Machtkampf in Gaza:
Arafats Ansehen schwindet in eigenen Reihen
von Bettina Marx, ARD- Hörfunkkorrespondentin, Tel Aviv
http://www.tagesschau.de
Es ist ein bitterer Machtkampf, der derzeit den Gazastreifen und die
palästinensische Autonomiebehörde in Ramallah erschüttert. Ein Machtkampf
zwischen verschiedenen Fraktionen der Fatach-Bewegung von Präsident Yassir
Arafat.
Es ist ein Generationenkonflikt zwischen der alten Führung um Arafat, die
nach dem Beginn des Oslo-Friedensprozesses aus dem tunesischen Exil in die
palästinensischen Gebiete gekommen ist und jungen aufstrebenden Politikern,
die aus der ortsansässigen Bevölkerung selbst erwachsen sind.
Dahlan ist erbitterter Widersacher Arafats
Für sie steht Muhammad Dahlan, der starke Mann von Gaza. Er stammt aus dem
Flüchtlingslager Khan Yunis im südlichen Gazastreifen, war früher der Chef
der präventiven Sicherheitskräfte und wurde dann trotz des heftigen
Widerstands von Arafat Innenminister in der Regierung Mahmoud Abbas. Als
Abbas vor einem Jahr zurücktrat, schien auch die politische Karriere von
Muhammad Dahlan zunächst zu Ende.
Doch erst kürzlich kehrte er von einem Studienaufenthalt im Ausland zurück
und meldete auch schon bald wieder seinen Führungsanspruch an. Nach Meinung
vieler Beobachter steht er zumindest indirekt hinter den Entführungen vom
letzten Freitag, die die Krise ausgelöst haben. Er gilt als einer der
bittersten Widersacher Arafats und er verleiht den Unzufriedenen in der
palästinensischen Gesellschaft eine Stimme.
Korruption und Stillstand lösen Unzufriedenheit aus
Die Unzufriedenheit aber greift immer mehr um sich. Sie richtet sich gegen
die weit verbreitete Korruption in der palästinensischen Führung, gegen die
Vetternwirtschaft Arafats, der trotz massivem internationalem Druck nicht
bereit ist, die Autonomiebehörde durchgreifend zu reformieren, gegen die
fehlende Transparenz und den Stillstand in der palästinensischen Politik.
Im Gazastreifen verschlechtert sich nicht nur die wirtschaftliche Situation
immer mehr. Auch die Sicherheitslage wird immer unübersichtlicher. Und
darunter leidet nicht zuletzt die Zivilbevölkerung, auf deren Rücken die
Kämpfe zwischen bewaffneten Palästinensern und israelischen Soldaten
ausgetragen wird. Zum Beispiel in der Ortschaft Hanoun im nördlichen
Gazastreifen. Israelische Truppen dringen immer wieder in die Kleinstadt
ein, um zu verhindern, dass von hier aus Kleinraketen auf israelische Städte
und Siedlungen abgefeuert werden. Dabei zerstören sie regelmäßig Wohnhäuser
und Gewächshäuser, Felder und Orangenhaine.
Zorn auf neuen Polizeichef Mussa Arafat
Die von Arafat am Samstag unter dem Druck der eskalierenden Ereignisse im
Gazastreifen verkündete Reform der Sicherheitskräfte wird jedoch nicht als
ausreichend angesehen. Der Zorn der Kritiker richtet sich vor allem gegen
Mussa Arafat, einen Neffen des Präsidenten. Er wurde als neuer Polizeichef
von Gaza eingesetzt. Außerdem ist er für den Geheimdienst zuständig. In Gaza
gilt Mussa Arafat als eine der korruptesten Figuren der palästinensischen
Führung. Er soll in das weit verzweigte Schmuggelwesen zwischen Gaza und
Ägypten verwickelt sein und auch im Immobiliengeschäft kräftig verdient
haben.
In der vergangenen Nacht gingen wütende Anhänger der Fatach-Bewegung auf die
Straßen, um lautstark seine Absetzung zu fordern. Mitglieder einer
Splittergruppe stürmten das Büro des Geheimdienstes in Khan Yunis und
setzten es in Brand. Auch die Sprecher der radikal-islamischen
Organisationen brachten ihren Unwillen über die Personalentscheidung Arafats
zum Ausdruck. Es könne nicht angehen, dass korrupte Männer mit dunkler
Vergangenheit wichtige Schlüsselpositionen in der palästinensischen Politik
einnähmen, erklärte ein Hamas-Sprecher.
Kritik an Arafat auch in palästinensischer Regierung
Doch selbst in der palästinensischen Regierung wächst die Kritik am
Führungsstil Arafats und an der Vetternwirtschaft. Minister Kaddoura Faris
verurteilte im israelischen Radio ganz offen die Korruption. Den Präsidenten
der palästinensischen Autonomiebehörde nahm er von der Kritik jedoch
ausdrücklich aus. Faris sagte: " Yassir Arafat ist das Symbol des
palästinensischen Kampfes. Wenn es morgen Wahlen geben würde, würde er
wieder die Mehrheit bekommen. Er würde gegen jeden anderen Kandidaten
siegen. Das palästinensische Volk will, dass es weiter von Arafat geführt
wird."
Umfrage: Arafat noch immer der beliebteste Politiker
Nach einer Meinungsumfrage, die das Palästinensische Zentrum für Politik und
Meinungsforschung vor wenigen Wochen erhoben hat, ist Arafat mit weitem
Abstand immer noch der beliebteste Politiker in den palästinensischen
Gebieten. Gleichzeitig sprechen sich mehr als 90 Prozent der Bevölkerung für
tiefgreifende Reformen der Autonomiebehörde aus. Aber sein Ansehen
schwindet.Weiterführende Links (http://www.tagesschau.de)
Wegen seiner Bereitschaft zu Zugeständnissen:
Angriff auf
Arafat
Das Interview, das die beiden israelischen Journalisten David Landau und
Akiva Eldar von der Zeitung Haaretz am 15. Juni im belagerten
Hauptquartier in Ramallah mit Präsident Arafat führten, löste unter
zahlreichen arabischen Intellektuellen, Aktivisten der palästinensischen
Nationalbewegung und in den Führungen der meisten Widerstandsgruppen
Missbilligung und Vorbehalte aus...
Unterwegs nach Al-Kuds:
Meldungen über den Tod
Arafats waren verfrüht
Ein Bericht des Außenministeriums, der
gestern im Radio veröffentlicht wurde, löste eine Gerüchtewelle über den
Tod von Jasser Arafat aus...
Larsen zu Arafat:
Die "Flitterwochen" sind vorbei
In Jedioth berichten Roni Shaked und Itamar Eichner
Während man sich in Israel Sorgen um die "Zeit nach Arafat" macht,
wurde Tarje Larsen, der für seine guten Beziehungen bekannte
UN-Beauftragte im Nahen Osten, von der PA zur "Persona non grata"
erklärt...
hagalil.com
18-07-2004 |