Vermutlich hat in der
Nacht der Nächte kein einziger der christlichen Pilger aus aller Welt, die
auf dem Ölberg der Ankunft des Messias harrten, den Moderator gehört. Schon
am frühen Nachmittag waren gläubige Christen aus Frankreich und Mexiko, aus
den USA und Venezuela, Großbritannien und Deutschland staugeprüft zum Ölberg
im Osten Jerusalems gefahren, um nur ja nicht den Moment zu verpassen, an
dem der Messias, auf einem weißen Esel reitend, den Ölberg hinabsteigt. Doch
vergeblich, auch wenn kurzfristig Hoffnung aufkeimte, weil da plötzlich ein
Mann auftauchte, der behauptete, von Gott geschickt zu sein. Doch als er
anfing, sich seiner Kleider zu entledigen, mussten ihn Polizisten
festnehmen. Er war, ganz offensichtlich, nicht bei Sinnen. Auch das
zugemauerte Goldene Tor, durch das nach alter Überlieferung der Messias
treten soll, bewegte sich keinen Millimeter. Und der Nachrichtenlage
entsprechend sendete der israelische Rundfunk das dortselbst allseits
bekannte Lied: "Der Messias
kommt nicht – und er ruft auch nicht an".
Auch die Schlacht von
Armageddon lässt weiter auf sich warten. Die endgültige Entscheidung
zwischen Gut und Böse im nordisraelischen Megido steht noch aus. Es gab
schlichtweg nicht das von so vielen erwartete "gewaltige Erdbeben, wie noch
keines gewesen war" – Hunderte von Campingtouristen, die schon vor zwei
Tagen ihre Zelte aufgeschlagen hatten, zogen unverrichteter Dinge wieder ab.
Sehr zur Freude der Archäologen, die um ihre jahrtausendalten
Ausgrabungsschätze fürchteten.
In der Nacht zum 1.
Januar 2000 zeigte sich Israel von seiner freundlichen Seite. Die
500.000 muslimischen Pilger, die am Nachmittag des 31. Dezember
die Jerusalemer Al-Aksa-Moschee aufgesucht hatten, gingen ebenso friedlich
nach Hause, wie sie gekommen waren. Die israelischen Geldautomaten wurden
zwar doppelt so oft frequentiert wie üblich, aber die Bankangestellten
fütterten die Maschinen anstandslos zweimal an diesem besonderen Tag. Und
obwohl 20.000 Polizisten landesweit im Einsatz waren, um eventuelle
Endzeitkult-Anhänger vor dem Massenselbstmord zu bewahren, konnten die
israelischen Medien bis zum frühen Morgen nur "Business as usual" vermelden.
Die besonders von ausländischen Medien angefachte Millenniums-Hysterie, von
der das Heilige Land ergriffen werden sollte, fand einfach nicht statt.
Stattdessen verfiel die
Hauptstadt Jerusalem in Tiefschlaf, schließlich war Freitagabend und damit
bereits Shabath. Nur in Tel Aviv, der israelischen Spaßmetropole, ging gar
nichts mehr bis zum frühen Morgen: Im Radio wurde vor "Mega-Staus" gewarnt,
und alle Clubs feierten bis zu den ersten Sonnenstrahlen die magische Zahl
2000.