Die Geschichte einer Fälschung:
Die Karikaturen und der Islam
von Ulrich W. Sahm, Jerusalem, 5. Februar
2006
Der muslimische Kulturkampf gegen den Westen ist kein
gesitteter Protest gegen eine Zeitung im kleinen Dänemark mehr. Die
Demonstrationen gegen Karikaturen, die schon vor vier Monaten veröffentlicht
wurden, begannen in Wirklichkeit mit einer Fälschung. Um zu zeigen,
wie beleidigend die Abbildungen des verehrten Religionsgründers seien,
fügten dänische Imame den veröffentlichten Karikaturen noch vier weitere
Bilder hinzu, die den Propheten als Schwein und in unflätiger sexueller
Position darstellen. Erst diese vier hinzugefügten Karikaturen lösten in
Kairo, dem Sitz der geistigen Führer des sunnitischen Islams, Bestürzung
aus. Wie ein Buschfeuer breiteten sich die gewalttätigen Proteste in der
ganzen arabischen Welt aus, griffen auf islamische Länder wie Indonesien
über und erreichten schließlich auch muslimische Gemeinden in Europa,
Neuseeland und Australien.
Inzwischen wurden zwei dänische
Botschaften, in Damaskus und Beirut, in Brand gesteckt, in Gaza wurde die
Außenstelle der deutschen diplomatischen Vertretung und das Büro der
EU-Repräsentanz gestürmt. In Nablus wurde eine Stunde lang ein deutscher
Friedensaktivist entführt. Ein im Gazastreifen verschwundener Pole ist noch
nicht wieder frei. In Damaskus dringt der Pöbel durch Polizeisperren. In
Beirut weitet sich der Protest auf Zusammenstöße zwischen Moslems und
Christen aus. Im Gazastreifen und Nablus verstoßen nicht Fanatiker der Hamas
gegen die öffentliche Ordnung, sondern die weltlichen El Aksa Brigaden der
Fatahpartei. Die nutzen die Gelegenheit, ihren Frust über die verlorene Wahl
und den Sieg der Hamas auszutoben. Der palästinensische Mörder einer
zufällig im Linienbus nach Tel Aviv mitreisenden 60 jährigen Frau rief
Koransprüche, als er mit einem Messer auf die Passagiere einstach. Das erste
Verhör des Studenten von Abu Dis ergab, dass er ausgezogen war, "Juden zu
töten". Die israelische Frau könnte das erste Todesopfer der angeheizten
Stimmung in der islamischen Welt sein.
Die arabischen Regierungen,
darunter auch Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas, verurteilten die
Gewaltakte, unterstrichen aber deutlich ihre Empörung über die Karikaturen.
So schürten sie ebenso das Feuer. Was arabische Regierungen und muslimische
Geistliche vielleicht als Gelegenheit sahen, ihren Kulturkrieg Europa
anzuschieben, droht zu einem Schuss nach hinten zu werden. In Damaskus
wurden Polizisten überrannt. In Beirut war die Armee machtlos und in Gaza
hielten Sicherheitskräfte erfolglos die bewaffneten Fatah-Leute auf Distanz.
Da kann die Stimmung schnell umschlagen. Der blinde Hass auf europäische
Ketzer kann zu einem Aufstand gegen jene Regierungen werden, die mit ihren
Polizisten versuchen, europäische Botschaften, Diplomaten und
Friedensaktivisten vor Anschlägen zu schützen. Derartiger "Volkszorn" lässt
sich nur schwer zügeln und richtet sich am Ende auch gegen jene, die
Demonstranten mit Tränengas und Wasserwerfern zügeln.
Während der
populäre in der ganzen arabischen Welt empfangene Sender Al Jasira über
nichts anderes mehr berichtet und so die "Wut der Moslems" weiter schürt,
hat der ebenso verbreitete amerikanische Sender CNN beschlossen, den
Propheten Mohammed wie Pornografie zu behandeln. Wenn da ein Moslem die
dänischen Karikaturen zeigt, um zu erklären, wieso das eine unerhörte
Gotteslästerung ist, werden die Zeichnungen elektronisch bis zur
Unkenntlichkeit vertuscht. Das tut der Sender sonst nur, wenn menschliche
Blößen bei pornographischen Abbildungen zensiert werden.
Die
dänischen Entschuldigungen werden in den arabischen Medien unterschlagen.
Äußerungen des Papstes und europäischer Regierungschefs, die sich gegen die
Verunglimpfung des Islam durch Karikaturen aussprechen und so indirekt eine
Selbstzensur der Presse fordern, ohne entsprechende beleidigende Karikaturen
in der arabischen Presse zu erwähnen, leisten keinen Beitrag zur Beruhigung
der Lage. Jene, die heute gegen Cartoons in "Jylland Posten" demonstrieren,
führen in Wirklichkeit den spätestens am 11.9. von Osama bin Laden
ausgerufenen Krieg gegen die dekadenten Kreuzfahrer des Westens. Sie hatten
nur auf die Gelegenheit gewartet, in Europa selbst den "Auslöser" und die
"Provokation" zu entdecken.
(C) Ulrich W. Sahm
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