taz: Herr Huldai, empfinden Sie ihre
Stadt als schön?
Ron Huldai: Schauen Sie auf diese
Stadt. Man kann sie nicht mit den europäischen Städten vergleichen. Tel Aviv ist
erst 90 Jahre jung und sieht bereits so alt aus. Aber sie sieht wegen der
niedrigen Standards so alt aus.
Frustriert so etwas einen
Bürgermeister nicht?
Um zu verstehen, warum unsere Städte in
Israel so aussehen, wie sie aussehen, muss man den Prozess ihrer Entstehung
begreifen. Das war kein normaler Prozess. Deshalb findet man bei uns eine sehr
enge Straße direkt neben einer sehr breiten Straße. Wir haben viele
Sicherheitsprobleme, wir haben Probleme, wenn es zu einer Notfallsituation
kommt. Man läuft durch die Straßen und wundert sich: Warum sieht das hier so
hässlich aus? Haben diese Leute hier denn keine ästhetischen Kriterien? Wie
haben sie das nur gemacht, dass das so aussieht?
Die Stadt wurde unter Druck in
Krisenzeiten gebaut. Unter dem Druck, so viele Leute in so kurzer Zeit
aufzunehmen und ihnen ein Obdach zu geben. Und wenn man unter Druck baut, macht
man keine Pläne. Wenn man siedeln will, baut man einfach. Man hat ein Problem
und man löst es. Wir haben nicht daran gedacht, Flächen für Parks zu
reservieren.
Für die Entstehungszeit von Tel Aviv
leuchtet das unmittelbar ein. Tel Aviv war eine Stadt der Heimatsuchenden und
der Flüchtlinge vor dem Holocaust. Aber warum wurde nicht längst schon
umgesteuert?
Die beschriebene Entwicklung ist noch
nicht abgeschlossen. Wir haben keine kleine Wachstumsrate, sondern im Gegenteil
eine der höchsten Wachstumsraten. Noch immer reichen unsere Straßen nicht für
den Verkehr, den wachsenden Verkehr, aus. Unsere Städte waren sehr schnell
überfüllt. Und sie sind es noch immer. Unsere Infrastruktur ist noch immer
unzureichend und wir waren nicht in der Situation, über die Jahre hinweg zu
investieren. Wir müssen mit dem ständigen Wachstum mithalten.
Noch immer kommen viele Juden nach Israel
und Tel Aviv. Diesmal sind es die russischen Juden, die kommen. Sie machen einen
wachsenden Teil der Bevölkerung aus. Und sie bringen wieder neue Formen und neue
Bedürfnisse mit.
Das Problem haben auch andere Städte.
Ist angesichts dieser Situation und des weiteren Wachstums von Tel Aviv die
Diskussion einer nachhaltigen Entwicklung kein Thema?
Sicher, bei uns wie in allen Städten. Wir
arbeiten mit zwei Architekten aus München, Experten in nachhaltiger Stadtplanung
zusammen. Die beiden haben einige Projekte in Deutschland durchgeführt und wir
nutzen ihre Erfahrungen, um für ganz Tel Aviv ein Projekt nachhaltige
Stadtentwicklung durchzuführen. Als Erstes wird jetzt in der Gegend einer
früheren Müllhalde ein Grünzug entstehen, der beispielhaft sein soll.
Die Konferenz von Rio war nicht erst
gestern. Warum fängt Tel Aviv jetzt erst an, sich an die nachhaltige Entwicklung
anzunähern?
In unserem Land entsteht erst langsam das
Bewusstsein über die Probleme, die unsere Städte haben. Noch ist das
Problembewusstsein nicht allzu groß, da andere Probleme vordringlicher schienen.
Deshalb sind wir in einer anderen Phase der Entwicklung, und das Wissen ist noch
nicht so groß. Das liegt aber auch daran, dass die Zeit, in der wir zu der
Problemerkenntnis kommen mussten, sehr viel kürzer ist als in anderen Regionen
der Welt.
Und sehen Sie jetzt die Chance,
umzusteuern?
Das ist natürlich eine Frage des Budgets
und eine Frage, wie sich die öffentliche Meinung darstellt. Wir sind kein
reiches Land. Tel Aviv ist sicher das Zentrum des Landes in jeder Hinsicht,
ökonomisch und gesellschaftlich. Trotzdem wird es dauern, etwas zu verändern.
INTERVIEW BARBARA JUNGE
taz Nr. 6182 vom 3.7.2000
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14-07-2000 |