Neonazistischer Terror der Bundesrepublik:
Terroristische Einzeltäter-Vereinigungen?
Im Zusammenhang mit dem Münchner Attentat vom 26. September
1980 ist es interessant, was Julia Montalcino in Zoom schrieb. Im Folgenden
Auszüge aus einem Beitrag im Heft 4-5/96.
Die Anschläge der "Deutschen Aktionsgruppen" (Roeder),
der "Wehrsportgruppen" (Hoffmann) und anderer Organisationen markierten
Anfang der achtziger Jahre einen Qualitätssprung im neonazistischen Terror
der Bundesrepublik. Trotzdem wurde den Anschlägen nur wenig Aufmerksamkeit
geschenkt.
Falls sie überhaupt Beachtung fanden, wurden sie nicht selten zu einem "Werk
Moskaus" uminterpretiert: "Wenn man die Kriegsführung des KGB und der
verwandten Dienste – dazu gehört auch der Staatssicherheitsdienst – kennt,
dann kann man mit Sicherheit davon ausgehen, daß man versucht, rechtsextreme
Vereinigungen nicht nur zu infiltrieren, sondern auch für provokative Zwecke
zur Diffamierung der Bundesrepublik zu mißbrauchen", erklärte der bayerische
Ministerpräsident Franz Josef Strauß vier Tage nach dem Anschlag auf das
Münchener Oktoberfest am 26. September 1980, bei dem 13 Menschen getötet und
215 zum Teil schwer verletzt wurden. (1)
Dementsprechend einfach fiel es Verfassungsschutz und Justiz, Ausmaß und
Hintermänner des Terrors konsequent zu verharmlosen. Die These vom
"Einzeltäter" – die "terroristische Einzeltäter-Vereinigung" (Bernd Siegler
im "konkret") – entwickelte sich zum beliebtesten Erklärungsmuster. Nur bei
Roeder, der wegen Rädelsführerschaft in einer "terroristischen Vereinigung"
zu 13 Jahren Haft verurteilt wurde, wichen die Gerichte von dieser Praxis
ab.
Am 22. August 1980 notiert der damals 52jährige
Manfred Roeder gutgelaunt in seinem Tagebuch: "Festessen mit Syb. und
Raym." Anlaß für die Feier des ehemaligen Rechtsanwalts mit der 25jährigen
Radiologie-Assistentin Sibylle Vorderbrügge und dem doppelt so
alten Werkmeister Raymund Hörnle war der am selben Tag verübte Mord
an zwei Vietnamesen. Die beiden starben beim Brand eines Hamburger
AsylwerberInnenheims, nachdem Vorderbrügge und Hörnle drei
Molotowcocktails durch ein Fenster geschleudert hatten. Seit mehreren
Monaten "zündelten und bombten die beiden", wie der "Spiegel" damals
schrieb, im Auftrag Roeders "quer durch die Republik". Zehn Tage
später wird er zusammen mit seiner Lebensgefährtin Vorderbrügge
verhaftet und schließlich auch verurteilt. 1990 wird er aber vorzeitig
entlassen und neuerlich aktiv.
Er entwickelt sich zum Reisekader der bundesdeutschen Rechten und leistet
"Aufbauarbeit in Ostpreußen". In Erfurt wurde er verhaftet, als er gemeinsam
mit anderen Kameraden die Ausstellung des Hamburger Instituts für
Sozialforschung über den Vernichtungskrieg der Wehrmacht stürmte,
randalierte und Stellwände mit Parolen wie "Lüge" besprühte.
(2)
In der Lüneburger Heide im Norden Deutschlands, ist Roeder kein Unbekannter.
Noch in den Tagen zwischen den Hamburger Morden und ihrer Verhaftung suchten
Roeder, Vorderbrügge und Hörnle den dortigen Revierförster Heinz Lembke auf,
um Sprengstoff für weitere Anschläge zu beschaffen. Den
Vernehmungsprotokollen Roeders bei der deutschen Bundesanwaltschaft (BAW)
ist zu entnehmen, daß Roeder und Lembke gute Freunde waren, die sich oft
trafen, um Anschläge zu besprechen.
Forstmeister Lembke
Der als 22jähriger 1959 aus der DDR geflohene Lembke machte in seiner neuen
Heimat eine rasante neonazistische Karriere. Bereits 1960 stieg er zum
Bundesgeschäftsführer des militanten Vereins "Bund Vaterländischer Jugend"
auf, engagierte sich im "Bund Heimattreuer Jugend" (3), war Kandidat und
Mitglied eines Schlägertrupps der deutschen Nationaldemokraten (NPD) und
organisierte "Wehrsportübungen". Einiges spricht dafür, daß Lembke auf der
Mitgliederliste der deutschen Stay-behind-Organisation stand.
Daß der rechtsxtreme Förster Waffenlager mit militärischen Sprengstoffen
angelegt hatte, erfuhren die Beamten des deutschen Bundeskriminalamts nicht
nur von Roeders Kameradin Vorderbrügge, einen entsprechenden Tip erhielten
sie auch drei Wochen nach Verhaftung des Nazipaares – unmittelbar nach dem
Anschlag auf das Oktoberfest.
Für dieses soll Lembke den Sprengstoff geliefert haben. Der Attentäter von
München, Gundolf Köhler, war zumindest Sympathisant der Wehrsportgruppe
(WSG) Hoffmann, ein weiteres (später bei einem Amoklauf ums Leben
gekommenes) Mitglied der WSG bezichtigte sich selbst der Beteiligung. Für
die Bundesanwaltschaft blieb schließlich nur der "Einzeltäter" Köhler übrig,
der sich bei dem Anschlag selbst in die Luft gesprengt hatte. Sein
angebliches Motiv: universitäre Schwierigkeiten und ein Streit mit seiner
Freundin.
Als Hoffmann selbst 1986 zu neun Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt
wurde, kam weder seine Rolle beim Münchener noch die beim Attentat in
Bologna zur Sprache, die politischen Zusammenhänge werden vom Gericht bewußt
ausgeblendet. Der Wehrsportgruppenführer wurde lediglich wegen kleinerer
Einzeldelikte wie Geldfälschung und unerlaubten Waffenbesitz verurteilt,
nicht wegen der Ermordung des jüdischen Verlegers Shlomo Levin und dessen
Freundin Frieda Proschke durch das WSG-Mitglied Uwe Behrendt
(19.12.80), nicht wegen der mutmaßlichen Ermordung
eines weiteren WSG-Mitglieds in einem Beiruter Hoffmann-Lager, nicht wegen
der geplanten Befreiung von Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß.
Waffen für eine ganze Kompanie
Als die Polizei nach dem Münchener Attentat dem Hinweis auf Lembke nachgeht,
findet sie bei einer Hausdurchsuchung ein leeres Magazin für ein
Bundeswehrgewehr und einige Rollen Zündschnur. Lembke aber bleibt in
Freiheit. Erst im März 1981 wird er in Beugehaft genommen, da er im
Verfahren gegen Roeder "grundlos" die Aussage verweigert – "Ausfluß eines
übersteigerten und fehlgeleiteten Treuebegriffs", wie der
Generalbundesanwalt befindet.
Sechs Monate später kommt Lembke wieder frei und begeht einen folgenschweren
Fehler: Wenige Tage nach seiner Enthaftung inspiziert er im Oktober 1981
Teile seines unterirdischen Waffendepots und wird dabei von Waldarbeitern
beobachtet – so zumindest die offizielle Version. Neuerlich in Haft erstellt
der bis dahin so schweigsame Forstmeister eine präzise Liste von in
insgesamt 33 zusammengehörigen Erdlagern gebunkerten Waffen: unter anderem
automatische Waffen, 13.520 Schuß Munition, 50 Panzerabwehrrohre, 156 kg
Sprengstoff, 230 Sprengköpfe, 258 Handgranaten, chemische Kampfstoffe (u. a.
Phosphor, Zyankali, Arsen und Strychnin) sowie Bundeswehrunterlagen über
Sprengen, Minenlegen und Panzerabwehr – nach Schätzungen der
"Österreichischen Militärischen Zeitschrift" genug Kriegsmaterial, um eine
66 Mann starke Kompanie auszurüsten.
Nachdem die Waffen geborgen und Lembke einige Tage verhört worden ist, legen
die Ermittler über das Wochenende eine Pause ein. Am darauffolgenden Montag
will Lembke die Hintergründe seines umfangreichen Waffenlagers aufdecken
und, wie er sich ausdrückt, "Roß und Reiter" nennen. Dazu kommt es nicht
mehr. Am Sonntag früh wird der "Heideförster" an einem Elektrokabel erhängt
in seiner Zelle aufgefunden – nach Ermittlungen der Staatsanwaltschaft ein
"einwandfreier" Selbstmord. Das Kabel wurde Lembke erst einen Tag vorher vom
Haftrichter genehmigt. Auf einem Zettel hinterließ er die Notiz: "Es ist
Wolfszeit" – ein möglicher Hinweis auf seine Rolle als "NS-Werwolf" (4) –,
auf einem anderen den Hinweis, er wolle nicht zum Verräter an seinen
Gesinnungsfreunden werden.
Direkt nach Lembkes Tod werden, wie die Medien melden, der Militärische
Abschirmdienst (MAD) als auch "zivile Nachrichtendienste" in die
Ermittlungen eingeschaltet. Einen Tag darauf, am 3. November, zieht der
Bundesstaatsanwalt die Ermittlungen an sich, was der niedersächsische
Innenminister Möcklinghoff als "kriminaltaktischen Schildbürgerstreich"
bezeichnet. Es wird eine Nachrichtensperre verhängt und drei gerade erst
verhaftete Mitglieder aus Lembkes Gruppe wieder freigelassen (das örtliche
Landeskriminalamt hatte noch von einer sechsköpfigen Gruppe gesprochen).
Ein Jahr später wird das Ermittlungsverfahren schließlich ganz eingestellt.
Im Gegensatz zu den ursprünglichen Ermittlungen wegen Gründung einer
terroristischen Vereinigung sprechen die Behörden nunmehr vom "Einzeltäter"
Lembke, der zwar in seiner "rechtsradikalen Gruppierung" nicht allein
gewesen sei, wohl aber bei seiner Leidenschaft fürs Waffensammeln. Die
Mitglieder aus Lembkes Gruppe kommen mit geringen Geldstrafen davon, der
geständige Waffenlieferant, ein Lüneburger Oberfeldwebel der Bundeswehr,
wird zu 2000,– Mark Geldstrafe verurteilt. In der Erklärung des
Generalbundesanwalts vom 3. Dezember 1982 heißt es, die Ermittlungen hätten
"keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür ergeben, daß Lembke die
verfassungsmäßige Ordnung der Bundesrepublik Deutschland durch
Sprengstoffanschläge oder Mordtaten erschüttern wollte"...
Weitere Informationen:
Anm.:
2001 musste sich der damals 72-jährige Roeder wegen einer Rede beim
NPD-Parteitag 1998 verantworten:
Mildes Urteil gegen Rechtsterroristen.
Auch Ulla Jelpke weist auf
Manfred Roeders Positionen in der NPD hin: Der Ex-Führer der
rechtsterroristischen "Deutschen Aktionsgruppen", 1982 wegen
Rädelsführerschaft in einer terroristischen Vereinigung, versuchter
Anstiftung zum Mord, Durchführung von Sprengstoffanschlägen und Verabredung
einer schweren Brandstiftung zu 13 Jahren Haft verurteilt, kandidierte 1998
als NPD-Bundestagskandidat für ein Direktmandat in Stralsund.
Im idgr berichtet
Margret Chatwin von indizierten Schriften des Holocaust-Leugners
Manfred Roeder...
Annette Ramelsberger zitiert Röder als einen der NPD-Funktionäre,
die in ihren Reden ungeniert die Machtergreifung – zur Not auch mit Gewalt,
propagieren: "Ohne Blut gibt es kein neues Deutschland".
Nach der Entlassung des Hohmann-Unterstützers
Brigadegenerals Reinhard Günzel spach
Helmuth Prieß über den "braunen Mief im Führungscorps" und fragt,
wie eng wohl die Verbindungen zwischen dem Offizierscorps und der Neuen
Rechten sein werden, wenn ein Rechtsterrorist wie Roeder zu einem Vortrag an
die Führungsakademie der Bundeswehr eingeladen werden kann.
Prieß meint, "Wenn man das genau wüsste, dann wäre uns allen wohler oder
wahrscheinlich unwohl. Die Tatsache, dass Roeder, der ja ein bekannter,
notorischer Rechtsextremer seit den siebziger Jahren ist, überhaupt in die
Führungsakademie reinkommen konnte, ist schon schlimm... Solche Auftritte,
wie der Roeders, beweisen, dass im Offizierscorps ein beachtliches Maß an
politischer Unsensibilität vorhanden ist. Der Fall Hohmann / Günzel müsste
jetzt Thema der politischen Bildung in der Bundeswehr werden. Struck sollte
anordnen, dass darüber diskutiert wird, wie es zu so einer Haltung kommen
konnte, wie es passieren konnte, dass niemand widersprochen oder es gemeldet
hat"...
Fussnoten:
- Über den Neonaziführer und mutmaßlichen Drahtzieher des Mümchener
Massakers, Karl-Heinz Hoffmann, äußerte sich Strauß dann auch
folgerichtig: "Heutzutage gibt es keine Gefahr mehr von rechts, weder im
Augenblick noch in Zukunft (...) Wenn niemand von diesem Verrückten
spräche, würde man seine Existenz überhaupt nicht bemerken (...) Mein
Gott, wenn jemand Spaß daran hat, am Sonntag mit einem Rucksack und im
Kampfanzug mit Koppelschloß durchs Gelände zu spazieren, soll man ihn in
Ruhe lassen (...) Hoffmann hat sich nichts zuschulden kommen lassen."
Internationale Medien wie das US-Magazin "Newsweek" vermuteten damals
hinter dem Anschlag den mißglückten Versuch der Wahlhilfe für Strauß,
der unter dem Motto "Freiheit statt Sozialismus" für das Amt des
Bundeskanzlers kandidierte.
- Roeders Ehefrau Gertraud wurde 1992 gemeinsam mit dem Neonazi-Anwalt
Jürgen Rieder aus Österreich ausgewiesen, der unter falschem Namen
eingereist war, um als Redner bei den Kulturtagen des von Lisbeth
Grolitsch und Herbert Schweiger geführten "Deutschen Kulturwerks
Europäischen Geistes" aufzutreten. Roeder selbst hat in Österreich seit
einer Vortragsreise im Jahr 1976 Einreiseverbot. Die Tour war von Konrad
Windischs Nachfolgeorganisation des "Bundes Heimattreuer Jugend", der
"Arbeitsgemeinschaft für Politik" (AfP), organisiert worden Die AfP
wurde damals gerichtlich aufgelöst, was aber de facto nicht mehr als die
Umbenennung in "Arbeitsgemeinschaft für demokratische Politik" zur Folge
hatte. Der Hamburger Anwalt Rieger wiederum ist Drahtzieher des
erwähnten faschistischen Zentrums in Hetendorf und unterhält Kontakte zu
Uwe Jürgens, dem ehemaligen Hausarzt des rechtsextremen Waffenwarts
Heinz Lembkes. Jürgens führte bis 1990 ebenfalls in der Lüneburger Heide
eine Wehrsportgruppe an, die "Nothilftechnische Übungs- und
Bereitschaftsstaffel" (TeNo – der Name verweist auf eine Heinrich
Himmler direkt unterstellte SS-Teilorganisation).
- Daß Lembke nach seiner Flucht so rasch die Karriereleiter in
rechtsextremistischen Jugendorganisationen erklomm, die mit ziemlicher
Sicherheit von Geheimdiensten infiltriert waren, könnte darauf
hindeuten, daß auch er bereits beim Verlassen der DDR angeworben worden
ist. "Zonenflüchtlinge" wurden in aller Regel ausführlichen Verhören
durch den Verfassungsschutz unterzogen.
- Seine Popularität für das völkische Gedankengut verdankt der "Werwolf"
einem 1910 erschienen gleichnamigen Roman des auch von den Nazis
verehrten Heimatdichters der Lüneburger Heide, Hermann Löns.
Die Opfer nicht alleine lassen:
NS-Attentat in München
Am 26. September 1980 wurde am Haupteingang des Oktoberfests eine
Splitterbombe gezündet. 13 Menschen starben und über 200 wurden zum Teil
schwer verletzt...
Strategie der Spannung?
Der schwerste
Terroranschlag in der Bundesrepublik
Ein Freitagabend, der 26. September 1980. Es ist kurz nach 22 Uhr, in
wenigen Minuten schließen die Bierzelte auf dem Münchner Oktoberfest. Das
Riesenrad dreht seine letzten Runden...
26.September 1980
- 22. 19 Uhr:
Die falsche Zeit, der falsche Ort
Wenn sie nur etwas schneller gegangen
wären. Oder etwas langsamer. Oder wenn sie einen anderen Weg gewählt hätten.
Gar keine große Abweichung, nur ein paar Meter abseits der Route, die sie am
26.September 1980 genommen hatten. Wie anders wäre ihr Leben verlaufen...
hagalil.com 23-09-2005 |