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Eindringliche Lehrstunde
Worte versagen,
das Grauen zu schildern

Von Gabriele Krüper

 

Nümbrecht - Rachel Grünebaum ist erschöpft. Die 77-Jährige hat wieder einige furchtbare Nächte verbracht, denn sie wusste, sie würde wieder reden, vor Schülern in Bielstein und gestern in Nümbrecht - reden über ihre Erlebnisse in Auschwitz, über die Zwangsarbeit bei Krupp in Essen 1944/45, wo sie auf dem Weg in die Fabrik von Jugendlichen beschimpft und mit Steinen beworfen wurde - Jugendlichen, die so alt waren wie ihre heutigen Zuhörer. Oder über Bergen-Belsen, wo sie, nur noch 25 Kilo schwer, am 15. April 1945 von den Engländern befreit wurde.

"Ich will reden", sagte Grünebaum gestern vor den drei 10er-Klassen des Gymnasiums, "weil ich es schlimm finde, im Fernsehen all die Beiträge über den Rechtsextremismus zu sehen." Weil es Leute gibt, die nicht glauben, was damals war. Rachel Grünebaum weiß, wie es damals war.

Elisabeth Schnitzler war 19, als die Deutschen ihr Dorf Sighet in Siebenbürgen besetzten und die Juden in einem Ghetto zusammen pferchten. Dann sollten sie weggebracht werden "zur Arbeit". Zwei Tage und drei Nächte fuhren sie in Viehwaggons nach Auschwitz. Es gab einen Eimer für die Notdurft und einen Eimer mit Wasser - für 90 Menschen. Was an weiteren unvorstellbaren Qualen und Entwürdigungen noch auf sie wartete, ahnten sie nicht.

Auschwitz, Selektion gleich am Gleis: Nach links gingen die Mutter, die Schwester mit ihren Kindern, die Tante. 25 Verwandte hat Rachel Grünebaum nie wieder gesehen. Sie kam nach rechts. "Sie haben uns immer getrieben, wie Vieh", sagt sie den Schülern.

Der Geruch fiel ihr sofort auf. Als man ihr bereits die Kopfhaare, die Achsel- und die Schamhaare wegrasiert hatte, erfuhr sie von einer Frau auf ihre Frage, wo denn die anderen von der linken Seite wären: "Guck da raus, da ist der Kamin und der Rauch, die brennen da jetzt." Die Frau ist irre, dachte Rachel Grünebaum, die sind doch hier alle verrückt.

Elf Monate hatte sie eine Unterhose, ein graues Kleid, eine Decke. Kaum Zeit für die Körperwäsche, geschweige denn Kleidung, Prügel an den Latrinen. Neun Frauen lagen auf einer 1,5 x 1,5 Meter großen Koje, übereinander. Schmutz, Scham, Hunger, Gestank, Angst. Wer schlapp war oder Pickel hatte, wurde aussortiert. Für neun Personen ein Topf mit Flüssigkeit zum Essen, und jeder passte auf, dass der andere nicht zu viel nahm. "Das kann man nicht beschreiben", sagt Rachel Grünebaum, "sie haben uns unser Menschsein genommen."

Schulleiter Dr. Günther Schäfer hatte zu Beginn Elisabeth Rachel Grünebaum, die eventuell wieder nach Israel will, vorgestellt. "Wir möchten, dass ihr erfahrt, was gewesen ist; wir möchten euch immun machen gegen den Rechtsradikalismus, dass ihr aktiv werdet", sagte er im Namen der drei Geschichtslehrer, die die Schüler auf das Thema vorbereitet hatten.

Rachel Grünebaums eigene Kinder haben viele Jahre nichts über ihre schrecklichen Erlebnisse erfahren. Sie konnte nicht. Nachts kamen die Alpträume, kommen noch. "Unheimliche, dunkle Gestalten kriechen durch meine Träume. Ich habe solche Angst vor ihnen, dass ich nicht einschlafen kann", hat sie letztes Jahr dem Magazin "stern" geschildert.

Sie zwingt sich jetzt, jungen Menschen zu berichten. "Ich wache nachts nass geschwitzt auf und stelle dann fest, ich bin gar nicht im Lager", antwortet sie auf die Frage eines Schülers. "Man wird nie damit fertig", sagt sie; es ist eine lebenslange Qual.

Nach mehreren Wochen in Auschwitz wurden die kräftigeren Mädchen nach Deutschland zur Zwangsarbeit verfrachtet. Rachel Grünebaum wurde für Krupp aussortiert. Am Hochofen musste sie Scheibenfedern herstellen. Männerarbeit bei 1200 Grad, 12 Stunden lang, die Augenbrauen waren versengt, die Augen brannten, Rückenschmerzen zum Umfallen.

Der Aufpasser holte gern mit der Peitsche aus, so zum Spaß, schreibt sie im "stern". Es gab "keine Hoffnung, keine Angst, nichts hab ich gefühlt. Nur Hunger. Wie ein Tier." Zwei Vorarbeiter steckten ihr heimlich ein Stückchen Seife zu, ein Stück Brot. Da hat Rachel Grünebaum beschlossen, nie wieder Menschen pauschal zu verurteilen.

Brot schneidet sie immer nur daumendick. Damals konnte man durch das Brot hindurch gucken. Nach der Befreiung hat sie zwei Jahre bei ihrer Schwester in Temeswar (Rumänien) gelebt. "Morgens", erzählt sie den Schülern, "war immer Brot unter meinem Kopfkissen." Zwei Jahre war sie wie irre.

Als die Engländer näher rückten, wurden die Häftlinge wieder verfrachtet. Über Buchenwald nach Bergen-Belsen bei Celle. Dieselbe Tortur. Sie liegen zusammengepfercht auf blankem Boden, einmal am Tag eine dünne Suppe. Weil es kein Wasser gab, tranken sie das Wasser aus der Latrine. Immer mehr starben an Typhus. Auch Rachel Grünebaum hatte Typhus. Wer noch gehen konnte, musste die Toten auftürmen, oben drauf kam Kalk. Dann mussten sie die Toten in Gräben verstecken. "Am Arm oder Bein habe ich eine Schnur fest gemacht, habe sie bis zum Graben geschleift, reingerollt", schreibt sie. "Man ist kein Mensch dabei, man fühlt nichts."

Die 20-Jährige war selbst nur noch ein Nichts: 25 Kilo, als die Engländer 15. April 1945 kamen. Man hat sie gewaschen, in ein Krankenhaus gebracht, sie konnte nicht mehr gehen. "Wir waren so runter, wir konnten nicht mehr denken", sagt sie den Schülern.

Ob sie Hass empfindet, warum sie in Deutschland lebt, ob sie nochmal in Auschwitz oder bei Krupp war, was sie träumt, ob sie am Glauben zweifelt, fragen die Schüler - und vieles mehr. Sie war 1947 nach Palästina ausgewandert. Hat dort ihren späteren Mann kennen gelernt, der zwei Jahre in Buchenwald und Dachau war. Er wollte zurück. Sie ging mit ihm nach Köln.

"Ich verallgemeinere nicht", sagt sie zum Thema Hass. Sie hat viele gute Freunde in Nümbrecht, wo sie seit sieben Jahren in der Nähe von Tochter und Enkeln lebt. Ihr Mann ist vor eineinhalb Jahren gestorben. Im "stern" schreibt sie: "Er hat einfach zu viel gelitten. Wollte immer nur im Dunkeln sein, im Keller. Als er gestorben ist, habe ich erst mal überall helle Glühbirnen reingedreht."

Ja, sie hat am Glauben gezweifelt. "Wie kann man so etwas zulassen", hat sie sich gefragt, "Kinder zu vergasen?" Ja, sie war in Auschwitz, die Baracke 9 steht noch. Ihr Sohn, Medizin-Professor in New York, hat alles gefilmt. Er hat sie ermutigt zu reden. Sie war bei Krupp, man hat sie nicht hinein gelassen.

Nach der Veröffentlichung haben viele Leute geschrieben, lauter positive Briefe. Von der Industrie kein Wort. Sie sei wütend, hatte sie dem "stern" gesagt, dass die Herren immer noch feilschen. "Das war Sklavenarbeit. Man hat uns alles, alles genommen. Sogar die Haare."

haGalil onLine 06-03-2001

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