtheit, Grundlagen der Moral und der Spiritualität – die Basis der Erneuerung und der Wiedergeburt muss genau dort und nirgends anders gesucht werden."(1)

Integraler Traditionalismus, das spricht Tadschuddin aus dem Herzen.

Am 14. April 2003, drei Wochen nach der amerikanischen Intervention im Irak und zwei Wochen nach der Ausrufung des Heiligen Krieges gegen die USA durch Scheich Tadschuddin wurde dieser durch den konkurrierenden Mufti-Rat Russlands unter der Leitung seines langjährigen Gegners, des Leiters der Geistlichen Verwaltung der Muslime des europäischen Teils Russlands, Rawil Gajnutdin, in einer Fatwah als "falscher Prophet und Abtrünniger" bezeichnet. Zu dieser Zeit hatte die russische Justiz bereits Ermittlungen gegen den Geistlichen aufgenommen und diesem eine Verwarnung zukommen lassen.

Doch wes das Herz voll, des läuft der Mund über, und so zitiert das Online-Magazin Russland Aktuell am 15. Februar 2006 den frommen Mufti: "Sollte eine Gay-Parade stattfinden, werde es Massenproteste seitens der russischen Muslime geben. (...) Die Teilnehmer müssten damit rechnen, verprügelt zu werden." Als Begründung, so Russland Aktuell weiter, habe der religiöse Eiferer geäußert: "Alle normalen Leute werden so handeln." Und: "Der Unmut könne noch wesentlich drastischere Formen annehmen, als die Kundgebungen gegen die umstrittenen Mohammed-Karikaturen, drohte Tadschuddin. "Eine nicht-traditionelle sexuelle Orientierung ist ein Verbrechen vor Gott", so der Mufti.

Natürlich muss der Koran für einen solchen Aufruf zur Gewalt herhalten. Schenkt man dem Online-Magazin Glauben, das regelmäßig in deutscher Sprache aus Russland berichtet, so führte der Muslimen-Führer in seiner Verlautbarung an: "Der Prophet Mohammed hat aufgerufen, Homosexuelle zu töten, weil ihre Tätigkeit zum Aussterben der Menschheit führt." – Russland hat, ironisch ausgedrückt, selbstverständlich nur darauf gewartet, dass Tadschuddin dort die Scharia einführt und die Exekutiv-Schwadronen gleich hinterher schickt. Und das, obwohl Präsident Vladimir Putin kürzlich in realpolitischer Klugheit die dänischen Karikaturen als negativ bezeichnet und der Zeitung Jyllands Posten nahegelegt hatte, sich für sie zu entschuldigen.

Rechtssystem gegen Rechtssystem, dieses Thema wird uns noch öfter beschäftigen.

Nun, auch Paulus, der Apostel der Christen, sprach sich gegen weibliche wie männliche Homosexualität aus.(2) Körperliche Strafen drohte Paulus keine an, doch theologisch war er nicht gerade zimperlich.(3) Außerdem besitzen für observante Christen ebenso wie für Juden die Anordnungen aus dem Tanach Gültigkeit: "Wenn ein Mann mit einem Mann schläft wie mit einer Frau – ein Greuel haben beide verübt, sterben, ja sterben sollen sie, ihr Blut über sie!"(4) Der Talmud bestätigt diese Forderung.

Offensichtlich nahm Mohammed den genannten Gedankengang der Torah auf, der sich mit dem Verhaltenskodex vorislamischer Beduinen gedeckt haben dürfte, und er fand Eingang in den Koran.

Keine allgemeine Verurteilung des Islam soll hier stattfinden, schließlich bezeugt das, was über Scheich Tadschuddin bekannt ist, durchaus von der geistigen Verstiegenheit eines einzelnen. Ebenso soll an dieser Stelle nicht verschwiegen werden, dass in Südamerika und im südlichen Afrika ähnliche Erscheinungen möglich sind. Im Jahr 2000 rief Namibias christlicher Innenminister vor den Absolventen einer Polizeischule dazu auf, Homosexuelle "aus Namibias Antlitz zu eliminieren".(5)

Unabhängig davon, wie wir zur Frage der Akzeptanz homosexueller Praktiken stehen, wirft das Bedürfnis integralistischer Eiferer nach einem Feindbild, das in diesem Fall von der Gruppe der Homosexuellen bedient wird, die Frage auf, wie es dazu kommen kann, dass gerade die Heiligen Schriften von Religionen als Begründung für tendenziell oder tatsächlich gewalttätiges Handeln herhalten müssen, die von ihrem Selbstverständnis her "Religionen des Friedens" sein wollen. Offensichtlich fungieren andersartige Menschen, gerade wenn sie sich wie in der beabsichtigten Gay-Parade in Moskau öffentlich als geschlossene andersgeartete Gruppe artikulieren, als eine ungewollte Projektionsfläche für die Ängste einer Gesellschaft mit ihren gewaltigen Problemen.

Doch hilft und diese Feststellung wirklich weiter? Welche Lösungsmöglichkeiten vermag sie zu bieten? Oder besteht vielleicht Hoffnung gerade darin, dass im Umkehrschluss die Gewaltbereitschaft solcher Leute unter Berufung auf dieselben Heiligen Schriften, welche sie zitieren, konterkariert oder gar eingedämmt werden kann? Diese Fragen gehen über die Kanalisierung einer religiös motivierten ablehnenden Haltung gegenüber der Homosexualität in friedliche Bahnen weit hinaus.

Und die Antwort lautet: Ja, es gibt diese Möglichkeit. Je nach religiösem Grundverständnis fällt sie allerdings unterschiedlich aus. Orthodoxe Juden werden – hermeneutisch gesprochen – zu dieser Frage einen anderen Zugang haben als reformierte, "bibeltreue" Christen einen anderen als liberale, und dasselbe mag – wenn auch mit großen Einschränkungen – auch für verschieden strenge Richtungen des Islam gelten.

Weshalb, mag man an dieser Stelle fragen, mit großen Einschränkungen für den Islam?

Mit Einschränkungen deshalb, weil zum einen im reformierten Judentum ebenso wie im liberalen Christentum die Möglichkeit besteht, die Wörtlichkeit und Inspiration der schriftlichen und mündlichen Überlieferungen vor dem Hintergrund ihrer zeitlichen Entstehung zu lesen. Mit andern Worten: Indem der menschlichen Komponente in der Entstehung der Schriften Raum gelassen wird, besteht die Möglichkeit, neue Erkenntnisse und Sichtweisen auf Sachverhalte anwenden zu können, welche die Alten aus ihrer damaligen Perspektive heraus sozusagen nicht anders sehen konnten, als sie es taten. Das Zwischen-den-Zeilen wird für die Auslegung somit auf eine eigene, neue Art und Weise bestimmend.

Dieser Weg ist muslimischen Auslegern zur Gänze versperrt, da die wortwörtliche Inspiration des Koran noch immer Dogma ist, an das unter Gefahr von Leib und Leben eines Exegeten nicht gerührt werden darf. Eine historisch-kritische Betrachtung des Koran findet bislang – leider – ausschließlich unter westlichen Orientalisten statt und wird von der offiziellen islamischen Auslegung insgesamt nicht wahrgenommen.

Zum andern, weil auch den Trägern bewahrenderer Lesarten sowohl im Judentum als auch im Christentum sozusagen der "Anschluss" an die gegenwärtigen Entwicklungen in einer sich globalisierenden Welt, die von Judentum und Christentum maßgeblich mitbestimmt wurden und werden, nicht verloren ging, können sie vorbehaltlos nach dem wahren Gewicht der tradierten Einschätzungen etwa von Homosexualität forschen. Es ist kein Zufall, dass Russland und das südliche Afrika – das eine noch immer im postsowjetischen Zerfall, das andere im Bann von Unterentwicklung und Aids – Orte sind, an denen der Seismograph der Homophobie stärker als andernorts ausschlug.

Unter diesem Aspekt ist es jedoch nicht weiter verwunderlich, wenn die jüngsten Ausfälle, von denen berichtet wurde, von einem muslimischen Geistlichen kommen – aus einer Glaubensgemeinschaft, die den Anschluss an eine rasant sich verändernde Welt noch nicht wirklich wieder gefunden hat.

Viel wird in Europa von der Austrocknung des gewaltbereiten islamischen Integralismus als Alternative zur offensiveren US-amerikanischen Politik gesprochen – die berichtete Episode um den homophoben russischen Mufti erscheint in diesem Licht lediglich als ein winziges Steinchen in einem sehr viel größeren Mosaik. Zielrichtung ist dabei meist die Behebung von Armut und Unwissenheit in der islamischen Welt. Dieser Weg ist zweifellos eine der aussichtsreichen Richtungen, in die gearbeitet werden muss. Er ist gleichbedeutend damit, Millionen von Muslimen den Anschluss an eine sich entwickelnde Welt erneut zu ermöglichen, den sie verloren haben, und als deren Verlierer und Verliererinnen sie sich selbst wahrnehmen. Doch er darf nicht der einzige Weg bleiben: Soll der Koran selbst, und damit die geistige Wurzel der islamischen Gesellschaften, für die Überwindung gewaltbereiter Szenarien fruchtbar gemacht werden, ist die Durchsetzung einer kritischen Koranforschung im Islam selbst unabdingbar.

In keiner der beiden westlichen Religionen, weder im Judentum, noch im Christentum, ist die kritische Textforschung die einzig bestimmende Herangehensweise an die Schriften. Das ist auch nicht nötig. Aber ihr komplettes Fehlen im Islam bedingt eine Verzerrung der Sichtweise der gesamten Gemeinschaft auf dessen konstituierende Schrift, die sich nicht anders fatal auswirken kann.

Homosexuelle Moskowiter wären nicht die einzigen sein, die von einer Bereicherung des Islam in diesem Sinn profitieren würden.

© 2006 Matthias Fischer

Anmerkungen:
(1) Zit. in: Kai Ehlers, Eurasisches Magazin. Ausg. 02/02, 17.06.2002.
(2) Röm 1,26-27.
(3) 1.Kor 6,9.
(4) Lev 20,13.
(5) Amnesty International, Sektionsgruppe 2918. "Uganda: Museveni hetzt gegen Homosexuelle", in: Rundbrief 14, März 2000.

hagalil.com 20-02-2006

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