Wandelung eines 68er:
Freie Universität Berlin übt Zivilcourage
Das Otto-Suhr-Institut der Freien
Universität Berlin wird dem NPD-Sympathisanten Bernd Rabehl künftig keine
Lehraufträge mehr erteilen.
Von Martin Jander
Am Fachbereich Politik- und Sozialwissenschaften der
Freien Universität Berlin findet eine kleine Kulturrevolution statt. Da ein
Entzug der Lehrbefugnis für den NPD-Sympathisanten Bernd Rabehl sich
juristisch als schwieriger herausstellt als gedacht, hat der Fachbereichsrat
des Otto-Suhr-Instituts beschlossen, zukünftig keine Lehraufträge mehr an
den Ex-Linksradikalen Rabehl zu erteilen. "Wir sind nicht verpflichtet,
Lehraufträge zu erteilen", sagte Institutsdirektor Bodo Zeuner der
tageszeitung.
Studenten bereiten darüber hinaus eine kritische
Auseinandersetzung mit der Ideologie Rabehls vor. Sie planen in dieser Woche
einen Workshop zum Thema Rechtsextremismus. Unmittelbar im Anschluss an das
Seminar Rabehls am Donnerstag (2.6.2005) soll auch über den Wandel des
Soziologen vom Links- zum Rechtsradikalen diskutiert werden. "Wir wollen
keine Störungsaktion, sondern eine konstruktive Veranstaltung bieten",
zitierte die tageszeitung Martin Timpe von den Jusos der Freien Universität
Berlin.
Die mutige Entscheidung des Lehrkörpers des Otto Suhr
Instituts und das nachahmenswerte Verhalten der Studentenschaft werden dem
emeritierten aber noch lehrenden Soziologen kaum noch eine Chance lassen,
das faktische Ende seiner Lehrbefugnis im kommenden Semester juristisch
anzufechten. Er selbst - so jedenfalls eine Meldung der Sächsischen Zeitung
vom 27.5.2005 - will in Zukunft einem Bildungswerk der NPD Sachsens (der vor
kurzem gegründeten Dresdner Schule) helfen, die Ideologie der Partei zu
popularisieren. Offenbar hat er bereits selbst mit seiner akademischen
Laufbahn abgeschlossen.
Die bewundernswerte Kulturrevolution am Otto-Suhr-Institut
der Freien Universität Berlin wird dabei nicht darum herum kommen, einen
bislang nur unzureichend behandeltes Thema ins Auge zu fassen: die
fließenden Übergänge zwischen rechtsradikaler und linksradikaler Ideologie
in Deutschland. In der Auseinandersetzung um Rabehls rechtsradikales
Outcoming war 1998/1999 – der Soziologe hatte vor der schlagenden Verbindung
Danubia gesprochen, vor einer (angeblichen) Überfremdung der Bundesrepublik
gewarnt und die (angebliche) Erpressung ihrer Eliten mit den NS-Verbrechen
behauptet und insgesamt vor der fast schon vollständigen Auflösung des
deutschen Volkes gewarnt – umstritten geblieben, ob Rabehl als Einzelfall
der Wandlung eines 68ers gelten muss, oder ob seinen Äußerungen etwas
paradigmatisches anhaftet.
Insbesondere ehemalige Freunde und Mitstreiter Rabehls,
die heute ja nicht bei der NPD auftreten, nicht in der Jungen Freiheit
schreiben und nicht beim Institut für Staatspolitik auftreten, hatten sich
vehement dagegen zur Wehr gesetzt, den Fall Rabehl zum Anlass zu nehmen die
Motive und Gehalte der 68er Revolte etwas eingehender zum Gegenstand einer
kritischen Betrachtung zu machen. Dies jedoch scheint gerade angesichts der
neuen Orientierung des Rechtsradikalismus in der vereinigten Bundesrepublik
dringend geboten.
Dass Rabehl sich heute an der Seite des völkischen
Antikapitalismus mit sekundär-antisemitischen Zügen der NPD wieder findet,
ist kein Zufall. Er selbst mag ja auch nicht erkennen, dass er sich
gewandelt hat. Dem NPD-Blatt Deutsche Stimme sagte er in dem Interview, das
nun das Ende seiner Lehrveranstaltungen an der Freien Universität Berlin zur
Folge hat, wörtlich: "In letzter Konsequenz bin ich meinem Denken von damals
treu geblieben, nur dass sich inzwischen die politischen Positionen
verschoben haben. Was früher als "links" angesehen wurde, gilt heute als
"rechts". Tanzten vor Jahrzehnten noch die unabhängigen Linkskämpfer unter
"Ho Tschi Minh"-Rufen durch die Straßen und galt die "nationale Befreiung"
in Vietnam, China, Kuba oder Algerien als Vorbild gegen den
anglo-amerikanischen Imperialismus aufzutreten, so empfindet heute die
verstaatlichte Linke jede nationale Rückbesinnung als Zumutung, wenn nicht
sogar als Volksverhetzung. Diese "Linken" akzeptieren die Vorbereitung neuer
Kriege oder zeichnen sogar wie im Kosovo, in Albanien oder Afghanistan dafür
verantwortlich. Sie geben sich proimperialistisch und prokapitalistisch wie
die "grünen" Stammesfürsten, die gemeinsam mit der internationalen Mafia im
Interesse der USA die prorussischen Mächte destabilisieren. Bei solch einem
Gesinnungswandel kann es nicht verwundern, dass die Staatslinke inzwischen
das eigene Volk hasst. Dieser Hass wird auf die übertragen, die an nationale
Interessen erinnern. So finde ich heute ein aufmerksames Publikum bei der so
genannten "Rechten" und gerate unter Feindverdacht bei den linken
Wendehälsen. So spielt das Leben."
Unfreiwillig macht Rabehl mit diesen Äußerungen auf
tatsächlich vorhandene Unterströmungen der deutschen 68er Revolte
aufmerksam, die von Politikwissenschaftlern zwar bereits hinlänglich
analysiert wurden, bislang jedoch nur selten zum Gegenstand einer auch
öffentlich nachvollziehbaren Selbstreflexion der deutschen 68er geworden
sind. Die nationale Romantik und den schillernden Antiamerikanismus haben z.
B. Richard Löwenthal , Dan Diner , Wolfgang Kraushaar , Richard Herzinger
und Hannes Stein sowie Andrei S. Markovits und Philipp Gorski zum Gegenstand
ausgezeichneter Untersuchungen gemacht. Den sekundären Antisemitismus haben
hart aber zutreffend Henryk M. Broder, Lars Rensmann und Martin W. Kloke
beschrieben. Die ambivalente Haltung vieler 68er zur Auseinandersetzung mit
den Verbrechen des Nationalsozialismus hat Norbert Elias eingehend
untersucht.
Aus all diesen Analysen geht natürlich keineswegs hervor,
die 68er hätten insgesamt einen völkischen Antikapitalismus mit
antiwestlichen und sekundär-antisemitischen Zügen vertreten und eine
Auseinandersetzung mit Verantwortung und Haftung entschieden zurückgewiesen.
Die Elemente solcher Haltungen waren jedoch zweifellos in der Revolte
enthalten. Dies betrifft übrigens auch die Politik der ostdeutschen
kommunistischen Linken. Wie der Soziologe Thomas Haury in einer kürzlich
erschienenen Studie zeigen konnte, waren die Übergänge von einer
antikapitalistischen und antiimperialistischen Haltung zu antizionistischer
und antisemitischer Politik der SED fließend.
Die kritische Auseinandersetzung mit solchen
völkisch-nationalen, antiwestlichen und antisemitischen Gehalten der Politik
verschiedener deutscher Linker in beiden deutschen Nachkriegsstaaten ist
unerlässlich, wenn man die Gefahren und die neue Qualität des rechten
Radikalismus und Antisemitismus in der vereinigten Bundesrepublik begreifen
und bekämpfen will. Gerade die NPD unternimmt erhebliche Anstrengungen in
der gegenwärtigen Umbruchssituation verunsicherte, desorientierte und
entwurzelte Menschen aus dem linken Spektrum an sich zu binden. Sie kann
dabei auf anschlussfähige Bilder und Vorstellungen aus verschiedenen linken
Strömungen zugreifen. Es bleibt deshalb zu hoffen, dass die bewundernswerte
Kulturrevolution am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin mutig
auch die antidemokratischen Gehalte der 68er Revolte und linker Politik in
den beiden deutschen Staaten mit ins Auge fasst. Damit wird sie einen
Beitrag zur demokratischen Kultur in der Bundesrepublik überhaupt leisten.
[FORUM]
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hagalil.com 31-05-2005 |