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'Jud Süß' in
Stuttgart:
Fleisches Lust und Fleisches Folter
Von Joachim Auch [ARTIKEL]
Wo bleibt der Charakter? "Jud
Süß" von Klaus Pohl in Stuttgart uraufgeführt
Klaus Pohl lebt in New York und
schreibt über Stuttgart. Zum Beispiel über Otomo, einen Asylbewerber, der
nach einer Fahrscheinkontrolle zwei Polizisten erstochen hat, bevor er
selbst niedergeschossen wurde. Eine Tat ohne Motiv, sagt die Polizei. In dem
Kinofilm nach Klaus Pohls Drehbuch hingegen wimmelt es nur so von Motiven
und Otomo, der Schwarze, hat plötzlich ein Gesicht, eine Geschichte, einen
Charakter.
Fürs Staatstheater hat Pohl jetzt
eine andere unrühmliche Stuttgarter Geschichte aufgegriffen: Die des Juden
Joseph Süß-Oppenheimer, der dem württembergischen Herzog auf geradezu
geniale Weise half, das Land auszupressen. Nach dem überraschenden Tod des
Herrschers wurde der kurz Jud Süß genannte Oppenheimer nach einem
Schauprozess hingerichtet. Erst jetzt, rund 300 Jahre nach dem
Justizskandal, hat die Stadt einen Platz nach dem geheimen Finanzrat
benannt: Den Hinterhof eines Kaufhauses.
Draußen in der Welt aber wurde Jud
Süß berühmt: Wilhelm Hauff und Lion Feuchtwanger nahmen sich des Stoffes an,
bevor er 1940 durch Veit Harlans Nazi-Propaganda-Film weltweit berüchtigt
wurde.
Klaus Pohl, der mit Stücken wie
"Karate-Billi kehrt zurück" und dramatisierten Zeitungsreportagen
("Wartesaal Deutschland") den Ruf eines Spezialisten fürs Hier und Heute
erworben hat, geht zwar mit "Jud Süß" unter die Historiker. Aber wie bei
Otomo steht ein Fremder im Mittelpunkt. Und wieder stecken Tatsachen den
Rahmen des Theaters ab: Klaus Pohl ist dann der Mann für die Motive.
Sein Jud Süß, gespielt von Samuel
Weiss, hat äußerlich so gar nichts Fremdes. Er ist ein junger Börsianer aus
der heutigen Get-rich-quickly-Generation. Bossig, überheblich, übermütig.
Ein Self-made-Man, der heuert und feuert, wie's ihm gerade gefällt. Ein
Hütchenspieler um Geld, Macht und Frauen. Süß ist, mit Verlaub, ein
Kotzbröcklein. Aber kein Unmensch.
Zumal Süß in Liebesdingen großzügig
ist. Ein einladend geräumiges Lotterbett hat Katja Haß dem Regisseur Stephan
Kimmig weit hineinragend ins Publikum gebaut. Dort liebt Süß und lässt
lieben. Das Bett ist das zentrale Symbol. Im Bett wird gezeugt und
gestorben, intrigiert und politisiert, es ist der Ort höchster fleischlicher
Lust und, nach der Pause, höchster fleischlicher Folter. Wegen seiner
sexuellen Freizügigkeit wird Süß denn auch der Prozess gemacht. Nicht wegen
seines Glaubens.
Aber ist es wirklich nur Sexualneid
der Schwaben, der den Jud Süß an den Galgen brachte? Diesmal greift Pohl
wohl zu kurz. Nicht wegen der Schwaben, sondern deshalb, weil er dem Süß ja
weiterhin jene Charakterzüge und Motive unterlegt, die das Klischee den
Juden seit Jahrhunderten anhängt: nämlich geldgierig und sexuell freizügig
zu sein. Entsprechend verhalten, vermischt mit ein paar Buhs für den Autor,
fiel denn auch der Beifall des Publikums aus.
Nächste Aufführungen: 12., 15. 12.,
1. 1. 2000;
Karten: (0711) 20 20 90
Der
historische Joseph Oppenheimer
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