"München" oder:
Das Ende der Unschuld gebiert den Vater
Von Nikolai Wojtko
Registriert man alleine die Vielzahl der Kritiken, die zu
"München" bereits geschrieben wurden, so handelt es sich todsicher um ein
Ereignis. Natürlich wird jeder Film von Steven Spielberg von riesigem
medialen Interesse begeleitet, aber allein der stete Vergleich dieses neuen
Films mit "Schindlers Liste" macht stutzig. Warum ist "Schindlers Liste" ein
Meisterwerk, "München" aber eine Narretei, so könnte man mit Blick auf die
Überschriften der Kritiken fragen und bräuchte dafür beides nicht gesehen zu
haben.
Einen Film über Oskar Schindler zu drehen war eine großartige
Idee. So wie es Spielberg verstanden hat, diesen Stoff umzusetzen, war es
ohne Frage meisterhaft, selbst die ablehnenste Kritik konnte dieses Urteil
letztlich lediglich bestätigen. Was aber ist mit "München"? Ist das Thema so
vielschichtig, ist der Film so schlecht, oder hat Spielberg einfach nicht
genau recherchiert? Diese Fragen drängen sich auf, wenn man die
Kritikerstimmen zur Kenntnis nimmt. Es scheint so, als wäre der Film – je
nach Standpunkt – entweder antiisraelisch oder antipalästinensisch oder
beides zusammen. Als wäre er kindlich, naiv, nicht an den Fakten orientiert
oder im schlimmsten Fall inhaltlich belanglos.
Sieht man den Film, so kann man immerhin feststellen, dass
Spielberg nicht plötzlich über Nacht sein Können, einen handwerklich guten
Film zu drehen, eingebüßt hat. Er hat Mut. Nicht nur, dass er die Thematik
von München aufgreift und sie zum Topos eines Spielfilms macht, er zeigt
ebenso filmerischen Mut, da er in wilden Schnitten, gewagten Kamerafahrten
und sehr vielen unterschiedlichen Details das Bild von Gewalt auf die
Leinwand bringt und seiner Arbeit eine neue Facette verleiht: der Film wirkt
in seinen Aufnahmen nicht perfekt, eine viel versprechende Neuerung im
Spielberg-Universum. Schließlich geht es in "München" nicht um abschließende
Antworten, sondern um stets neu zu stellende Fragen.
Spielberg geht dabei das Risiko ein, seine dargestellte
Hyperrealität, Fiktion und Symbolik bis zur Unkenntlichkeit zu vermischen,
aber gerade in den Momenten, in denen dem Zuschauer das Gefühl der haltlosen
Unsicherheit beschleicht, treten die Bilder wieder in Korrespondenz mit den
Dialogen und formen ganz allmählich die Struktur, die den Film definiert.
Spielberg hält sich nicht lange mit den Abläufen in München
und Fürstenfeldbruck auf, dass hat Arthur Cohn mit "Ein Tag im September"
schon geleistet. Sein Fokus richtet sich auf die Ereignisse, die der Staat
Israel aktiv gestaltete. Er thematisiert die Reaktion eines Staates gegen
einen Akt des Terrors und damit ein sehr aktuelles Problem.
Wie kann man auf einen solchen nie da gewesenen Terror
reagieren? Soll ein Staat mit rechtsstaatlichen Mitteln reagieren und die
Auslieferung der Drahtzieher beantragen? Soll man ihrer habhaft werden und
sie vor Gericht bringen, wie man es ein paar Jahre zuvor mit Eichmann
unternommen hat? Welche Mittel darf man anwenden, um sich zu schützen? In
der Liebe und im Krieg sind alle Mittel erlaubt. Wirklich alle? Mit der
Entscheidung, das Unternehmen "Zorn Gottes" zu starten, erklärt die
israelische Staatsführung dem Terror des "Schwarzen September" den Krieg auf
Augenhöhe.
Über weite Strecken verfolgt der Film den Weg eines geheimen
Kommandounternehmens und deren Aktionen der Gegengewalt, die gegen die
Drahtzieher des Münchener Attentats gerichtet ist. Die Gruppe wird als
relativ bunt zusammengewürfelt und unerfahren vorgestellt. Die Männer sind
zunächst derart von ihrem Handeln überzeugt, dass erst aus der Ansammlung
von technischen Fehlern ein Zweifel geboren wird. Falscher Sprengstoff,
genauso wie falsche Annahmen können unschuldige Opfer produzieren. Wem kann
man vertrauen? Welche Menschen darf man umbringen? Mit jedem erfolgreichen
Anschlag wachsen die bohrenden Fragen. Es gibt Probleme, nachdem ein
KGB-Agent versehentlich ermordet wird. Aber erst, als die Gruppe zu ihrem
eignen Überleben eine gefährliche Person eliminieren muss, werden die
grundlegenden Fragen unausweichlich. Das schon dezimierte Kommando wird sich
auflösen.
Der Film arbeitet sicht nicht einfach an blutigen Anschlägen
ab. Er benutzt diese Phasen lediglich, um einen Bilderteppich zu erzeugen,
auf dessen Grundlage die Fragen über Leben und Tod erörtert werden können.
Hier schon deutet sich die Reife dieses Films an, der es schafft einen
Zeugungs- und Tötungsakt ineinander zu schneiden, um damit sein
grundlegendes Problem zu illustrieren, ohne dass die Situation auch nur
einen Moment lang kitschig wird.
Avner, gespielt durch Eric Bana, der noch als "Hulk" Probleme
mit dem Erbe seines Vaters hatte, sieht sich in "München" auf allen Ebenen
mit Vätern konfrontiert. (Natürlich haben wir es auch dieses Mal mit dem
Problem des Vaters, dem ständigen Spielbergschen Themas zu tun. Fast scheint
es so, als habe der Regisseur in "Krieg der Welten" noch ein letztes Mal
geübt, um nun sein altes Thema grundlegend abzuhandeln.")
Vier Familien werden uns vorgestellt. Da ist zunächst Avner
mit seiner schwangeren Frau. Sobald er seinen Auftrag annimmt, wird er sie
nach New York schicken, da man in Israel nicht für ihre Sicherheit
garantieren kann. Dann ist da die Familie des Staates Israel. Golda Meir
begegnet Avner im Film nicht zufällig wie eine Mutter, die Bezugnahmen zu
Avners Eltern sind programmatisch. Der Mossad-Offizier Ephraim wird ihn wie
ein Vater mit seiner delikaten Aufgabe vertraut machen und Avner zum Kopf
der Gruppe machen, die er wie seine eigene Familie bekochen wird.
Schließlich ist Avner noch auf die Hilfe einer weiteren Familie angewiesen:
um seinen Job erfolgreich durchzuführen, benötigt er Informationen über die
Drahtzieher des Münchener Anschlags. Diese bekommt er durch Louis. Als Avner
Probleme hat, wird er von Louis zu Papa, dem Kopf dieser Familie gebracht.
Hier erfährt er, wie man aus den Geheimdienstaktivitäten Geld zu machen
versteht. Nicht zufällig bietet der Papa Avner an, ein Mitglied seiner
Familie zu werden. Beide verbindet die Fähigkeit zu kochen. Beide lieben
ihre Küche und beide haben, wie Papa feststellt, zu grobe Hände, um das
Kochen zum Beruf zu machen, aber eine zu sensible Seele, um ihren Beruf
unhinterfragt auszuüben.
Diese strukturierenden Elemente laufen durch Avner hindurch
und bestimmen seine Handlungen. Zunächst wirkten auch die bizarrsten
Anforderungen relativ natürlich auf ihn: er soll seine Familie verlassen, um
für Israel in den Untergrund zu gehen. Er willigt in die Aufforderung ein,
schließlich kann er auf diese Weise seine Familie beschützen und ernähren.
Natürlich, so suggeriert sein Hauptdarsteller, werde ich
meine Familie beschützen, ich habe Leben nicht nur gezeugt, ich bin auch
bereit, Leben zu zerstören, um das Leben meiner Familie zu gewährleisten. Wo
aber befindet sich der schmale Grad zwischen Schutz des Lebens und seiner
willkürlichen Gefährdung, wie weit ist eine Abschreckungsstrategie sinnvoll,
bevor sie sich in ihr Gegenteil verwandelt und ihrerseits Gewalt gebiert?
Hier begegnen wir einem Mann, der in zwei Familien die
Vaterfigur darstellt. Als sich seine Berufsfamilie auflöst, kann er zu
seiner leiblichen Familie zurückkehren. Da er sich um deren Sicherheit
sorgt, nimmt er mit Ephraim und Papa Kontakt auf. Papa versichert ihm seinen
Schutz, er wird ihm französischen Käse und Andouillettes senden.
Kochen – das haben wir im Laufe des Films gelernt – ist mehr
als Nahrungsaufnahme. Es verbindet die Menschen, macht sie zu einer
Gemeinschaft, manchmal auch zu einer Familie. Man sollte die Einladung eines
Kochs zum Essen besser nicht ablehnen, es sei denn, dass man auf
grundlegende gemeinschaftsbildende Handlungen keinerlei Wert legt.
Avner ist die Einladung wichtig. Das gemeinsame Essen als
Zeichen der Gastfreundschaft, der Gemeinschaft und der Versöhnung. Ephraim
lehnt die Einladung zum Essen ab. Avner wird in New York bleiben.
Wir sehen die Skyline der City. Es ist die Zeit, in der das
WTC noch an seinem Platz steht.
Man darf auf die nächsten Filme von Spielberg gespannt sein.
Aus dem Nähkästchen:
Mossad-General zu
Spielbergs "München"
Brigadegeneral a.D. Ephraim Lapid, 63, fällt nicht
auf, wenn er in der Ecke eines Café auf den Gesprächstermin wartet. Er
diente beim Militär als "hoher Geheimdienstoffizier". Tatsächlich war er
beim Mosad...
Fragen der Humanität:
Steven Spielberg's
"Munich"
Steven Spielberg hat mal wieder zugeschlagen - und eine Menge Wind
aufgewirbelt: Ist "Munich" nur eine Chronik des israelischen
Vergeltungsschlag an den Drahtziehern des Attentats auf die israelische
Sportler (während der olympischen Spiele in München 1972)?...
Arabische Risikobereitschaft:
Über Spielbergs neuen
Film 'München'
In ihrer wöchentlichen Kolumne für die in London erscheinende Tageszeitung
al-Sharq al-Awsat kommentiert Mona Eltahawy den Kinostart des Filmes
"München" von Steven Spielberg... |