Vertrauen in die Politik auf neuem Tiefstand:
Nur 17% vertrauen den Parteien
Deutschlands Politiker gelten als unglaubwürdig und
inkompetent. Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte (Universität
Duisburg-Essen): "Dies ist viel mehr als traditionelle Politik- und
Parteienverdrossenheit. Mittlerweile verachten die Bürger ihre öffentlichen
Repräsentanten."...
Die Deutschen vermissen bei ihren Politikern vor allem
Glaubwürdigkeit, Ehrlichkeit, Sparsamkeit sowie Prinzipientreue und
Kompetenz. Das hat das Meinungsforschungsinstitut TNS Emnid in einer
repräsentativen Umfrage im Auftrag von Reader's Digest Deutschland
ermittelt. Das Magazin veröffentlicht die Umfrageergebnisse und Analysen
dazu in seiner September-Ausgabe.
Demnach ist das Vertrauen der Bürger in die politischen
Parteien seit 1995 von damals 41 Prozent auf einen neuen Tiefstand von
nunmehr 17 Prozent gefallen. Und: Nur wenige der Befragten trauen den
Politikern noch zu, die aktuellen Probleme zu lösen. "Unter der Oberfläche
brodelt es gewaltig", sagt der Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte von
der Universität Duisburg-Essen über die aktuelle Stimmungslage in
Deutschland wenige Wochen vor der erwarteten Bundestagswahl. "Dies ist viel
mehr als traditionelle Politik- und Parteienverdrossenheit. Mittlerweile
verachten die Bürger ihre öffentlichen Repräsentanten." Dennoch erklärt eine
überwältigende Mehrheit der Befragten (84 Prozent), sie wolle an einer
Bundestagswahl teilnehmen.
Dabei sind es vor allem die Abgeordneten, die von den Bürgern
ein schlechtes Zeugnis ausgestellt bekommen. Während überparteiliche
Institutionen wie das Bundesverfassungsgericht (75 Prozent) und der
Bundespräsident (71 Prozent) ein hohes Vertrauen genießen, stürzen diese
Werte bei den Volksvertretern regelrecht ab. 46 Prozent der Befragten gaben
an, dass die Abgeordneten überwiegend "ihre eigenen Interessen", also nicht
unbedingt die Interessen der Wähler vertreten. Damit nicht genug des
Misstrauens. Das Vertrauen in die Bundesregierung sank innerhalb der
vergangenen zehn Jahre von 53 auf 26 Prozent, das in den Bundestag von 58
auf 34 Prozent. Hinzu kommt ein Ost-West-Gefälle. In neuen Bundesländern wie
Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Sachsen-Anhalt erodiert das
Vertrauen in die Parteien und die Politik regelrecht; beispielsweise
vertrauen dort nur noch 15 Prozent der Bürger der Bundesregierung. Für die
Parteien sinkt der Wert gar auf 6 Prozent.
Wie beurteilen die Deutschen die Politik und ihre
Vertreter?
Was wird vermisst, was erhofft?
Sachliches Auftreten von Politikern kann Vertrauen stiften In
der repräsentativen Umfrage für Reader's Digest fällten die 1000 befragten
Frauen und Männer ab 14 Jahren aber nicht nur ein pauschales Urteil, sie
differenzierten sehr genau.
Auf die Frage "Wie muss ein Politiker sein?" setzten die Befragten klare
Prioritäten bei den bevorzugten Eigenschaften: Sachliches Auftreten (91
Prozent), Berufserfahrung außerhalb der Politik (79 Prozent), ein hoher
Bildungsgrad (71 Prozent), sympathische Ausstrahlung (69 Prozent) und ein
Entscheider-Image (61 Prozent). Diese Faktoren werden derzeit aber von den
Bürgern bei den Politikern völlig vermisst.
Übrigens: Nur für 30 Prozent der Befragten begründet häufige Medienpräsenz
eines Politikers Vertrauen. Mehr noch, die Befragten sprechen den gewählten
Vertretern die Kompetenz ab, die aktuellen Probleme zu lösen. Nur noch 21
Prozent der Wähler glauben, dass die Parteien den Arbeitsmarkt wieder in
Schwung bringen, nur 14 Prozent trauen ihnen den Abbau der
Staatsverschuldung zu.
Politischen Journalisten sowie Nicht-Regierungsorganisationen messen die
Bürger mittlerweile den gleichen Stellenwert bei wie den traditionellen
Akteuren der repräsentativen Demokratie. Den Nachrichtensendungen Tagesschau
und RTL Nachrichten trauen die Deutschen sogar viel mehr (82 Prozent) als
den Parlamenten. Fernsehjournalisten (61 Prozent) wird deutlich mehr
vertraut als Zeitungsjournalisten (48 Prozent).
Es fehlt an Transparenz und Zugänglichkeit
Bürger wollen mehr direkte Beteiligung
Für Karl-Rudolf Korte sind diese Zahlen alarmierend: "In
solchen Zeiten der Aufbruchslosigkeit wählen die Bürger die politischen
Parteien am Wahltag in den Kategorien der Schadensbegrenzung: Sie erwarten
weder von der derzeit amtierenden Regierung noch von der aktuellen
Opposition durchgreifende Verbesserungen." Korte sieht darin dauerhafte
Gefahren: "Misstrauen gegenüber Politikern und politischen Institutionen,
das über längere Zeiträume herrscht, zerstört die Grundvoraussetzungen der
Politik."
Ein kleiner Trost: 84 Prozent der Bürger, so ergab die aktuelle Umfrage,
wollen bei der kommenden Bundestagswahl ihre Stimme abgeben. Unabhängig von
diesem Bekenntnis zur Wahl verlangen die Deutschen mehr Teilnahme und
Teilhabe an den politischen Entscheidungen. So wünschen sich 85 Prozent
Volksabstimmungen auf Bundesebene, so wie es die Schweiz vormacht.
82 Prozent der Deutschen verlangen zudem regelmäßige Rechenschaftsberichte
der amtierenden Minister. 80 Prozent wollen, dass die Politiker ihre
Einkünfte offen legen. Und 47 Prozent sprachen sich in der Umfrage dafür
aus, dass die Amtszeit von Abgeordneten zeitlich begrenzt werden soll.
TNS Emnid führte die repräsentative Umfrage mit 1000
Befragten ab 14 Jahren bundesweit im Auftrag von Reader's Digest durch. Die
Telefoninterviews wurden am 22. und 23. Juni 2005 geführt.
www.readersdigest.de
Die Qual der Wahl:
Schlimm oder schlimmer?
Nach Becks Ansicht ist der Nationalstaat keine
Lösung mehr. Vielmehr müssten das Kapital und die Gewinne über die Grenzen
hinweg transnational reguliert und kontrolliert werden...
hagalil.com 02-08-2005 |