SIVAN PERWER FOUNDATION
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Profanes Gut:
Das schwierige Verhältnis der Araber zum Buch
Hussain al-Mozany
"Der schönste Platz im Leben ist der Stutensattel",
schrieb der berühmteste irakische Dichter al-Mutanabbi (915 bis 965), "und
der beste Tischgenosse ist das Buch." Mit dem Buch meinte er sicherlich
nicht den Koran, von dem er wenig hielt, sondern alle guten Bücher über
Wissenschaft und Erkenntnis. Al-Mutanabbis Liebe zum Buch wurde seinerzeit
nur von wenigen Arabern geteilt. Auch heute noch tun sie sich schwer mit
diesem "profanen Gut".
Der Prophet Mohammed soll gesagt haben: ;,Wir sind eine
analphabetische Nation, wir können weder schreiben noch rechnen." Begonnen
von den islamischen Gelehrten, entstand eine eigenartige Büchervermeidung,
die sich schließlich auf die gesamte Gemeinde erstreckte.
Der saudische Autor Nasir al-Huzaimi versammelt in seiner
Broschüre "Bücherverbrennung in der arabischen Kultur" einige Beispiele der
negativen Haltung gegenüber dem nichtsakralen Buch. Als die Araber die
Handlungsweisen Mohammeds zu notieren begannen, bekamen sie von höchster
Stelle, von den Kalifen Omar (gest. 644) und Ali (gest. 661), die Anweisung,
Schriften über die Taten des Propheten gleich zu vernichten. Die Menschen
richteten sich zugrunde, so argumentierte der Schiitenbegründer Ali, wenn
sie den Überlieferungen ihrer Gelehrten folgten und dem Buch ihres Gottes
den Rücken kehrten. Die Herzen seien Gefäße, so die Gläubigen, die man mit
der heiligen Schrift füllen müsse. Einmal, so berichtet die Überlieferung,
zeigte sich Mohammed gekränkt, als er bei Omar, dem späteren zweiten
Kalifen, ein Heft alttestamentarischer Sprüche entdeckte. Er machte ein
derart mürrisches Gesicht, daß Omar es sogleich verbrannte.
Bücher andersdenkender Schriftsteller und Übersetzer, wie von Ibn
al-Muqaffa' (etwa 720 bis 756), der zunächst verstümmelt und dann ermordet
wurde, oder Salih ibn Abdulqudus (hingerichtet 777 auf Befehl des
abbasidischen Kalifen al-Mahdi), wurden wegen des Vorwurfs der Häresie und
Ketzerei einfach vernichtet. Ibn Muqla (gest. 940), Minister, Dichter und
angesehener Schriftmaler, wurde die rechte Hand abgehackt, damit er nicht
mehr schreiben konnte. Er starb im Gefängnis. Selbst Schriften von namhaften
Denkern oder Mystikern wie Ibn Sina (980 bis 1037), Abu Hamid al-Gazali
(1059 bis 1111) oder Ibn alArabi (gest. 1240) fielen in Ungnade; ihre Werke
wurden gelegentlich verboten, meistens aber einfach verbrannt.
Obwohl viele Muslime, vor allem die Schiiten, Anspruch auf
die Hinwendung zum Wissen erheben und durch die Aussage Mohammeds ("Ich bin
die Stadt der Erkenntnis, und Ali ist ihr Tor") manifestieren, bleibt diese
Erkenntnis einer kleinen Gruppe vorbehalten. Selbst Ali soll gesagt haben,
daß Gott die islamische Gemeinde mit zwei Arzneien verarztet: der Peitsche
und dem Schwert. Der herrschende Imam solle davon nie ablassen.
Bis heute fühlt sich ein großer Teil dieser Gemeinde von
Peitsche und Schwert heimgesucht, damit sie vom Buch ferngehalten werden -
auch wenn der Prophet Mohammed die Gläubigen mit dem Lesen überhaupt erst
konfrontiert hat. In der Nacht vom 26. auf den 27. des Monats Ramadan, die
später als die Schicksalsnacht in die islamische Geschichte einging,
erschien Mohammed der Erzengel Gabriel in der Grotte von Hira' und befahl
dem analphabetischen Propheten zu rezitieren, doch Mohammed konnte die
Schrift nicht lesen. Nachdem Gabriel Mohammed dreimal heftig ermahnt hatte,
wiederholte dieser schließlich, was der Engel ihm vorgab: "Lies im Namen
deines Herrn, der den Menschen aus einem Blutklumpen erschuf." Damit wurde
eine entscheidende Phase der Offenbarungen und Niederschriften des heiligen
Buches eingeleitet.
Der Koran wurde zunächst in Einzelteilen aufbewahrt, bis
er zur Zeit von Uthman ibn Affan, der von 644 bis zu seiner Ermordung 656
regierte, die jetzige Form erhielt und der umstrittene Rest auf Befehl
Uthmans gesammelt und verbrannt wurde. Das Buch galt und gilt immer noch als
vollkommen und unnachahmlich, denn es beinhaltet das wahre Wissen über Gott,
die Menschen und die Welt. Für die Muslime ist es eine Ablenkung von der
Anbetung Gottes, wenn sie sich mit einem anderen Buch als dem Koran
beschäftigen, denn darin könnte Verführung oder Versuchung stecken. Der
einflußreiche zeitgenössische ägyptische Koraninterpret und Fernsehprediger
Scheich Mutawalli al-Scharawi brachte es auf den Punkt: "Ich danke Gott
dafür, daß ich in den letzten vierzig Jahren nichts anderes gelesen habe als
den heiligen Koran."
Über Jahrhunderte hinweg machten sich die meisten der
islamischen Herrscher unermüdlich Sorgen über jegliche Art von Nachahmung
des Korans oder über häretische Ideen, welche mit diesem Buch nicht zu
vereinbaren waren, bis der Abbasidenkalif al-Mutawakkil, der von 847 bis 861
regierte, die nichtislamischen Einflüsse zu unterbinden versuchte, vor allem
bei den Schiiten und den aufgeklärten Mu'taziliten. Er führte schärfere
Regeln für die Islamforschung ein, die nach Meinung des ägyptischen
Gelehrten Nasr Hamid Abu Zaid bis in die Gegenwart nicht verletzt werden
dürfen.
Das Verhältnis der Araber zum Buch, allen voran der
muslimischen Araber, ist von einer leidvollen Geschichte geprägt. Im
Gegensatz zu Europa konnte sich das Buch in der arabischen Welt nicht
natürlich entwickeln, da es weder Förderung noch Verbreitung erfuhr. Selbst
zur Zeit des strebsamen, der Modernisierung verpflichteten Mohammed Ali
(1769 bis 1849) gab es in Ägypten 1836 nur eine einzige Buchdruckerei, aber
zwanzig Waffen- und Munitionsfabriken. Hätte das Expeditionsheer unter
Napoleon 1798 nicht eine Druckerpresse in dieses zentrale arabische Land
mitgebracht, wären die Araber noch länger auf die Kopisten von Handschriften
angewiesen gewesen.
Auch am Mißtrauen den Schriftstellern gegenüber hat sich
kaum etwas geändert, denn einzig und allein Gott ist Schöpfer und die
Menschen haben keine andere Wahl, als sich ihm in jeder Hinsicht
unterzuordnen. Bei zunehmendem Zusammenschrumpfen der Mittelklasse in der
gesamten arabischen Welt wird das Buch, das ein Hauptmedium der bürgerlichen
Klasse sein sollte, unweigerlich in Mitleidenschaft gezogen. Der nahtlose
Übergang von einer diffusen, beduinisch-nomadischen Gesellschaft mit einem
verheerenden Analphabetenanteil von sechzig bis siebzig Prozent zum
Zeitalter des Satellitenfernsehens verpaßte lern Buch den Gnadenstoß. Hinzu
kommt, laß bei einem durchschnittlichen Einkommen von umgerechnet fünfzig
Euro im Monat und einem Durchschnittspreis von drei Euro etwa in Ägypten,
dem Land, in dem nach wie vor die meisten Bücher verfaßt werden, Bücher
Luxusware sind.
Das Buch war selten ein so wertvoller Leitgenosse, wie es
sich al-Mutanabbi in der Blütezeit der arabischen Kultur wünschte, und man
muß befürchten, daß sich dies auch in naher Zukunft trotz aller
gegenteiligen Behauptungen nicht ändern wird.
Al-Jazeera:
Die
Frankfurter Buchmesse im arabischen Diskurs
Die arabische Welt ist Gastregion der diesjährigen Frankfurter
Buchmesse. In den arabischen Medien steht die Bedeutung der Messe als Forum
eines Dialogs mit den Westen im Vordergrund der Berichte und Kommentare...
Internationale Kulturstiftung Sivan Perwer:
Offener Brief an
die Direktion der Frankfurter Buchmesse
Für 2004 haben Sie die Arabische Literatur als
Schwerpunkt ausgewählt, deren Autorinnen und Autoren ausschließlich von der
politisch fundierten Arabischen Liga bestimmt werden. Dieses
"Pauschalarrangement" verwundert und gibt inzwischen international Anlaß zur
Kritik...
hagalil.com
07-09-2004 |