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Der Antisemitismus in Ungarn. Nur Polit - Folklore?[1]

Von Magdalena Marsovszky

Da dem Hass erfüllten ungarischen Kulturkampf ein massiver Antisemitismus zugrunde liegt, der jedes Mal wächst, wenn eine konservative Koalition das Land regiert, muss ihm in dieser Arbeit auch breiter Raum gewährt werden.[2]

In einen historischen Kontext gestellt kann das äußerst komplizierte Gefüge des Antisemitismus von der Jahrhundertwende bis heute abgeleitet werden.

Im halbfeudalen Agrarland Ungarn wurden zur Zeit der Monarchie die traditionell schreibkundigen Juden als Modernisierer gebraucht, so dass die Modernisierung zur gemeinsamen Aufgabe von Juden und Ungarn wurde. Die Juden wiederum teilten das Nationalismusbestreben der Ungarn gegen die Monarchie und assimilierten sich gerne, da ihnen die Assimilation eine Art Gleichberechtigung bot und ihr Anderssein, besonders in den Städten, weniger auffiel. So wurde die Assimilation der Juden und deren Teilnahme an der Modernisierung nirgends in Europa so vorangetrieben wie in Ungarn.

Nach dem Ersten Weltkrieg änderte sich diese Situation. Wichtigster Meilenstein, und für die kulturelle Entwicklung des Landes bis zum heutigen Tag von grundlegender Bedeutung ist der erwähnte Friedensvertrag von Trianon. Seit dieser Zeit wurde die wichtigste Frage der Politik, der Kultur und des alltäglichen Lebens die Wiederherstellung des 'status quo ante Trianon', die Revision der Grenzen von 1914. Auch der ungarische Faschismus war bis zuletzt von der Ideologie des Revanchismus geleitet.

Da der Friedensvertrag von Trianon die Quelle einer allgemeinen Verstörung wurde, nahm auch die irrationale Angst vor dem 'Tode der Nation' riesige Ausmasse an. Es entwickelte sich eine Konzeption, in der die "reinrassige" Kultur der Ungarn durch die Juden als gefährdet betrachtet wurde. Wegen der Teilnahme von vielen Juden an der Revolution 1918/19 hat sich auch der Begriff 'Judeobolschewik' in die konservative Denkweise eingeschlichen. Nach dem Zerfall der Monarchie verschwand der liberale, eher tolerante Nationalismus, und an seine Stelle trat ein radikaler und autoritärer, aus Antisemitismus, Nationalismus, Revanchismus und aggressiver Christlichkeit bestehender Konservativismus. Das Bild des Nationalstaates wurde von der Konzeption des Volksnationalen abgelöst, die den authentischen, ungarischen Charakter betonte. Gleichzeitig wurde der Liberalismus als etwas Fremdes und Ursache allen Übels abgelehnt, die Konzeption des ethnischen Nationalismus aufgestellt und der aufgrund einer geographischen Eigenständigkeit entstandene und aus der spezifischen Geschichte des Landes stammende, im Volk immanente spezifische Charakter betont. Zwischen den volksnationalen Konservativen und den westlich orientierten 'Modernisierern' (bei denen ja traditionell viele Juden zu finden waren) entwickelte sich bis in die 30er Jahre der bereits erwähnte 'Streit zwischen Volksnationalen und Urbanen', an dem vor allem Literaten teilnahmen. Die 'Urbanen' vertraten die Prinzipien der westlichen Demokratien und des Kosmopolitismus, Prinzipien also, die jüdischen Vorstellungen ähnlich sind. Man kann sie als intellektuell und nach den europäischen Strömungen ausgerichtet bezeichnen, sie waren eher zu Abstraktionen geneigt und am Individuum interessiert. Besonders viele Juden mit bürgerlicher Bildung gehörten in diese Gruppe.

Intellektuell konnte der Streit jedoch nicht ausgetragen werden. Erstens kam der Zweite Weltkrieg dazwischen, zweitens die realsozialistische Diktatur, in der der gemeinsame Hass auf die fremden Besatzer die Literaten in eine - wenn auch oberflächliche - Einheit, in eine gemeinsame Opposition zwang. Nach dem Holocaust waren zwar im realsozialistischen Ungarn sowohl der Nationalismus als auch der Antisemitismus offiziell verpönt, so dass weder über den Antisemitismus noch über die Schuldfrage gesprochen wurde, doch in der realsozialistischen Ideologie lebte der Antisemitismus als Antikapitalismus weiter, die Kontinuität blieb also erhalten.

So brach der Streit nach 1989, nachdem der gemeinsame Feind, die Sowjetunion nicht mehr existierte, mit elementarer Kraft wieder auf.

Da der neue ungarische Konservatismus unterentwickelt war, nährte er sich zu einem großen Teil von den Wertvorstellungen der dreißiger Jahre, was den Aufschwung volksnationaler Ideen begünstigte und den damals zum Wesen des Konservativismus' gehörenden Antisemitismus jetzt wieder aufnahm.

Wesentliches Moment des ungarischen Antisemitismus ist die These von der so genannten "umgekehrten Assimilation", die besagt: Die Ungarn seien in der eigenen Heimat inzwischen in der Minderheit, weil der Versuch der jüdischen Liberalen, die ungarische Nation ihrem Stil und Denken anzugleichen, weit gehend gelungen sei [3].

Der erste, der die These der umgekehrten Assimilation nach der Wende beschrieb, war der Dichter und Schriftsteller Sándor Csoóri, bis 2000 Präsident des Weltverbandes der Ungarn. Sein 1990 veröffentlichter Artikel war der Anfang des Bruches im Kulturverständnis des Landes und der eines trotzigen und verbitterten Schweigens zwischen dem rechten und dem linken Flügel der ungarischen Intellektuellen. Csoóri schrieb 1990: "... Ich müsste mich dafür schämen, dass ich ein Ungar bin. Ich müsste mich schämen, aber nicht weil ich selbst so fühle, /.../ sondern aufgrund von Außen aufgedrängten Einflüssen: "Was bedeutet, ein Ungar zu sein?" - hörte ich die hochnäsige Frage selbst bei gebildeten Akademikern. "Und was bedeutet Patriotismus? Was bedeuten Tränen? Was bedeutet die Hymne? /.../ Es leben viele im Lande /.../, die die ewigen ungarischen Klagelieder satt haben: /.../ Trianon und die anderen Tausend Schläge. /.../ Es ist sonderbar, doch solange man mit dem Ungartum auf natürlicher Weise eins werden konnte - entweder durch Assimilation oder durch geistige Angleichung -, hatten diese vererbten Wehwehchen nicht gestört /.../. Das Judentum hatte z.B. nicht nur die Sprache, sondern auch die in der Sprache verborgenen Schmerzen gelernt. Mit der Räterepublik, mit der Horthy-Ära aber vor allem mit dem Holocaust wurde die Möglichkeit der geistig-seelischen Verschmelzung aufgekündigt. /.../ Heutzutage ist es immer deutlicher zu spüren, dass sich im Lande die Tendenzen einer umgekehrten Assimilation zeigen: Das liberale Prinzipien repräsentierende ungarische Judentum wünscht sich, das Ungartum im Stil und im Geiste zu sich zu assimilieren" [4].

1992 spricht István Csurka, damals noch Vizevorsitzender der rechtskonservativen Partei der MDF (Magyar Demokrata Fórum - Ungarisches Demokratisches Forum) in einem weiteren Grundsatzartikel das erste Mal nach der Wende im Zusammenhang mit dem Antisemitismus bereits mit nazistischem und faschistischem Vokabular vom "Lebensraum" für das ungarische Volk und greift besonders die Juden an, die im Verbund mit der alten Nomenklatur und der internationalen Finanz- und Bankenwelt zu den ewigen Verschwörern gegen das Ungartum gehörten [5].

Dass Juden im eigenen Land schon kurz nach der Wende auch offiziell als Fremde betrachtet werden, beschreibt z.B. Imre Kertész in seinem Buch "Ich-ein anderer". Er schildert einen Vorfall in einer Konferenz der Evangelischen Akademie Tutzing/ bei München "Deutsche und ungarische Intellektuelle im Gespräch" im November 1993: "Eine verstörte Dame empfängt mich mit seltsamen Nachrichten. Von zuständiger ungarischer Seite sei verlautet, man halte die Liste der ungarischen Geladenen für einseitig. Gegen mich wurde vorgebracht, ich schriebe nur über ein einziges Thema (nämlich Auschwitz) und sei somit nicht repräsentativ für das Land (nämlich Ungarn)." [6].

Bis etwa 1996 hatten sich bereits von jedermann entzifferbare antisemitische Codes wie "liberalbolschewik" [7], fest eingebürgert und wurden vom rechten Lager, zwischen 1994 und 1998 in der Opposition, zielgerichtet eingesetzt [8]. Die Stimmung war zwar zwischen 1994 und 1998 weniger explosiv, da damals viele von jener urbanen Intelligenz an der Macht waren, die Sozialisten und die Liberalen [9], die mit dem Problem eindeutig sensibler umzugehen wussten, und zudem stellte den Kultusminister die liberale Partei der SZDSZ. Trotzdem wurde inzwischen die Meinung, dass die Errichtung einer liberalen Demokratie in Ungarn gleichzusetzen sei mit dem Versuch der jüdischen Liberalen, die ungarische Nation ihrem Stil und Denken anzugleichen, fester Bestandteil der Auseinandersetzungen.

Dass vor allem die Liberalen zum denunzierten Kreis der jüdischen Nichtungarn gehören, sprach seit 1989 am deutlichsten der Leiter der Partei der Kleinlandwirte, späterer Landwirtschaftsminister der rechtskonservativen Orbán-Regierung und zeitweiliger Kandidat für das Amt des Präsidenten Ungarns, Dr. Torgyán, unmissverständlich aus. Anlässlich einer Demonstration im März 1996 nannte er vor Hunderttausenden das damals als Koalitionspartner der Sozialisten regierende linksliberale, etwas grün angehauchte Bündnis der Freien Demokraten, in dem besonders viele jüdische Intellektuelle zu finden sind, "liberalbolschewik" und brachte sie in die Nähe von "Ungeziefer", die beim Großputz im Frühjahr "zu vernichten" seien [10]. Er sagte: "Scheinliberale, ekelhaftes Ungeziefer und Aasgeier plagen unsere Heimat. /.../ Während das Ungeziefer dieses von Trianon verstümmelte und aus tausend Wunden blutende Land von Innen zerfressen, zerreißen und zerfetzen die Aasgeier von Außen den edlen Corpus unseres süßen Landes. /.../ Ungarn gehört nicht den Liberalen, sondern den Ungarn. /.../ Schwören Sie mit mir, dass wir das Ungartum verteidigen /und/ das Ungartum wieder zusammenführen. /.../ Der Frühling naht. /.../ Um diese Zeit geht ein Ungar immer an das Vernichten der Ungezieferplage." [11]

"Liberalbolschewik", "liberal" oder auch nur der Begriff "Großputz im Frühjahr" sind seitdem für jedermann geläufige antisemitische Codes in Ungarn.

Der Schriftsteller Mihály Kornis zählt 1996 eine ganze Reihe antisemitischer Codes auf: "Uns ('die nationfeindlichen Kräfte', die 'Urbanen', die 'Liberalbolschewiken', die 'Kosmopoliten', die 'Enkel Aczéls' [12], den 'harten Kern der Judeo-Plutokraten', die 'das Land ausverkaufen', die 'Standesamt-Günstlinge: Schein-Ungarn', 'den harten, in den nationalen Corpus eingedrungenen Kern der internationalen Maffia', die 'infolge einer Wahlkatastrophe die Schlüsselpositionen des wirtschaftlichen und kulturellen Lebens besetzten') müsste man kaltstellen (siehe 'von der Ungezieferplage befreien'), 'hinausfegen', zuerst von der 'Macht-Struktur', und dann ... dann werden wir weitersehen. /.../ Die ganze Art, wie man unter dem Vorwand des Ausdrucks des 'Nationalen' Sündenböcke macht, das in einer leicht decodierbaren Geheimsprache erfolgte 'Kosmo-Politisieren' ist, inmitten von Europa, gewürzt mit Anschlägen auf Synagogen und auf jüdische Friedhöfe, ein Weltskandal."[13]

1997 definiert Imre Kertész, was es nach seiner Meinung heißt, ein Ungar zu sein: "Die an einem Vaterkomplex leidende, sadomasochistisch perverse osteuropäische Kleinstaatenseele kann, wie es scheint, nicht ohne den großen Unterdrücker leben, auf den sie ihr historisches Missgeschick abwälzt, und nicht ohne Sündenbock der Minderheiten, an dem sie all den Hass und all das Ressentiment, das der tagtägliche Frust erzeugt, abreagiert. Wie soll einer, der permanent mit seiner spezifisch ungarischen Identität beschäftigt ist, ohne Antisemitismus zu einer Identität gelangen? Was aber ist das ungarische Spezifikum? Zugespitzt formuliert, lässt es sich nur durch negative Charakteristika bestimmen, deren einfachstes - redet man nicht um die Sache herum - so lautet: Ungarisch ist, was nicht jüdisch ist. Nun gut, was aber ist jüdisch? Das ist doch klar: was nicht ungarisch ist. Jude ist der, über den man in der Mehrzahl reden kann, der ist, wie die Juden im allgemeinen sind, dessen Kennzeichen sich in einem Kompendium zusammenfassen lassen wie die einer nicht allzu komplizierten Tierrasse (dabei denke ich natürlich an ein schädliches Tier, das - schiere Irreführung - ein seidiges Fell hat) usw.; und da "Jude" im Ungarischen zum Schimpfwort geworden ist, macht der als Kollaborateur ehrenhaft ergraute politische Redner und schnell gebackene Ungar einen Bogen um den heißen Brei und benutzt das Wort "Fremder" - doch weiß jedermann, wer gegebenenfalls seiner Rechte beraubt, gebrandmarkt, geplündert und totgeschlagen wird."[14]

Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass im Jahr 1998, nachdem Viktor Orbán und seine rechtskonservative Regierung an die Macht kamen, die bis dahin geleisteten Vorbereitungen für die Frankfurter Buchmesse "überprüft" und die "einseitige Auswahl" der Literaten, die in Frankfurt Ungarn und die ungarische Literatur vertreten sollten, korrigiert und ergänzt wurde [15]. Die Auswahl der Autoren für die Buchmesse sei deshalb "zu einseitig" und "nicht wirklich ungarisch", weil die entsandten Kräfte der Auslandskulturinstitutionen, die in der Anfangsphase die Buchmesse noch im Auftrag der sozialistisch-liberalen Regierungskoalition organisierten, nur den "einseitigen Budapester liberalen Geist" [16]und ihm nahe stehenden Schriftsteller bevorzugt hätten. Auf den Punkt bringt es der Chef der rechtsradikalen ‚Partei für Ungarische Gerechtigkeit und Leben', seit 1998 das erste Mal im Parlament vertreten, István Csurka: "Im Namen Ungarns erscheint in Frankfurt die Budapester jüdische Literatur" [17].

In dem Jahr, in dem die Vorbereitungen zur Frankfurter Buchmesse stattfanden, schlugen die Wellen der antisemitischen Hetzkampagne besonders hoch.

Der in Berlin lebende ungarische Schriftsteller György Dalos, Initiator und Hauptorganisator des Schwerpunktthemas und bis zum Sommer 1999 Leiter des Hauses Ungarn in Berlin, äußerte sich folgendermaßen zum Konflikt:

"Es war die Fortsetzung der früheren Auseinandersetzung mit anderen Mitteln. Es gab die eigentlich fast in jedem Land normale Auseinandersetzung, ob die Auswahl wirklich gut ist, und diejenigen, die nicht in der Auswahl waren, die fanden natürlich diese Auswahl schlechter als diejenigen denen es gelungen ist, ausgewählt zu werden. Das ist aber eine Jurybanalität. Nun, das große Problem begann dann, als die Fehler der früheren Kulturregierung und die chaotischen Zustände in der Organisation dazu führten, dass die neue Regierung begann - wie immer - Ordnung zu machen. Und in diese Ordnungsmacherei kamen bestimmte ideologische Akzente, die nicht direkt mit der Frankfurter Buchmesse zusammenhingen, sondern mit Ungarn. /.../ Das ist ein eher atmosphärischer Umstand. Diese Atmosphäre führte dann dazu, dass all die Energien, die Enttäuschungen und Frustrationen angesichts der bereits schon damals absehbaren Proporzen in Frankfurt sichtbar waren, dass diese Unzufriedenheit politische Formen zu erhalten schien.

Nun ideologisch wurde diese Geschichte aufgrund von ziemlich bewusst gestarteten rechtsradikalen Propaganda in der Wochenschrift von István Csurka, "Ungarisches Forum", und der anderen rechten Wochenschrift, der nationalradikalen "Demokrata". Das sind Blätter, die sich darauf spezialisieren, wöchentlich die so genannten kosmopolitischen Medien und Autoren anzugreifen, und in diesen Angriffen gibt es absolut unmissverständliche antisemitische Töne. Manchmal nicht einmal kaschierte, manchmal in der Art des feigen Nach-Holocaust-Antisemitismus'. Und dann kam eine parlamentarische Interpellation, in diesem Falle gegen mich, weil ich der einzige war, der aus dem ursprünglichen Team geblieben war. Man forderte meine Absetzung, weil ich angeblich das staatliche Geld mit der liberalen Partei und mit mir aufgeteilt habe. /.../ Es war einfach eine Insinuation, mit dem politischen Hintergrund, dass also die so genannten richtigen nationalen Autoren ausgegrenzt werden. Und wie der neue Antisemitismus sich bei diesen Menschen, bei diesen Abgeordneten äußert, er verglich die Tatsache, dass manche Autoren nicht in Frankfurt mit Büchern erscheinen können, mit der Bücherverbrennung der Nazis." [18]

Am 21. März 1999 wurde dann im öffentlich-rechtlichen Kossuth Rádió in der Hetzsendung "Sonntagsmagazin", nach eigener Aussage die Lieblingssendung von Viktor Orbán [19], ein Interview mit István Csurka ausgestrahlt, das in die Reihe der Grundsatzdefinitionen gehört, weil hier das erste Mal sichtbar wird, dass das Ziel der Hetzkampagne nicht nur die Juden selbst sind:

"Die aus der Exekutive herausgefallene Ungarische Sozialistische Partei besteht aus Leuten, die in gerader Linie von den Sowjetkumpanen, den Henkern, den die Menschen niedermetzelnden Schlächtern, also von denen abstammen, die das Ungartum zerstören. Ich forderte am 15. März das feiernde Publikum auf, mit uns zusammen dafür zu sorgen, dass die Sozialisten nie mehr an die Macht zurückkehren können /.../. Aus dem Buch 'Gegen das Schicksal' von Dezsö Szabó [20]zitierte ich die Passage, in der über den internationalen Menschen gesprochen wird, über den Menschen, der weder ein Franzose, noch ein Ungar, weder ein Deutscher noch ein Engländer ist, der ein nichts ist. /.../ Der internationale Mensch ist der verlängerte Arm der Globalisierung, und es ist /.../ sein Bedürfnis, die Nation zu zerstören. Doch diese Definition als einen Angriff gegen eine Gruppe von Menschen zu deuten, wäre natürlich ein riesiges Missverständnis /.../, denn ich sage: Es ist keine Frage der Abstammung, wie man zum internationalen Menschen wird, es ist eine Frage der Entartung. Der Rundfunk wird heute leider vom Geist Peter Agárdis beherrscht. /.../ Dieser verehrte Herr /.../ war über Jahrzehnte hindurch eine Figur der Parteizentrale /.../, und jetzt ist er der Präsident des Rundfunkkuratoriums, natürlich in den Farben der Ungarischen Sozialistischen Partei. Er setzt seine Arbeit dort fort, wo er aufgehört hat, mit Demoralisierung und Zerstörung. Als internationaler Mensch will er aus dem ungarischen Rundfunk einen internationalen Rundfunk machen./.../ Dies kann dem Ungartum nur Schaden zufügen ..."[21]

Zum Gesamtkunstwerk abgerundet wurde das Interview mit der symphonischen Dichtung 'Les Preludes' von Franz Liszt, einer Musik, die bekanntlich im Zweiten Weltkrieg als musikalisches Signal der Sonderberichte des Oberkommandos der Wehrmacht in den Kinos gespielt wurde.

Neues Element im Interview ist die namentliche Nennung der angegriffenen Person, man spricht nicht mehr "durch die Blume", sondern wird konkret.

Der Begriff 'internationaler Mensch' kann heute als 'Fremder allgemein' und als 'Jude' decodiert werden, da sie der von Csurka zitierte Autor auch in diesem Sinne benutzt [22].

Neu in Csurkas Rede ist weiterhin der Begriff "Entartung", das ihm einerseits erlaubt, über die Juden als über eine Menschenrasse zu sprechen und andererseits den Kreis derjenigen zu erweitern, gegen die er vorgehen will: er meint nicht nur die Liberalen (Juden) selbst, sondern auch deren politischen Kreis, nämlich vor allem die Sozialisten. Sie werden beschuldigt, von den "Sowjetkumpanen" abzustammen, mit dem jüdischen Geist den ungarischen Geist zu demoralisieren und zu zerstören, aus dem ungarischen einen internationalen, d.h. einen jüdisch-globalisierten Rundfunk bzw. Kultur zu machen und so dem Ungartum Schaden zufügen zu wollen.

Dem Begriff "Entartung" entsprechend ist es heute letzten Endes vollkommen egal, ob Juden (codiert: Liberale) in der Kultur, Kulturpolitik oder in den Medien überrepräsentiert sind, wie dies von konservativer Seite immer wieder behauptet wird. Als ‚jüdisch' (oder ‚liberal') beschimpft wird im Allgemeinen die Intelligenz, die mit dem linken Parteienspektrum sympathisiert, auch wenn sie bekanntlich nicht jüdisch ist, so z.B. der Schriftsteller Péter Esterházy oder der ehemalige Staatspräsident und Schriftsteller Árpád Göncz. Die heutige - in Ungarn durchaus lebendige - assoziative Nähe der Begriffe ‚liberale Intelligenz', d.h. ‚gebildet' und ‚jüdisch' geht auf die historische Tatsache zurück, dass in der Monarchie des 19. Jahrhunderts die ‚Veredelung der Israeliten', bzw. die ‚Bildung' Voraussetzung für die kulturelle Assimilation, für die Verbürgerlichung und somit für die Emanzipation der Juden war [23].

Mit dem heutigen Begriff "Globalisierung" spannt Csurka in seinem Interview den Bogen in die Gegenwart. Er ist wie die Konservativen im Lande der Meinung, die Sozialisten und die Liberalen hätten die Tore für den westlichen Markt in der Kultur geöffnet. Sie seien internationale Menschen, die den Weg in Ungarn für die Globalisierung frei machten und so die Nation bzw. das Ungartum zerstörten. Denn im Gegensatz zur Diktatur ginge heute die größte Gefahr vom westlichen Kapital aus. Die heutige Macht von Coca-Cola, - Sinnbild des "alles vom Tisch fegenden Terrors aus der Kraft des Kapitals" - wird mit der früheren Macht von Stalin verglichen [24], und es wird beklagt, dass zusammen mit dem Einzug der Marktwirtschaft auch eine Art Kulturkolonialismus durch den Westen stattfände [25], zumal die neuen, mit westlichem Kapital errichteten Einkaufszentren im Umland von Budapest die Hauptstadt heute genauso belagerten wie vor zweiundvierzig Jahren die sowjetischen Panzer [26]. Es hätte noch immer kein richtiger Systemwechsel stattgefunden und alle wichtigen Positionen würden eigentlich noch immer die sog. Postkommunisten, d.h. die Sozialisten besetzt halten (die ja nach Csurkas Deutung selbst den jüdischen Geist verkörpern). Die Ungarn seien von einer Unterdrückung in die andere gefallen und auf die sozialistische Internationalisierung würde die kapitalistische Internationalisierung folgen. So sei Ungarn praktisch eine Kolonie geblieben, nur mit anderem Vorzeichen. Die sozialistische Kulturglobalisierung würde von der kapitalistischen abgelöst, und als Folge würden die Ungarn nach und nach verschwinden, die Ungarn blieben eine Minderheit im eigenen Land.

Ausdruck dieses - es muss so formuliert werden - ‚nationalen Narzissmus' ist auch der Begriff "Nationalsozialismus", der jedoch mit einem umgekehrten Vorzeichen die Ausgrenzung der Ungarn aus der eigenen Kultur meint [27], oder der Begriff "heutiger ungarischer Genozid" [28], für das auch die eigenen Journalisten und Schriftsteller mitverantwortlich seien, weil sie die eigene Heimat im Ausland als antisemitisch denunzierten.

Dahinter verbirgt sich die - durchaus verständliche - ungarische Neurose, die aus der Lage eines Landes resultiert, das auf der "Verliererseite der Geschichte" noch immer mit dem Fiebertraum des Verschwindens seiner nationalen Existenz kämpft. Infolge der permanenten Unterdrückung durch die Osmanen, das Habsburgerreich und die Sowjetunion hatte die ungarische Nation bis heute kaum Zeit, zu sich zu finden. Und jetzt soll sie sogar bald in Europa aufgehen.

Dass das sog. Trianon-Syndrom auch heute allgegenwärtig ist, zeigen Formulierungen wie z.B. "Ungarn sei das einzige Land der Welt, dessen Grenzen seine eigenen Gebiete sind" vom ehemaligen Landwirtschaftsminister, Dr. Torgyán, die auch von anderen führenden Politikern der rechtskonservativen Parteien übernommen wird [29]. Und dass das Trianon-Syndrom auch heute mit dem Antisemitismus zusammenhängt, zeigt ein geistvoll-schmerzlicher Satz in einer Zeitung, bezogen auf das jüdisches Ritual der Beschneidung: "In Trianon wurde unsere Heimat regelrecht beschnitten"[30].

Die gegenwärtig in einer rechtskonservativen Koalition regierenden Parteien achten dabei selbst peinlich darauf, nicht als Antisemiten abgestempelt werden zu können, doch die Codierungen übernehmen auch sie [31]. Vor allem aber grenzen sie sich den Rechtsextremen gegenüber überhaupt nicht ab [32].

So erscheint immer wieder ein Minister, erscheinen regelmäßig Staatssekretäre auf Titelfotos von Zeitschriften [33] oder als Schirmherren von Konferenzen, in denen unmissverständlich antisemitische Codierungen vorkommen [34], oder es werden z.B. Programmvorhaben für die Millenniumsfeierlichkeiten finanziert, die vom rechtsradikalen Führer, István Csurka stammen [35].

Der ungarische Rechtskonservatismus richtet sich also nicht nur gegen den "Osten" gegen die vermeintlichen Bolschewiken, sondern auch gegen den Westen und Europa, von dem ja die Globalisierung und die kulturelle Kolonisierung ausgehe und gegen die "inneren Feinde", die Liberalen und die Sozialisten. Diese aber machen etwa die Hälfte des Landes aus, so dass eigentlich die eine Hälfte des Landes mit der anderen Hälfte im geistigen Krieg steht.

Trauriger Abschluss der Vorbereitungen für die Buchmesse bedeutete der Artikel "Die Frankfurter Tyrannei" von István Csurka, der die Frankfurter Buchmesse mit dem Ungarnschwerpunkt den "Holocaust der ungarischen Literatur" nannte [36].

Die rechtskonservative Regierungskoalition Viktor Orbáns zeigt vielfach rechtsradikale Züge, ja eine der neuesten Relativierungen des Holocaust stammt von der Regierungsberaterin Maria Schmidt:

"Im Zweiten Weltkrieg ging es nicht um das Judentum, um den Völkermord. So leid es uns auch tut: Der Holocaust, die Ausrottung oder Rettung des Judentums war ein nebensächlicher, sozusagen marginaler Gesichtspunkt, der bei keinem der Gegner das Kriegsziel war. /.../ Es muss auch festgehalten werden, dass die Alliierten Nazi-Deutschland auf keinen Fall deshalb den Krieg erklärt hatten, um die geplante völkermörderische Politik gegen die Juden zu verhindern. Sie hatten weder vor, die Vertriebenen aufzunehmen, noch sie zu schützen. Daher ist für sie nichts Außergewöhnliches, mit anderen Worten Unikates, passiert. In unserem Jahrhundert /.../ ist ja eine ganze Reihe von Massenmorden und Genoziden passiert, wobei diese von der Außenwelt mit oder ohne Anteilnahme aber bewusst wahrgenommen wurden. Ebenso wusste die Welt - jedenfalls die Interessierten oder die Betroffenen -, was seit der bolschewistischen Revolution in dem die Neue Welt verheißenden sozialistischen Russland, Sowjet-Russland bzw. in der Sowjetunion passierte. Die kommunistischen Regime haben im Interesse der Festigung ihrer Herrschaft die Massenmorde zur wirklichen Regierungsmethode erhoben."[37]

Der bekannte Philosoph und Publizist Miklós Tamás Gáspár reagierte einige Tage später folgendermaßen:

"Schmidt ist keine unabhängige Forscherin, sondern eine amtliche Person. Ihr Vortrag war nicht etwa auf der Sitzung einer kompetenten, wissenschaftlichen Gesellschaft zu hören, sondern an der nach einem rassistischen Politiker benannten "politischen Akademie" einer in vieler Hinsicht rechtsextremen Partei - einer Regierungspartei! Schmidt bemühte sich in ihrer bisherigen wissenschaftlichen, publizistischen Tätigkeit, für die Juden immer nachteilige Konsequenzen abzuleiten: darin hatte sie teils Recht teils Unrecht, doch die Tendenz ist unverkennbar. Zahlreiche Mitglieder im politischen Umfeld Schmidts /.../ betreiben eine rechtsextremistische propagandistische Tätigkeit, ohne dass sie dafür von ihren Vorgesetzten gerügt würden. Dieser Kreis um den Ministerpräsidenten herum rehabilitiert regelmäßig /.../ solche Personen, die die Judengesetze eingeführt und unterstützt hatten und Personen, die Initiatoren des mit Hitler zusammen geführten Angriffskrieges waren (er tut dies parallel zu den Kampagnen der offen rassistischen rechtsextremistischen Partei - heute ein halboffizieller Regierungsverbündeter), /.../ er setzt Neonazis in die sorgfältig entjudeten Schlüsselpositionen der öffentlich-rechtlichen Medien, erteilt der neofaschistischen Wochenzeitschrift - durch einen Ministerialerlass - eine staatliche Apanage usw. /.../ Im mitteleuropäischen Judentum sind nur noch die ungarischen Juden unter uns, vor allem in Budapest - das sind die Nachkommen des überlebenden Sechstels, die durch einen militärstrategischen Zufall am Leben blieben, plus einige der Überlebenden. Im Gegensatz zu Deutschland, Österreich, Polen und Rumänien hat der Antisemitismus hierzulande eine konkrete, aktuelle, politische Bedeutung /.../. Es ist nicht zu leugnen, dass die offiziellen Elemente des Regierungslagers ununterbrochen judenfeindliche Zeichen aussenden. /.../ Nicht nur das vorläufig externe Regierungsmitglied, Parteichef Csurka, sondern auch Beamte des Kanzleramtes /.../ reden und handeln so wie Jörg Haider. Ihr Reden und Handeln übertrifft jedoch nicht nur, was Jörg Haider sagt, sondern auch, was Jörg Haider nur denkt."[38]

Das geistige Leben des Landes ist also bis 1999 bereits durch faschistoide Ideologien durchwoben, wobei diese nicht am Stammtisch, sondern eben bei einem Teil der Intelligenz entstehen, teilweise durch die Medien verbreitet werden und auch im Parlament zu finden sind [39]. Tatsächlich wird auch der Versuch unternommen, einige historisch belastete Personen der ungarischen Geschichte zu rehabilitieren [40], wie es im zitierten Artikel der Regierungsberaterin vorgeworfen wird, doch noch grundlegender scheint die Zielrichtung der politischen und kulturpolitischen Handlungen der Orbán-Regierung zu sein, die durch die Frage bestimmt werden, wie durch die Kultur das innerhalb und außerhalb der ungarischen Gebiete lebenden Ungarn miteinander vereint werden können und wie eine gemeinsame Identität geschaffen werden kann. Viele sehen daher die kulturelle Zukunft des Landes in der geistigen Erneuerung aller Ungarn, also auch derer, die in den vortrianonischen Gebieten leben. Das ist so etwas wie ein geistiger Revanchismus für das angestrebte Ideal des ehemaligen großen Nationalstaates Ungarn, den es eigentlich seit dem Mittelalter nicht mehr gegeben hat. Das von der Orbán-Regierung geschaffene und im Kanzleramt eingerichtete neue Amt, die "Landesimagezentrale" [41] wird auch nicht müde, die Zusammengehörigkeit und die Größe des ungarischen Volkes zu betonen und diese in Slogans in den Medien zu verbreiten [42]. Das Ergebnis der Bemühungen mündet in eine Art säkularisierter Religion, in einem Kulturnationalismus mit faschistoiden Zügen.

Wurde in den letzten Jahrzehnten die Identität durch die Opferhaltung, also durch den über die Jahrhunderte entstandenen Mechanismus der Identifikation über Feindbildkonstruktionen und über den verhassten fremden Unterdrücker definiert, gegen den man sich "wehren muss", so ist ab 1999 ein leichter Wandel zu beobachten. Mit der Konzeption des ethnischen Kulturnationalismus der "reinen" ungarischen Kultur wird immer mehr auch der dem Volk immanente organische, spezifische Charakter, die Einzigartigkeit, ja sogar die Auserwähltheit des ungarischen Volkes betont.

Diese Tendenz unterstützt eine um die Jahreswende 1999/2000 veröffentlichte Artikelreihe eines Rechtsanwalts, in dem u.a. Folgendes steht:

"Während die DNS der menschlichen Rasse innerhalb einer gegebenen Länge zwei bis drei Drehungen aufweist, weist die der ungarischen Rasse neun Drehungen auf /.../, was wiederum mit der Drehzahl des vom Planet Sirius auf die Erde kommenden Lichtes identisch ist. Aus dieser Tatsache resultiert der kosmische Ursprung der ungarischen Intelligenz, der ungarischen Seele und des ungarischen Geistes und darauf geht die Auserwählung des ungarischen Volkes zurück". [43]

Dr. László Grespik betonte zwar, er hätte seine Thesen zur neuesten ungarischen Kulturgeschichte sozusagen als Hobbyforscher, ausschließlich als Privatmann verfasst, doch immerhin erschienen sie in einer der Regierung nahe stehenden rechtsradikalen Zeitschrift namens "Ungarischer Demokrat" [44], und er ist vier Monate später als Staatssekretär zum Chef der obersten Stadtverwaltungsbehörde ernannt worden. In seiner Funktion ist er befugt, die Immobilien-Kaufverträge von Ausländern in Budapest zu überprüfen und notfalls ihre Genehmigung zurückzuziehen, wenn sie nach seiner Meinung für die Allgemeinheit schädlich sind [45]. Diese Maßnahmen richten sich eindeutig gegen eventuelle Einwanderer oder Kaufinteressenten aus dem Westen und aus Israel und sind als Teil der rechtsradikalen Antiglobalisierungsbewegung zu betrachten, die meistens mit dem Code "Tel-Aviv - New York - Brüssel Achse", als Synonym für die jüdisch-westlich-globalisierte Weltverschwörung gegen Ungarn abgedeckt wird [46]. Dieses Kürzel gibt die schon beschriebene weit verbreitete konservative Auffassung wieder, wonach die sozialistische Kulturglobalisierung von der kapitalistischen abgelöst worden sei, der ungarische Geist werde demoralisiert und zerstört, und aus der ungarischen werde mit Hilfe der "inneren Verräter", den "Liberalbolschewiken" (d.h. Juden) - eine internationale, d.h. eine "jüdisch-globalisierte" Kultur. So wie "Trianon" ein alltägliches Thema in den Medien ist, so wird auch die allgemeine Angst geschürt, fremde Mächte würden versuchen, die ungarische Kultur und damit die Ungarn ihrem Stil und Denken anzugleichen, weshalb sie verteidigt werden müsse. Dabei ähnelt die Rhetorik der der dreißiger Jahre gespenstisch. Die eindeutig antiwestliche Stimmung verleitete auch den Ministerpräsidenten Orbán im Sommer 2001 zu folgender Aussage: "Dieser österreichischen Wirtschaft, die hier läuft, muss ein Ende gesetzt werden. Jeder österreichische Bauer, der in Ungarn Grundstücke gekauft hat, soll sich freuen, wenn er dies heil übersteht" [47].

Hier ist ein Prozess zu beobachten, wie der antisemitische Kulturnationalismus über die Betonung der Größe des ungarischen Volkes und als Teil der Antiglobalisierungsbewegung gepaart mit allgemeinem Fremdenhass Eingang in die Verwaltung bekommt. War der Antisemitismus bis dahin vor allem Bestandteil des Bereiches der Kultur und der Medien, ist er jetzt bereits auch in der Verwaltung institutionalisiert.

Unterstützt wird die Regierung von der rechtsradikalen Partei MIÉP, seit 1998 das erste Mal - offiziell als Opposition, doch nach eigener Aussage als "Opposition der Opposition" [48]- im Parlament vertreten. Böse Zungen werfen der Regierung vor, in der rechtsradikalen Partei ein ideales Sprachrohr gefunden zu haben, denn diese würde alles aussprechen, was sich die Regierung - die sich EU-Regeln verpflichtet fühle - nicht leisten könne.

Antisemitische Hetze ist inzwischen überall möglich, angefangen vom Fußballplatz, wo die vermeintliche ‚jüdische' Fußballmannschaft als "dreckige Juden" beschimpft und im Stadion "der Zug startet nach Auschwitz" bzw. "Wohin startet der Zug?" [49] skandiert werden kann , ohne dass das Spiel abgebrochen wird, und die Justizministerin hinterher die Geschehnisse mit dem Satz abtut, sie verstehe nichts vom Fußball [50], über die Herausgabe und den Vertrieb antisemitischer Literatur [51], bis hin zum Vertrieb revisionistischer Lieder mit finanzieller Unterstützung des Jugendministeriums [52] und bis hin zum kirchlichen Rundbrief, in dem im Hinblick auf die Wahlen im Frühjahr 2002 folgende Gebetsformulierung steht:

"Rette unsere Nation vom egoistischen, nur auf sich selbst bauende ultraliberale Denkweise und gib uns Dir ergebene und auf Deine Hilfe bauende Führer".[53]

Gegen die für jedermann entzifferbare Bedeutung des Wortes 'christlich' als 'nicht Jude' setzen weder die Regierung noch die Kirche ein eindeutiges Zeichen, im Gegenteil. Ein Teil der Kirche unterstützt sogar vorbehaltlos die rechtsradikale Partei für Ungarische Gerechtigkeit und Leben, MIÈP .[54]

Der heutige ungarische Nationalismus richtet sich zu einem großen Teil gegen die linksliberale Hauptstadt Budapest und wird als Gegensatz 'Provinz contra Stadt' ausgespielt [55]. Wichtiger Aspekt des Kulturkampfes ist also der Kampf des übrigen Landes gegen die Hauptstadt Budapest. So wie die Schriftsteller der völkischen Richtung in den 30er Jahren mit den Mitteln der völkischen Ideologie die Stadt angriffen und sie als die Quelle jeglicher Korruption in der edlen Agrargesellschaft Ungarns verurteilten [56], so ist auch der heutige ungarische Nationalismus mit einer Art Bauernromantik und Stadtfeindlichkeit verbunden. Der Antisemitismus wird deshalb hier am offensichtlichsten, weil in Budapest tatsächlich Ostmitteleuropas größte - übrigens weitestgehend assimilierte - jüdische Bevölkerung lebt, die von der Vernichtungsmaschinerie im Zweiten Weltkrieg nicht mehr richtig erreicht wurde [57]. Solange sich die Regierung nach rechts offen zeigt, spielt dieser Aspekt - wenn auch unausgesprochen - in ihren Attacken gegen Budapest weiterhin eine Rolle.

Da Budapest eine linksliberale kommunale Administration hat, fällt der Kampf der rechtskonservativen Regierung gegen die linksliberale Hauptstadt Budapest [58] hier am deutlichsten mit dem Kampf der Volksnationalen gegen die Juden zusammen.

Auch die öffentlich-rechtlichen Medien fallen mit ihrer antisemitischen Hetze auf [59].

Der Widerstand regt sich zwar [60], doch er wird immer schwieriger. "Das hier kann man durchaus Weimar nennen", schrieb Ende 2000 der bereits erwähnte Philosoph Miklos Tamás Gáspár [61]. Kritische Meinungen werden vom Tisch gefegt, und oppositionelle Kritiker - meistens codiert, mit den Synonymen für "jüdisch" - als 'Liberalbolschewiken', 'Kosmopoliten', ‚Schein-Ungarn' oder einfach als ‚seelisch fremd' beschimpft und als Verräter in den Medien namentlich genannt [62]. Versuchen sich diese gegen die "öffentlich-rechtliche Judenhetze" [63] zu wehren, wird ihnen von Regierungsseite Hypersensibilität vorgeworfen [64].

Während die Linksliberalen inzwischen von einem "verbalen Kosovo" sprechen [65], und die Stimmung immer explosiver wird [66], werfen ihnen die Konservativen den Ball zurück: Sie beschuldigen die Linken, den Antisemitismus zu instrumentalisieren, mit ihm zu spielen, ja zu hetzen und statt einer echten Kritik nach dem Motto "wer nicht für uns ist, ist ein Antisemit" alles abzulehnen, was konservativ ist. Die Historikerin, die diese These aufstellte, ist ebenfalls die erste Beraterin des ungarischen Ministerpräsidenten. Selbst Ministerpräsident Orbán behauptet: "Es ist ein Teil der ungarischen Polit-Folklore, dass die Linke jeden Nichtlinken zum Antisemiten erklärt" [67].

Dies sagte er in einem Interview anlässlich der Verleihung des Franz-Josef-Strauß-Preises der CSU-nahen Hanns-Seidel-Stiftung durch den bayrischen Ministerpräsidenten, Edmund Stoiber. Orbán wurde dabei als "mutiger, junger und herausragender Politiker und Repräsentant einer modernen Volkspartei", als ein "aufrichtiger Freund" Bayerns und ein "überzeugter Europäer" gewürdigt, der mit seiner Politik "entscheidende Impulse" für das Zusammenwachsen in Europa gesetzt habe.

Anmerkungen

hagalil.com 20-04-2002


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