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Hommage an das "Freie Jüdische Lehrhaus":
Lebenslanges Lernen

Bücher über Judentum bzw. jüdische Einrichtungen in Mitteleuropa vor der Schoa haften stets Wehmut und Pathos an. Vorbei und vergangen ist diese Hochblüte des jüdischen Europa und trotz der Bemühungen von Ronald S. Lauder und George Soros, die etliche Millionen ihres jeweiligen Vermögens in den Wiederaufbau mittel- und osteuropäischer jüdischer Gemeinden investieren, wird es auch keine Wiederbelebung geben.

Das Herausgeber-Duo Evelyn Adunka, Historikerin und Publizistin in Wien, und Albert Brandstätter, evangelischer Theologe und Leiter der Evangelischen Akademie in Wien, hat sich höchst erfolgreich der Aufgabe gestellt, dem Freien Jüdischen Lehrhaus in Frankfurt am Main (1920-1927) ein Andenken zu widmen, und zugleich die Idee des reformerischen jüdischen Lehrhauses als Modell des lebensbegleitenden Lernens aufzugreifen und in den Kontext des 21. Jahrhunderts zu stellen, das eine immer raschere Anpassung und Veränderung eines jeden Einzelnen über sein gesamtes Leben hindurch - lebensbegleitendes Lernen, eben - erfordern wird.

Mit dem vom aus einer assimilierten deutsch-jüdischen Familie stammenden Philosophen Franz Rosenzweig 1920 gegründeten Freien Jüdischen Lehrhaus gelang für einige Jahre (bis 1927) eine Symbiose widersprüchlicher Identitäten und Charakteristika. Da ist zunächst der Einfluss des orthodoxen Rabbiners Nehemia A. Nobel, der die, wie Evelyn Adunka in ihrer Einleitung schreibt, "neoorthodoxe Tradition der Verbindung zwischen Tora und Derech Erez (wörtlich: der Weg des Landes, also die säkulare Kultur)" verkörperte. Den umgekehrte Weg beschreibt der assimilierte und beinahe getaufte (1913) Rosenzweig in seiner Eröffnungsrede selbst: "Ein Lernen nicht mehr aus der Tora ins Leben hinein, sondern umgekehrt aus dem Leben, aus einer Welt, die vom Gesetz nichts mehr weiß, oder sich nichts wissen macht, zurück in die Tora". Damit war ein dialektischer Prozess geradezu zwangsläufig gegeben, ein Prozess übrigens, der auch die Grenzen von Lehrenden und Lernenden aufhob und einen Austausch ermöglichte (bzw. ermöglichen sollte).

Bis heute bleibt das Anliegen des Lehrhauses - laut Rosenzweig "ein modernisiertes Beth HaMidrasch" - revolutionär, die Gegensätze zwischen den verschiedenen Strömungen des Judentums zu überwinden, und sich zugleich der nichtjüdischen Welt zu öffnen. Von der Organisationsstruktur her verstand Rosenzweig "sein" Lehrhaus, dessen Leitung er 1923 krankheitsbedingt an den Kasseler Kunsthistoriker Rudolf Hallo übertrug, als basis-demokratisch. Keine Institution und kein Mäzen sollte sich in die Inhalte einmischen dürfen, entscheidend für das Programm sollte einzig der Widerhall unter den Teilnehmern sein. Die Teilnahmegebühren waren einer sozialen Staffelung unterworfen, sodass ärmere Menschen sich die Teilnahme am Angebot des Lehrhauses leisten konnten, und das Lehrhaus für möglichst viele Menschen zugänglich war.

Das Lehrhaus unterschied sich von den akademischen Wissenschaften durch seine prinzipielle Offenheit allen Interessierten gegenüber - ohne Standesdünkel, Numerus Clausus oder sonstigen elitären Zugangsbeschränkungen. Die Vernetzung mit vielen anderen jüdischen Institutionen und Organisationen diente ebenfalls dem Zweck, deren Mitglieder in das Lehrhaus zu "locken". Diese und viele andere Anleitungen, wie ein Lehrhaus zu führen wäre, gab Rosenzweig seinem Kurzzeit-Nachfolger Rudolf Hallo in einem 40 Seiten langen Brief vom Dezember 1922. Der erstmalig ungekürzte Abdruck dieses Briefes ist ein großes Verdienst der Herausgeber und von Rudolf Hallos Sohn William W. Hallo.

Der ausführliche Brief ist zugleich ein Resümee Rosenzweigs über die dreijährige Aktivität als Leiter des Lehrhauses, über einige Lehrhaus-Dozenten wusste Rosenzweig äußerst Despektierliches zu sagen - Details sollen hier nicht verraten werden. Allen in welcher Funktion auch immer tätigen Pädagogen, Lehrenden und Lernenden - und, nicht zu vergessen, Unterrichts- und Wissenschaftsministern, auch wenn sie mit dem Judentum nichts am Hut haben - sei dieser Brief an dieser Stelle wärmstens empfohlen. Der Brief zeugt von einer geradezu bewundernswerten Verbindung Rosenzweigs von vermeintlichen Belanglosigkeiten des Alltags mit der Realisierung seines Lehrhaus-Ideals. Der Ordnung und der Aktualität virtueller Realität halber sei hier auch angeführt, dass das Lehrhaus als "Haus" nicht existierte. Die Veranstaltungen fanden in jeweils angemieteten oder von anderen Institutionen zur Verfügung gestellten Räumen statt.

Als Dozenten wirkten u.a. Martin Buber (einige seiner Kurstitel: "Religion als Gegenwart, Besprechung chassidischer Texte, Urformen religiösen Lebens, Judentum und Christentum etc.), der bereits erwähnte Rabbiner Nehemia A. Nobel, Siegfried Kracauer, Bertha Pappenheim, Benno Elkan, Schmuel Josef Agnon sowie die Rabbiner Leo Baeck, Benno Jacob, Cäsar Seligmann, Georg Salzberger, Max Dienemann und Salman Baruch Rabinkow, weiters Gershom Scholem, Ernst Simon, Margarete Susman, Nathan Birnbaun, Nahum N. Glatzer, Erich Fromm und Leo Löwenthal.

Beim Programm nahm der von Rosenzweig anfangs selbst gehaltene Hebräisch-Unterricht eine zentrale Rolle ein. Rosenzweigs "Grundsatz": "Es gibt nur eine Sprache. In jeder Sprache sind potenziell - und sei es in Dialekten und in der Kindersprache - alle anderen Sprachen der Menschheit enthalten" - ein Gedanke, den der Linguist und Bürgerrechtsaktivist Noam Chomsky in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts (wieder) aufgegriffen hat.

Weitere Beiträge im Sammelband: Hermann Levin Goldschmidt über "Das Erbe des deutschen Judentums und das (vom Autor während dieser Zeit geleitete) Jüdische Lehrhaus Zürich 1951-1961", Wolfgang Müller-Commichau über "Lehren und Lernen im Zwischen. Jüdische Erwachsenenbildung in Deutschland heute", Michael Volkmann über "Ernst Simon als Erwachsenenbildner in Deutschland und Palästina/Israel", Kalman Yaron über "Das Martin Buber-Institut und das Seminar für Volkslehrer" sowie Willi Goetschel über "Universität, Partikularität und das jüdische Lehrhaus" und der Wiener Oberrabbiner Paul Chaim Eisenberg über "Lernen im traditionellen Judentum".

Bestellen? Evelyn Adunka und Albert
Brandstätter (Hg.)
Das Jüdische Lehrhaus als
Modell lebensbegleitenden Lernens
Passagen Verlag, 190 Seiten,
ISBN 3-81565-391-2

Anton Legerer, Jr. / haGalil onLine 10-01-2000

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