7. Schluss
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DISKUSSION IM FORUM]
Wie von mir aufgezeigt wurde ist Antisemitismus
durchaus eine Problematik, welche die deutsche Demokratie bis in ihre
Grundlagen berührt.
Die bürgerliche Gesellschaft bringt Individuen
hervor, die in ihrer Ohnmacht und dem erzwungenen, angesichts einer Form
irrationaler Vergesellschaftung jedoch nicht einsichtigen, Lustverzicht
verhärten und an der Realität kollektiv irre werden. So lässt sich die
Herkunft und Genese des Antisemitismus erklären. Entschuldbar sind die
Hassausbrüche gegen Juden und Jüdinnen ebenso wenig wie der strukturelle
Antisemitismus. Dieser existiert gewiss nicht nur in der deutschen Kultur
und Gesellschaft, konnte sich jedoch nur im Verein mit der deutschen
Arbeitsideologie und dem Nationalismus zu einer mörderischen Melange
verbinden. Dennoch ist die antisemitische Idee zugleich ein Produkt der
europäischen Aufklärung, deren emanzipatorisch Dimension noch immer ihrer
Verwirklichung harrt. Der unausgesprochene Pakt der Generationen der
deutschen Post-Holocaust Gesellschaft, die sich weitgehend einig darin sind,
dass die Erinnerung an die eigene Vergangenheit, welche mörderisch und
barbarisch ist, einer nationalen Rekonstruktion des wiedervereinigten
Deutschland nicht im Wege stehen soll. Derlei Tendenzen in der
bundesdeutschen Gesellschaft, ob sie ihren Ausdruck finden in dem von Helmut
Kohl inszenierten, skandalösen Unterfangen deutsch-amerikanischer Versöhnung
vor den SS-Gräbern in Bitburg, im Krieg gegen Jugoslawien zur angeblichen
Verhinderung eines Auschwitz im Kosovo oder die Einrichtung eines Berliner
Zentrums für die Nachfahren der umgesiedelten Deutschen betreiben, sie alle
eint die Funktionalisierung oder Relativierung des Leidens und Sterbens der
europäischen Juden. Ob und wie es gelingt das objektive deutscher Schuld im
Gedächtnis zu halten gegen derlei ideologische Bestrebungen daran wird sich
auch entscheiden, ob die Möglichkeit die Vergangenheit aufzuarbeiten
bestehen bleibt.
In der aufklärerischen Tradition ist zum Guten, wie
zum Schlechten auch die Politische Bildungsarbeit gefangen. Nur in der
permanenten Reflexion auf diesen Sachverhalt liegt das Potential sie über
ihre Begrenztheit hinauszutreiben. Diese Möglichkeit sollte ergriffen werden
und zugleich die allzu hohen Erwartungen an die Pädagogik zurückgewiesen
werden. Das verfehlte Ganze wird sie ebenso wenig kurieren können, wie
dessen Auswirkungen. Sie kann nur jenen relativ Vorurteilfreien, deren
Ich-Struktur in der Kindheit weniger Beschädigungen erlitten hat eine
aufklärende und bildende Unterstützung sein. Diese Begrenzung ist weniger
resignativ, denn der Begrenzung von Bildung in der spätkapitalistischen
Warengesellschaft geschuldet, wie ich sie im letzten Kapitel beschrieben
habe. Um nicht der Resignation zu verfallen wäre es demnach auch eine
Aufgabe der organisatorischen Träger politischer Bildungsarbeit auf solche
Grenzen zu verweisen und zugleich die Kritik an den Ursachen offen zu
äußern. Somit käme politischer Bildungsarbeit auch die Aufgabe der
Gesellschaftskritik zu.
Politische Bildungsarbeit, die sowohl über die
Mechanismen antisemitischer Ideologie, wie auch die individuelle Ebene
thematisieren will, stellt hohe Anforderungen an historisches und
soziologisches Wissen, die Flexibilität, Empathiefähigkeit der in diesem
Bereich arbeitenden Bildner und Bildnerinnen. Ein Verständnis der
antisemitischen Ideologie, der Psychodynamiken und der Strukturen, die sie
hervorbringen erscheint mir dazu unerlässlich. Erforderlich ist aber auch
eine permanente Reflexion auf die eigenen Psychodynamiken und Verstrickungen
in den gesellschaftlichen Schuldzusammenhang. Die Blockaden der Klientel
politischer Bildung sind zum Teil massiv, das beweist mir die eigene Praxis
in der politischen Bildung. Die Psychodynamiken aufzuzeigen und mit ihnen
umzugehen gehört zu einem der Ziele dieser Arbeit. Dennoch werden jegliches
persönliches Engagement und die Wirksamkeit der Arbeit an den Grenzen der
objektiv vorhandenen gesellschaftlichen Totalität ihre Begrenzung erfahren.
Politische Bildungsarbeit gegen Antisemitismus bedeutet das Unfertige und
zugleich ambivalente ihres Inhalts und ihrer Form zu akzeptieren. Analog der
Kritischen Theorie hätte sie sich selbst und ihre Bedingungen immer wieder
in Frage zu stellen. Darin liegt auch die einzige Möglichkeit sich der Logik
des Marktes ein Stück weit zu entziehen. Das erwartete Produkt, Bildung
gegen Antisemitismus, die gegen die judenfeindliche Idiosynkrasie
immunisiert, kann unter der aktuellen politischen Ökonomie und in der
nachbürgerlichen Gesellschaft nur sehr begrenzt wirken. Dennoch dagegen
anzugehen und in Jugendlichen, wie Erwachsenen ein Verständnis des
Einzelnen, wie des Gesamtzusammenhanges - wenn auch unvollkommen - zu
vermitteln entspricht dem dialektischen Denken der Kritischen Theorie. Die
Aufgabe, anstatt auf einmal gefundenen Standpunkten ein statisches
Methodengerüst aufzubauen, durch lebendige und permanente Selbstreflexion
eine Theorie und Praxis politischer Bildung zu betreiben scheint mir
offensichtlich. Insofern kann und sollte Bildungsarbeit gegen Antisemitismus
nicht getrennt betrachtet werden von der Fortentwicklung kritischer
Gesellschaftstheorie. Eine solche zu betreiben und (berufs-)politisch die
überhöhten Erwartungen an die Pädagogik zurückzuweisen kann die
Handlungsmöglichkeiten politischer Bildung zugleich erweitern.
Ich denke in den Ansätzen von Konkretion einer
politischen Bildung gegen Antisemitismus sind noch einmal die Problematiken
und Begrenzungen aufgeschienen, die sich auch aus der Kritischen Theorie
ergeben. Diese scheinen zum Teil schwerer zu wiegen, als die positiven
Möglichkeiten von Bildungsarbeit. Doch in der Erkenntnis des Schlechten und
der Begrenzung taucht erst das positive Element auf. So schließe ich mit den
Worten Max Horkheimers, die er für die Philosophie formuliert hat und deren
Eingang in die Politische Bildungsarbeit mir ein Anliegen ist:
"Die Methode der Negation, die Denunziation alles dessen, was die Menschheit
verstümmelt und ihre freie Entwicklung behindert beruht auf dem Vertrauen in
den Menschen".
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